Artikel vom 13. Januar 2000
© 2000 fhi
Erstveröffentlichung

Klaus Richter:

Deutsch-Ostafrika 1885 bis 1890: Auf dem Weg vom Schutzbriefsystem zur Reichskolonialverwaltung

Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der deutschen Kolonien

   
I. Einleitung
II. Niederschlagung des ostafrikanischen Aufstandes (1885 bis 1890). Ein historischer Überblick
1. Der Griff nach Ostafrika: Bismarck und Peters
2. Von der Erteilung des kaiserlichen Schutzbriefes zum „Araberaufstand“ 1888
3. Auf dem Weg zur Reichskolonialverwaltung: Der Araberaufstand und das Eingreifen des Reiches
III. Rechtliche Aspekte der Kolonialisierung Deutsch-Ostafrikas
1. Der Gebietserwerb in Ostafrika
2. Erwerbsvoraussetzungen nach der Kongo-Akte
3. Rechtliche Bedeutung der Schutzbriefe
4. Schutzgebiet und Schutzgewalt
IV. Zusammenfassung und Schluß

I. Einleitung

Um 1884 schien das afrikanische Inland, das kurz zuvor von den Expeditionen Livingstones, Spekes und Stanleys erschlossen worden war, vor einem wahren Handelsboom zu stehen. Um den Victoriasees und den Tanganjikasee fanden Entdecker und Reisende Gebiete mit reichhaltigem Boden und exzellenten klimatischen Bedingungen, die zur Kolonisierung und zum Handel einluden. Hier glaubte man einen wahren Garten Eden inmitten Afrikas gefunden zu haben, ein neues Indien, das den europäischen Mächten ungeahnten Reichtum zu versprechen schien.1) Aber wie sollte man diese Gebiete für den Handel eröffnen? So schön es dort auch gewesen sein mochte - das Gelände war unerschlossen, es gab weder Straßen noch Eisenbahn, allenfalls einige Karawanenstraßen, die mehr ausgetretenen Pfaden als Wegen glichen. Und es gab ein weiteres Problem: die Schönheit und Ergiebigkeit der Landschaft wurde durch unerfreuliche tropische Krankheiten belastet, insbesondere Malaria. Um Europäer ansiedeln zu können und Handel zu treiben, bedurfte es klimatisch und gesundheitlich angenehmerer Siedlungsgebiete, vergleichbar denen an der afrikanischen Mittelmeerküste. Tatsächlich gab es diese Gebiete, beide in der Nähe des Sultanats von Zanzibar, dessen Machtzentrum auf der gleichnamigen Insel vor der Ostafrikanischen Küste lag. Das erste war eine kleine Hochebene nahe des Kilimandscharo, unmittelbar nördlich der Karawanenstraße nach Udjiji und den Taganjikasee, das zweite waren die Hochländer um die schneebedeckten Höhen des Mt. Kenya. Doch wer in diesen Gebieten siedeln wollte, brauchte Zugang zum Meer, brauchte Häfen.2) So gerieten Hafenstädte wie Mombasa oder das erst neu gegründete Dar-es-Salaam ins Blickfeld der Europäer. Es war diese Gegend, die in den kommenden Jahren in den Mittelpunkt kolonialer Interessen der Deutschen und Briten geriet und in dem Männer wie der britische Generalkonsul auf Zanzibar, Dr. John Kirk oder der deutsche Abenteurer Carl Peters und die von ihm gegründeten Gesellschaften versuchten, die größten Vorteile für sich und ihre Heimatländer zu erringen.3) 1
In dem folgenden Beitrag soll es nicht nur um eine historische, sondern auch juristische Betrachtung der Entstehung Deutsch-Ostafrikas gehen. Am Beispiel dieses Schutzgebietes stehen dabei die Inbesitznahme von Land durch eine Gesellschaft, die rechtliche Bedeutung der zwischen einer Gesellschaft und eingeborenen Häuptlingen und Sultanen abgeschlossenen Verträge sowie die Bedeutung und Funktion eines kaiserlichen Schutzbriefes im Vordergrund. 2
Die deutsche Kolonialgeschichte und das Kolonialrecht sind bereits ausgiebig erforscht worden, doch haben sich darum bislang überwiegend Allgemeinhistoriker, jedoch nur wenige Rechtshistoriker gekümmert4). Daher soll es das Ziel dieser Arbeit sein, die Entwicklung des Kolonialrechts im Hinblick auf die Erwerbungen in Ostafrika, dem heutigen Tansania, unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung darzustellen. 3
Der Aufsatz gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil berichtet über die historischen Ereignisse in den Jahren 1885 bis 1890, von den ersten Erwerbungen durch die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ bis zur Niederschlagung des ersten größeren Aufstands in Ostafrika durch Reichskommissar von Wissmann. Dabei werden auch historische Dokumente vorgestellt, die einen tieferen Einblick in die damaligen Verhältnisse und Ansichten ermöglichen sollen. 4
Der zweite Teil geht einzelnen juristischen Problemen nach, die mit dem Erwerb der Schutzgebiete entstanden sind. Anhand des ostafrikanischen Schutzgebietes sollen diese Probleme so dargestellt werden, wie sie zwischen 1885 und 1914 diskutiert wurden.5) Dabei beschränkt sich die Untersuchung bewußt auf Völker- und staatsrechtliche Aspekte der Kolonialrechtsentwicklung und nimmt keinen Bezug auf die Entwicklung der Gerichtsbarkeit, des kolonialen Strafrechts oder andere rechtliche Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich auf der einen und Kolonisten und Eingeborenen auf der anderen Seite.6) Der dritte Teil der Arbeit bietet eine kurze Zusammenfassung, und den Abschluß bildet ein Anhang mit Auszügen aus den wichtigsten Gesetzen und Verträgen, die für die Inbesitznahme von Gebieten in Ostafrika maßgeblich waren. 5

II. Vom Erwerb des ostafrikanischen Schutzgebietes bis zur Niederschlagung des ostafrikanischen Aufstandes (1885 bis 1890). Ein historischer Überblick

Reichskanzler Otto von Bismarck ließ bis 1884 immer wieder verlauten, daß er keine Kolonialpolitik betreiben wolle. Für ihn war das gute Verhältnis zu Großbritannien von Vorrang, es sollte nicht durch koloniales Kräftemessen in Mitleidenschaft gezogen werden. Wenn es denn schon Außenposten deutscher Firmen in Afrika und in anderen Kontinenten geben sollte, so durfte sich das Reich in deren Verwaltung nicht einmischen, sondern dies vielmehr den Firmen überlassen. Das Ziel war ein florierender Überseehandel, die Handelshäuser, die diesen betrieben, sollten die Wahrung ihrer Interessen eigenverantwortlich wahrnehmen. Noch 1881 verkündete Bismarck mit Blick auf die europäischen Machtverhältnisse: 6
„Solange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik. Wir haben eine Flotte, die nicht fahren kann (...) und wir dürfen keine verwundbaren Punkte in fernen Weltteilen haben, die den Franzosen als Beute zufallen, sobald es losgeht.“7) 7
Nicht wenige waren angesichts der nationalen Aufbruchstimmung, die sich im Zuge der Reichsgründung breitmachte, mit dieser Einstellung einverstanden, doch gab es auch Stimmen, die dem Reichskanzler recht gaben. So beschloß der 19. Kongreß Deutscher Volkswirte, der vom 21. bis zum 28. Oktober in Berlin tagte: 8
„Während der Reichsregierung die Pflicht obliegt, die Auswanderung auf Grund bestehender Gesetze unbehelligt zu lassen, sie aber vor Ausblutung und Bedrückung zu schützen, hält es der volkswirtschaftliche Kongreß für nicht zulässig, daß auf Kosten der Gesamtheit und zu Gunsten einzelner Klassen teuere und aussichtslose, wenn auch wohlgemeinte Versuche mit Errichtung irgendwelcher Art von Kolonien angestellt werden.“8) 9
Seit 1884 hatte sich Bismarcks Haltung zum Erwerb von Schutzgebieten durch zunehmende deutsche Handelsinteressen in Afrika unter dem Eindruck der Ereignisse in Südwestafrika gewandelt.9) Dies brachte er in einer Reichstagsrede vom 26. Juni 1884 zum Ausdruck:10) 10
„Unsere Absicht ist, nicht Provinzen zu gründen, sondern kaufmännische Unternehmungen, aber in der höchsten Entwicklung, auch solche, die sich eine Souveränität, eine schließlich dem Deutschen Reich lehnbar bleibende, unter seiner Protektion stehende kaufmännische Souveränität erwerben, zu schützen in ihrer freien Entwicklung sowohl gegen die Angriffe aus der unmittelbaren Nachbarschaft als auch gegen Bedrückung und Schädigung von seiten anderer europäischer Mächte (...) Das ist der Unterschied: bei dem System, welches ich das französische nannte, will die Staatsregierung jedesmal beurteilen, ob das Unternehmen ein richtiges ist und ein Gedeihen in Aussicht stellt; bei diesem System überlassen wir dem Handel, dem Privatmann die Wahl, und wenn wir sehen, daß der Baum Wurzel schlägt, anwächst und gedeiht und den Schutz des Reiches anruft, so stehen wir ihm bei, und ich sehe auch nicht ein, wie wir ihm das rechtmäßig versagen können.“ 11
In der gleichen Rede äußerte sich Bismarck auch darüber, wie er sich den Einfluß des Reiches in diesen Gebieten vorstellte. Er plante, in Nachahmung der englischen Charter-Colonies die Entstehung von „Gesellschaftsschutzgebieten“ zu fördern:11) 12
„Es sollen (den kolonialen Unternehmern) die Vortheile der Royal charters gewährt werden, unter Hinblick auf die ruhmreiche Laufbahn, welche die englische Kaufmannschaft bei Gründung der ostindischen Kompanie zurückgelegt hat. Den Interessenten der Kolonie soll das Regieren derselben im wesentlichen überlassen und ihnen nur für Europäer die Möglichkeit europäischer Jurisdiktion und desjenigen Schutzes gewährt werden, den wir ohne stehende Garnisonen dort leisten können. Ein Vertreter des Reichs, ein Konsul, wird die Autorität des Reichs wahren und Beschwerden entgegennehmen, Handelsgerichte werden weitere Streitigkeiten entscheiden. Nicht Provinzen sollen gegründet werden, sondern Unternehmungen mit einer Souveränetät, welche dem Reiche lehnbar bleibt; ihre Fortbildung bleibt im wesentlichen den Unternehmern überlassen.“ 13
Bis 1884 befand sich Ostafrika jedoch nicht im Mittelpunkt des Interesses, zumal die großen Hamburger Handelshäuser O'Swald & Co. und Hansing & Co., die auf Zanzibar Handel trieben, bis dahin keinen Anlaß sahen, das Reich um Schutz zu bitten.12) Der Vertreter der Briten in Zanzibar, Dr. John Kirk, zeigte reges Interesse daran, daß das recht bescheidene Reich Bargash-bin-Sayids, des Sultans von Zanzibar, zu einem britischen Protektorat erklärt werde, um so die Macht des Sultans bis zu den großen Seen in Zentralafrika auszudehnen und auf diese Weise eine sichere britische Einflußsphäre in dieser Region zu schaffen.13) Zuerst wollte Sir John den Sultan dazu ermutigen, sein Reich auf eigene Initiative hin auszudehnen. Auf Anraten Kirks stellte der Sultan eine Truppe aus zanzibarischen und indischen Söldnern unter dem Kommando des britischen Generals Lloyd Matthews zusammen und ließ diese zwei Forts zum Schutz des Elfenbeinhandels errichten. So sah man die Rote Fahne des Sultans über den beiden Forts, den Karawanenstädten Tabora und Udjiji, sowie über den ostafrikanischen Hafenstädten Bagamoyo, Tanga, Witu und Dar-es-Salaam. Doch der Sultan zeigte wenig Interesse an der Ausdehnung seines Reiches, so daß Kirk frustriert darauf drängte, Zanzibar zu einem britischen Protektorat zu erklären. Dies schien wichtiger denn je, da die Kontrolle über den festländischen Besitz des Sultans nicht nur Gefahren für den Seeweg nach Indien ausschlössen, sondern auch die gefährliche Hintertür zum Nil und seinen Quellen für andere europäische Mächte verriegelt wären. England und Frankreich hatten bereits vor längerer Zeit ein Abkommen geschlossen, daß Zanzibar unberührt bleiben sollte. Doch die Deutschen waren an diesem Abkommen nicht beteiligt.14) Schon trafen Meldungen in Zanzibar ein, wonach Deutsche auf dem Festland versuchen würden, sich Land und Herrschaft anzueignen, doch zum Bedauern von Kirk schien die britische Regierung diesem Treiben tatenlos zuzusehen. Kirk verstand es nämlich, die indirekte britische Herrschaft über das Sultanat von Zanzibar so geschickt auszuüben, daß Britanniens Einfluß über Zanzibar und die dazugehörige Küste gesichert erschien und die Regierung in London die Einrichtung eines Protektorats für unnötig hielt.15) 14
Als schließlich ein Telegramm Bismarcks vom 2. März 1885 verkündete, daß Kaiser Wilhelm I. der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ (GfdK) einen Schutzbrief für kürzlich erworbenes Gebiet in Ostafrika ausgestellt habe, sah der Sultan, über einen Teil von dessen Machtbereich nun plötzlich der Kaiser herrschen wollte, keine andere Möglichkeit, als eine Protestnote nach Berlin zu schicken und zwei Expeditionen unter General Matthews auszurüsten, deren eine zumindest die Autorität des Sultans im Gebiet des Kilimandscharo sicherstellen sollte. Die zweite Expedition hatte Witu zum Ziel: Der dortige Gouverneur erkannte die Herrschaft des Sultans nicht mehr an, und auch hier war deutscher Einfluß im Spiel. Die Besorgnis der Briten über das Sultanat von Zanzibar dämpfte Herbert von Bismarck, der Sohn des Reichskanzlers, wenige Tage nach Bekanntgabe des Schutzbriefes, daß das Reich nicht daran interessiert sei, in die Unabhängigkeit Zanzibars einzugreifen.16) 15
Zu diesem Zeitpunkt war den Briten bereits klar, daß damit nur die Insel Zanzibar selbst gemeint war, nicht aber die Küste und das Hinterland, das die Deutschen als herrenloses Gebiet betrachteten. 16
Was war geschehen? Wie kam es zur Inbesitznahme von Gebieten in Ostafrika durch Deutsche, und aus welchem Grund stellte der deutsche Kaiser plötzlich einen Schutzbrief für Ostafrika aus, wo doch bisher die deutschen Handelshäuser auf Zanzibar an einem Schutz durch das Reich kein Interesse hatten? 17

1. Der Griff nach Ostafrika: Bismarck und Peters

Der Griff des Deutschen Reiches nach den „herrenlosen Gebieten“ an der ostafrikanischen Küste begann in zwei parallel nebenher laufenden Aktionen. 18
Die erste wurde von der Reichsregierung selbst gesteuert. Es war die Beschäftigung mit der Zukunft des riesigen Kongogebietes. Der englisch-portugiesische Kongovertrag und die Aktivitäten des belgischen Königs Leopold II. lenkten die Aufmerksamkeit der europäischen Mächte auf diese Region Afrikas. Dadurch wurde der Innenbereich Afrikas zu einem Gegenstand handelsstrategischer und politischer Überlegungen, die nicht zuletzt in der Berliner Konferenz und der daraus resultierenden Kongo-Akte im Jahre 1885 kulminierte. Das Auswärtige Amt in Berlin räumte mit Blick auf die neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten in Afrika dem Sultanat von Zanzibar eine neue, herausragende Rolle ein. Von hier aus ließe sich wirksam der afrikanische Handel koordinieren.17) Bismarck, dem es in seiner Überseepolitik maßgeblich auf die Wahrung wirtschaftlicher Interessen ankam, richtete zunächst ein Generalkonsulat auf Zanzibar ein, dessen Vertreter die Aufgabe haben sollte, mit dem Sultan einen neuen Handelsvertrag abzuschließen.18) Am 27. September 1884 beauftragte Bismarck den Afrikareisenden Gerhard Rohlfs, den Handel und die Interessen des Reiches als Generalkonsul in Zanzibar zu schützen. Rohlfs beabsichtigte, den Sultan in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Reich zu bringen und er wollte die deutschen Handelshäuser auf Zanzibar dazu ermuntern, nicht nur Faktoreien an der ostafrikanischen Küste zu errichten, sondern auch zum Landerwerb überzugehen. Dabei sollte ein besonderer Augenmerk auf die Somaliküste gelegt werden.19) Damit war Bismarck aber keineswegs einverstanden. Er ermahnte Rohlfs eindringlich, ein freundschaftliches Verhältnis zu dem Sultan herzustellen, einen neuen Handelsvertrag abzuschließen und dafür zu sorgen, daß der deutsche Handel nach Afrika gesichert und eine freie Schiffahrt auf den Flüssen möglich wird.20) 19
Parallel zur Amtseinsetzung Rohlfs in Zanzibar ereignete sich der ostafrikanische „Konquistadorenzug“ des Dr. Carl Peters, ein Ereignis, mit dem in Berlin bei der Vorbereitung der Rohlfschen Mission niemand gerechnet hatte und das die Pläne Bismarcks an der ostafrikanischen Küste konterkarierte. 20
Carl Peters, geboren 1856 und aufgewachsen als niedersächsischer Pastorensohn, glich von seinem äußeren Erscheinungsbild keineswegs einem wagemutigen und risikofreudigen Abenteurer, sondern eher einem Studenten oder jungen Professor.21) Doch dieser Eindruck täuschte. Peters hatte 1879 mit einer glänzenden Dissertation in Geschichte promoviert und legte 1880 das Oberlehrerexamen in den Fächern Geographie und Geschichte ab. 22)Ein zweijähriger Aufenthalt in London stärkte Peters bereits seit längerem vorhandene kolonialpolitische Ambitionen und ließ ihn zur festen Überzeugung gelangen, daß auch das Deutsche Reich dringend Kolonien benötigte. So schrieb er denn unter dem Eindruck des Englandbesuches und des von ihm beneideten britischen Empire: 21
„Wenn man ein egoistisches Moment in diesem Motiv für meine kolonialpolitische Tätigkeit suchen will, so mag man es darin finden, daß ich es satt hatte, unter den Pariahs gerechnet zu werden und daß ich einem Herrenvolk anzugehören wünschte.“23) 22
Nach Deutschland zurückgekehrt, gründete Peters die „Gesellschaft für Deutsche Kolonisation“ (GfdK), in der sich bald die Angehörigen verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen versammelten: Professoren, Doktoren, Adelige und Patrioten.24) Es handelte sich um Menschen, die keinerlei Afrikaerfahrungen besaßen, und dennoch danach strebten, dort eine Kolonie zu gründen. Carl Peters umschrieb die Ziele der GfdK in einem Aufruf der Gesellschaft: 23
„Um diesem nationalen Mißstande abzuhelfen (das Fehlen von Kolonien und der dadurch entstehende wirtschaftliche Nachteil, Anm. des Verf.), dazu bedarf es praktischen und tatkräftigen Handelns. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, ist in Berlin eine Gesellschaft zusammengetreten, welche die praktische Inangriffnahme solchen Handelns als ihr Ziel sich gestellt hat. Die Gesellschaft für deutsche Kolonisation will in entschlossener und durchgreifender Weise die Ausführung von sorgfältig erwogenen Kolonisationsprojekten in die Hand nehmen und somit ergänzend den Bestrebungen von Vereinigungen ähnlicher Tendenzen zur Seite treten. Als ihre Aufgabe stellt sie sich in besonderem: 24
1. Die Beschaffung eines entsprechenden Kolonisationskapitals. 25
2. Auffindung und Erwerbung geeigneter Kolonisationsdistrikte. 26
3. Hinlenkung der deutschen Auswanderung in diese Gebiete.“25) 27
Peters nahm es mit dem ersten Punkt seines Aufrufes nicht sehr genau.26) Ohne ausreichenden finanziellen Hintergrund begab er sich in Begleitung seines Studienfreundes, dem Juristen Karl Jühlke und des Adeligen Graf Joachim von Pfeil nach Zanzibar, um dort in dem Usagara genannten Küstenhinterland gegenüber der Insel Zanzibar geeignete Kolonisationsdistrikte aufzufinden und zu erwerben. Unterstützung durch die Reichsregierung erhielt Peters nicht. Generalkonsul Rohlfs, dessen primäre Mission es war, freundschaftliche Beziehungen zu dem Sultan herzustellen, sollte Peters nachdrücklich darauf hinweisen, daß es einen Schutz durch das Reich nicht geben werde, insbesondere nicht für Landerwerbungen im Gebiet des Sultans von Zanzibar. Peters schien sich in einem Telegramm an Berlin dieser Anordnung zu fügen, doch hinderte ihn das nicht daran, mit seinen Begleitern von der Insel zum Festland überzusetzen. 28
Es war ein bescheidener Trupp, der sich auf den Weg in das ostafrikanische Hinterland Usagara machte: Neben Peters, Jühlke und Graf v. Pfeil bestand er aus sechs persönlichen Dienern und Übersetzern sowie lediglich 36 Trägern, die den gesamten Proviant und die Handelsware tragen sollten. Doch diese widrigen Umstände hielten Peters nicht von seiner Expedition ab, schließlich handelte er, wie er 1884 gegenüber seiner Mutter bekannte, in der festen Überzeugung, er tue eine große vaterländische Tat und grabe seinen Namen ein für alle mal in die deutsche Geschichte ein.27) Daher kümmerte es ihn auch nicht sonderlich, daß ihm die Reichsregierung ankündigte, daß von ihm geschlossene Verträge nicht anerkannt würden. Er würde schon einen Weg finden, doch eine Anerkennung zu erlangen. 29
Bald schon drohte die Expedition wegen Lebensmittelknappheit zu scheitern. Und so mußte alles sehr schnell gehen: eine Willkommensansprache gegenüber dem Häuptling, Aufschlagen der Zelte, Vorlegen der Verträge zur Unterzeichnung, Heißen der Flagge, Schütteln der Hände, die Geburt einer neuen deutschen Provinz feiern - all das geschah innerhalb weniger Stunden. Die Besitzübernahme beschrieb Peters wie folgt: 30
„War dies geschehen (Unterzeichnung des Vertrages, Anm. d. Verf.), so wurden die Fahnen (...) gehißt, der Vertrag im deutschen Text von Dr. Jühlke verlesen, ich hielt eine kurze Ansprache, wodurch ich die Besitzergreifung als solche vornahm, die mit einem Hoch auf Seine Majestät den Deutschen Kaiser endete und drei Salven, von uns und den Dienern abgegeben, demonstrierten den Schwarzen ad oculos, was sie im Fall einer Kontraktbrüchigkeit zu erwarten hätten.“28) 31
Auf diese Weise schloß Peters für die GfdK zwischen dem 23. November und dem 17. Dezember zwölf „Verträge“ mit Negerhäuptlingen, die von Peters kurzerhand zu Sultanen befördert wurden, bevor er sich gegen wertlose Geschenke und nichtsagende Versprechungen ein Gebiet von insgesamt 140.000 km2 abtreten ließ.29) Ein typisches Beispiel für einen solchen Vertrag ist das Abkommen, das mit „Sultan“ Muininsagara von Usangara am 4. Dezember 1884 geschlossen wurde: 32
„Sultan Muininsagara, Herr von Muininsagara etc., alleiniger und absoluter Herrscher von ganz Usagara, und Dr. Carl Peters als Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation schließen hierdurch einen ewigen Freundschaftsvertrag ab. 33
Sultan Muininsagara erhält eine Reihe von Geschenken; weitere Geschenke für die Zukunft werden ihm versprochen; und er tritt hierdurch unter den Schutz der Gesellschaft für deutsche Kolonisation resp. deren Vertreter. 34
Dafür tritt der Sultan Muininsagara an Herrn Dr. Carl Peters als den Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation kraft seiner absoluten und unumschränkten Machtvollkommenheit das alleinige und ausschließliche Recht, Kolonisten nach ganz Usagara zu bringen, ab. 35
Dr. Carl Peters als Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation verspricht, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Zu diesem Behufe tritt Sultan Muininsagara das alleinige und ausschließliche Recht völliger und uneingeschränkter privatrechtlicher Ausnutzung von ganz Usagara an Herrn Dr. Carl Peters als den Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation hierdurch ab. Ferner tritt der Sultan Muininsagara an Herrn Dr. Carl Peters als den Vertreter für deutsche Kolonisation, alle diejenigen Rechte ab, welche nach dem Begriff des deutschen Staatsrechts den Inbegriff staatlicher Oberhoheit ausmachen; unter anderem: das alleinige und uneingeschränkte Recht der Ausbeutung von Bergwerken, Flüssen, Forsten; das Recht, Zölle aufzulegen, Steuern zu erheben, eigene Justiz und Verwaltung einzurichten und das Recht, eine bewaffnete Macht zu schaffen. Dafür bleibt der Titel: Muininsagara erblich in der Familie des Sultans Muininsagara. Der privatrechtliche Besitzstand des Sultans wird von Herrn Dr. Carl Peters als dem Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation anerkannt und garantiert und die Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation werden angewiesen werden, diesen Besitzstand mit allen Kräften mehren zu helfen. 36
Die Gesellschaft für deutsche Kolonisation wird mit allen Kräften dahin wirken, daß Sklaven aus dem Gebiet des Sultans Muininsagara nicht mehr fortgeschleppt werden dürfen. 37
Dieser Vertrag ist heute, am 4. Dezember 1884, vor versammeltem Volke von Usagara unter Zuziehung einer Reihe rechtsgiltiger Zeugen von Muininsagara, alleinigem und uneingeschränktem Oberherrn von ganz Usagara, und Herrn Dr. Carl Peters als dem Vertreter für deutsche Kolonisation, durch Namensunterschrift und Namenszeichnung von beiden Seiten in durchaus rechtsverbindlicher Form vollzogen worden. 38
Muininsagara, 4. Dezember 1884 39
Unterschrift Dr. Carl Peters, Handzeichen des Sultans Muininsagara, Handzeichen des Kibuana, des Sohnes des Sultans Muininsagara 40
Daß dieser Vertrag völlig rechtsgiltig und auf ewige Zeiten verbindlich von beiden Kontrahenten, dem Sultan Muininsagara, Herrn von Muininsagara etc. einerseits und dem Herrn Dr. Carl Peters als dem rechtmäßigen Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation heute, am 4. Dezember 1884 vor versammeltem Volk abgeschlossen worden ist, nachdem sein Inhalt sachgemäß und wortgetreu dem Sultan Muininsagara, Oberherrn von ganz Usagara, durch den Dolmetscher Ramassan vorgetragen war, bezeugen hierdurch durch Namens- bzw. Zeichenunterschrift (Folgen die Handzeichen bzw. die Namensunterschriften der einheimischen und der europäischen Zeugen).30) 41
Dieser Vertrag sowie die Beschreibung Peters vom Zustandekommen solcher Verträge läßt ahnen, daß die einheimischen Häuptlinge kaum richtig gewußt haben dürften, auf was sie sich überhaupt einließen. Gegen geringfügige Geschenke und wertlose Versprechen gaben sie einen wesentlichen Teil ihrer Herrschaftsmacht aus der Hand.31) Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch Peters kolonialpolitische Devise: 42
„Die rücksichtslose und entschlossene Bereicherung des eigenen Volkes auf anderer, schwächerer Völker Unkosten.“32) 43
Treffend drückte es Robert Adam 1905 aus: 44
„Was für ein Werth solchen Konstatierungen zukommt erhellt übrigens aus dem eigenen Zugeständnis der Urkunden, z.B. der von Dr. Peters mit den ostafrikanischen Sultanen aufgenommenen Vertragsurkunden, wonach jene Machthaber sich durch Uebermittlung oder Zusicherung von Geschenken, die in ihren Augen ihren ganzen Herrschaftsbesitz aufwogen, zum Abschlusse der Verträge bestimmen ließen. Es verhält sich gerade so, als wollte man der Zusicherung eines unmündigen Kindes, für den Besitz eines hübschen Spielzeuges sein ganzes Vermögen herzulassen, im Civilrechte eine Rechtsverbindlichkeit beimessen. Jene Cessionsverträge erscheinen in der Hauptsache doch nur als Scheingeschäft, weil den dabei betheiligten Barbaren die fundamentalen Vorstellungen von Staat, Gebiet, Grundeigentum und Hoheitsrecht völlig fehlen.“33) 45
Auch Bismarck maß diesen Verträgen kaum Bedeutung bei:34) 46
„Der Erwerb von Land ist in Ostafrika sehr leicht, für ein paar Flinten besorgt man sich ein Papier mit einigen Negerkreuzen.“ 47
Zwar waren die ostafrikanischen Häuptlinge keine „Barbaren“, sondern lebten bereits seit Jahrhunderten in ihren eigenen, traditionell überlieferten Stammes- und Rechtsformen, doch standen sie dem für sie völlig unbekannten deutschen Recht in der Tat so arg- und hilflos gegenüber, wie es bei einem Kind der Fall ist. In der Tat kann man angesichts von Peters Vorgehensweise davon sprechen, daß die ostafrikanischen Stammeshäuptlinge regelrecht über den Tisch gezogen wurden. 48
Am 5. Februar kehrte Peters von seiner ersten ostafrikanischen Expedition in das Reich zurück und stellte dort den Antrag, die von ihm erworbenen Gebiete sowie künftig zu erwerbende Gebiete mögen durch Erteilung eines kaiserlichen Schutzbriefes unter den Schutz des Reiches gestellt werden. Bismarck, der Peters Tätigkeiten ausgesprochen skeptisch gegenüberstand, ließ sich von Peters dessen Erwerbungen beschreiben. Geschickt wies Peters darauf hin, daß eine neue, noch zu gründende Gesellschaft namens „Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft“, ähnlich wie die britische East India Company in Indien, ein neues Staatswesen errichten wolle, sich die Interessen der DOAG und des Reiches in Zanzibar sogar fusionieren ließen, er dafür aber einen kaiserlichen Schutzbrief benötige. Damit kam er Bismarcks Vorstellungen von Kolonialpolitik in jeder Hinsicht entgegen. Eine sofortige Ausstellung des Schutzbriefes war jedoch nicht möglich, da zu dieser Zeit die Afrikakonferenz in Berlin tagte. Am 26. Februar 1885 endete die Berliner Konferenz, und am folgenden Tage stellte Kaiser Wilhelm I. einen Schutzbrief für die GfdK aus.35) Die Erteilung des Schutzbriefes an Peters und damit die offizielle Billigung des Landerwerbs in Ostafrika widersprach der bisherigen Einstellung der Reichsregierung zu Ostafrika. Verwicklungen mit Großbritannien brauchte Bismarck zu diesem Zeitpunkt nicht zu befürchten: Die Briten hatten mit dem russischen Begehren auf Afghanistan, dem Vordringen des Mahdi im Sudan und der Sicherung Ägyptens vor einem möglichen französischen Zugriff genügend Probleme zu bewältigen. Kirk, der mit den deutschen Aktivitäten im Herrschaftsbereich des Sultans von Zanzibar sein Lebenswerk in Gefahr sah, drängte die britische Regierung darauf, Zanzibar zu einem Protektorat zu erklären, bevor es entweder zerfalle oder ganz an Deutschland übergehen werde. Die britische Regierung verweigerte ihm jede Unterstützung, erklärte sogar ihr Wohlwollen mit den deutschen Unternehmungen.36) 49

2. Von der Erteilung des kaiserlichen Schutzbriefes zum „Araberaufstand“ 1888

Der kaiserliche Schutzbrief vom 27. Februar 1885 hatte folgenden Wortlaut:37) 50
„Kaiserlicher Schutzbrief für die Gesellschaft für deutsche Kolonisation 51
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preussen etc., thun kund und fügen hiermit zu wissen: 52
Nachdem die derzeitigen Vorsitzenden der 'Gesellschaft für deutsche Kolonisation', Dr. Carl Peters und Unser Kammerherr Felix, Graf Behr-Bandelin, Unsern Schutz für die Gebietserwerbungen der Gesellschaft in Ostafrika, westlich von dem Reiche des Sultans von Zanzibar, ausserhalb der Oberhoheit anderer Mächte, nachgesucht und Uns die von besagtem Dr. Carl Peters zunächst mit den Herrschern von Usagara, Nguru, Useguha und Ukami im November und Dezember v. J. abgeschlossenen Verträge, durch welche ihm diese Gebiete für die deutsche Kolonisationsgesellschaft mit den Rechten der Landeshoheit abgetreten worden sind, mit dem Ansuchen vorgelegt haben, diese Gebiete unter Unsre Oberhoheit zu stellen, so bestätigen wir hiermit, dass Wir diese Oberhoheit angenommen und die betreffenden Gebiete, vorbehaltlich Unsrer Entschliessungen auf Grund weiterer Uns nachzuweisender vertragsmässiger Erwerbungen der Gesellschaft oder ihrer Rechtsnachfolger in jener Gegend, unter Unseren Kaiserlichen Schutz gestellt haben. 53
Wir verleihen der besagten Gesellschaft unter der Bedingung, dass sie eine deutsche Gesellschaft bleibt, und dass die Mitglieder des Direktoriums oder der sonst mit der Leitung betrauten Personen Angehörige des Deutschen Reiches sind, sowie den Rechtsnachfolgern dieser Gesellschaft, unter der gleichen Voraussetzung, die Befugnis zur Ausübung aller aus den Uns vorgelegten Verträgen fliessenden Rechte, einschliesslich der Gerichtsbarkeit, gegenüber den Eingeborenen und den in diesen Gebieten sich niederlassenden oder zu Handels- und andern Zwecken sich aufhaltenden Angehörigen des Reichs und anderer Nationen, unter der Aufsicht Unsrer Regierung und vorbehaltlich weiterer von Uns zu erlassender Anordnungen und Ergänzungen dieses Unsres Schutzbriefes. 54
Zu Urkund dessen haben Wir diesen Schutzbrief Höchsteigenhändig vollzogen und mit Unserm Kaiserlichen Insiegel versehen lassen.“ 55
Für Dr. Peters war dieser Schutzbrief erst der Anfang, er sah nun in dem gesamten Herrschaftsgebiet des Sultans von Zanzibar Freiwild zum Erwerb und zur Kolonisation. Warum sollte sich das Reich nicht ein großes Stück vom Kuchen abschneiden, warum nicht gleich das gesamte Ostafrika bis zum Nyakasee erwerben? Heinrich von Kusserow und andere Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, die Peters unterstützen, drängten zur Vorsicht. Die GfdK war nahezu bankrott, und die Briten schienen fest entschlossen zu sein, das Herrschaftsgebiet des Sultans in seinem Bestand zu sichern.38) Doch Peters war nicht der Mann, der abwartete und zögerte. Er wollte unverrückbare Tatsachen schaffen, die, so war ihm bewußt, sowohl zu Konflikten mit dem Sultan als auch mit seinen Förderern im Reich führen würden. So heuerte er eine handvoll Abenteurer an, die sich Jühlke und dem Grafen von Pfeil in Ostafrika anschließen sollten und gab ihnen den Befehl, durch schnelles, kühnes und rücksichtsloses Vorgehen Gebiete in Ostafrika mit Zustimmung des Sultans von Zanzibar zu erwerben. Wenn der Sultan nicht zustimmte, sollten sie sich das jeweilige Gebiet dennoch aneignen:39) 56
„Die Gesellschaft mag nehmen, was sie ohne unsere Ermunterung und Einmischung zu nehmen sich getraut. Wir werden dann später sehen, was wir amtlich decken können.“ 57
Dann sollte die deutsche Flagge gehißt und der Schutzbrief des Kaisers verlesen werden.40) Peters Expedition schien erfolgreich zu sein. Im Juli erreichten ihn Telegramm aus Zanzibar, in denen er über weiteren Gebietserwerb unterrichtet wurde: Im Süden bis zum Rufiji-Fluß südlich von Dar-es-Salaam, bis nach Witu im Norden. Der Sultan reagierte so, wie Peters es erwartet hatte: bereits am 27. April 1885 schickte er eine Protestnote an Kaiser Wilhelm I. und entsandte die Expeditionen unter dem Kommando des Generals Lloyd Matthews. Ohne Zweifel wäre es zwischen diesem Söldnertrupp und der deutschen Expedition zu Auseinandersetzungen gekommen, Peters rechnete sogar damit. Um einen bewaffneten Konflikt, möglicherweise sogar einen Krieg zu vermeiden, sah sich Bismarck zum sofortigen Handeln gezwungen. Er befahl Peters nicht nur, gemeinsam mit Kusserow eine entsprechende Antwort an den Sultan auszufertigen, sondern sich auch über Maßnahmen Gedanken zu machen, mit denen der Sultan zum Einlenken gezwungen werden könnte. Die Antwort auf die Protestnote des Sultans wurde als Ultimatum formuliert: entweder er zöge seinen Protest zurück, oder er werde die Konsequenzen seines Handelns tragen.41) 58
Auf Vorschlag von Peters hin lief am 7. August 1885 ein unter dem Kommando von Admiral Knorr stehendes Geschwader aus fünf deutschen Kriegsschiffen in den Hafen von Zanzibar ein, ankerte in der Nähe des Palastes und richtete die Geschütze auf den Palast aus.42) Bismarck hegte großes Unbehagen angesichts dieser Mission, war er doch einer der wenigen, der den Sultan als vollwertigen Souverän ansah, ihn als politischen Faktor ernst nahm und bestrebt war, freundschaftliche Beziehungen zwischen ihm und dem Reich herzustellen, anstatt auf Konfrontation zu drängen oder ihn gar beseitigen zu lassen.43) 59
Der deutschen Kanonenbootpolitik vermochte sich der Sultan nicht zu widersetzen, er lenkte ein und erkannte die Schutzherrschaft des Kaisers über die ostafrikanischen Erwerbungen der GfdK an.44) In dem Bemühen, eine Einigung mit dem Sultan zu erzielen, wurde am 20. Dezember 1885 zwischen dem Sultan und dem Deutschen Reich ein „Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag“ geschlossen, in dessen Artikel 1 beide Parteien „vollständigen Frieden und aufrichtige Freundschaft“ zwischen sich und ihren Untertanen gelobten.45) Zugleich wurden Peters und die DOAG von Konsul Dr. Krauel und Herbert von Bismarck eindringlich darauf hingewiesen, daß die Errichtung eines Schutzgebietes an der ostafrikanischen Küste nur Sinn mache, wenn man die aufrichtige Freundschaft des Sultans oder der Briten suche, ansonsten habe das neue Schutzgebiet keine Zukunft.46) Peters schlug diese Warnung in den Wind, mit nachteiligen Folgen für ihn und die DOAG, wie sich noch zeigen sollte. 60
Im Hinblick auf die künftige gesellschaftliche Verwaltung der neuen Ost-Afrikanischen „Schutzgebiete“ war Peters zwischenzeitlich nicht untätig geblieben. 61
Am 2. April 1885 wurde die neugegründete Firma „Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft Carl Peters und Genossen“ als Kommanditgesellschaft in das gerichtliche Gesellschaftsregister eingetragen.47) Diese Gesellschaft, die aus der GfdK hervorging und ihre Rechtsnachfolgerin war, sollte als Charter-Gesellschaft nach dem Vorbild der britischen Ostindischen Kompanie Bismarcks Vorstellungen von einem kaufmännischen Regime entgegenkommen.48) 62
Das Statut der DOAG enthält Regelungen, die für die spätere Entwicklung im ostafrikanischen Schutzgebiet und ihre rechtliche Beurteilung von Interesse sein werden:49) 63
„Nach § 1 des Statuts hat die 'Deutsch - Ostafrikanische Gesellschaft' den Zweck: 1. in den Gebieten von Ostafrika, über welche S.M. der Deutsche Kaiser die Oberhoheit nach Inhalt des kaiserl. Schutzbriefes vom 27. Februar 1885 übernommen hat oder durch künftige Schutzbriefe an die Gesellschaft übernehmen wird, die ihr unter der Oberhhoheit S.M. des Kaisers übertragenen Rechte des Landeshoheit auszuüben und die dazu erforderlichen staatliche Einrichtungen zu treffen und zu erhalten; 2. im deutsch-nationalen Interesse die Zivilisierung des Schutzgebietes zu unternehmen, daselbst die Ansiedlung, den Bodenbau und den Verkehr, insbesondere Handel und Gewerbe anzubahnen und zu fördern; 3. auf afrikanischem Boden Ländereien zu erwerben, zu bewirthschaften und zu verwerthen, sowie Handel und Gewerbe selbst zu betreiben oder betreiben zu lassen. (...) Die Aufsicht über die Gesellschaft wird vom Reichskanzler geführt. Derselbe kann zu dem Behufe einen Kommissar bestellen.50) (...) Die Aufsicht nach § 42 wird darauf gerichtet, daß die Geschäftsführung der Gesellschaft dem in § 1 bezeichneten Zwecke derselben und den übrigen Bestimmungen des Statuts entspricht und im Einklange mit den gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Insbesondere sind der Genehmigung der Aufsichtsbehörde unterworfen: 64
a) die von der Gesellschaft aufzustellenden Grundsätze über Ausübung landeshoheitlicher Rechte (§ 25 Nr. 1), die für das Schutzgebiet auf Grund der Landeshoheit zu erlassenden Anordnungen und Reglements (§ 25 Nr. 2) sowie die Grundsätze über Landerwerb (§ 25 Nr. 4); 65
b) die Wahl des Vorsitzenden der Direktion und seiner Stellvertreter (§ 26), sowie die Ernennung und die Entlassung der oberen Vertreter im Schutzgebiet (§ 25 Nr. 7), deren Entlassung auf Verlangen der Aufsichtsbehörde vom Direktionsrath erfolgen muß; (...) 66
Ebenso wie die Neu-Guinea-Kompagnie ist auch die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft zwar auch Erwerbsgesellschaft, aber in erster Linie Kolonialgesellschaft, wie der in § 1 des Statuts angegebene Zweck der Gesellschaft deutlich ersehen läßt. Deshalb hat die Gesellschaft einen Schutzbrief erwirkt und sich durch denselben die Landeshoheit über ihr Gebiet verleihen lassen.“ 67
Bismarck sollte es schon bald bereuen, daß er Carl Peters und der GfdK sowie der DOAG die Möglichkeit gegeben hatte, in Ostafrika nach geeigneten Kolonien Ausschau zu halten, insbesondere eingedenk der Methoden, die Peters dabei anwandte. Auch wenn Peters weiteres Herrschaftsgebiet für das Reich erwarb und sogar ein System von Handelsstützpunkten etablierte, durchkreuzte er die Pläne Bismarcks von einem Ostafrika-Syndikat, bestehend aus einer Verbindung zwischen der DOAG und den Firmen O'Swald und Hansing auf Zanzibar.51) Das ungestüme Vordringen der DOAG in Ostafrika beunruhigte zudem die Briten, die ebenfalls ein Interesse an Ostafrika bekundeten, insbesondere an dem Hafen von Mombasa, und die um jeden Prreis vermeiden wollten, daß die Deutschen Zugriff auf die Quellen des Nils bekamen. Eine Verschlechterung der Beziehungen zu Großbritannien aber wollte Bismarck nicht zulassen, er gab den bisher guten Beziehungen zu Großbritannien den Vorrang vor der Kolonialpolitik. Der Reichskanzler bekundete nun vermehrt sein Desinteresse am Schicksal von Peters, informierte sogar die britische Regierung über dessen Aktivitäten, die er als „kriminell“ bezeichnete.52) Eine Einigung mit Großbritannien über Ostafrika war von großer Bedeutung, und die Briten kamen Bismarck hier bereitwillig entgegen. So wurde am 29. Oktober und 1. November 1886 eine deutsch-britische Übereinkunft über den Grenzverlauf in Ostafrika unterzeichnet. Im einzelnen wurde unter anderem vereinbart:53) 68
„1. Deutschland und Großbritannien erkennen die Souveränetät des Sultans von Zanzibar über die Inseln Sansibar und Pemba, sowie diejenigen kleineren Inseln, welche in der Nähe der ersteren innerhalb eines Umkreises von 12 Seemeilen liegen, desgleichen über die Inseln Lamu und Masia an. Dieselben erkennen in gleicher Weise als Besitz des Sultans auf dem Festlande eine Küstenlinie an, welche ununterbrochen von der Mündung des Miningani-Flusses am Ausgange der Tunghi-Bucht bis Ripini reicht. (...) 69
2. Großbritannien macht sich verbindlich zur Unterstützung derjenigen Verhandlungen Deutschlands mit dem Sultan, welche die Verpachtung der Zölle in den Häfen von Dar-es-Salaam und Pangani an die Deutsch-ostafrikanische Gesellschaft gegen eine dem Sultan seitens der Gesellschaft zu gewährende jährliche Zahlung zu bezwecken. 70
3. Beide Seiten kommen überein, eine Abgrenzung ihrer gegenseitigen Interessensphären in diesem Theile des ostafrikanischen Festlandes vorzunehmen (...) 71
6. Deutschland und Großbritannien werden gemeinschaftlich den Sultan von Zanzibar zum Beitritt zu der Generalalte der Berliner Konferenz auffordern. 72
7. Deutschland macht sich verbindlich, der Erklärung beizutreten, welche Großbritannien und Frankreich am 10. März 1862 mit Bezug auf die Anerkennung der Unabhängigkeit von Zanzibar gezeichnet haben.“ 73
Ostafrika wurde in eine deutsche und eine britische Interessensphäre aufgeteilt, der Sultan von Zanzibar war dabei eindeutig der Verlierer: Die Übereinkunft spricht eindeutig von der Souveränität des Sultans über der Ostafrikanischen Küste vorgelagerten Inseln, jedoch im Hinblick auf den ihm noch verbliebenen Küstenstreifen nur noch von „Besitz.“ Dies bedeutete, daß die DOAG die Möglichkeit hatte, vom Sultan Hoheitsrechte in diesem Gebiet zu erwerben. Auf den ersten Blick schienen Deutsche und Briten gleichermaßen Vorteile aus der Teilung gezogen zu haben, doch waren es die Briten, die wirklich von dem Abkommen profitieren konnten. Sie behielten die Kontrolle über die Quellen des Nils, hatten mit Mombasa den besseren Hafen an der ostafrikanischen Küste und den größten Anteil der fruchtbaren und klimatisch günstigen Hochländer um den Mt. Kenya erworben. Außerdem brauchten sie nicht mehr zu befürchten, daß das Deutsche Reich gemeinsam mit Frankreich gegen Ägypten vorgehen würde. Die Deutschen würden sich an der Jagd auf Sklavenhändler beteiligen und den in der Kongo-Akte vom 26. Februar 1885 verbrieften freien Handel zulassen.54) Die Grenze verlief südlich von Mombasa vorbei am Kilimandscharo (der dem Deutschen Reich zufiel) durch das Gebiet der Masai bis an die Ufer des Victoria Sees. Allerdings war bislang nicht geklärt, wer Uganda bekommen sollte.55) Zur juristischen Bewertung des Begriffes „Interessensphäre“ schrieb der Bonner Staatsrechtler Philipp Zorn 1895 in seinem Lehrbuch „Das Staatsrecht des Deutschen Reiches:“ 74
„Auch die Interessensphäre ist der Souveränität des Staates unterworfen, wie das Schutzgebiet; der Unterschied ist nur ein thatsächlicher, insofern im letzteren die Staatsgewalt bereits aufgerichtet ist, in der ersteren vorerst nur die rechtliche Möglichkeit hierfür geschaffen ist, aber als eine ausschließliche Befugnis anderen Mächten gegenüber.“56) 75
Damit war klar, daß das Deutsche Reich in seiner Interessensphäre staatliche Gewalt schaffen durfte, und das sogar ohne Mitwirkung und Einverständnis des Sultans von Zanzibar. Während sich Briten und Deutsche auf völkerrechtlicher Ebene über ihre Einflußsphären in Ostafrika einigten, mußte im Reich Fragen anderer Art geklärt werden, denn der Erwerb der „Schutzgebiete“ seit April 1884 hatte zahlreiche juristische Fragen aufgeworfen, insbesondere im Hinblick auf das staatsrechtliche Verhältnis der Schutzgebiete zum Reich. Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 galt aufgrund der in Art. 1 RV enumerativ aufgezählten Staaten nicht in den Schutzgebieten, gleiches traf im Hinblick auf Art. 2 RV für die Gesetzgebung des Reiches zu. Hier sollte ein neues Gesetz Abhilfe schaffen, das am 17. April 1886 als „Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete vom 17. April 1886 nebst den bisherigen ergänzenden Verordnungen“, kurz „Schutzgebietsgesetz (SchGG) verkündet wurde.57) 76
§ 1 des SchGG regelte: 77
„Die Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten übt der Kaiser im Namen des Reichs aus.“ 78
Konnte bei der ersten Begründung der deutschen Schutzgewalt in Ostafrika und anderen afrikanischen Gebietsteilen der Eindruck entstehen, der Kaiser übernehme durch die Erteilung des Schutzbriefes eine persönliche Schutzhoheit, stellte das SchGG jetzt klar, daß die Schutzhoheit eine Angelegenheit des Reiches war und nur der Ausübung nach dem Kaiser zustand.58) In der Konsequenz bedeutete dies, daß die Schutzgebiete mit dem Reich nicht durch Personalunion verbunden, sondern ihm zugeordnet waren. Da die Gesetzgebung des Reiches kraft Verfassung nicht unmittelbar auf die Schutzgebiete ausgedehnt werden konnte, behalf man sich in § 2 SchGG mit einem Verweis auf das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879,59) 79
„welches (...) mit der Maßgabe Anwendung findet, daß an Stelle des Konsuls der vom Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigte Beamte und an Stelle des Konsulargerichts das nach Maßgabe der Bestimmungen über das letztere zusammengesetzte Gericht des Schutzgebietes tritt.“60) 80
Das Schutzgebietsgesetz und die Deutsch-Britische Übereinkunft vom 29. Oktober 1886 gaben den Deutschen die Möglichkeit der unbegrenzten Macht- und Herrschaftsentfaltung innerhalb ihrer Ostafrikanischen Interessensphäre. Vordringlich ging es für die Deutschen jetzt um den Erwerb von Häfen an der Küste. Am besten schien hier der Hafen von Dar-es-Salaam geeignet zu sein. Auf Abtretung dieses Hafens bestand bereits Peters, doch Bismarck, der weiterhin nach einem freundschaftlichen Kontakt mit dem Sultan strebte, überging Peters und die DOAG, strebte eine Hafenkonzession an und begnügte sich mit der freien Ausfuhr aus dem Inneren, während der Sultan den Einfuhrzoll als die für ihn wichtigste Einnahmequelle behielt.61) Als Carl Peters im Frühjahr 1887 als frischernannter Direktor der DOAG nach Zanzibar kam, um mit dem Sultan über die Verpachtung Dar-es-Salaams und anderer Häfen zu verhandeln, bot ihm der Sultan die Verwaltung des gesamten Küstengebiets innerhalb der deutschen Interessensphäre an, inclusive der Zollerhebung und der Verpachtung.62) Es kam zu Verhandlungen, die Peters allerdings in der für ihn typsichen Weise führte und denen somit wenig Erfolg beschieden war. Daraufhin beauftragte Bismarck, verärgert über Peters ungeschicktes Auftreten, den neuen Generalkonsul in Zanzibar, Gustav Michahelles, mit der Fortsetzung der Verhandlungen, und zwar sowohl für die Reichsregierung als auch für die DOAG.63) Michahelles hatte mehr Erfolg als Peters, doch bevor es zum Vertragsschluß kommen konnte, starb der Sultan im März 1888. Mit dem Nachfolger des Sultans, Said Khalifa, kam der Pachtvertrag am 28. April 1888, welcher die Verwaltung der zum Herrschaftsbereich des Sultans gehörenden ostafrikanischen Küstengebieten durch die DOAG für einen Zeitraum von 50 Jahren ermöglichen solltem, dann aber doch zustande.64) Einige der Vertragsartikel sind für die folgenden Vorkommnisse von besonderem Interesse, sie sollen hier deshalb wiedergegeben werden: 81
„Seine Hoheit Seyyid Khalifa ben Said, Sultan von Zanzibar, und die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, welche mit Genehmigung Seiner Durchlaucht des Fürsten von Bismarck, Kanzler des Deutschen Reiches, den deutschen Generalkonsul in Zanzibar, Dr. juris Gustav Michahelles, zu ihrem Bevollmächtigten ernannt hat, haben den nachstehenden Vertrag geschlossen- 82
Artikel 1: Seine Hoheit der Sultan überträgt der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft alle Gewalt, welche Ihm auf dem Festlande (Mrima) und in Seinen Territorien und Dependenzen südlich vom Umbafluß zusteht, und Er überläßt und übergiebt derselben die gesammte Verwaltung dieser Gebiete. Die Verwaltung soll von der Gesellschaft im Namen Seiner Hoheit und unter Seiner Flagge, sowie unter Wahrung Seiner Souveränetätsrechte geführt werden. Es versteht sich hierbei jedoch, daß die Gesellschaft für alle Angelegenheiten und für die gesammte Verwaltung der in diese Abtretung (concession) eingeschlossenen Gebiete Seiner Hoheit verantwortlich ist und daß Seiner Hoheit dem Sultan weder aus den damit verbundenen Ausgaben, noch aus Krieg und Dina (Blutgeld) noch aus hiermit im Zusammenhang stehenden Ansprüchen Verbindlichkeiten erwachsen sollen und daß Er zu einer Regelung dieser Angelegenheiten nicht herangezogen werden darf. Niemand außer der Gesellschaft soll das Recht haben, öffentliche Ländereien auf dem Festlande oder sonstwo in den Gebieten, Besitzungen und Dependenzen Seiner Hoheit innerhalb der oben genannten Grenzen zu kaufen, es sei denn, daß der Erwerb durch Vermittlung der Gesellschaft, wie jetzt durch Vermittlung Seiner Hoheit geschieht. Der Sultan gewährt der Gesellschaft auch die Befugnis, von der Bevölkerung des Festlandes innerhalb der bezeichneten Gebietsgrenzen Steuern zu erheben. Seine Hoheit willigt ferner ein, alle Akte und Handlungen, welche erforderlich sind, um die Bestimmungen dieses Vertrages zur Ausführung zu bringen, vorzunehmen und der Gesellschaft mit Seiner ganzen Autorität und Macht zu helfen, damit die gewährten Rechte und Gewalten sichergestellt werden. (...) 83
Artikel 2: Seine Hoheit ermächtigt die Gesellschaft, vorbehaltlich der unten vorgesehenen Ausnahmen, in Seinem Namen und an Seiner Statt überall in den obenbezeichneten Gebietsgrenzen Beamte für die Verwaltung seiner Besitzungen zu bestellen; die erforderliche Anzahl von Unterbeamten zu ernennen; Gesetze für die gedachten Gebiete zu erlassen; Gerichtshöfe einzurichten und überhaupt alle Maßnahmen zu treffen, welche zum Schutz der unter ihrer Regierung stehenden Gebiete und Interessen notwendig sind. Seine Hoheit ermächtigt die Gesellschaft ferner, Verträge mit Ihm unterstehenden oder anderen Häuptlingen der Eingeborenen zu schließen, und sollen solche Verträge und Abmachungen in denjenigen Fällen, in welchem sie im Namen Seiner Hoheit abgeschlossen werden, von Ihm ratifiziert und bestätigt werden. Seine Hoheit willigt auch ein, abgesehen von seinen Privatländereien und Schambas, alle die Grundgerechtsame, welche ihm auf dem Festlande von Afrika innerhalb der oben bezeichneten Grenzen zustehen, der Gesellschaft abzutreten und ihr alle Forts und nicht im Gebrauch befindlichen öffentlichen Gebäude zu übergeben, sofern er sie nicht für Seinen Privatgebrauch zurückzubehalten wünscht. (...) 84
Artikel 3: Seine Hoheit gewährt der Gesellschaft das Recht, überall innerhalb der durch diesen Vertrag bezeichneten Gebietsgrenzen Handel zu treiben, Eigenthum zu haben, Gebäude zu errichten und mit Zustimmung der Eigenthümer Ländereien oder Häuser durch Kauf oder sonstiges Rechtsgeschäft zu erwerben. 85
Artikel 4: Seine Hoheit ertheilt der Gesellschaft das besondere und ausschließliche Recht und die Befugnis, Vorschriften für den Handel und Verkehr, die Schiffahrt auf Flüssen und Seeen, die Kontrole der Fischerei, den Bau von Wegen, Straßen und Eisenbahnen, Kanälen und Telegraphen zu erlassen und hierfür Zölle und Abgaben zu erheben (...) 86
Artikel 5: Seine Hoheit ermächtigt die Gesellschaft, in Seinem Namen alle Häfen, welche an den Flußmündungen oder an anderen Stellen Seiner oben bezeichneten Besitzungen gelegen sind, in Besitz zu nehmen, und Er verleiht ihr das Recht, Zollhäuser zu errichten und von Schiffen, Gütern u.s.w., welche in den Häfen ankommen oder aus denselben abgehen, Abgaben zu erheben und alle zur Verfolgung des Schmuggels erforderlichen Maßregeln zu treffen, jedoch sollen auch hier in allen Fällen die Bestimmungen der oben genannten Verträge gewahrt bleiben. 87
(...) 88
Artikel 8: Alle zuvor genannten Befugnisse und Privilegien sollen verliehen werden und der Gesellschaft zur Verfolgung ihrer Zwecke und Ziele zustehen für die Zeit von fünfzig (50) Jahren, welche von dem Tage der Unterzeichnung dieses Vertrages zu laufen beginnt (...). 89
(...) 90
Artikel 12: Die im vorstehenden bezeichneten Rechte (concessions) erstrecken sich nicht auf die Besitzungen Seiner Hoheit auf den Inseln von Zanzibar und Pemba noch auf Seine Territorien nördlich des Umbaflusses, und es versteht sich, daß alle öffentlichen, richterlichen oder Regierungsbefugnisse und Funktionen, welche der Gesellschaft in diesem Vertrage übertragen sind, von derselben nur im Namen und unter der Autorität des Sultans von Zanzibar augeübt werden sollen. 91
Daß es sich dabei nicht um einen Vertrag im herkömmlichen Sinne handelte, macht das beigefügte Schreiben des Generalkonsuls an den Reichskanzler deutlich:65) 92
„Der Sultan zeigte von Anfang an ein Widerstreben dagegen, mit der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft als solcher zu kontrahiren. Zu widerholten Malen hat er mir mündlich den Wunsch geäußert, mit der Reichsregierung den Vertrag zu schließen. Um nun diese formellen Schwierigkeiten zu beseitigen und zugleich in Ubereinstimmung mit den mir erteilten Weisungen zu bleiben, habe ich den Ausweg vorgeschlagen, in der Einleitung des Vertrages zu erwähnen, daß meine Bevollmächtigung durch die Gesellschaft von Euerer Durchlaucht genehmigt worden, und damit schließlich die Bedenken Seiner Hoheit überwunden. Ebenso legte der Sultan Werth auf die Vertragsform, offenbar in der Absicht, dadurch die Verpflichtung der Gegenseite schärfer hervorzuheben, als es seiner Meinung nach durch die mehr einseitige Konzessionserteilung geschehen sein würde.(...)“66) 93
Die Bedeutung dieses Vertrages für den Sultan war der fast vollständige Verlust des letzten, ihm nach dem Deutsch-Britischen Übereinkommen von 1886 verbleibenden Machtbereiches an der Ostafrikanischen Küste, sowie des Handels und der finanziellen Erträge aus Zöllen, die bisher ihm zustanden. Zwar war im Vertrag von „Konzession“ die Rede, ebenso wie von der faktischen Anerkennung des Sultans als Herrscher über die betroffenen Regionen, doch bedeutete dieser Vertrag im Hinblick auf die Statuten der DOAG sowie dem Inhalt des Schutzbriefes einen Übergang in den Herrschaftsbereich der DOAG, und damit des Deutschen Reiches. So liegt es nahe, daß der Sultan darauf bestand, daß der Vertrag mit dem Reich und nicht mit der DOAG geschlossen wird, um als gleichberechtigter Herrscher das Gesicht zu wahren und nicht mit einer Gesellschaft kontrahieren zu müssen, die er ohnehin als Urheber seines Machtverlustes angesehen haben dürfte. 94

3. Auf dem Weg zur Reichskolonialverwaltung: Der Araberaufstand und das Eingreifen des Reiches

Daß es sich von Seiten der Gesellschaft um ein nicht sonderlich ernst gemeintes Abkommen gehandelt haben kann, belegt das Vorgehen Gesellschaftsangehöriger auf dem afrikanischen Festland. Gesellschaftsangehörige traten nicht wie Pächter, sondern wie Eroberer auf, ein ökonomisch unsinniges Verhalten: Anstatt ihre Finanzen aufzubessern und wirtschaftliche Erträge zu erlangen, wurde sie schon bald meisterhaft darin, sich Feinde zu verschaffen. Im Mai 1887 ernannte Peters Hauptmann Laver zum Vertreter der Gesellschaft in Dar-es-Salaam, und stellte ihm sieben deutsche Mitgesellschafter sowie 12 arabische Leibwächter zur Seite.67) Zunächst versuchte Laver, das Vertrauen der Araber und der reichen Swahili auf dem Festland mit freundlichen Worten und kleinen Geschenken zu gewinnen, doch als er merkte, daß damit auf wenig Resonanz stieß, änderte er sein Verhalten. Schon bald beklagten sich die Einheimischen über das Auftreten der Deutschen: Sie führten sich nicht auf wie jemand, dem eine Konzession erteilt worden sei, sondern wie Eroberer. Es kam seitens der Deutschen zu unerfreulichen Mißgeschicken, die den Zorn der Einheimischen nur noch weiter anstachelten: In Tanga liefen Hunde der Deutschen während des Ramadans in der Moschee herum, ohne daß ihre Herren sie daran gehindert hätten, während die Gesellschaft in Bagamoyo, Dar-es-Salaam und Kilwa entgegen der vertraglichen Vereinbarung ihre eigene Flagge hißte. Entlang der gesamten Küste erzählte man sich von der Entehrung der Flagge des Sultans durch die DOAG. Zu einem Ärgernis wurde auch das in Art. 1 des Vertrages vom 28. April 1888 der DOAG eingeräumte Recht, Steuern zu erheben. Die reichen Swahili, die sonst den Sultan wo möglich korrumpierten und ihre Steuern nicht zahlten, sahen sich plötzlich deutschen Steuereintreibern gegenüber, die ihnen keine Wahl ließen: Sie mußte ihre Steuern entrichten. Neben einer Kopfsteuer gehörte dazu eine Beerdigungssteuer und eine Erbschaftssteuer. Als ausgesprochen tiefe Demütigung empfanden es die Einheimischen aber, das die Angehörigen der DOAG in ihrem Bestreben, Eigentum an Länderein zu erwerben, jeden zwangen, seinen Besitz registrieren zu lassen, und wer seinen Besitz nicht mittels einer Urkunde nachweisen konnte, dem drohte die Konfiszierung. Ein übriges tat die vertraglich vereinbarte Berechtigung der DOAG, Zöller erheben zu dürfen. Die Stämme im Inland befürchteten den Verlust des Hongo, des Zolls auf die Elfenbeinkarawanen. Ein Häuptling aus Usambara schickte 6000 bewaffnete Männer nach Pangani und erklärte, diese würden eher bis zum letzten Mann kämpfen als zu Sklaven der Deutschen werden. Bei dieser gefährlich zugespitzten Lage hätte es seitens der DOAG erheblichen diplomatischen Geschicks bedurft, um die Kontrolle zu behalten, doch statt dessen schienen sie das drohende Aufbegehren der Einheimischen nicht sonderlich ernst zu nehmen. Anders ließe sich das unbedachte und überhebliche Auftreten Emil von Zalewskis, einem Agenten der DOAG, um den 15. August 1888 in Pangani nicht erklären. Es rief nicht nur unmittelbaren Widerstand vor Ort hervor, sondern war auch der sprichwörtliche Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringen sollte: eine Revolte gegen die deutschen Kolonialherren stand unmittelbar bevor.68) 95
In einem Schreiben vom 25. August 1888 teilte der deutsche Generalkonsul auf Zanzibar, Dr. Michahelles, dem Reichskanzler mit: 96
„Am 15. d. M. gingen von dem Vertreter der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft in Pangani Berichte ein, nach denen der dortige Wali den Befehlen der Gesellschaft zu gehorchen nicht gewillt war und gegen die Flaggenhissung Widerspruch erhob. Der Wali von Pangani war mir von früher her als ein böswilliger, chikanöser Karakter bekannt, gegen den schon (...) von deutscher wie englischer Seite wiederholt Beschwerden erhoben worden waren. Auf ein längeres Zusammenwirken mit diesem Manne war von vornherein nicht nicht zu rechnen, ich wünschte aber dringend, bei der Übernahme der Verwaltung durch die Gesellschaft Konflikte zu vermeiden, und erbat daher von Seiner Hoheit dem Sultan für den genannten Beamten einen Spezialbefehl, durch welchen derselbe in striktester Form die Weisung erhielt, der Gesellschaft Gehorsam zu leisten und der Flaggenhissung nichts in den Weg zu stellen (...) S. M. Kreuzer 'Möwe' traf am 16. d. M. Nachmittags vor Pangani ein, und am 17. Morgens landete der erste Offizier (...). Nachdem der Wali den Befehl Seiner Hoheit gelesen hatte, versprach er, von jetzt an den Anordnungen der Gesellschaft folgen zu wollen und den Bezirkschef als seinen Vorgesetzten anzuerkennen. Es ging darauf um 11 Uhr Vormittags die Flaggenhissung in Gegenwart aller angesehenen Einwohner programmmäßig von Statten; die 'Möwe' lichtete am Nachmittage desselben Tages den Anker und kehrte nach Zanzibar zurück. Kaum hatte das Kriegsschiff die Rhede von Pangani verlassen, so wurde der Wali wieder rebellisch, erklärte, er werde den Verfügungen des Bezirkschefs nicht nachkommen und veranlaßte auch die Soldaten, den Gehorsam zu verweigern. Die Lage war also wieder die gleiche wie vor der Landung der 'Möwe', als am 18 d. M. S.M. Schiff 'Carola', von Bagamoyo kommend, vor Pangani erschien. Auf Ansuchen des Bezirkschefs und in Hinblick auf die S.M. Schiff 'Möwe' erteilten Instruktionen schickte der Kommandant der 'Carola' (...) am Vormittage des 19. August ein Landungskorps (...) an Land, um den Wali auszuheben, nachdem ein letzter Versuch zu gütlicher Einigung an der Hartnäckigkeit der Gegenseite gescheitert war. Obwohl die Mannschaften der 'Carola' das Wali-Haus umzingelten, gelang es doch dem Wali, zu entwischen und aus Pangani zu entfliehen; seine Soldaten drohten erst mit erhobenen Gewehren, dem Vordringen der Deutschen Widerstand zu leisten, allein das ruhige und sichere Auftreten unserer Mannschaften verfehlte nicht, Eindruck zu machen, die Askaris liefen auseinander, um sich in dem Wali-Hause zu verbergen, und wurden dort ohne Kampf entwaffnet. (...) Dem früheren Wali ist es geglückt, nach Zanzibar zu entkommen. Von der Gesellschaft ist gegen ihn ein Ausweisungsbefehl aus dem unter ihrer Verwaltung stehenden Gebiet wegen Widerstandes gegen die Obrigkeit erlassen, und werde ich den Befehl Seiner Hoheit zur Uebermittlung an den Ausgewiesenen einreichen, auch zugleich anheimstellen, ob eine weitere Bestrafung wegen des offenen Ungehorsams gegen die Sultansbefehle einzutreten hat. Auf eine solche zu bestehen, halte ich nicht für erforderlich, weil der Wali mit der Entfernung von dem Festlande für die Gesellschaft unschädlich geworden ist.“69) 97
Allein unter Zugrundelegung dieses Schreibens scheint es sich um eine unberechtigte Widersetzung seitens des Wali, immerhin der höchste Würdenträger vor Ort, gehandelt zu haben. Doch unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens der DOAG an der Ostafrikanischen Küste scheint es sich nicht um willkürlichen Widerstand gehandelt zu haben, der allein dem „böswilligen und chikanösen Karakter“ des Wali entsprang.70) 98
Thomas Pakenham beschreibt in „The Scramble for Africa“ die Ereignisse in Pangani:71) Anfang August 1888 erschien Emil von Zalewski unerwartet in Pangani. Ohne viel Zeit mit Höflichkeiten zu verschwenden, eröffnete er dem Wali, daß er beabsichtige, ihn einzustellen, da er die Verwaltung übernehmen werde. Der Wali, so befahl v. Zalewski weiter, sollte viermal am Tag bei ihm nach Instruktionen fragen. V. Zalewski war kein Mann der Kompromisse. Entgegen der Vereinbarungen im Vertrag vom Frühjahr 1888 weigerte sich der Agent nicht nur, im Namen des Sultans aufzutreten, er drohte für den Fall von Schwierigkeiten sogar damit, die Küste beschießen zu lassen und den Sultan, in Ketten gelegt, nach Deutschland zu verfrachten. Mit einem solchen Mann wollte der Wali nicht kooperieren, so daß v. Zalewski ein Kriegsschiff um Beistand bat.72) Ein Trupp von 100 Soldaten wurde an Land gesetzt, drang in den Harem des Wali ein, zertrümmerte die Einrichtung, konnte den Wali aber nicht ergreifen, da dieser entkommen konnte.73) Der Darstellung von Pakenham zufolge wurde von den Angehörigen des Landungstrupps die Flagge des Sultans eingeholt, und dann v. Zalewski mit einer kleinen Garnison zu seinem Schutz in Pangani zurückgelassen. Obgleich zweifelhaft ist, ob diese Darstellung Pakenhams zutreffend ist,74) war das Hissen der Gesellschaftsflagge in Pangani ein Verstoß gegen den Vertrag vom April 1888 und eine Mißachtung der Autorität des Sultans, auf die sich Michahelles berufen hatte.75) 99
Während der Vorfällen in Pangani sollte auch die Verwaltung des wichtigsten Hafens in der deutschen Interessensphäre, Bagamoyo erfolgen. Um der Flaggenhissung und der Übernahme Nachdruck zu verleihen, 100
„fuhr Herr Bohsen, der hiesige Generalvertreter (der DOAG) selbst in Begleitung eines Abgesandten Seiner Hoheit des Sultans am 15. d. M. hinüber. Am 16. hat die Zeremonie dortselbst unter Betheiligung der Bevölkerung und in Gegenwart des Herrn Kommandanten und der Offiziere S.M. Schiff 'Carola' programmmäßig und ohne Störung stattgefunden. Der Wali war bereit, im Dienste der Gesellschaft zu verbleiben, war überhaupt im Allgemeinen gutwillig und gehorsam und machte nur in dem Punkte Schwierigkeiten, daß er die Fahne des Sultans nicht von seinem Hause entfernen wollte. Herr Bohsen verbot dem Wali ausdrücklich die Beibehaltung der Fahne, weil der Sitz der Ortsobrigkeit nicht mehr in seinem Hause, sondern demjenigen der Gesellschaft sei (...). Am 17. d. M. habe ich Seiner Hoheit in einer Audienz den befriedigenden Verlauf der Flaggenhissung in Bagamoyo mitgetheilt und ihn gebeten, mir einen Befehl zur Herabnahme der Flagge auszufertigen, weil das Wehen der rothen Fahne an zwei verschiedenen Punkten der Stadt in der Bevölkerung zu Mißverständnissen Anlaß gebe. Seyyid Khalifa war damit einverstanden; es wurde verabredet, daß ich meinen Antrag schriftlich stellen sollte, worauf mir dann der Befehl sogleich zugehen würde. Meine bezügliche Note gelangte ohne Verzug in den Palast, sie blieb aber unbeantwortet, und am Morgen des 18. August wurde mir der mündliche Bescheid geschickt, Seine Hoheit könne den Befehl vorläufig nicht ertheilen, er wolle den Fall erst überlegen, kurz es wurden Ausflüchte gemacht. (...) Als nun am Morgen des 21. August die 'Möwe' fort und die 'Leipzig' unter Dampf und zur Abfahrt bereit war, lenkte der Sultan ein und erklärte seine Bereitwilligkeit, die Gesellschaft aktiv bei Beseitigung der Schwierigkeiten zu unterstützen und mir alle etwa gewünschten Befehle an den Wali von Bagamoyo auszufertigen. Bei Besprechung der Angelegenheit kam zu Tage, daß Seine Hoheit besonderen Werth auf das Verbleiben der Flagge an dem altgewohnten Platze legte, und um ihm entgegegenzukommen, schlug ich vor, die Differenz dadurch zu ordnen, daß der Sultan dem Wali die sofortige Räumung seines Hauses und Uebergabe desselben an die Gesellschaft auferlege, worauf letztere dann ihren Amtssitz dort aufschlagen und neben der an ihrem Platze verbleibenden Sultansflagge ihre eigene Flagge aufziehen könne. Seyyid Khalifa war mit dem Arrangement einverstanden, das, wie mir bekannt, durchaus den Wünschen der Gesellschaft entsprach; der bezügliche Befehl an den Wali wurde sofort ausgefertigt und ich versprach, ihn mit der 'Leipzig' nach Bagamoyo abzusenden.“76) 101
Die 'Möwe' war zwischenzeitlich in Bagamoyo eingetroffen, und in Unkenntnis der Befehle des Sultans an den Wali, ordnete der Kommandant des Schiffes die Entfernung der Sultansflagge an, bei der ihn der Wali, nachdem man ihm klargemacht hatte, daß er Angestellter der DOAG sei, sogar selbst unterstützte. Als die 'Leipzig' schließlich im Hafen von Bagamoyo einlief und dem Wali die Befehle des Sultans vorgelegt wurden, räumte er sein Haus. Die Gesellschaft richtete dort ihre Amtsräume ein, 102
„und es wurden auf demselben die beiden Flaggen rechts an dem altgewohnten Platze die Sultansflagge, links etwas niedriger die Gesellschaftsflagge aufgezogen.“77) 103
Eine Reaktion Bismarcks auf die Berichte aus Ostafrika ließ nicht lange auf sich warten. In seinem Brief vom 6. Oktober 1888 an den Generalkonsul in Zanzibar machte er, der stets für einen freundschaftlichen Umgang mit dem Sultan von Zanzibar plädiert hatte, seinen berechtigten Zorn über das Vorgehen der DOAG überaus deutlich:78) 104
„Euer Hochwohlgeboren Berichte vom Ende August d. J., betreffend die Uebernahme der Verwaltung in dem der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft verpachteten Küstengebiete des Sultanats von Zanzibar sind mir zugegangen. 105
Was die darin erwähnten Vorgänge in Bagamoyo und Pangani betrifft, so bestärken mich die jetzt vorliegenden ausführlichen Mittheilungen in der Auffassung, daß das Hissen der Gesellschaftsflagge in den Küstenstädten überhaupt weder geboten noch rathsam war, und daß der darüber entstandene Streit hätte vermieden werden können, wenn die Gesellschaftsagenten mit der vorsichtigen Beschränkung auf das praktisch Nothwendige verfahren wären. welche die Vorbedingung des Gelingens gewagter Unternehmungen bildet. 106
Nach Artikel 1 des Vertrages zwischen dem Sultan und der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft vom 28. April d.J. soll die Verwaltung des Küstengebietes im Namen und unter der Flagge des Sultans mit Wahrung der Souveränetätsrechte Seiner Hoheit geführt werden. Diesem maßgebenden Grundsatze hat das Auftreten der Gesellschaft in der Frage der Flaggenhissung nicht entsprochen.79) 107
Der Sultan blieb auch nach dem Vertrage der Landesherr in den Küstengebieten. Seine Autorität auszuüben und den Eingeborenen gegenüber für die Zwecke der deutschen Verwaltung nutzbar zu machen, war die Aufgabe der Gesellschaft, welche an sich und ohne den Sultan weder den auf Gemeinsamkei der Abstammung und des Glaubens beruhenden Einfluß des Sultans über das mächtige arabische Element besaß, noch über die in das Innere des Landes reichenden Machtmittel des Sultans verfügte, durch welche Lezterer bisher seinen Anordnungen Gehorsam zu verschaffen gewußt hatte. 108
Noch bedenklicher und in seinen Folgen gefährlicher war das Verfahren, welches gleichzeitig mit dem Hissen der neuen Flagge in Bagamoyo gegen die dort wehende Sultansflagge beobachtet wurde. Wenn auch wirkliche Gewaltthätigkeiten nicht vorgekommen sind, so hätte doch die Mitwirkung der Matrosen unseres Kriegsschiffes beim Herunternehmen der Flagge und des Flaggenstocks, wodurch die ersten unwahren Berichte an den Sultan über Verletzung der Flagge und seiner Hoheitsrechte veranlaßt wurden, unterbleiben sollen. 109
Die Frage, ob der Wali mit seiner Weigerung, die bisherige Flagge auf dem Hause des Sultans einzuziehen, formell im Rechte war oder nicht, ist dabei nicht entscheidend. Der Rechtspunkt hätte seitens der Gesellschaft überhaupt nicht in den Vordergrund gestellt werden sollen, sondern Angesichts der schwachen Stellung der deutschen Verwaltung mußte dieselbe unter Schonung aller nationalen Vorurtheile der Bevölkerung durch geschickte Behandlung des Sultans und seiner Walis gerade diese ihren Zwecken dienstbar zu machen suchen. Das Verfahren ist, wie mir scheint, mehr energisch als umsichtig geschehen, und die Energie ist in diesem Gebiete außerhalb der Tragweite unserer Schiffsgeschütze nur mit unverhältnismäßigen Opfern durchzuführen.“ 110
Doch diese deutlichen und mahnenden Worte aus Berlin kamen zu spät. Im September 1888 spitzte sich die Lage in Pangani dramatisch zu. Als am 3. September eine mit Pulver beladene Dhau in den Hafen einlief, wurde die Entladung des Pulvers mit Blick auf die unsicheren Zustände in der Stadt - es machte sich aggressive Stimmung gegen die Gesellschaft bemerkbar - von dem Bezirkschef v. Zalewski untersagt.80) Daraufhin wurde die Dhau von bewaffneten Horden geplündert. Das Pulver diente der Ausrüstung von Bewaffneten, die seit dem 4. September in die Stadt strömten, und, so beschreibt es Pakenham, die Hinrichtung der Deutschen forderten.81) Anführer dieses Mobs war ein reicher Swahili, ein Inhaber einer Zuckerplantage, mit dem Namen Abushiri ibn Salim al-Harthi, nicht nur ein erklärter Gegner des Sultans von Zanzibar, sondern auch der Deutschen.82) 111
Am 5. September wurden v. Zalewski und seine Gefolgsleute von Bürgern der Stadt, die um das Leben der Deutschen besorgt waren, in dem Gesellschaftshaus eingesperrt. Während des Tages wurde eine Wache vor dem Haus postiert, nachts sicherte man die Tür mit einem Vorhängeschloß.83) Auch wenn so die Gesellschaftsangehörigen vor dem Mob zunächst in Sicherheit waren, wurde jedoch die Gesellschaftsflagge vom Stock heruntergenommen und zerrissen. Ein erster Versuch, den Eingeschlossenen zu helfen, scheiterte: Der Generalvertreter der DOAG, Bohsen, wurde, als er sich mit dem Beiboot einer Dhau des Sultans dem Hafen näherte, mit Waffengewalt vertrieben.84) Mit Unterstützung einer Truppe unter dem Kommando General Matthews gelang es schließlich, v. Zalewski und seine Leidensgenossen aus ihrem Gefängnis zu befreien und sicher nach Zanzibar zu verschiffen. Der von Abushiri angeführte Widerstand gegen die deutschen Kolonialherren zog sich bis 1890 hin. Bis auf Bagamoyo und Dar-es-Salaam gelang es den Aufständischen, die Deutschen an der gesamten Küste zu vertreiben,85) doch gab es für ihre Anführer zunehmend Schwierigkeiten, die Truppe, die sich aus Arabern, Swahili und den Angehörigen verschiedener Stämme aus dem Hinterland zusammensetzte, zu kontrollieren. Größere Erfolge blieben aus. Andererseits gelang es aber auch der DOAG nicht, die Kontrolle über ihren ehemaligen Einflußbereich wiederzugewinnen. 112
Bismarck sah sich jetzt dem Bankrott seiner Chartergesellschafts-Politik gegenüber, seine Vorstellung, Handelsgesellschaften vermögen aus eigener Kraft staatliche Kontrolle, Sicherheit und Ordnung in überseeischen Territorien auszuüben, hat sich als illusorisch erwiesen. Es gab für Bismarck nur zwei Alternativen: Entweder räumte er Ostafrika und gab es für das Reich ganz auf, oder aber er ließ sich auf einen Kolonialkrieg ein und strebte das Ziel an, in Ostafrika eine unmittelbare Verwaltung durch das Reich selbst herzustellen.86) Bismarck entschied sich für die zweite Alternative. Um den Aufstand in den Griff zu bekommen, regte Bismarck zunächst eine Seeblockade aller in dieser Region involvierten europäischen Mächte an. Vorgebliches Ziel sollte die Bekämpfung des Sklavenhandels sein,87) doch in Wirklichkeit ging es um die Unterbindung des Nachschubs an Waffen und Munition für die Aufständischen und darum, Abushiri selbst habhaft zu werden. das vordergründige, humanitäre Ziel der Jagd auf Sklavenhändler fand großen Anklang im Reich,88) und zunächst beschlossen Großbritannien, Italien und das Reich, eine Seeblockade durchzuführen.89) Die Blockade diente auch einem anderen Zweck: Peters sollte künftig daran gehindert werden, erneut ostafrikanischen Boden zu betreten und weiterhin für die DOAG Land zu erwerben, denn Bismarck sah in dem Verhalten der DOAG gegenüber den Einheimischen einen wesentlichen Grund für den Aufstand. Aus diesem Grunde und weil die DOAG nicht in der Lage war, die Kontrolle über die erworbenen Gebiete wiederzuerlangen, wurde Hauptmann von Wissmann als Reichskommissar mit den Ausführungen der zur Niederschlagung des Aufstandes notwendigen Maßregeln beauftragt. 113
In der offiziellen Begründung vom Januar 1889, die dem Gesetzesentwurf beigefügt war und die die Grundsätze der bisherigen deutschen Kolonialpolitik zusammenfaßt, heißt es dazu unter anderem:90) 114
„Die leitenden Grundsätze der deutschen Kolonialpolitik, wie sie 1884 und 1885 in amtlicher Erörterung die Zustimmung des Reichstages erhalten haben, bilden auch gegenwärtig die Richtschnur für das Verhalten der Kaiserlichen Regierung bei überseeischen Unternehmungen von Reichsangehörigen. In der Folge derselben ist dem Reich keine Verpflichtung angesonnen worden, deutsche Unternehmer in überseeischen Ländern bei Verlusten schadlos zu halten, oder ihnen günstige Ergebnisse auf wirthschaftlichem Gebiete zu sichern. Die Vortheile, welche der Schutz des Reichs den Reichsangehörigen gewährt, welche uncivilisierte Gebiete in fremden Welttheilen zu kolonisieren beabsichtigen, liegen hauptsächlich in der Sicherstellung des zu kolonisierenden Gebietes gegen Störungen und Eingriffe anderer Kolonialmächte. Die Intervention des Reichs kann in der Regel nur anderen auswärtigen Mächten gegenüber zur Geltung kommen, während die Bewältigung des Widerstrebens wilder Eingeborener und anderer in der Beschaffenheit des zu kolonisierenden Landes liegenden natürlichen und lokalen Hindernisse Aufgabe der Unternehmer bleiben muß. Auf diesem Gebiete kann außerhalb des Bereichs unserer maritimen Streitkräfte kolonialen Unternehmungen eine materielle Unterstützung nicht geleistet werden. 115
Desgleichen gehört es nicht in das Programm der deutschen Kolonialpolitik, für die Herstellung staatlicher Einrichtungen unter barbarischen Völkerschaften einzutreten und dort eine unseren Anschauungen entsprechende Ordnung der Verwaltung und Justiz herzustellen. 116
(...) 117
Die erste Vorbedingung für das Gelingen civilisatorischer Bestrebungen ist aber die Abstellung der Sklavenausfuhr und der damit verbundenen Jagden und Kriege, welche das Material für den Menschenhandel liefern. Solange dieser Handel und seine brutalen Gewaltthaten bestehen, fehlen Afrika die Existenzbedingungen eines menschlichen Kulturlebens (...) 118
Der unter dem 28. April v. J. zwischen dem Sultan von Zanzibar und der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft abgeschlossene (...) Vertrag, durch welchen der Gesellschaft die gesammte Verwaltung in den festländischen Besitzungen Seiner Hoheit südlich vom Umba-Fluß übertragen ist, hat in Folge des (...) Aufstandes bisher nicht vollständig zur Ausführung gelangen können. Die Macht des Sultans hat sich als nicht ausreichend erwiesen, um dem Vertrage entsprechend, die Gesellschaft bei Ausübung der ihr gewährten Rechte wirksam zu unterstützen, und die Gesellschaft selbst verfügt nicht über die nöthigen Mittel, um sich der arabischen Sklavenhändler auf allen Küstenpunkten zu erwehren. Ohne eine Unterstützung durch das Reich wird unter diesen Umständen die Aufgabe der Betheiligung Deutschlands an der kulturellen Arbeit der Gesittung Afrikas von der 'ostafrikanischen Gesellschaft' nicht gelöst werden können. Um die angemessene Verwendung der vom Reich zu gewährenden Mittel zu sichern, wird es erforderlich sein, einen Kommissar des Reichs zu ernennen und nach Zanzibar zu entsenden, welcher mit den unter deutsche Verwaltung gestellten Besitzungen des Sultans von Zanzibar und in den benachbarten Gebieten die zur Bekämpfung der aufrührerischen Sklavenhändler erforderlichen Maßregeln zu überwachen. (...) 119
Nach § 41 des Statuts der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft wird die Aufsicht über die Gesellschaft von dem Reichskanzler geführt und ist nach § 42 darauf zu richten, daß die Geschäftsführung den statuarischen Zwecken entspricht und im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften erfolgt (...) Es hat sich jedoch das Bedürfnis ergeben, zur Ueberwachung der Thätigkeit der Gesellschaft in Ostafrika und namentlich auch in den der Gesellschaftsverwaltung durch Vertrag mit dem Sultan von Zanzibar vom 28. April v.J. unterstellten Gebieten, ein ständiges politisches Aufsichtsorgan des Reichs an Ort und Stelle zu besitzen, welches den dortigen Vertretern der Gesellschaft gegenüber mit durchgreifender Autorität ausgestattet ist. Die bisher in dieser Richtung von dem Kaiserlichen Generalkonsul in Zanzibar ausgeübte Einwirkung hat sich nicht als ausreichend erwiesen, um Irrungen zu verhüten und internationalen Verwicklungen vorzubeugen. Dem durch das Gesetz in Vorschlag gebrachten Reichskommissar für Ostafrika wird daher insbesondere auch das Recht zustehen müssen, die von der Gesellschaft auf Grund der ihr vom Sultan übertragenen Ausübung der Landeshoheit für das ostafrikanische Küstengebiet erlassenen Verordnungen und Reglements außer Kraft zu setzen oder Abänderungen derselben zu verlangen, sowie die Entfernung beziehungweise Ersetzung der dort angestellten Beamten der Gesellschaft herbeizuführen. Ein staatliche Einmischung in die wirthschaftlichen Angelegenheiten oder in die Zollerhebung der Gesellschaft ist nicht beabsichtigt. (...).“ 120
Liest man diese Begründung genau durch, so fällt folgendes auf: 121
1. Mit keinem Wort wird auf das Fehlverhalten der Gesellschaft gegenüber den Einheimischen im Zuge der Verwaltungsübernahme eingegangen: Während Bismarck im Oktober 1888 das Verhalten Gesellschaftsangehöriger deutlich anprangerte und auf Freundschaft zum Sultan drängte, ist die DOAG im Januar 1889 plötzlich nicht in der Lage, dem Sklavenhandel an der Küste Einhalt zu gebieten. Der Sklavenhandel war jedoch nicht der eigentliche Grund für die Auseinandersetzungen mit Abushiri, vielmehr diente er als Vorwand, von See her die Aufständischen zu blockieren, auf dem Festland mit der Niederschlagung des Widerstandes zu beginnen und die DOAG zu entmachten. 122
2. Interessant ist der Hinweis auf die Statuten (§§ 41, 42) der Gesellschaft. Das bezeugt, daß Major von Wissmann nicht nur als Reichskommissar mit der Niederschlagung des Aufstandes beauftragt war, sondern auch als von Bismarck eingesetzter Kommissar die DOAG streng beaufsichtigen sollte. Von Wissmann trat also in einer Doppelrolle auf. 123
3. Daß der Staat sich nicht in die wirtschaftlichen Angelegenheiten oder in die Zollerhebung einzumischen beabsichtigte, erscheint im Hinblick auf die übrigen Ausführungen der Begründung eher zweifelhaft. Dafür spricht insbesondere der Einzug des Schutzbriefes durch Bismarck. Es ging, so läßt die Begründung vermuten, tatsächlich um die Kontrolle der DOAG und ihres Mitbegründers Carl Peters.91) 124
4. Insgesamt drückt die Begründung einen Wandel in der deutschen Kolonialpolitik aus, widerspricht doch die Einsetzung des Reichskommissars mit dem Ziel, den deutschen Einfluß in Ostafrika sicherzustellen, den eingangs in der Begründung beschriebenen Gründsätzen der Kolonialpolitik aus, wie sie Bismarck am 26. Juni 1884 im Reichstag zum Ausdruck gebracht hatte:92) 125
Das neue Gesetz hatte demnach zwei Ziele: „Bekämpfung des Sklavenhandels“ als Umschreibung für die Niederschlagung des „Aufstands der Küstenleute“93) sowie Ausübung der Kontrolle über die DOAG durch das Reich selbst. 126
Entsprechend äußerte sich Bismarck auch in der Beratung des Gesetzentwurfes im Reichstag am 26. Januar 1889:94) 127
„Das Organ der Ausführung unserer Politik muss ja an sich die Gesellschaft bleiben (...) Wir können sie kontrolliren, wir können unter Umständen, wenn Sie unsere Vorlage genehmigen (...) ihr durch die Vermittlung des Reichskommissars Befehle und Vorschriften ertheilen, was wir bisher nicht konnten. Das Organ, das wir haben, war bisher im Wesentlichen ein kontrollirendes, es wird unter Umständen ein vorschreibendes, wenn Sie unsere Vorlage bewilligen.“ 128
Am 8. Februar 1889 erhielt v. Wissmann die kaiserliche Bestallung:95) 129
„Wir befehlen dem Hauptmann Wissmann und ertheilen ihm hiermit Vollmacht, nach Massgabe Unserer ihm durch den Reichskanzler zu übermittelnden Weisungen als Unser Kommissar in Ostafrika und namentlich in den durch den Vertrag vom 28. April 1888 unter Verwaltung der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft gestellten Besitzungen des Sultans von Zanzibar, sowie in den benachbarten, unter Unserem Schutze stehenden Gebieten des Festlands die zur Bekämpfung des Sklavenhandels und zum Schutze der deutschen Interessen erforderlichen Massregeln zu treffen, für Herstellung und Erhaltung der Ruhe und Ordnung in den bezeichneten Besitzungen und Gebieten durch alle ihm zu Gebote stehenden Mittel Sorge zu tragen und für diesen Zweck die durch § 1 des Gesetzes vom 2. Februar 1889 zur Verfügung gestellten Mittel zu verwenden. Indem Wir dem Hauptmann Wissmann dieses Kommissorium ertheilen, befehlen wir Unseren Offizieren und Beamten, ihn und im Falle seiner Behinderung den zu seiner Stellvertretung berufenen Beamten in der Erfüllung dieses Auftrages zu unterstützen, und fordern alle die es angeht auf, dem Hauptmann Wissmann wie seinem etwaigen Stellvertreter bei Ausübung der ihm durch diesen Unseren Auftrag übertragenen Funktionen den schuldigen Gehorsam zu leisten.“ 130
Bismarck stellte in seinen Instruktionen klar, daß die Rechte der Gesellschaft aus dem Vertrag vom 28. April 1888 bestehen bleiben, die Verwaltung der von der DOAG erworbenen Gebiete bleibt in deren Händen, sollte jedoch von Wissmann beaufsichtigt werden. Im Hinblick auf problematische Gesellschaftsangehörige stellte der Reichskanzler klar:96) 131
„Desgleichen sind E. Hochw. berechtigt, in dringenden Fällen die Entfernung von Beamten der Gesellschaft herbeizuführen, deren Verbleiben mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit und der guten Beziehungen zu der einheimischen Bevölkerung nicht vereinbar erscheint.“ 132
Von Wissmann gelang es, Ende 1889 Abushiri in Haft zu nehmen. Am 16. Dezember 1889 wurde dieser hingerichtet.97) Die Kämpfe zwischen Deutschen und Einheimischen zogen sich noch bis Ende 1890 hin. Mit der erfolgreichen Niederschlagung des Aufstandes in Ostafrika vollzog sich der Wandel vom Schutzbriefsystem zur direkten Reichskolonialverwaltung, eine Entwicklung, der sich Bismarck immer widersetzt hatte, zu der es für die Reichsregierung aber angesichts der Unfähigkeit der DOAG, die ihr in dem Schutzbrief übertragenen Rechte auszuüben und sich gemäß ihrer Statuten zu verhalten, keine Alternative gab. 133
In die Reichskolonialverwaltung ging Ostafrika am 14. Februar 1891 über, als an diesem Tag der Gouverneur Freiherr Julius von Soden sein Amt antrat.98) Damit wurde aus dem bisherigen Schutzgebiet für die DOAG das Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika. 134
Durch einen mit Großbritannien am 1. Juli 1890 abgeschlossenen Staatsvertrag genehmigte das Deutsche Reich die Herstellung eines britischen Protektorats in den Besitzungen des Sultans von Zanzibar99). Die Abtretung des Küstenstreifens an das Reich, der durch den Vertrag vom 28. April 1888 an Deutschland verpachtet wurde, wurde in dem Abkommen in Aussicht gestellt und erfolgte schließlich durch weitere Vereinbarung mit Großbritannien am 27. /28. Oktober 1890 gegen eine Zahlung von 4 Millionen Reichsmark.100) Damit gehörte nun auch der Küstenstreifen zum ostafrikanischen Schutzgebiet. 135

III. Rechtliche Aspekte der Kolonialisierung Deutsch-Ostafrikas

Das deutsche Kolonialstaatsrecht, das sich mit Fragen des Gebietserwerbs oder der Schutzbrieferteilung befaßte, entwickelte sich, wie das gesamte Kolonialrecht, innerhalb des kurzen Zeitraumes von 1884 bis 1887. Es ist einer der Entwicklungsprozesse neuer Rechtsgebiete, wie man sie auch heute noch beobachten kann, verbunden mit angeregten und intensiven Diskussionen über die unterschiedlichesten Probleme, die mit dem neuen Rechtsgebiet und den ihm zugrunde liegenden Tatsachen entstanden waren. Eine vorherige Beschäftigung mit dem Kolonialrecht hätte auch wenig Sinn gemacht. So schrieb Conrad Bornhak 1887:101) 136
„Weniger wie jeder andere Gegenstand verträgt das Staatsrecht eine Behandlung nach aprioristischen Grundsätzen und philosophischen Folgerungen. Dieselbe hat sich lediglich den gegebenen politischen und socialen Verhältnissen, wie sie in Gesetzgebung und Verwaltungspraxis zum Ausdruck gelangt sind, anzubequemen (...) So lange die überseeischen Besitzungen Deutschlands sich noch auf den allerersten Stufen ihrer Entwicklung, ohne geordnete Verwaltung und Rechtsprechung, bestenfalls unter dem Schutze deutscher Kriegsschiffe befanden, konnte daher von einer wissenschaftlichen Bearbeitung des Kolonialstaatsrechts nicht die Rede sein. (...) Erst jetzt nach Herstellung einer regelrechten Rechtsprechung und Verwaltung in der Mehrzahl der deutschen Schutzgebiete darf der Versuch unternommen werden, das deutsche Kolonialstaatsrecht wenigstens in seinen Grundzügen zu behandeln.“ 137
Robert Adam schrieb 1905 zur Entstehung des Kolonialrechts:102) 138
„Der Erwerb der deutschen Schutzgebiete in Afrika und in der Südsee, sowie die im Zusammenhange hiermit eingreifende gesetzgeberische Thätigkeit des Reiches haben für die deutsche Rechtslehre eine Bedeutung von großer Tragweite insofern gewonnen, als dadurch der Grund zu einer der Jurisprudenz bisher fremden Disciplin des deutschen Kolonialrechts gelegt wurde. 139
Kaum hatte in jenen Gebieten eine rechtliche Gestaltung der Verhältnisse sich zu bilden begonnen, als auch schon die Literatur sich des neuen Stoffes bemächtigte. (...) 140
Allerdings wird man sich nicht dem Gedanken verschliessen können, dass die gegenwärtige wirtschaftliche wie rechtliche Gestaltung der Verhältnisse in den Schutzgebieten nicht als eine auf Jahre hinaus gefestigte zu erachten ist. Die Wissenschaft hat sich jetzt auf die Aufgabe zu beschränken, den augenblicklichen Rechtszustand zu fixieren, dies in dem Bewußtsein, dass der Fluß der vorwärts schreitenden Entwicklung die gefundenen Resultate möglicherweise über kurz oder lang wieder umstoßen oder doch modificieren werde.“103) 141
So gab es bereits 1887 ein deutsches Kolonialstaatsrecht, anhand dessen Grundsätze sich die Rechtmäßigkeit des Gebietserwerbs in Ostafrika, einer der Regionen, in der zu diesem Zeitpunkt die Verwaltung noch im Aufbau begriffen war, überprüfen läßt. 142

1. Der Gebietserwerb in Ostafrika

Um 1887 unterschied die Rechtswissenschaft zwei Möglichkeiten des Erwerbs einer Kolonie: entweder durch Erwerbung einer bereits bestehenden Kolonie, oder aber durch Neugründung einer Kolonie.104) Vorliegend ist die zweite Erwerbsmöglichkeit von Interesse, da 1885 Ostafrika weder Interessensphäre noch Kolonie einer der mit dem Deutschen Reich konkurrierenden europäischen Mächte war. Nicht ausreichend war die Gründung von Handelsniederlassungen wie der der Handelshäuser O'Swald und Hansing auf Zanzibar, deren einziges Bestreben darin lag, Handel zu treiben und Gewinn zu erwirtschaften. Eine wirksame Neugründung konnte nur durch die Vornahme einer Handlungen mit rechtlicher Wirkung erfolgen: Der Besitzergreifung oder Okkupation eines völkerrechtlich herrenlosen Gebietes.105) Bereits der Verweis auf das „völkerrechtlich herrenlose Gebiet“ zeigt, daß die Gebietserwerbungen des deutschen Reiches nicht nur Gegenstand staatsrechtlicher Betrachtung waren, sondern auch Bezüge zum Völkerrecht hatten: Der Erwerb der Gebietshoheit über eine Kolonie war sowohl dem zu erwerbenden Gebiet wie auch anderen Staaten gegenüber von völkerrechtlicher Bedeutung. 143
In der Doktrin des Völkerrechts wurde in analoger Anlehnung an das Privatrecht, das im Hinblick auf den Eigentumserwerb zwischen derivativen und originären Erwerb differenziert, ebenfalls zwischen ursprünglichem und abgeleitetem Gebietserwerb unterschieden, wobei die Okkupation das herausragende Beispiel für den originären Gebietserwerb war.106) Den Begriff „Okkupation“ definierte bereits Hugo Grotius:107) 144
„Okkupation oder Besitzergreifung dessen, was bisher niemanden gehörte, ist die einzige natürliche und ursprüngliche Erwerbsart, d.h., die einzige Erwerbsart nach Naturrecht ohne Ableitung eines Titels von einer anderen Person.“ 145
Berechtigt zur Okkupation waren Völkerrechtssubjekte:108) 146
„Die civilisierten Staaten sind die Träger der Rechte und Pflichten, welche sich aus den durch das Völkerrecht geregelten Verhältnissen ergeben (...). Nur die civilisierten Staaten sind die Rechtssubjekte des Völkerrechts.“ 147
Dazu gehörten nach dem Verständnis der damaligen Zeit die Staaten, die die elementaren Grundsätze der europäischen Kultur anerkannten, ferner China, Japan, Persien, Korea, Siam, das Osmanische Reich, und, wie das Deutsch-Britische Übereinkommen vom Herbst 1886 zeigt, der Sultan von Zanzibar.109) Sogenannte „Wilde“ und andere „uncivilisierte Völkerschaften“ galten hingegen nicht als Völkerrechtssubjekte, obgleich es besonders im Hinblick auf die Abtretungsverträge zwischen Einheimischen und deutschen Einwanderern eine vermittelnde Ansicht gab, die diesen Völkerschaften zumindest in begrenztem Umfang die Fähigkeit zusprachen, rechtlich bindende Vereinbarungen zu treffen. Dies wird bei Betrachtung der im Rahmen der Okkupation abgeschlossenen Verträge noch näher besprochen werden. Hinsichtlich der Okkupationssubjekte ließen sich jedenfalls zwei wesentliche Voraussetzungen formulieren:110) 148
1. Die Personen, die die Okkupation vollzogen, mußten als Repräsentanten einer von der Staatengemeinschaft völkerrechtlich anerkannten Staatsgewalt auftreten. 149
2. Treten Personen ohne diesen Rechtscharakter auf, müssen sie von dem entsendenden Staat zur Okkupation ermächtigt worden sein. 150
Hier stößt man bei Betrachtung des Gebietserwerbs in Ostafrika auf Schwierigkeiten. Sie erfolgten vor Erteilung des Schutzbriefes im Februar 1885 durch die GfdK, einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft, die während Peters erster Reise ohne die notwendige Ermächtigung tätig wurde. Es stellte sich die Frage, ob die GfdK durch die Inbesitznahme der betreffenden Gebiete nur privatrechtlich Besitz und Eigentum an Grund und Boden erworben hatte. Bei genauer Betrachtung des Vertrages vom 4. Dezember 1884 fällt jedoch auf, daß die GfdK sich damit nicht begnügen wollte, sondern gleichzeitig staatliche Hoheitsrechte erwerben wollte. Dies kommt besonders durch die Klausel der Übertragung aller Rechte, „welche nach dem Begriff des deutschen Staatsrechts den Inbegriff staatlicher Oberhoheit ausmachen,“ zum Ausdruck. Ob dadurch die Gesellschaft tatsächlich zu einem Völkerrechtssubjekt wurde, war umstritten. Nach überkommener Auffassung waren lediglich Staaten in der Lage, als Völkerrechtssubjekte aufzutreten, jedoch nicht Privatpersonen. Nur souveräne Staaten waren in der Lage, ihre Staatsgewalt auszudehnen. Erwarben Privatpersonen Gebiete, so handelten sie außerhalb der Sphäre des Völkerrechts.111) Da Privatpersonen und Gesellschaften jedoch tatsächlich durch Verträge mit einheimischen Führern Gebiete erworben haben, war nach anderer Auffassung die Okkupation durch Privatpersonen möglich, sie konnten gegenüber den souveränen Staaten als Völkerrechtsubjekte auftreten.112) Ein Verfechter dieser Meinung war Robert Adam. Aus den tatsächlichen Vorgängen, wie sie sich beispielsweise beim Landerwerb in Ostafrika ereigneten, glaubte Adam, folgendes völkerrechtliches Prinzip bilden zu können:113) 151
„Private Einzelpersonen oder -Gesellschaften können völkerrechtlich herrenloses Land mit demselben Rechte und durch denselben Rechtsakt erwerben wie die eigentlichen Völkerrechtssubjekte, d.h. die Staaten. Durch den Erwerb werden für die privaten Erwerber dieselben Rechte begründet wie für die Staaten, und die begründeten Rechte unterstehen ebensogut dem Schutze des Völkerrechtes wie die durch völkerrechtlichen Erwerb einer staatlichen Macht erwachsenen Rechte.“ 152
Für Adam gab es keinen zwingenden Grund, warum der Erwerb staatenlosen Landes nicht auch Privaten offenstehen sollte, insbesondere dann, wenn anerkannte Staaten die Befähigung Privater zu völkerrechtlichem Gebietserwerb nicht bestreiten und den Erwerb sogar als rechtsgültig anerkennen. Der Staat konnte seine Souveränität nur auf zwei Wegen auf derartige Gebiete ausdehnen: Entweder schlossen die privaten Erwerber ihrerseits einen Übertragungsvertrag mit einem souveränen Staat und schieden so aus dem völkerrechtlichen Rechtsverhältnis aus, oder aber die privaten Erwerber erwiesen sich als unfähig, unter dem Schutz des Völkerrechtes einen Staat zu organisieren und weigerten sich, ihr Gebiet der Souveränität eines Staates zu unterstellen. In einem solchen Fall kam es nicht zum Gebietserwerb, es handelte sich vielmehr immer noch um herrenloses Gebiet, das von einem Völkerrechtssubjekt seinerseits wieder okkupiert werden konnte.114) 153
Demnach konnte nach dieser Auffassung die GfdK als Völkerrechtssubjekt tätig werden. Mit der Erteilung des Schutzbriefes im Februar 1885 übertrug sie ihre Rechte an den Gebietserwerbungen an das Deutsche Reich, wurde durch den Schutzbrief aber ihrerseits wieder mit der Ausübung der Herrschaftsrechte betraut.115) 154
Gegenstand der Erwerbung durch Okkupation waren herrenlose Gebiete:116) 155
„Herrenlose Gebiete im Sinne des Völkerrechtes sind vielmehr solche Landstrecken, welche nicht der Herrschaft eines in die völkerrechtliche Gemeinschaft aufgenommenen staatlichen Gemeinwesens unterstehen. Herrenloses Land ist daher nicht bloss solches, welches überhaupt noch gar nicht in Besitz genommen ist, sondern auch solches, das von wilden und uncivilisierten Völkerschaften bewohnt wird, welche es noch zu keiner staatlichen Organisation gebracht haben, oder welche doch, wenn bei ihnen Anfänge einer solchen Organisation vorhanden sind, auf einer so niedrigen Kulturstufe stehen, daß ein völkerrechtlicher Verkehr mit ihnen gar nicht möglich ist. Wenn daher auch solch eine Völkerschaft ein bestimmtes Gebiet in Besitz hat, so ist doch durch Okkupation desselben seitens eines europäischen Staates die Gründung einer Kolonie möglich.“117) 156
Dieser Begriffsbestimmung folgend galten die Gebiete Ostafrikas, die die GfdK 1884 und 1885 erwarb, als „herrenloses Land“ im Sinne des damaligen Völkerrechts. Anders verhielt es sich mit dem Machtbereich des Sultans von Zanzibar. Zwar sicherte sich die DOAG vertraglich das Recht zu, die Verwaltung in den vom Sultan kontrollierten Gebieten an der ostafrikanischen Küste zu übernehmen, doch sollte dies unter der Flagge und Souveränität des Sultans erfolgen. Auch das Deutsch-Britische Übereinkommen vom Herbst 1886 ließ klar erkennen, daß man zumindest den Herrschaftsbereich des Sultans über die der Küste vorgelagerten Inseln als vollwertige Souveränität ansah und dem Sultanat selbst sogar den Status eines Völkerrechtssubjektes einräumte.118) 157
Trotz der begrifflichen Gemeinsamkeiten mit dem Privatrecht ging es bei der Okkupation nicht um den Erwerb privater Rechte an Grund um Boden, sondern um den Erwerb der Gebietshoheit und der Souveränität durch eine Willensbetätigung seitens des Erwerbers, durch die er andere Staaten von einem Zugriff auf dieses Gebiet ausschließen konnte.119) 158
Für einen wirksamen Erwerb reichte es nicht aus, eine äußerlich sichtbare Okkupationshandlung vorzunehmen, wie sie beispielsweise durch das Hissen der Flagge oder die Proklamierung der Gebietshoheit erfolgen konnte. In der Praxis des Völkerrechts war anerkannt, daß es für eine wirksame Okkupation eine weitere, unerläßliche Voraussetzung gab: der Abschluß von Verträgen mit den eingeborenen Machthabern, durch die diese sich der Macht des Reiches unterwarfen.120) Durch diese Verträge wurde die Übereinstimmung von Erwerbswillen und Übertragungswillen dokumentiert.121) Im Hinblick auf diese Verträge trat jedoch ein gravierendes Problem auf: wenn die einheimischen, „wilden“ und „uncivilisierten“ Völker keine Völkerrechtssubjekte waren, wie konnten dann völkerrechtlich wirksame Verträge mit ihnen geschlossen werden? Umstritten war bis zu Beginn des 1. Weltkrieges die Rechtsnatur von Verträgen der Art, wie sie Carl Peters beispielsweise am 4. Dezember 1884 mit dem Häuptling von Usangara geschlossen hat. Wie es bei strittigen Fragen in der Rechtswissenschaft die Regel ist, wurden auch hier mehrere Ansichten vertreten, die die unterschiedlichen Standpunkte ihrer Vertreter wiedergaben. 159
Eine Meinung sah in vielen Verträgen die Anerkennung des Staatencharakters der von Häuptlingen, Sultanen oder Kapitänen geführten einheimischen Völker und ließen so die Verträge den Charakter völkerrechtlicher Abmachungen annehmen. Dies sei, so formulierten einige ihrer Vertreter, sogar durch die Berliner Afrika-Konferenz selbst bestätigt worden.122) Der große Staatsrechtler Paul Laband war im Hinblick auf Ostafrika sogar der Ansicht, daß hier einheimische Staatsgewalten vorhanden waren, deren Gebiet nicht okkupiert werden konnte, sondern nur durch Protektions- oder Landerwerbsverträge in Besitz genommen werden konnte.123) Diese Ansichten stießen jedoch auf heftigen Widerstand durch andere Rechtsgelehrte. Zum einen, so wurde argumentiert, habe die Berliner Afrika-Konferenz keine Souveränität einheimischer Häuptlinge anerkannt, zum anderen sei die Annahme, es seien völkerrechtlich wirksame Verträge geschlossen worden, unhaltbar, da die eingeborenen Völker in ihren Gebieten keinerlei staatliche Organisation geschaffen hätten, die ihre Anerkennung als Völkerrechtssubjekte zuließe. Robert Adam übte besonders deutlich und dem Ton seiner Zeit entsprechend Kritik:124) 160
„Für das positive Völkerrecht entscheidet bei der Okkupation staatenloser Gebiete nicht das Bedenken einzelner Philanthropen zu Gunsten der Barbarei, sondern die welthistorische Tatsache, dass europäische Nationen im auswärtigen Verkehr wechselseitig sich niemals das Recht der Okkupation an staatenlosen Gebieten bestritten haben. Europäischen Nationen gegenüber haben, völkerrechtlich genommen, staatenlos lebende Wilde ebensowenig Handlungsfähigkeit, wie in civilrechtlicher Hinsicht Kinder oder Unmündige. Unerschütterlich ist der durch die geschichtliche Entwicklung begründete Satz festzuhalten: Nur die civilisierten Staaten sind die Rechtssubjekte des Völkerrechtes. Es bleibt also quaestio facti, ob ein organisirtes Gemeinwesen die Eigenschaft eines civilisierten Staates besitzt. Die Eigenschaft (...) ist gegeben, wenn die vorhandene öffentlich rechtliche Gewalt eine Rechtsordnung in ihrem Territorium aufgerichtet hat, welche den bereits der Völkerrechtsgemeinschaft angehörenden Staaten genügend erscheint, um jene Gewalt als gleichberechtigtes Mitglied in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Die Erfüllung der Bedingung kann bei den politischen Organisationen uncivilisierter und vom Verkehre mit der kulturellen Staatenwelt bisher ausgeschlossener Volksstämme kaum jemals angenommen werden.“ 161
Als entgegengesetztes Extrem dazu wurde die Auffassung vertreten, daß die Verträge mit eingeborenen Häuptlingen keinerlei rechtliche Bedeutung hatten, sondern daß es allein politische Gründe waren, die zum Abschluß dieser Verträge geführt hatten und die das Ziel hatten, unnötige Verwicklungen mit der eingeborenen Bevölkerung zu vermeiden. Ein Verfechter dieser Auffassung war Robert Adam: Die Gültigkeit der Verträge habe nicht nur objektive, sondern auch subjektive Voraussetzungen, der Vertrag müsse dem entsprechenden Häuptling also nicht nur übersetzt werden, sondern der Häuptling müsse auch erklären, daß er den Inhalt des Vertrages verstanden habe: Es sei aber kaum möglich, daß ein Eingeborener die in den Verträgen verwendeten Rechtsbegriffe begreifen könne: Es habe sich demnach nur um Scheinverträge gehandelt:125) 162
„Was für ein Werth solchen Konstatirungen zukommt, erhellt übrigens aus dem eigenen Zugeständniss der Urkunden, z.B. der von Dr. Peters mit den ostafrikanischen Sultanen aufgenommenen Vertragsurkunden, wonach jene Machthaber sich durch Uebermittlung oder Zusicherung von Geschenken, die in ihren Augen ihren ganzen Herrschaftsbesitz aufwogen, zum Abschlusse der Verträge bestimmen liessen. Es verhält sich gerade so, als wollte man der Zusicherung eines unmündigen Kindes, für den Besitz eines hübschen Spielzeuges sein ganzes Vermögen herzulassen, im Civilrechte eine Rechtsverbindlichkeit beimessen. Jene Cessionsverträge erscheinen in der Hauptsache doch nur als Scheingeschäft, weil den dabei betheiligten Barbaren die fundamentalen Vorstellungen von Staat, Gebiet, Grundeigenthum und Hoheitsrecht völlig fehlen. (...) Es bleibt die Frage übrig: Aus welchem Grunde finden sich die kolonisierenden Staaten heutzutage veranlasst, solche Scheingeschäfte einzugehen? Die Antwort lautet: Aus politischen Gründen, mit welchen die Rechtsbetrachtung an sich nichts zu schaffen hat. Der okkupierende Staat versichert sich einer in seine Herrschaft einwilligende Erklärung der bisherigen Machthaber des zu okkupierenden Gebietes. Als ein Gebot der Klugheit wird er es ferner erachten, seine Herrschaft im Wege gütlicher Auseinandersetzung mit der eingeborenen Bevölkerung zu begründen und sich den kostspieligen Aufwand militärischer Operationen so weit als möglich zu ersparen. Endlich ist nicht zu leugnen, dass jenen Freundschafts- und Unterwerfungsverträgen eine politische Bedeutung im Verhältniss des okkupierenden Staates zu anderen Staaten zukommt.“ 163
Auch diese Auffassung fand ihre Kritiker, so unter anderem Heribert Schwörbel:126) 164
„Diese Ansicht ist unbegründet, da das Deutsche Reich, von Abstellung einzelner Mißstände abgesehen, die den Eingeborenen in den Verträgen gewährten Rechte stets geachtet hat. Natürlich wird das Reich mit fortschreitender Kultivierung der Schutzgebiete (...) zur Einschränkung der vertragsmäßigen Reservatrechte schreiten müssen, ohne damit irgendwie dolos zu handeln.“ 165
Schließlich gab es noch eine vermittelnde Theorie, die von Stengel 1889 formulierte:127) 166
„Wilde und uncivilisierte Völkerschaften können nicht als den in die völkerrechtliche Gemeinschaft aufgenommenen Staaten gleichgestellte Subjekte des Völkerrechtes betrachtet werden. Man wird aber andererseits nicht bestreiten können, dass trotzdem mit solchen Völkerschaften rechtlich bindende Vereinbarungen getroffen werden können. Es folgt dies einfach aus der Thatsache, dass gegenwärtig die erwähnten Völkerschaften nicht mehr als rechtlos gelten, sondern ihre Rechtsfähigkeit (...) anerkannt ist. Wenn aber derartigen Völkerschaften namentlich das Recht der Selbstbestimmung in politischer Beziehung eingeräumt wird, muss es auch möglich sein, mit denselben Verträge abzuschließen. Die Anerkennung der rechtlichen Giltigkeit der Verträge ist dadurch zu erklären, dass gegenwärtig die Neigung besteht, die Geltung des Völkerrechts auf alle Völker der Erde auszudehnen. Auch auf die halbcivilisierten Völker finden die Grundsätze des Völkerrechts wenigstens insoweit Anwendung, als dieselben durch diese Grundsätze in ihrer Selbstbestimmung und Freiheit (und ihrem Eigenthum) geschützt werden, und wird dementsprechend auch ein wenigstens beschränkter völkerrechtlicher Verkehr mit ihnen unterhalten.“ 167
Auch Heribert Schwörbel schließt sich unter Berufung auf v. Stengel dieser Auffassung an:128) 168
„Die Kulturstellung eines europäischen Staates verlangt, daß er die Eingeborenen nicht einfach als nichtexistierende Wesen ansieht, sondern ihnen das freie Recht der Selbstbestimmung darüber, ob sie sich 'persönlich' seiner Gewalt unterwerfen wollen, zugesteht. Stößt er freilich auf Widerstand bei der eingeborenen Bevölkerung, so ist er dadurch in keiner Weise an der Okkupation behindert. (...) Die Verträge des Deutschen Reiches mit den Eingeborenen sind sonach als zur Unterstützung der Okkupationshandlung geschlossen anzusehen.(...) Das Völkerrecht erblickt in dem Stamm keine völkerrechtliche Person, sondern eine Mehrheit von Personen. Tritt ein Häuptling Land an einen Staat ab, so ist der hierüber geschlossene Vertrag verbindlich. Er hat aber für das Völkerrecht nicht die Bedeutung einer Gebietsabtretung. Der Erwerber kann die Gebietshoheit nur durch Okkupation erwerben, weil der Häuptling nicht Organ eines anerkannten Staates ist, der Stamm keine völkerrechtliche Gebietshoheit hat.“ 169
Lentner setzte für Gebietsabtretungsverträge sogar voraus, daß sie allen im europäischen Völkerrecht zur Zeit ihres Zustandekommens begründeten Erfordernissen entsprechen.129) 170
Doch auch diese Theorie wurde kritisiert, unter anderem von Adam, der gegen sie bereits bekannte Argumente benutzt: Da den beteiligten Häuptlingen das fundamentale Verständnis der Begriffe „Staat“, „Gebiet“, „Grundeigentum“ oder „Hoheitsrecht“ völlig fehle, könne man mit ihnen auch keine rechtsgültigen Verträge abschließen, selbst wenn man durch den Vertragsschluß die Selbstbestimmung der eingeborenen Bevölkerung berücksichtige. 171
Als Konsequenz aller drei Theorien ergibt sich ein widersprüchliches Bild: nach zwei Ansichten kamen tatsächlich rechtlich verbindliche Verträge zustande, während die dritte Auffassung den Verträgen allenfalls eine politische Existenzberechtigung verlieh, ihnen jedoch keinen juristischen Wert einräumten. 172
Vergleicht man alle drei Standpunkte, so läßt sich rückblickend feststellen, daß die Auffassung Adams zumindest für Ostafrika zwischen 1885 und 1890 den tatsächlichen Verhältnissen am ehesten entsprach. Robert Adam war ein Kind seiner Zeit, und so verwundert es nicht, wenn er von den Eingeborenen als „Wilden“ oder „Barbaren“ spricht und sie, ganz der scheinbar geistig und kulturell überlegene christliche Europäer, in ihrer Geschäftsfähigkeit auf die Stufe von Kindern stellt. Doch läßt man diese Ausführungen außer acht, so muß man Adam recht geben: Die Häuptlinge Ostafrikas, der 1884 und 1885 mit Carl Peters Verträge zur Gebietsübertragung schlossen, waren in der Tat nicht in der Lage, die sich aus dem Inhalt dieser Verträge ergebenden Konsequenzen zu ermessen, jedoch nicht, weil es ihnen an der Gschäftsfähigkeit fehlte, sondern weil sie als Angehörige eines völlig anderen Kulturkreises die von Dr. Peters und seinen Begleitern gebrauchten rechtlichen Begriffe nicht verstanden. 173
Werfen wir nochmals einen Blick auf jenen Vertrag, den Carl Peters am 4. Dezember 1884 mit Muininsagara, dem Sultan von Usangara, geschlossen hatte.130) Im Mittelpunkt steht folgende Formulierung: 174
„Ferner tritt der Sultan Muininsagara an Herrn Dr. Carl Peters als den Vertreter der Gesellschaft für deutsche Kolonisation, alle diejenigen Rechte ab, welche nach dem Begriff des deutschen Staatsrechts den Inbegriff staatlicher Oberhoheit ausmachen; unter anderem: das alleinige und uneingeschränkte Recht der Ausbeutung von Bergwerken, Flüssen, Forsten; das Recht, Zölle aufzulegen, Steuern zu erheben, eigene Justiz und Verwaltung einzurichten und das Recht, eine bewaffnete Macht zu schaffen.“ 175
Hier fallen dem geschulten Auge sogleich eine Vielzahl juristischer Begriffe auf, die zum Verständnis der Kenntnis des deutschen Rechts bedurften: „Abtretung“, „Rechte“, „deutsches Staatsrecht“, „staatliche Oberhoheit“, „Justiz“ und „Verwaltung.“ Bedenkt man, daß Peters für den Abschluß derartiger Verträge gerade einen Tag benötigte, ist wohl kaum davon auszugehen, daß in dieser kurzen Zeit dem jeweiligen Häuptling die Grundbegriffe des deutschen Rechts und die sich aus dem Vertragsschluß ergebenden Konsequenzen begreiflich gemacht werden konnten:131) 176
„Man gegenwärtige sich (...) den Gedanken, wie des Lesens und Schreibens unkundige afrikanische Häuptlinge die Legitimation der bevollmächtigten Vertreter des deutsches Reiches behufs Abschlusses von Schutzverträgen geprüft, wie verständnisinnig sie ihr Handkreuz unter die mit juristischen Klauseln gespickten Vertragsurkunden gesetzt haben werden.“ 177
Unter Berücksichtigung von Carl Peters Motivation, die ihn zum Abschluß dieser „Cessionsverträge“ bewegte, ist von einer Achtung der Eingeborenen und der Berücksichtigung ihrer Rechte, insbesondere dem von Schwörbel benannten Selbstbestimmungsrecht, nichts übrig geblieben. Dies gilt auch für das Verhältnis von Leistung zu Gegenleistung: Während die GfdK und später die DOAG wertvollen Landbesitz erlangten, erhielten die afrikanischen Häuptlinge dafür nur wertlose Geschenke. Es ist daher davon auszugehen, daß ein „Cessionsvertrag“ keine rechtliche, sondern nur eine faktische Voraussetzung für die erfolgreiche Okkupation eines Gebietes war. Ihm kam jedenfalls in Ostafrika nur eine politische Funktion zu, die in zwei Richtungen wirkte: gegenüber anderen Staaten sollte die Ordnungsmäßigkeit der Okkupation dokumentiert werden, gegenüber den Einheimischen sollten Auseinandersetzungen vermieden werden. Zumindest diesen Erfolg erreichte man mit den Verträgen nicht, denn das Reich hatte bis 1914 zahlreiche Aufstände der einheimischen Bevölkerung zu bekämpfen.132) Mit Blick auf die Vertreter der Theorien, die den Verträgen rechtlichen Gehalt einräumten, äußerte Robert Adam 1905 mit Blick auf die Aufstände in Afrika:133) 178
„Und wie die afrikanischen Potentaten die ewige Rechtsverbindlichkeit der eingegangenen Verträge unter Umständen auffassen, beweist statt vieler das Beispiel Makokos und neuestens Mahaheros. Unseres Dafürhaltens bedeutet die Vertragsbrüchigkeit derselben nicht einmal etwas Rechtswidriges, wenn wirklich in den mit ihnen geschlossenen Cessionsverträgen ein derivativer Erwerbstitel für die Gebietshoheit gefunden wird. Warum sollen sich jene nicht auf die Nichtigkeitseinrede berufen: Man hat uns durch schimmernde Lockmittel veranlasst, unseren Herrschaftsrechten zu entsagen, und erst nachher hat in uns das Bewusstsein von dem Missverhältniss, in welchem der Werth unserer abgetretenen Rechte zur Gegenleistung steht, aufgedämmert.“ 179
Dabei schien Adam sich nicht darüber im Klaren gewesen zu sein, daß erst recht bei rein politisch motivierten Verträgen ein Vertragsbruch seitens der Eingeborenen überhaupt nicht vorlag und die Frage der Rechtswidrigkeit angesichts fehlender Rechtswirkung der Verträge überhaupt nicht in Frage stand. 180
Hinsichtlich der übrigen Okkupationsvoraussetzungen bestand in der Rechtslehre Einigkeit. Erforderlich war ein effektiver Okkupationsakt, der eine tatsächliche Besitzergreifung und damit gleichzeitig den Beginn der dauernden Ausübung hoheitlicher Gewalt zum Ausdruck brachte.134) Dies erfolgte durch eine symbolische Handlung, gewöhnlich durch Aufhissen der Flagge oder, wie von Carl Peters beschrieben, durch eine kurze Ansprache und drei Salven.135) 181

2. Erwerbsvoraussetzungen nach der Kongo-Akte

Doch damit war die Okkupation noch nicht vollendet: Sie mußte durch Anzeige publik gemacht werden. Diese Anzeige hatte gegenüber den Signatarmächten der Berliner Kongo Akte vom 26. Februar 1885 zu erfolgen und war ein wesentlicher Bestandteil des Okkupationsaktes.136) Die Kongo Akte hatte für das Reich eine wichtige Bedeutung, denn durch sie sicherte es sich seine Gebietserwerbungen in völkerrechtlicher Hinsicht. Die entscheidenden Bestimmungen finden sich in Art. 34 und 35 der Kongo-Akte:137) 182
Art. 34: Diejenige Macht, welche in Zukunft von einem Gebiete an der Küste des afrikanischen Festlandes, welches außerhalb ihrer gegenwärtigen Besitzungen liegt, Besitz ergreift, oder welche, bisher ohne dergleichen Besitzungen, solche erwerben sollte, desgleichen auch die Macht, welche dort eine Schutzherrschaft übernimmt, wird den betreffenden Akt mit einer an die übrigen Signatarmächte der gegenwärtigen Akte gerichteten Anzeige begleiten, um dieselbe in den Stand zu setzen, gegebenenfalls ihrer Reklamation geltend zu machen. 183
Art. 35: Die Signatarmächte der gegenwärtigen Akte anerkennen die Verpflichtung, in den von ihnen an den Küsten des afrikanischen Kontinents besetzten Gebieten das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, welche hinreicht, um erworbene Rechte und, gegebenenfalls, die Handels- und Durchgangsfreiheit unter den Bedingungen, welche für letztere vereinbart worden, zu schützen. 184
Der wesentliche Inhalt der Anzeige, deren Form nicht geregelt war, bezog sich auf die Inbesitznahme eines bestimmten Küstengebietes. Die ursprünglich 1884 und 1885 von der GfdK in Besitz genommenen Gebiete lagen zwar zum Teil, jedoch nicht ausschließlich an der Küste Ostafrikas.“ Ob es sich dabei noch um Küstengebiet handelte, mag zweifelhaft sein, auch wurde in Art. 34 nicht die Angabe der ungefähren Grenzen des betreffenden Gebietes vorgeschrieben, doch:138) 185
„die Nothwendigkeit einer solchen Angabe (ergibt sich) aus dem eigenen Interesse des Okkupanten, keinen Zweifel aufkommen zu lassen, welches und wieviel Land er beanspruche, und aus der Zweckbestimmung der Notifikation, die übrigen Signatarmächte in den Stand zu setzen, gegebenen Falles ihre Reklamation geltend zu machen.“ 186
Im Falle der Erwerbungen der GdfK zeigte Bismarck die Okkupation entsprechend den Regelungen der Kongo-Akte ordnungsgemäß an, so beispielsweise auch der britischen Regierung mit jenem Telegramm vom 2. März 1885, das Pakenham, scheinbar unter Nichtbeachtung der rechtlichen Gegebenheiten, als „Torpedo“ bezeichnete, mit dem der Reichskanzler aus dem Hinterhalt auf die britische Regierung gefeuert habe.139) 187

3. Rechtliche Bedeutung der Schutzbriefe

Eine wesentliche Voraussetzung für die Anzeige der Okkupation war die Okkupation durch das Reich selbst. In Ostafrika erfolgte sie jedoch durch eine Kolonialgesellschaft. Diese hatte durch den Erwerb verschiedener Territorien mit allen daran haftenden Hoheitsrechten von einheimischen Häuptlingen nicht bloß privatrechtliches Eigentum an Grund und Boden erworben, sondern konnte eigene Souveränitätsrechte ausüben.140) Daß es schließlich zur Anzeige der Okkupation seitens der Reichsregierung kam, ist auf den kaiserlichen Schutzbrief zurückzuführen, der der GfdK und ihrer Rechtsnachfolgerin, der DOAG, am 27. Februar 1885 ausgestellt wurde. Mit der Erteilung des Schutzbriefes erlangte das Reich die hoheitliche Gewalt über die von der Kolonialgesellschaft erworbenen Ländereien, ließ diese jedoch, ganz im Sinne des britischen Vorbildes der royal charters, durch die Kolonialgesellschaft ausüben. Unumstritten war in der Rechtslehre, daß das Reich durch den Schutzbrief den Schutz über das von der Gesellschaft übernommene Gebiet übernommen hatte, jedoch unter der korrespondierenden Verpflichtung der Gesellschaft, für die Errichtung staatlicher Einrichtungen und den Aufbau einer funktionstüchtigen Verwaltung Sorge zu tragen. Die rechtlichen Konsequenzen, die sich für die von Kolonialgesellschaften erworbenen Schutzgebiete aus den Schutzbriefen ergaben, waren hingegen umstritten. 188
So schrieb Max Joel 1887:141) 189
„Hiegegen enthalten die Schutzbriefe einen (...) Vorbehalt von Hoheitsrechten zu Gunsten der Kolonialgesellschaften nicht, sondern das Reich verleiht ihnen gewisse Hoheitsrechte. Wenn also die Gesellschaften (...) auch vorher schon Hoheitsrechte an den betreffenden Gebieten erworben hatten, so haben sie sich doch derselben, wie die Fassung der Schutzbriefe klar ergibt, indem sie den Schutz des Reichs nachsuchten, zu Gunsten des letzteren entäußert und empfangen die Hoheitsrechte vielmehr vom Reich wieder als aus der Reichsgewalt abgeleitete Rechte. Dies hat zur weiteren Folge gehabt, daß das Reich auch demnächst bestimmen kann, in welcher Weise die betreffenden Hoheitsrechte von den Gesellschaften auszuüben sind.“ 190
Das Reich war demnach auf Ausübung der in den Schutzbriefen ihm zugeschriebenen Rechte nicht beschränkt, sondern konnte alle in der Souveränität enthaltenen Hoheitsrechte ausüben. Beschränkt wurde die Hoheitsgewalt des Reiches durch die den Kolonialgesellschaften in den Schutzbriefen verliehenen Hoheitsrechte. Joel sah in den Schutzbriefen den Rechtsgrund für die Hoheitsrechte der Kolonialgesellschaften und gleichzeitig für das Reich eine Schranke in der Ausübung seiner Hoheitsrechte. Eine maßgebliche Stütze seiner Auffassung glaubte Joel in den Schutzbriefen für die GfdK und die Neu-Guinea-Kompagnie vom 17. Mai 1885 gefunden zu haben. In beiden Schutzbriefen findet sich folgender Vorbehalt:142) 191
„Diesen unseren Kaiserlichen Schutzbrief gewähren Wir (...) unter dem Vorbehalt der in Ausübung unserer Oberhoheit über das Schutzgebiet ferner zu treffenden Anordnungen. 192
Für Joel konnte es sich bei den in „Ausübung der Oberhoheit“ des Reiches getroffenen Anordnungen jedoch nicht um die Entziehung sämtlicher Hoheitsrechte gehandelt haben, sondern nur solche, welche die Oberhoheit des Reiches betrafen. 193
Im Ergebnis stand für ihn fest, daß die Kolonialgesellschaften nicht eine den Reichsbeamten analoge Stellung einnahmen, sondern daß sie ihnen selbst zustehende Hoheitsrechte in eigenem Namen ausüben:143) 194
„Das Reich übt seine Schutzgewalt in den betreffenden Schutzgebieten nicht durch sie, sondern ihnen gegenüber aus. Wenn sie (...) bei Ausübung ihrer Hoheitsrechte den Anordnungen des Reiches Folge geben müssen, so liegt hier in nur eine besondere Modifikation des Schutzverhältnisses, vermöge deren der schutzherrliche Staat seine Gewalt in gewissem Umfange auch auf die inneren Verhältnisse des Schutzstaates erstreckt.“ 195
Nach gegenteiliger Auffassung wurden die Kolonialgesellschaften durch Erteilung der Schutzbriefe zu Selbstverwaltungskörperschaften. Zu Vertretern dieser Ansicht gehörten unter anderem v. Stengel und Bornhak, die, mit Blick auf die Verwaltung, die Schutzgebiete in zwei Gruppen einteilten. 196
V. Stengel teilte die Schutzgebiete in „unmittelbare Schutzgebiete“, die direkt durch Beamte des Reiches verwaltet wurden, und in „mittelbare Schutzgebiete“, in denen Kolonialgesellschaften mittels eines Schutzbriefes die Verwaltung übernommen hatten, ein.144) Er räumte aber ein, daß das SchGG vom 17. April 1886 keine derartige Trennung vorgenommen habe sondern in diesem Gesetz allgemein von „Schutzgebieten“ die Rede gewesen sei. Dieser Umstand, so v. Stengel, habe zur Folge, daß trotz vorhandener Unterschiede die Gebiete der Kolonialgesellschaften ebenso der Souveränität des Reiches unterlägen wie die unmittelbaren Schutzgebiete.145) Der Wortlaut des der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft überlassenen Schutzbriefes spreche dafür, daß die Reichsregierung nach ihrem Ermessen bestimmt habe, ob und inwieweit sie der Kolonialgesellschaft in dem betreffenden Gebiet die Ausübung von Hoheitsrechten überlassen wollte.146) Nirgends, so v. Stengel, seien der DOAG in den von ihr erworbenen Gebieten unantastbare Hoheitsrechte anerkannt worden, vielmehr bestimme die Regierung, welche Hoheitsrechte sie der Gesellschaft überlasse. 197
Damit übten die Kolonialgesellschaften im Verhältnis zur Reichsgewalt die Funktion von öffentlich rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften aus, glichen ihnen nach Auffassung v. Stengels jedoch nicht vollständig. Vielmehr behielten die Kolonialgesellschaften ihren Charakter als Erwerbsgesellschaften und nahmen eine Doppelstellung ein.147) 198
Conrad Bornhak differenzierte mit Blick auf die Verwaltung zwischen Kronschutzgebieten und Gesellschaftsschutzgebieten:148) 199
„In den Kronschutzgebieten steht an der Spitze der Verwaltung als Vertreter des Kaisers ein kaiserlicher Kommissar, in Kamerun mit dem Titel Gouverneur und Oberkommissar. (...) Die deutschen Gesellschaftsschutzgebiete sind entstanden in unzweifelhafter Nachahmung der älteren englischen Charter-colonies, insbesondere ist das Beispiel der englisch-ostindischen Kompanie von entscheidendem Einflusse gewesen. (...) Die Rechtsstellung der deutschen Gesellschaften ergibt sich (...) aus den Schutzbriefen (...).“ 200
Auch für Bornhak ergab sich die Rechtsstellung der Kolonialgesellschaften aus dem Inhalt der ihnen erteilten Schutzbriefe. 201
Der Schutzbrief für die GfdK und die DOAG gliedert sich in zwei Abschnitte, deren erster deklaratorischer Natur ist. In ihm werden die erworbenen Gebiete und der Erwerber genau bezeichnet und erklärt, daß der Kaiser diese Gebiete unter seine Oberhoheit stellt, nachdem eine entsprechende Bitte an ihn positiv beschieden worden war. Der zweite Abschnitt enthält die rechtlich relevante Aussage: In dem Schutzbrief ist die Übernahme der Souveränität durch den Kaiser ohne jede Einschränkung zugunsten der GfdK und später der DOAG enthalten. Für Bornhak war dieser Abschnitt nur so zu verstehen, daß der Kaiser auch in den Gesellschaftsschutzgebieten die Souveränität innehatte und daß den Gesellschaften keine halbsouveräne Stellung zustand:149) 202
„Uebertragen ist den Gesellschaften nur die vollziehende Gewalt, ausgenommen auf dem Gebiete des Auswärtigen, also die innere Verwaltung in ihrem weitesten Umfange einschliesslich der Rechtsprechung unter Oberaufsicht der kaiserlichen Regierung. Die Gesellschaften sind also lediglich die Organe des Reiches für die innere Landesverwaltung, die ihre Rechte wieder auf andere Organe übertragen können. Es ist ihnen nicht die Ausübung einzelner Hoheitsrechte, sondern der gesammten inneren Landesverwaltung verliehen worden.“ 203
Damit standen die Kolonialgesellschaften gänzlich Selbstverwaltungskörperschaften gleich. 204
Dieser Auffassung schloß sich auch Robert Adam an. Die Kolonialgesellschaften, die sowohl wirtschaftliche Unternehmungen in den Schutzgebieten verfolgten als auch im Besitz öffentlicher Gewalt waren, waren Organe des Reiches: 205
„Die Rechte sind den Gesellschaften durch das Reich verliehen, und weil auf einseitiger widerrufbarer Konzession beruhend, sind sie jederzeit einschränkbar und entziehbar. Die Gesellschaften üben keine Herrschaftsrechte in eigenem Namen und aus eigener Machtvollkommenheit aus, sondern kraft Ermächtigung seitens des Reiches Rechte des Reiches.“ 206
Unter Berücksichtigung der Ereignisse, die zwischen 1889 und 1891 in Ostafrika stattfanden, spricht viel für die praktische Relevanz der von Bornhak, v. Stengel und Adam vertretenen Auffassung. Am 8. Februar 1889 erhielt Hauptmann v. Wissmann vom Kaiser die Bestallung als Reichskommissar in Ostafrika. Der Inhalt dieser Bestallung berechtigte den Reichskommissar zur Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt und bedeutete faktisch den Entzug der im Schutzbrief vom 27. Februar 1885 der DOAG eingeräumten Rechte. Hinsichtlich des Verhältnisses von Reichskommissar zur DOAG führte Bismarck in seinen Instruktionen aus:150) 207
„Was Ihr Verhältniss zu den Beamten der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft in Ostafrika betrifft, so ist daran festzuhalten, dass die Rechte der Gesellschaft, welche sich aus dem (...) Vertrage derselben mit dem Sultan vom 28. April v. J. ergeben, unverändert fortbestehen.“ 208
Scheinbar handelte es sich dabei um eine Kompetenzschranke, doch bezog sich dieser Hinweis Bismarcks erkennbar nur auf die Hoheitsrechte der DOAG, die ihr durch den Sultan von Zanzibar vertraglich am 28. April 1888 eingeräumt worden waren, nicht jedoch auf das eigentliche Schutzgebiet des Reiches auf dem ostafrikanischen Festland. Deutlicher Beweis für die Unterordnung der DOAG unter den im Namen des Reiches auftretenden Kommissar ist der Grundsatz, daß jeder dem Kommissar bei der Ausübung seiner Tätigkeit Gehorsam leisten muß. Ebenso deutlich ist die strikte Trennung, die Bismarck zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit der DOAG einerseits und der Verwaltung des Schutzgebietes andererseits vornahm: hatte sich v. Wissmann aus Angelegenheiten der Gesellschaft herauszuhalten, war eine Verwaltungstätigkeit der DOAG nur noch möglich, soweit sie v. Wissmann zuließ. 209
Dieses Vorgehen spricht dafür, daß das Reich in der DOAG eine Selbstverwaltungskörperschaft sah, soweit es um die Ausübung von Hoheitsrechten und die Vornahme von Verwaltungstätigkeit ging, und es war, basierend auf dem SchGG, ohne Schwierigkeit möglich, der Gesellschaft das einmal verliehene Recht zur Ausübung der Hoheitsgewalt wieder zu entziehen.151) 210

4. Schutzgebiet und Schutzgewalt

Während die anderen europäischen Kolonialmächte ihre überseeischen Besitzungen ausdrücklich als „Kolonien“ oder als „Protektorate“ bezeichneten, verwendete der offizielle Sprachgebrauch im Deutschen Reich den Begriff „Schutzgebiet“ und für die Souveränität des Kaisers die Bezeichnung „Schutzgewalt.“ Die Wahl dieser Begriffe wurde zu Beginn der deutschen Kolonialpolitik an die im englischen Sprachgebrauch übliche Anwendung der Bezeichnung „Protektorat“ angelehnt, womit die Oberherrschaft eines Staates über Gebiete bezeichnet wurde, die unter Verwaltung der Handelsgesellschaften standen. In seiner Reichstagsrede vom 26. Juni 1884 brachte Bismarck zum Ausdruck, daß auch das Deutsche Reich durch Okkupation erworbene Ländereien in Übersee durch Kolonialgesellschaften verwalten lassen wollte, wobei die Gesellschaften durch Schutzbriefe mit Hoheitsrechten belehnt werden sollten. Das Reich sollte über die halbsouveränen Kolonialgesellschaften die Oberherrschaft beibehalten und seinen Schutz über die Tätigkeit und die Erwerbungen der Gesellschaften ausüben.152) So gelangten die Begriffe „Schutzgebiet“ und „Schutzgewalt“ in den offiziellen Sprachgebrauch. 211
Wie die Entwicklung in Ostafrika zeigt, schien sich hier Bismarcks Vorstellungen einer halbsouveränen, auf der Grundlage einer „royal charter“ tätigen Kolonialgesellschaft zunächst zu verwirklichen, und in der Tat waren die ostafrikanischen Erwerbungen der GfdK und der DOAG „Schutzgebiete“ in der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes. Als Protektorate wurden sie jedoch nicht angesehen, auch wenn es vereinzelte Stimmen gab, die in diese Richtung zielten. Mit dem Begriff „Protektorat“ bezeichnete man im Staats- und Völkerrecht ein Verhältnis zwischen unterschiedlich starken Staatsgewalten: ein stärkerer Staat beschützte einen schwächeren Staat oder griff sogar in dessen innere Angelegenheiten ein, indem er ihn beriet oder leitete.153) Im Hinblick auf die Schutzgebiete, die von Kolonialgesellschaften erworben wurden, zog man Vergleiche zu einem Protektorat. Ein Vertreter dieser Ansicht war Joel, der einer Kolonialgesellschaft nicht nur die Möglichkeit zusprach, Souveränitätsrechte über das erworbene Gebiet auszuüben, sondern das von ihr begründete politische Gemeinwesen sogar als Staat bezeichnete.154) Die Schutzgewalt des Reiches über ein von einer Kolonialgesellschaft beherrschtes Gebiet war demzufolge als völkerrechtliches Protektorat aufzufassen. Dem widersprach nicht nur der Inhalt von Bismarcks Reichstagsrede, sondern auch die tatsächliche Entwicklung, die am Beispiel Ostafrikas zeigt, das hier das Reich nicht von einer reinen Protektoratsgewalt ausging, sondern die volle Staatsgewalt auszuüben gedachte. Der Begriff „Schutzgebiet“ bezeichnete demnach weniger ein Protektorat als vielmehr eine „Kolonie“. Für diesen Begriff gab es sowohl eine völkerrechtliche als auch eine staatsrechtliche Definition. Im völkerrechtlichen Sinn waren155) 212
„Kolonien solche überseeische, außerhalb Europas gelegene Gebiete, welche der Souveränetät eines europäischen Staates unterworfen sind Gleichgiltig ist es dabei, ob der Mutterstaat alle im Begriffe der Souveränetät gelegenen Rechte in dem betreffenden Gebiete und gegenüber der Bevölkerung desselben ausübt oder nicht, und ob eine Kolonie eine mehr oder minder autonome Stellung besitzt. Zu den Kolonien werden in der Regel aber auch solche Gebiete gerechnet, welche zwar nicht der Souveränetät eines europäischen Staates unterstehen, über welche derselbe aber Protektoratsrechte in der Weise ausübt, daß die in dem betreffenden Gebiete vorhandenen staatlichen Gemeinwesen in größerem oder geringerem Grade von ihm abhängig sind.“ 213
Völkerrechtlich gesehen war das ostafrikanische Schutzgebiete im Verhältnis zum Reich Inland, da seine Okkupation den Signatarmächten der Berliner Konferenz gegenüber ordnungsgemäß angezeigt wurde. Jeder Zugriff oder Angriff auf die territoriale Integrität eines deutschen Schutzgebietes galt demnach als Angriff auf die Integrität des Reiches. Umgekehrt hatte das zur Folge, daß ein Krieg, in den das Reich verwickelt war, auch für die Schutzgebiete Konsequenzen hatte.156) Um das zu vermeiden, sah die Kongo-Akte eine wechselseitige Neutralisierung der afrikanischen Kolonien für den Fall vor, daß zwischen den europäischen Mächten ein Krieg ausbrach.157) 214
Für die staatsrechtliche Bewertung des Begriffes „Kolonie“ kam es auf das Verhältnis der Schutzgebiete zum Reichsgebiet an. Galten sie als Inland, oder doch vielmehr als Ausland? 215
Das Schutzgebietsgesetz vom 17. April 1886 gab auf diese Frage keine Antwort, sondern bestimmte in § 1 SchGG knapp und bündig:158) 216
„Die Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten übt der Kaiser im Namen des Reiches aus.“ 217
Daher war die Stellung der Schutzgebiete im Verhältnis zum Reich und die konkrete Ausgestaltung des Begriffes „Schutzgewalt“ problematisch. Ausgangspunkt der Problematik war, daß die Schutzgebiete tatsächlich nicht zum Reichsgebiet gehörten, denn das Reichsgebiet setzte sich nur aus den in Art. 1 RV explizit genannten Gebieten der deutschen Bundesstaaten zusammen. Eine Erweiterung des Reichsgebietes war nur durch Verfassungsänderung möglich, doch dazu war es im Hinblick auf die Schutzgebiete nicht gekommen.159) So schieden sich denn die Geister bei der Beurteilung der Frage, ob die Schutzgebiete staatsrechtlich Inland waren oder doch als Ausland galten. Diese Frage wurde intensiv diskutiert und es wurden gute Gründe für beide Positionen angeführt. Im Folgenden soll ein Überblick über zeitgenössische Äußerungen zu diesem Themenkomplex gegeben werden. 218
Georg Meyer, einer der staatsrechtlichen Autoritäten des Kaiserreichs und ein Anhänger des „klassischen Positivismus,“ stand an vorderster Stelle, wenn es um die staatsrechtliche Einordnung der Schutzgebiete ging: Er war aktiv an der Gesetzgebung für die Schutzgebiete beteiligt und nahm im Hinblick auf die Stellung der Schutzgebiete grundsätzlich an, daß sie Ausland waren, betrachtete sie aber in Ausnahmefällen auch als Inland.160) In seinem „Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts“ schrieb Meyer:161) 219
„Die Schutzgebiete sind der Herrschaft des Reiches unterworfen, die Wirksamkeit fremder Staaten innerhalb derselben ist ausgeschlossen. Aber die Schutzgebiete bilden keine Bestandteile des Reichsgebietes im Sinne der Reichsverfassung und der Reichsgesetze. Dies hätten sie nur durch eine Abänderung des Art. 1 der Reichsverfassung werden können, eine solche hat aber nicht stattgefunden. Sie sind also im allgemeinen nicht Inland, sondern Ausland. Sofern aber in einem Reichsgesetz der Ausdruck Inland als gleichbedeutend mit dem Geltungsbereich des Gesetzes gebraucht wird, müssen die Schutzgebiete, wenn das Gesetz in demselben eingeführt ist, vom Standpunkte dieses Gesetzes als Inland betrachtet werden. 220
Adolf Arndt erblickte in den Schutzgebieten staatsrechtlich Ausland, jedoch wurden sie durch bestimmte gesetzliche Regelungen als zum „Inland“ gehörend behandelt:162) 221
„Da nach Art 1 der Reichsverfassung das Bundesgebiet aus den dort bezeichneten Staaten besteht, also nicht aus sonstigen Staaten oder aus Besitzungen des Reiches, da Art. 1 nur durch verfassungsänderndes Gesetz aufgehoben werden kann, eine Abänderung oder Aufhebung in Ansehung der Schutzgebiete nicht stattgefunden hat, so steht fest, daß diese Schutzgebiete Inland im Sinne des Art. 1 der Reichsverfassung und überhaupt Bundes- (Reichs-) Gebiet (...) im Sinne der Reichsverfassung nicht sind. Es gelten somit und nach den Eingangsworten in Art. 2 nicht ohne Weiteres die Vorschriften der Reichsgesetze, der auf Grund der Reichsgesetze erlassenen Vorschriften noch endlich die Reichsverfassung selbst. 163)Es bedurfte und bedarf stets eines besonderen Gesetzes oder, soweit dies angängig, einer besonderen Verordnung, um reichsrechtliche Vorschriften in den Schutzgebieten zur Anwendung zu bringen (...) Inwieweit im Uebrigen die Schutzgebiete Inland oder Ausland sind, bedarf in jedem Falle einer gesonderten Prüfung, wobei sich zeigen wird, daß sie fast stets als 'Inland' anzusehen sind. Es ist bereits in § 6 des Schutzgebietsgesetzes (...) ausgesprochen, daß im Sinne des § 21 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 (...), sowie bei Anwendung des Gesetzes wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870 (...) die Schutzgebiete als Inland gelten.“164) 222
Die These, daß die Schutzgebiete grundsätzlich als Ausland anzusehen waren, widersprach aber der Regelung des Schutzgebietsgesetzes. Die Schutzgewalt, die das Reich unter Ausübung durch den Kaiser in den Schutzgebieten nach § 1 SchGG innehatte, war staatsrechtliche Gewalt im eigenen Gebiet. Es handelte sich nicht um Souveränität über Vasallenstaaten oder gar ein Protektorat über andere Staaten, da die deutschen Schutzgebiete keinerlei Staatlichkeit besaßen oder anderen Staaten angehörten. Galten die Schutzgebiete dennoch staatsrechtlich als Ausland, würde dies zu dem Ergebnis führen, daß die Schutzgewalt des Kaisers völkerrechtlich zu beurteilen war. Das aber führte zu dem widersinnigen Ergebnis, daß der Kaiser völkerrechtlich gesehen die Schutzgewalt über ein staatenloses Gebiet innehatte. Da den Schutzgebieten jegliche staatliche Eigenständigkeit fehlte, mußte die Schutzgewalt des Reiches staatsrechtliche Herrschaft sein, womit auch die Schutzgebiete trotz fehlender Regelung in der Reichsverfassung staatsrechtlich als Inland galten.165) 223
In diesem Sinne beurteilte der Bonner Staatsrechtler Philipp Zorn, der sich intensiv mit dem Kolonialstaatsrecht befaßte, die Stellung der Schutzgebiete zum Reich:166) Er sah in ihnen kein Ausland, sondern betrachtete sie als Inland, das dem Deutschen Reich angegliedert wurde. Da jedoch eine Änderung des Art. 1 RV nicht erfolgte, bildeten nach Auffassung Zorns das Reichsgebiet und die Schutzgebiete abgeschlossene Rechtsgebiete. Die damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen waren vielfältig:167) 224
„In keinem Sinne und in keiner Weise kann der Begriff 'Ausland' rechtlich auf die deutschen Schutzgebiete bezogen werden; in keiner Weise stehen sich Bundesgebiet und Schutzgebiet 'wie Inland und Ausland' gegenüber'. Aber das deutsche Schutzgebiet ist als deutsches Staatsgebiet erworben und eingerichtet worden, ohne daß es dem Bundesgebiete der RV Art. 1 einverleibt wurde. Während Elsaß-Lothringen dem deutschen Bundesstaatengebiete eingegliedert wurde, wurden die Kolonieen dem deutschen Bundesstaatsgebiete lediglich angegliedert. Daraus ergibt sich die schwerwiegende Rechtsfolge: daß jeder der beiden Bestandteile des deutschen Staatsgebietes sein abgeschlossenes selbständiges Rechtssystem hat; das Recht des Deutschen Reiches gilt nicht in den Kolonieen, und das Recht der Kolonieen gilt nicht im Deutschen Reiche; die Übertragung von deutschem Reichsrecht auf die Kolonieen bedarf besonderen gesetzgeberischen Aktes, der für alle oder nur für einzelne Schutzgebiete erfolgen kann; gemeinsam für beide Bestandteile des deutschen Staates ist zwar das Recht zur Gesetzgebung, völlig gesondert aber die territoriale Wirkungssphäre (...) Demnach müssen die Schutzgebiete, obwohl staatsrechtlich 'Inland' und in keinem Sinne 'Ausland', als ein vollständig abgeschlossenes und selbständiges Rechtsgebiet betrachtet werden. Daraus ergeben sich folgende Rechtsgrundsätze: 225
1. Die Reichsverfassung und alle auf Grund derselben erlassenen Gesetze und Verordnungen gelten im Schutzgebiete nicht; 226
2. die Schutzgebiete haben lediglich ihr eigenes Recht; insoweit Reichsrecht dort in Kraft treten soll, bedarf es hierfür immer einer besonderen Einführung (...); 227
3. das Gleiche gilt für die Staatsverträge (...); 228
4. Recht für die Kolonieen kann erzeugt werden: 229
a) auf dem regelmäßigen Wege der Reichsgesetzgebung; (...) 230
b) außerdem aber kann Kolonialrecht erzeugt werden auf Grund der dem Kaiser zur Ausübung namens des Reiches übertragenen Schutz- d. i. Staatsgewalt (...); 231
5. der Begriff 'Ausland' in den Reichsgesetzen ist auf die Kolonieen an sich unanwendbar; soll er zur Anwendung kommen, so bedarf es auch hierfür immer einer positivrechtlichen Vorschrift (...).“ 232
In einer Abhandlung über die deutsche Reichsverfassung aus dem Jahre 1913 ging Zorn nochmals auf das staatsrechtliche Verhältnis der Schutzgebiete zum Reich ein, wobei er seine bereits 1895 geäußerte Auffassung nochmals bestätigte. Daneben gibt Zorn einen kurzen Überblick über den Meinungsstand am Vorabend des 1. Weltkrieges:168) 233
„Die Kolonien sind nicht als 'Bestandteile' des Reiches aufzufassen, sondern als 'Reichsnebenländer'. Die Wissenschaft hat lange gebraucht, um dies Verhältnis mit einiger Sicherheit festzustellen. Zuerst überwunden wurde die ganz haltlose, durch die Ausdrücke 'Schutzgebiet', 'Schutzvertrag', 'Schutzgewalt' veranlaßte Theorie, die Kolonien seien Reichsprotektorate, während doch als solche nach den Grundsätzen des Völkerrechts nur 'Staaten' in Betracht kommen können. Länger hielt sich die Formel, die Schutzgebiete seien staatsrechtlich 'Ausland.' Diese Anschauung ist nicht minder falsch als die vorige, weil die Staatsgewalt, welche über den Kolonien und in ihnen herrscht, einfach die deutsche Reichsgewalt ist und Ausland begrifflich nur das Gebiet sein kann, das einer fremden, d.h. nichtdeutschen Staatsgewalt untersteht. Die Kolonien sind demnach ausschließlich Reichsinland.“ 234
Die Auffassung Zorns wurde auch von Heribert Schwörbel geteilt, der 1906 in seiner Dissertation schrieb, daß die Schutzgebiete Teile des Deutschen Reiches waren, also als Inland anzusehen waren, nicht jedoch als Ausland. Seine Ausführungen entsprachen inhaltlich denen Zorns169): 235
„Wer die Schutzgebiete als 'staatsrechtliches Ausland' bezeichnet, vergißt, daß einem Staat gegenüber Ausland begrifflich nur ein Gebiet sein kann, 'welches entweder unter der Gebietshoheit eines fremden Staates steht oder staatenlos ist', niemals aber ein Gebiet, das unter der Gebietshoheit eben des betreffenden Staates steht. Das Deutsche Reich übt aber in seinen Schutzgebieten die Gebietshoheit aus; in den Schutzgebieten herrscht die deutsche Reichsgewalt unbeschränkt (...) Die gesamte deutsche Staatsgewalt verkörpert sich einheitlich im Deutschen Kaiser, dem durch § 1 des Schutzgebietsgesetzes die Ausübung der Souveränitätsrechte des Deutschen Reiches in den Schutzgebieten übertragen worden ist.“ 236
So war die Diskussion um die staatsrechtliche Stellung der Schutzgebiete kurz vor Beginn des 1. Weltkrieges zu dem Ergebnis gekommen, daß die Schutzgebiete staatsrechtlich als Inland galten und sie nicht Ausland waren, das nur in bestimmten, gesetzlich geregelten Fällen, „Inland“ war. Zwar mag die fehlende Änderung des Art. 1 RV im Hinblick auf die Schutzgebiete für die Auffassung Meyers und Arndts sprechen, doch seit Inkrafttreten des SchGG 1886 sprechen die besseren Gründe für die Annahme, daß die Schutzgebiete staatsrechtlich Inland waren. 237
Wesentliches Element im Verhältnis der Schutzgebiete zum Reich war die „Schutzgewalt.“ Die Schutzgewalt war staatsrechtlich gesehen mit der Staatsgewalt identisch, und zwar sowohl dem Inhalt als auch dem territorialen und personalen Umfang nach.170) Eine Zäsur wurde mit dem ersten Inkrafttreten des SchGG im Jahre 1886 gemacht. Während für die Zeit ab 1886 das Gesetz die Schutzgewalt über die Schutzgebiete dem Kaiser einräumte, war unklar, wem die Schutzgewalt vor dem Inkrafttreten des SchGG oblag.171) 238
Bornhak, der in den Schutzgebieten staatsrechtlich Ausland sah, sah als Träger der Schutzgewalt den Kaiser an,172) denn nur der Kaiser war gemäß Art. 11 RV gegenüber dem Ausland der Träger der Reichssouveränität.173) Dieser Auffassung wurde jedoch bereits während der Beratungen zum SchGG im Reichstag widersprochen, indem nicht nur Abgeordnete, sondern auch Regierungsvertreter äußerten, daß die Souveränität im Reich bei den verbündeten Regierungen lag und sie somit auch die Souveränität über die Schutzgebiete hatten. Kollektives Organ der verbündeten Regierungen war der Bundesrat, so daß er nicht nur dazu berufen war, bei der Gesetzgebung für die Schutzgebiete mitzuwirken, sondern auch Hoheitsrechte wahrzunehmen.174) Anders als Bornhak sahen die Vertreter dieser Auffassung, die sich als herrschende Meinung durchsetzen konnte, in dem Kaiser keinen Träger der Reichsgewalt. Bis zum Erlaß des SchGG konnte der Kaiser keine Hoheitsrechte in den Schutzgebieten ausüben, da dieses Recht alleine dem Bundesrat zustand. Wäre der Kaiser regierend in den Kolonien tätig geworden, hätte es ihm an gesetzlicher Legitimation gefehlt, es sei denn, er wurde als Vertreter des Bundesrates angesehen.175) 239
Davon zu trennen ist die Frage, ob der Kaiser zum Erwerb der Schutzgebiete berechtigt war. Erinnern wir uns: Nicht der Bundesrat, sondern der Kaiser stellte im Februar 1885 den Schutzbrief für die GfdK aus und stellte dadurch die von dieser Gesellschaft erworbenen Gebiete Ostafrikas unter den Schutz des Reiches. Völkerrechtlich war er dazu gem. Art. 11 RV befugt, da der Kaiser nach dieser Vorschrift Vertreter und Organ des Reiches in allen völkerrechtlichen Beziehungen und zur Vornahme von Handlungen mit völkerrechtlicher Wirkung berechtigt war. In staatsrechtlicher Hinsicht wurden die Schutzgebiete durch den kaiserlichen Erwerbsakt der vollen Staatsgewalt des Reiches unterstellt, ohne daß es dazu der Mitwirkung des Reichstages oder des Bundesrates bedurft hätte.176) 240
Mit Inkrafttreten des SchGG am 10. April 1886 ging die Schutzgewalt auf den Kaiser über. Der Staatssekretär des Reichsjustizamtes, v. Schelling, begründete dies mit der Stellung des Kaisers innerhalb der verbündeten Regierungen:177) 241
„Mit dieser Auffassung der rechtlichen Stellung des Bundesrats steht es nicht im Widerspruch, wenn aus Gründen praktischer Zweckmässigkeit und insbesondere im Hinblick auf die wechselnden Bedürfnisse der Verwaltung in den noch unentwickelten überseeischen Gebieten die Ausübung einer diesen Verhältnissen entsprechenden Schutzgewalt dem Kaiser als dem erblichen Vertreter der Gesamtheit der verbündeten Regierungen übertragen wird (...)“. 242
§ 1 SchGG bestimmte, daß der Kaiser in den Schutzgebieten die Schutzgewalt im Namen des Reiches ausübte. Damit war zwar das Reich Inhaber der Staatsgewalt in den Schutzgebieten, jedoch trat der Kaiser als Repräsentant des Trägers der Staatsgewalt im Reiche auf, nämlich der verbündeten Regierungen. Dafür, daß der Kaiser nicht als Landesherr über die Schutzgebiete gesetzt wurde, sprach auch die einfachgesetzliche Regelung durch das SchGG: Ihm wurde die Kolonialstaatsgewalt durch den Bundesrat und mit Zustimmung des Reichstages delegiert, und sie konnte ihm im Gegenschluß auch durch einfaches Reichsgesetz wieder entzogen werden.178) Die Vereinigung souveräner Gewalt in der Person des Kaisers bedeutete eine gesetzliche Fixierung eines in der Reichsverfassung nicht geregelten Tatbestandes durch das Reich selbst. Der Kaiser konnte zwar die Souveränität über die Schutzgebiete ausüben, jedoch nur innerhalb der durch die Reichsverfassung zugelassenen Grenzen. Die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen beschrieb Münstermann in seiner Dissertation „Die Rechtsstellung des Kaisers in den deutschen Schutzgebieten:“179) 243
„Hat also das Reich durch ein verfassungsmäßig zustande gekommenes Gesetz eine Regelung auf einem seiner Kompetenz unterworfenen Gebiete erfolgen lassen, so sind notwendigerweise die Organe des Reiches, insoweit ihr Wirkungskreis von diesem Reichsgesetz berührt wird, an dessen Anordnungen gebunden. Aus diesem in der Reichsverfassung implicite enthaltenen Grundsatz ist für die Rechtsnatur der kaiserlichen Stellung in den Schutzgebieten daher die wichtige Folgerung abzuleiten, daß der Kaiser in Ausübung der Schutzgewalt zwar zur Ausübung der in derselben enthaltenen Hoheitsrechte ermächtigt ist, daß aber das Reich nicht durch diese Delegation darauf verzichtet hat, auch seinerseits einzugreifen und im Wege der Reichsgesetzgebung Bestimmungen mit verbindlicher Kraft für die Schutzgebiete zu erlassen. Ferner ist aus diesem Grundsatz zu folgern, daß der Kaiser zwar um koloniale Tatbestände zu regeln, anstatt von seiner Schutzgewalt Gebrauch zu machen, diese Regelung der Reichsgesetzgebung überlassen kann, daß das Reich aber auch gegen den Willen des Kaisers Reichsgesetze mit Geltung für die Schutzgebiete erlassen kann. Der Kaiser kann somit in Ausübung der Schutzgewalt die Reichsgesetze, die kraft spezieller oder allgemeiner Bestimmung auch in den Schutzgebieten gelten, nicht abändern oder gar aufheben, wie er auch nicht befugt ist, die allgemeine, staatsrechtliche Natur der Schutzgebiete, soweit sie gesetzlich geregelt ist, abzuändern.“ 244
Eine andere Stellung räumte Bornhak dem Kaiser ein: Für ihn stand auch für die Zeit nach Erlaß des SchGG fest, daß der Kaiser alleiniger Souverän über die Schutzgebiete sei, so daß dieser nicht nur die volle Staatsgewalt in seiner Hand habe, sondern ihm auch die vollziehende Gewalt zustehe.180) Doch nach der damals ganz herrschenden Meinung blieben auch nach Inkrafttreten des SchGG die verbündeten Regierungen Träger der Reichsgewalt, zumal der Gesetzeswortlaut des SchGG deutlich machte, daß der Kaiser „im Namen des Reiches“ die Schutzgewalt ausübte, er also als Organ für den Souverän, nicht aber als Souverän handelte.181) 245

IV. Zusammenfassung und Schluß

Die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts begann Reichskanzler Otto von Bismarck, entgegen der vorhandenen Kolonialbegeisterung im Reich, mit dem festen Vorsatz, keine Kolonialpolitik zu betreiben. Doch Privatleute und die von ihnen gegründeten Unternehmen erwarben nicht nur Gebiete in Afrika und in der Südsee, sie forderten von dem Deutschen Reich auch den Schutz, den sie für ein erfolgreiches Prosperieren benötigten. Dadurch war die Reichsregierung gezwungen, ihre ursprünglich ablehnende Haltung gegenüber der Kolonialpolitik zu revidieren. Doch Bismarck wollte das Deutsche Reich keinesfalls in ein Kolonialabenteuer stürzen, sondern räumte dem Reich eine allenfalls begrenzte Rolle im Erwerb überseeischer Besitzungen ein. Er war viel zu sehr besorgt um die Aufrechterhaltung des europäischen Gleichgewichtes, als daß er dieses durch Kolonialismus gefährden wollte, denn dadurch waren nicht nur Konflikte mit Frankreich, sondern auch mit Großbritannien möglich. Bismarck beabsichtigte, zwar den überseeischen Handel zu fördern, wollte dabe aber das Reich weitgehend im Hintergrund zu halten. Den Erwerb von Besitzungen und den Aufbau einer Verwaltung gedachte er den Handelshäusern und Kaufleuten zu überlassen. Dies war auch sein Ansinnen, als er im Zuge des durch die Berliner Akrikakonferenz verstärkte wirtschaftliche und politische Interesse des Reiches an Ostafrika durch die Präsenz eines Generalkonsuls auf Zanzibar sicherstellen wollte. Dessen vordringliche Aufgabe war es, den Handel in Afrika zu ermöglichen und zu fördern, nicht jedoch der Erwerb von Grundbesitz. Zeitgleich dazu wurde dies durch Dr. Carl Peters in Ostafrika jedoch vorgenommen. Nun stand Bismarck vor einer schwierigen Entscheidung: Einerseits wollte er keinen Konflikt mit Großbritannien und dem Sultan von Zanzibar riskieren, andererseits mußten die Neuerwerbungen in Ostafrika gesichert werden, da sie Peters Angaben zufolge von wirtschaftlichem Nutzen waren. So wurden die neuerworbenen Gebiete durch Schutzbriefe unter den Schutz des Reiches gestellt, doch sollte Carl Peters GfdK und ihre Nachfolgerin, die DOAG, mit der durch das Reich verliehenen Souveränität die Verwaltung des Schutzgebietes selbst übernehmen182). Die Vorfälle, die sich zwischen 1885 und 1891 in Ostafrika ereigneten, zeigten der Reichsregierung jedoch, daß das Modell einer von Gesellschaften verwalteten Kolonie nicht funktionieren konnte, weil die Angehörigen der DOAG sich nicht an getroffene Vereinbarungen hielten, Anordnungen des Reiches mißachteten und die Souveränität des Sultans von Zanzibar, der immerhin als Völkerrechtssubjekt galt, mißachteten. Das führte in Ostafrika zur „Diktatur Wissmanns“183) und schließlich zur Übernahme der Kolonie in die unmittelbare Reichsverwaltung - ein Umstand, den Bismarck auf jeden Fall vermeiden wollte. 246
Für die Rechtsgeschichte sind die Entwicklungen in völker- und staatsrechtlicher Hinsicht von besonderem Interesse. Diese ermöglichten nicht nur den wirksamen Erwerb der Kolonien im Verhältnis zu den anderen europäischen Kolonialmächten, sondern sicherten auch die Souveränität des Reichs über die Schutzgebiete in staatsrechtlicher Hinsicht. Für Ostafrika stellte sich diese Entwicklung wie folgt dar: 247
Die ostafrikanischen Gebiete, die nicht unter der Herrschaft des Sultans von Zanzibar standen, galten als herrenloses Gebiet. Herrenlose Gebiete aber konnten wirksam durch Okkupation erworben werden. Okkupieren konnten wiederum nur Völkerrechtssubjekte, also grundsätzlich nur „civilisierte Staaten.“ In Ostafrika erfolgten die Gebietserwerbungen jedoch durch die DOAG, eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft. Dennoch konnte der durch sie getätigte Gebietserwerb völkerrechtlich als Okkupation gelten. Die Rechtsvorgängerin der DOAG, die GfdK, handelten zwar ohne ausdrückliche Ermächtigung seitens der Reichsregierung, doch traten ihre Repräsentanten beim Erwerb von Gebieten und Hoheitsrechten als Vertreter des Deutschen Reiches auf, zumal das Reich selbst die Befähigung der GfdK nicht bestritt, sondern durch Erteilung des Schutzbriefes als rechtsgültig anerkannte. Die Verträge, die Angehörige der Gesellschaft mit Häuptlingen schlossen, hatten weniger rechtliche als vielmehr eine politische Bedeutung: Es sollten unnötige Verwicklungen mit den Einheimischen vermieden werden. Von rechtlicher Bedeutung war dagegen die Vornahme symbolischer Okkupationshandlungen, wie beispielsweise durch das Hissen der Reichsflagge. Das Reich erlangte die als „Schutzgewalt“ umschriebene Staatsgewalt über die Erwerbungen der GfdK durch die Erteilung des Schutzbriefes im Februar 1885. Dadurch hat die GfdK und ihr nachfolgend die DOAG die von den einheimischen Häuptlingen erworbenen Hoheitsrechte an das Reich übertragen und sie in bestimmtem Umfang zurückerhalten. Das Reich war somit in der Lage, die Ausübung der staatlichen Hoheitsrechte durch die DOAG zu kontrollieren und sie ihr, bedingt durch den Aufstand des Jahres 1888, faktisch wieder zu entziehen. 248
Das Schutzgebiet war, obgleich es nicht zum Reichsgebiet gehörte, in vollem Umfang Inland, doch bildete es im Unterschied zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Reichsgebiet ein abgeschlossenes und selbständiges Rechtsgebiet, über das das Reich die volle Staatsgewalt ausüben konnte. Diese Staatsgewalt, auch „Schutzgewalt“ genannt, lag bis zum Inkrafttreten des SchGG in den Händen des Bundestages, der das kollektive Organ der verbündeten Regierungen war. Daran änderte sich auch nichts nach Inkrafttreten des SchGG im Jahre 1886. Auch wenn das Gesetz dem Kaiser die Ausübung der Schutzgewalt in die Hände legte, so übte er diese im Namen der verbündeten Regierungen aus. Diese blieben auch weiterhin Inhaber der Staatsgewalt in dem ostafrikanischen Schutzgebiet. Allerdings war der Kaiser im völkerrechtlichen Sinne auch für das ostafrikanische Schutzgebiet gegenüber anderen Staaten der Vertreter des Reiches. 249
Diese kurze Zusammenfassung zeugt, daß sowohl die politisch-historische als auch die rechtswissenschaftliche Entwicklung für die Rechtsgeschichte von besonderem Interesse sind. 250
So fällt als erstes auf, daß der Erwerb des ostafrikanischen Schutzgebietes und die damit verbundenen politischen Entscheidungen untrennbar mit der Entwicklung in Rechtswissenschaft und Gesetzgebung verbunden waren. Dabei eilten die tatsächlichen Ereignisse der Gesetzgebung und Rechtswissenschaft voraus, die Jurisprudenz wurde, ähnlich wie die Politik, durch das Auftreten von Privatleuten wie Lüderitz oder Peters geradezu vor vollendete Tatsachen gestellt. 251
Bedingt durch die ursprünglich ablehnende Haltung Bismarcks gegenüber einer deutschen Kolonialpolitik gab es im Reich keine Kolonialrechtswissenschaft, geschweige denn Kolonialgesetzgebung. Damals wie heute müssen sich Rechtswissenschaft und Gesetzgebung tatsächlichen Entwicklungen anpassen, ist sie gezwungen, auf diese Entwicklungen zu reagieren. Vergleichbar mit der Entstehung des Kolonialrechts als Reaktion auf den Erwerb von Kolonien in Afrika und in der Südsee ist die Reaktion von Gesetzgebung und Rechtswissenschaft auf das Internet, das sich seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre explosionsartig verbreitete und seitdem die Jurisprudenz weltweit vor erhebliche Schwierigkeiten stellt. Bestehende Gesetze mußte geändert werden, bislang feststehende Grundsätze müssen neu überdacht werden. Die Entwicklung der Kolonialrechtswissenschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert belegt, daß es sich dabei nicht um ein Problem des 20. Jahrhunderts handelt, sondern daß die rechtliche Entwicklung in Theorie und Praxis von jeher eine Reaktion auf sich verändernde tatsächliche Gegebenheiten war.184) 252

 

Fußnoten:

1 Großes Vorbild für die Träume von einem neuen Indien in Afrika war Britisch-Indien, das nach Auflösung der "East India Company” und der Niederschlagung des Sepoy-Aufstandes 1857/58 in eine staatliche Verwaltungskolonie umgewandelt worden war und jetzt als Schatzkammer des Empires, als Quell unerschöpflichen Reichtums galt. So äußerte beispielsweise der deutsche Afrikareisende und spätere Generalkonsul in Zanzibar, Gerhard Rohlfs, im Jahre 1876, daß Afrika "in nicht allzu ferner Zeit” dazu "bestimmt” sei, "in Ergiebigkeit reicher Produkte Indien abzulösen”. Zitiert nach Hans-Ulrich Wehler, Bismarck und der Imperialismus, Frankfurt am Main 1984, S. 259.

2 Zu den natürlichen Voraussetzung der Wirtschaft in Deutsch-Ostafrika vgl. Francesca Schinzinger, Die Kolonien und das Deutsche Reich, Stuttgart 1984, S. 27 ff.

3 Diese Gesellschaften waren die "Gesellschaft für deutsche Kolonisation” (GfdK) und die "Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft” (DOAG). Dr. John Kirk war seit 1873 britischer Generalkonsul in Zanzibar und verstand es, britische Herrschaft sehr geschickt mittelbar auszuüben.

4 Nachweise bei Udo Wolter, Paul Kaller: Deutsches Kolonialrecht - ein wenig erforschtes Rechtsgebiet, dargestellt anhand des Arbeitsrechts der Eingeborenen, ZNR 17 (1995), S. 201 - 244, hier FN.1. Eine beachtliche rechtshistorische Arbeit stammt von Dieter Giesen (Kolonialpolitik zwischen Irritation und Illusion. Prolegomena zu einer Rechts- und Sozialgeschichte deutscher Kolonialbestrebungen im Pazifik am Beispiel Samoas 1857 - 1889, in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 177 - 226).

5 Dazu wird auf die Untersuchungen zeitgenössischer Juristen zurückgegriffen, darunter: Max Joel, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete vom 17. April 1886 nebst den bisherigen ergänzenden Verordnungen, AnnDR 1887, S. 191 - 229; Conrad Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2 (1887), S. 3 - 53; Carl von Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 309 - 397; 805 - 956; Robert Adam, Völkerrechtliche Okkupation und deutsches Kolonialstaatsrecht, AöR 19 (1905), S. 193 - 310; Heribert Schwörbel, Die staats- und völkerrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete, Diss. Erlangen, 1906; Karl Münstermann, Die Rechtstellung des Kaisers in den deutschen Schutzgebieten, Diss. Jena, 1911.

6 Vgl. z.B. zum Arbeitsrecht der Eingeborenen: Wolter/Kaller, Deutsches Kolonialrecht, ZNR 17, a.a.O.; zum kolonialen Strafrecht: G. Walz, Die Entwicklung der Strafrechtspflege in Kamerun unter deutscher Herrschaft 1884 - 1914, 1981. Zur Gerichtsbarkeit: Rainer M. Bierwagen, Entwicklung der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Ostafrika in kolonialer und postkolonialer Zeit am Beispiel Tanzania, ZZP 101 (1988), S. 50 -69. Einen interessanten Einblick in die Verhältnisse in Tanzania bieten Norbert Aas/Harald Sippel, Koloniale Konflikte im Alltag, Bayreuth African Studies 28, Bayreuth 1997.

7 H.v. Poschinger (Hrsg.), Bismarck und die Parlamentarier, Band 3, Breslau 1896, S. 54.

8 Zitiert nach: Michael Fröhlich, Imperialismus - Deutsche Kolonial- und Weltpolitik 1880 bis 1914, München 1994, S. 31.

9 In Südwestafrika hatte der Bremer Tabakwarenhändler Adolf Lüderitz (1834 - 1886) bereits 1883 die Bucht von Angra Pequana und weitere Küstengebiete erworben und für diese erfolgreich um Reichsschutz gebeten (Horst Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, 3. Auflage Paderborn 1995, S. 79 f.; Wehler, Bismarck, S. 263).

10 Horst Gründer, "... da und dort ein junges Deutschland gründen”, München 1999, Dokument Nr. 28.

11 Zitiert nach: Conrad Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2 (1887), S. 3 - 53, hier S. 27.

12 Bereits in den siebziger Jahren hatte der Sultan von Zanzibar, Berlin darum gebeten, seine Insel zu einem deutschen Protektorat zu erklären, um britischen Annexionsplänen zuvorzukommen. Diesem Wunsch hatte Bismarck nicht entsprochen, denn der Handel mit der Insel prosperierte und Verwicklungen mit Großbritannien waren unerwünscht (Fröhlich, Imperialismus, S. 39).

13 Thomas Pakenham, The Scramble for Africa, New York 1991, S. 289.

14 A.J.P. Taylor, Germany's First Bid for Colonies 1884 - 1885, New York 1970, S. 85.

15 Wehler, Bismarck, S. 334.

16 Taylor, Bid for Colonies, S. 86.

17 Wehler, Bismarck, S. 334 f.

18 Dieser neue Vertrag sollte die Verträge Zanzibars mit den deutschen Hansestädten aus dem Jahre 1859 ablösen; vgl. Wehler, Bismarck, S. 335.

19 Wehler, Bismarck, S. 335.

20 Wehler, Bismarck, S. 335.

21 Craig beschreibt Peters als "eigentümliche Mischung aus Marktschreier, Patriot und Judenfresser” (Gordon A. Craig, Deutsche Geschichte 1876 . 1945, München 1985, S. 116).

22 Titel der Arbeit: "Willenswelt und Willenswille”; Peters trug sich mit Habilitationsplänen, konnte diese jedoch nicht verwirklichen.

23 Karl Peters, Gesammelte Schriften, Band 1, München 1943, S. 450; L.H. Gann, P. Duignan: The Rulers of German Africa, 1884 - 1914, Stanford 1977, S. 12. Sein erster Schritt in dieser Richtung endete allerdings in einer Farce: Zweimal versuchte er, den Ärmelkanal zu durchschwimmen und mußte jedesmal als ein vor Kälte zitterndes Bündel Mensch aus dem Wasser gefischt werden (Pakenham, The Scramble for Africa, S. 290).

24 Thomas Pakenham beschreibt diese Mitglieder geringschätzig, u.a. seien es "obskure provinzielle Professoren” gewesen, überhaupt "Außenseiter” im Reich, Männer die einen Platz an der Sonne suchten (Pakenham, Scramble for Africa, S. 290). Diese Darstellung übersieht allerdings, daß es bereits vor 1885 eine starke kolonialpolitische Strömung im Reich und das Begehren gab, überseeische Kolonien zu gründen, was bislang jedoch auch am Widerstand Bismarcks scheiterte. Einen guten Überblick über diese Bewegung verschafft Horst Gründer, "...da und dort ein junges Deutschland gründen”, München 1999.

25 Ernst Gerhard Jacob (Hrsg.), Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten. Gedanken und Gestalten aus den letzten fünfzig Jahren, Leipzig 1938, S. 85 - 87; siehe auch Gründer, "... da und dort ein junges Deutschland gründen”, Dokument Nr. 27, S. 89.

26 Pakenham spottet über die GfdK, sie sei erfolgreich darin gewesen, Hoffnungen zu schüren, jedoch nicht darin, Finanzmittel aufzubringen (Pakenham, Scramble for Africa, S. 290).

27 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 86. Peters schien von von übermäßiger Geltungssucht und geradezu manisch übersteigertem Selbst- und Sendungsgefühl getrieben worden zu sein. Hindernisse akzeptierte er nicht, er war gewillt, sein Ziel mit aller Rücksichtslosigkeit zu verfolgen und dabei auch - im wahrsten Sinne des Wortes - über Leichen zu gehen. Wehler bezeichnet ihn daher als "erfolgsarmen, gerichtsnotorisch kriminellen Psychopathen” (Wheler, Bismarck, S. 338).

28 Karl Peters, Gesammelte Schriften Bd. 1, S. 302; Gründer, " ... da und dort ein junges Deutschland gründen”, Dokument Nr. 32, S. 116.

29 Wehler, Bismarck, S. 341.

30 Carl von Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 309 - 397, S. 805 - 956, hier S. 821 f..

31 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 86.

32 zitiert nach Gründer, a.a.O.

33 Robert Adam, Völkerrechtliche Okkupation und deutsches Kolonialstaatsrecht, AöR 19 (1905), S. 193 - 310, hier S. 251.

34 Zitiert nach Wehler, Bismarck, S. 342. Bismarck hatte von Anfang an wenig Zutrauen in Peters Fähigkeiten, und auch Herbert von Bismarck vermochte seine Abneigung für den Abenteurer nicht zu verbergen: "Peters ist ein ganz übler Bursche, mit einem so phantastischen Tölpel muß es ein schlimmes Ende nehmen.” (zitiert nach Wehler, Bismarck, S. 340).

35 Unterzeichnet wurde der Schutzbrief bereits am 17. Februar 1885. Da zu dieser Zeit jedoch noch die Berliner Westafrika-Konferenz tagte, sollte Peters den Schutzbrief bis zu deren Ende am 26. Februar geheimhalten (Pakenham, Scramble for Africa, S. 292).

36 Wehler, Bismarck, S. 346.

37 Conrad Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2 (1887), S.3 - 53, hier S. 28 f.; v. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 823.

38 Heinrich von Kusserow war Fachreferent für koloniale Fragen im Auswärtigen Amt und geradezu kolonialbegeistert; vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 52. Immerhin wurde auf Anordnung des Kaisers nach Erteilung des Schutzbriefes Jühlke einstweilen mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit in den von der Gesellschaft erworbenen Gebieten durch Bismarck betraut und dem Generalkonsul Rohlfs in Zanzibar unterstellt (Stenographische Berichte, II. Session 1885/86, Anlage, Aktenstück Nr. 44).

39 Zitiert nach Wehler, Bismarck, S. 350.

40 Carl Peters, Die Gründung von Deutsch Ost-Afrika, Berlin 1906, S. 86.

41 In der Denkschrift aus dem Jahre 1886 heißt es dazu: "Da dieser Protest einer rechtlichen Grundlage entbehrte, so wurde er im Auftrage des Reichskanzlers durch den Kaiserlichen General-Konsul in Zanzibar zurückgewiesen und gegen jeden beabsichtigten Eingriff auf das deutsche Schutzgebiet Einspruch erhoben.” (Stenographische Berichte, Session 1885/86, Anlagen, Aktenstück Nr. 44).

42 Knorr hatte bereits Unruhen in Kamerun blutig niedergeschlagen.

43 Wehler, Bismarck, S. 346.

44 Pakenham, Scramble for Africa, S. 293; Peters, Gründung von Deutsch Ost-Afrika, S. 87. Zwischenzeitlich war Rohlfs als Generalkonsul in Zanzibar abgelöst worden, da er sich in den Augen Bismarcks als unfähig zeigte, ein freundschaftliches Verhältnis mit dem Sultan herzustellen (vgl. Wehler, Bismarck, S. 349).

45 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 6. Legislaturperiode, II. Session 1885/86, Band 6, Anlagen, Berlin 1886, Aktenstück Nr. 250 (Vertrag und Denkschrift). Stellvertretend für den Kaiser (der gemäß Art. 11 RV seinerseits der völkerrechtliche Vertreter des Reiches war) wurde dieser Vertrag von dem Kommandanten des vor Zanzibar liegenden deutschen Geschwaders, Admiral Knorr unterzeichnet.

46 Wehler, Bismarck, S. 350.

47 Kurz: DOAG; vgl. v. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 897. Die Gesellschaft war zunächst Ende Februar 1885 als offene Handelsgesellschaft gegründet worden, wurde dann zuerst in eine KG umgewandelt und schließlich nach Maßgabe des Preußischen ALR in eine Korporation umgewandelt. Am 27. März 1887 wurden ihr durch Wilhelm I. in seiner Funktion als König von Preußen die Korporationsrechte verliehen (v. Stengel. a.a.O.).

48 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 86. Charter-Gesellschaften üben hoheitliche Rechte aufgrund eines Schutzbriefes ("Royal Charter”) aus, vgl. dazu auch Max Joel, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete vom 17. April 1886 nebst den bisherigen ergänzenden Verordnungen, AnnDR 1887, S. 191 - 229, hier S. 202 ff.

49 Im Folgenden wird die Satzung zitiert nach v. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 897 - 899. Das Statut wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt erarbeitet (Wehler, Bismarck, S. 361).

50 § 41 des Statuts der DOAG

51 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 87.

52 Fröhlich, Imperialismus, S. 52; Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 56; bereits 1884 äußerte Bismarck gegenüber Boetticher, seinem vertrauten Mitarbeiter im Auswärtigen Amt: "Die ganze Kolonialgeschichte ist ja Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen.” Nach 1885 wollte er mit dem "Kolonialschwindel” nichts mehr zu tun haben, sah jedoch keinen Weg mehr zurück zu einem "status quo ante”, sondern blieb bei seiner Erkenntnis, daß der Staatsmann das Staatsschiff allenfalls im Strom lenken, aber nicht gegen den Strom steuern könne (Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 58 und 60).

53 Zitiert nach v. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 825 f.

54 Pakenham, Scramble for Africa, S. 294, S. 312; Berliner Kongo-Akte vom 26. Februar 1885: RGBl. 1885, S. 215 - 246. Mit diesem Arrangement konnten die Briten mit der Abriegelung Ägyptens beginnen.

55 Kirk befürchtete zu recht, daß Peters nach Uganda greifen würde. 1888 wurde Peters von Kolonisten damit beauftragt, unter dem Deckmantel, Emin Pascha zu retten, in Uganda Land zu erwerben. Obgleich das Auswärtige Amt in Berlin den Briten versicherte, daß Peters nicht in offiziellem Auftrag handelte, wurde eine Gegenexpedition unter Frederick Jackson ausgesandt (Pakenham, Scramble for Africa, S. 344). Allerdings gelang es den Briten auch hier, einen für sie ertragreichen Deal mit dem Deutschen Reich abzuschließen: In dem noch von Bismarck vorbereiteten Helgoland-Zanzibar Abkommen verzichtete das Reich 1890 auf Zanzibar, Witu und Uganda, und erhielt dafür Helgoland - "Königreiche für eine Badewanne”, wie Kolonialenthusiasten spotteten (Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S, 57). Als Peters 1889 in Zanzibar landete, um seine Expedition nach Uganda vorzubereiten, ermunterte Bismarck die englische Regierung, notfalls mit Waffengewalt gegen Bismarck vorzugehen.

56 Philipp Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 1, Berlin 1895, S. 568.

57 RGBl. 1886, S. 75. Während durch die am 26. Februar 1885 verabschiedete Kongo-Akte der Erwerb von Kolonien völkerrechtlich ermöglicht wurde, sollte das SchGG die rechtliche Einordnung der Schutzgebiete in das Recht des Deutschen Reiches regeln.

58 Diesen Eindruck konnte der Schutzbrief für die GfdK in der Tat erwecken, wenn es dort u.a. heißt: "(...) so bestätigen wir hiermit, daß Wir diese Oberhoheit angenommen und die betreffenden Gebiete (...) unter Unseren Kaiserlichen Schutz gestellt haben.”

59 Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879, RGBl. 1879, S. 197.

60 Das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit trat im Schutzgebiet der DOAG kraft kaiserlicher Verordnung vom 18. November 1887 erst am 1. Februar 1888 in Kraft (RGBl. 1887, S. 527).

61 Wehler, Bismarck, S. 354.

62 Das gleiche Angebot hatte der Sultan der British East Africa Company für die Häfen in der britischen Interessensphäre gemacht (Wehler, Bismarck, S. 361). Peters war zwischenzeitlich sowohl von der Reichsregierung als auch von der DOAG kaltgestellt worden. Er durfte sich weder in finanzieller Hinsicht betätigen, noch durfte er in Berlin tätig sein.

63 Michahelles ersetzte Otto Arendt, den Nachfolger Rohlfs.

64 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 7. Legislaturperiode, 4. Session 1888/89, Band 4, Erster Anlagenband, Berlin 1889, Aktenstück Nr. 41: Aufstand in Ostafrika, Nr. 1 (Anlage), S. 393 - 395.

65 Stenographische Berichte 1889, a.a.O.

66 Bismarck schien damit einverstanden zu sein. Jedenfalls berief er sich in einem Schreiben an Michahelles, datierend vom 6. Oktober 1888, auf diesen Vertrag (Stenograpische Berichte 1889, Aktenstück Nr. 41, No. 5).

67 Diese wurden vom Sultan gestellt; Pakenham, Scramble for Africa, S. 346.

68 Zu den Ereignissen: Pakenham, Scramble for Africa, S. 347.

69 Stenographische Berichte a.a.O., Aktenstück Nr. 41, No. 2 (S. 395 f.).

70 Stenographische Berichte, a.a.O., S. 395.

71 Pakenham, Scramble for Africa, S. 347.

72 S.M. Schiff "Carola” unter Korvettenkapitän von Raven.

73 Michahelles berichtete nur von einem "Landungstrupp”, jedoch nicht von Soldaten. Auch ist in seinem Schreiben nicht die Rede von Gewaltakten der Deutschen im Haus des Wali. Da Pakenham keine Quellenangabe zu diesen Ereignissen liefert, ist seine Darstellung daher mit Vorsicht zu genießen. Erstaunlich ist immerhin, daß von einem angedrohten Widerstand seitens der Askaris bei Pakenham keine Rede ist.

74 Auch diese Darstellung widerspricht der Beschreibung Michahelles: Die Flagge der DOAG wurde bereits in Gegenwart von Besatzungsmitgliedern der 'Möwe' am 17. August vorgenommen, also zwei Tage vor Ankunft der 'Carola.' Von einem Niederholen der Flagge des Sultans durch deren Besatzungsmitglieder ist bei Michahelles nicht die Rede. Da auch hier eine Quellenangabe bei Pakenham fehlt, ist diese Darstellung ebenfalls mit der gebotenen Vorsicht zu betrachten.

75 Bismarcks erste Reaktion auf die Berichte von dem Aufstand kam spontan: "Die Situation zeigt aufs Klarste, wie notwendig es ist, den Sultan dort zum Bundesgenossen zu haben” (zitiert nach Wehler, Bismarck, S. 362).

76 Schreiben von Generalkonsul Michahelles an Bismarck vom 26. August 1888 (Stenographische Berichte, a.a.O., No. 3).

77 Stenographische Berichte, a.a.O.

78 Stenographische Berichte, a.a.O., No. 5.

79 In einem Schreiben vom 27. August 1888 teilte der Generalkonsul dem Reichskanzler darüber hinaus mit, daß es sonst mit der Verwaltungsübernahme an der Küste keine Schwierigkeiten gab, insbesondere in Dar-es-Salaam hätte sich vor allem die Araber der Autorität der DOAG gebeugt (Stenographische Berichte, a.a.O., No. 4).

80 Das Pulver war für Karawanen bestimmt. Die Vorfälle in der ersten Hälfte des Septembers 1888 beschreibt Generalkonsul Michahelles ausführlich in einem vom 18. September 1888 datierten Brief an Bismarck (Stenographische Berichte, a.a.O., No. 6).

81 Pakenham, Scramble for Africa, S. 347.

82 Pakenham, a.a.O.

83 Stenographische Berichte, a.a.O., No. 6; Pakenham, a.a.O.

84 Stenographische Berichte, a.a.O., No. 6; Dabei, so schreibt Michahelles, hätten die Bewaffneten Bohsen gefragt, von welchem Schiff er komme. Als er auf den Dampfer "Barawa” des Sultans verwies, erwiderten die Bewaffneten, sie würden keinen Sultan Seyyid Khalifa kennen. Von einem Autoritätsverlust des Sultans berichtete auch Michahelles am 4. Oktober 1888: "Der Versuch der Gesellschaft, durch ein Zusammenwirken mit dem Sultan und eine Anlehnung an die arabische Herrschaft sich in dem Küstengebiete festzusetzen, ist gescheitert, weil die Autorität Seyyid Khalifas nicht ausreicht, um das Widerstreben seiner eigenen, in ihren Interessen bedrohten Landsleute niederzuhalten (Stenographische Berichte, a.a.O., No. 14).”

85 Den meisten Agenten der DOAG gelang die Flucht nach Zanzibar, einer beging Selbstmord und einer wurde erschossen. Über letzteren Vorfall berichtete Generalkonsul Michahelles dem Reichskanzler in einem Schreiben vom 25. September 1888 (Stenographische Berichte, a.a.O., No. 12).

86 Wehler, Bismarck, S. 362.

87 In der Tat war der Sklavenhandel, der vor der ostafrikanischen Küste von Arabern betrieben wurde, ein Problem. Deutsche wie auch Engländer konnten die Dhaus der Sklavenhändler nicht aufbringen, da diese unter französischer Flagge fuhren. Diesen Zustand beklagte Michahelles in einem Brief an Bismarck vom 23. September 1888 (Stenographische Berichte, a.a.O., No. 8).

88 So die Beschlüsse der Volksversammlung in Köln (27.10.1888) und in Freiburg im Breisgau (9. November 1888), vgl. Stenographische Berichte, a.a.O., No. 24 und 25.

89 Dieser Blockade schloß sich sogar der Sultan von Zanzibar an. So schreibt Bismarck am 23. Oktober 1888 an die Botschafter in London und Paris u.a.: "Nach einer Meldung des Kaiserlichen Generalkonsuls in Zanzibar hat der Sultan Said Khalifa aus Anlaß der in Ostafrika ausgebrochenen Unruhen ein Verbot erlassen, Waffen und Munition von Zanzibar nach der gegenüberliegenden, im Aufstand befindlichen Küste des Festlandes auszuführen.(...);” Stenographische Berichte, a.a.O., No. 30.

90 Stenographische Berichte, a.a.O., Aktenstück Nr. 71, S. 491 ff.

91 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 56.

92 Gründer, "...da und dort ein junges Deutschland gründen”, Dokument Nr. 28, S. 90 - 92.; Bornhak, Anfänge des Kolonialstaatsrechts, S. 27.

93 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 87.

94 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 307, FN. 125.

95 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 307 f.

96 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 309.

97 Schreiben Wissmanns an Bismarck, datierend vom 27. Dezember 1889 (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 8. Legislaturperiode, 1. Session 1890/91, 1. Anlagenband, Berlin 1890, Aktenstück Nr. 26, No. 38).

98 Freiherr von Soden blieb bis zum 15. September 1893 Gouverneur in Ostafrika.

99 Deutsches Kolonialblatt Band 1, S. 120 ff.

100 Deutsches Kolonialblatt Band 1, S. 307 ff. Frankreich erkannte die Deutsch-Britische Vereinbarung am 17. November 1890 an (Deutsches Kolonialblatt a.a.O., S. 331 ff.). Zu den Besitzungen des Deutschen Reiches in Ostafrika gehörte auch das Wituland, das der Sultan von Witu 1884 an Clemens Denhardt verkauft hatte und von diesem in den Besitz der deutschen Witugesellschaft überging. Diese Gesellschaft wurde am 1. Juli 1890 mit der DOAG verschmolzen. Durch den Staatsvertrag vom 1. Juli 1890 verzichtete das Deutsche Reich zugunsten Großbritannniens auch auf Witu. Als Gegenleistung für Witu und die Insel Zanzibar erhielt das Reich die Insel Helgoland.

101 Conrad Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 3.

102 Robert Adam, Völkerrechtliche Okkupation und deutsches Kolonialstaatsrecht, AöR 19, S. 193 f.

103 1905 gehörten zu den deutschen Schutzgebieten neben Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika noch Togo, Kamerun sowie Kiautschou in China (1897) die pazifischen Kolonien, zu denen wiederum Samoa, Teile Neu-Guineas, der Salomon-Inseln, die Karolinen, die Marshall-Inseln, Nauru und die Palau-Inseln gehörten. Diese wurden seit 1885 erworben.

104 Von Stengel, Kolonialstaatsrecht, S. 333.

105 Adam bezeichnet die Okkupation als Rechtstitel (Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 195).

106 V. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 333 f.

107 Zitiert nach Bornhak, Anfänge des Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 6.

108 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 200, 246.

109 V. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 334. Auch wenn es Meinungen gab, die nur Staaten mit christlicher Tradition als Völkerrechtssubjekte ansahen, wurde von der h.M. das europäische Völkerrecht auch auf die genannten nichtchristlichen Staaten angewendet (v. Stengel, a.a.O., Anm. 1). Das Sultanat von Zanzibar sollte nach der Übereinkunft vom 29.10. und 1.11. 1886 den Signatarmächten der Berliner Kongo-Akte beitreten, was nur möglich war, wenn es als gleichwertiges Völkerrechtssubjekt anerkannt wurde.

110 Vgl. Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 200 f.

111 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 219 f. m.w.N.; ohne nähere Begründung: Joel, AnnDR 87, S. 197

112 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 203 f.

113 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 220 f. Diese Ansicht äußerten bereits 1887 Joel (SchGG, AnnDR 1887, S. 196).

114 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 223.

115 Auf die rechtliche Bedeutung und Funktion des Schutzbriefes wird noch einzugehen sein.

116 V. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 334.

117 Die Problematik des bewohnten, aber völkerrechtlich herrenlosen Gebietes wurde während der Berliner Afrika-Konferenz vom Winter 1884/85 intensiv beraten.. Der amerikanische Gesandte John Kasson sprach sich für eine Souveränität der afrikanischen Häuptlinge aus. Am 31. Januar 1885 äußerte die überwiegende Mehrheit der Konferenzmächte jedoch: "Das Gebiet uncivilisierter, in die Rechtsgemeinschaft der civilisierten Staaten nicht aufgenommener Völkerschaften, ist völkerrechtlich staatenlos.”; zitiert nach Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S,. 243.

118 Ziffer 6 der Deutsch-Britischen Übereinkunft vom 29.10./1.11.1886, v. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 826.

119 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 198 f.

120 Schwörbel, staats- und völkerrechtliche Stellung, S. 13.

121 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 227. Nach Adam (S. 228 f.) ist ein einseitiger völkerrechtlicher Erwerb nicht nur bei völlig unbewohntem Gebiet möglich, sondern auch von Gebieten, die von "uncivilisierten Volksstämmen bewohnt sind.” Adam erteilt Autoren eine Absage, die auch hier Verträge für erforderlich halten und begründet dies wie folgt: "Diese Anschauung berücksichtigt nicht die Thatsache, dass Wilde auf einer so niedrigen Gesittungsstufe stehen können, dass sie sich noch gar nicht zum Stamm- oder blossen Dorfverbande zusammengeschlossen haben. Es fehlt ein Vertretungsorgan, welches für derartige Völkerschaften die zur Rechtmässigkeit der Besitzergreifung angeblich erforderliche Einwilligung geben könnte. Für solche bewohnte Territorien kann die Möglichkeit einseitigen völkerrechtlichen Erwerbs nicht bestritten werden."

122 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 240 - 246.

123 Vgl. Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 248.

124 Adam, völkerrechtliche Okkupation, AöR 19. S. 245 f.

125 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 251, 259.

126 Schwörbel, staats- und völkerrechtliche Stellung, S. 13.

127 Carl von Stengel, Die deutschen Schutzgebiete, ihre rechtliche Stellung, Verfassung und Verwaltung, AnnDR 1889, S. 1 - 211, hier S. 41 f.

128 Schwörbel, staats- und völkerrechtliche Stellung, S. 14 f.; Carl v. Stengel, Die deutschen Schutzgebiete, ihre rechtliche Stellung, Verfassung und Verwaltung, AnnDR 1895, S. 493 ff., hier S. 586.

129 Lentner, Das internationale Kolonialrecht im 19. Jahrhundert, Wien 1886, S. 49.

130 V. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 821 f.

131 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 250.

132 Neben dem Aufstand der Küstenleute in Ostafrika gab es weitere Aufstände, mit denen das Reich bis 1914 zu kämpfen hatte, darunter der Maji-Maji-Aufstand in Ostafrika (1905), der Herero-Aufstand in Südwestafrika (1904) und der Boxeraufstand in China (1900), der sich gegen alle Kolonialmächte in China richtete und Anlaß der "Hunnenrede” Wilhelms II. war (vgl. Gründer, "... da und dort ein junges Deutschland gründen”, Dokument Nr. 52).

133 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, S. 252.

134 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, S. 266.

135 Carl Peters, Gesammelte Schriften, Band 1, S. 302.

136 RGBl. 1885, S. 215 - 246. Staatsrechtlich folgte die Berechtigung des Reiches zur Vornahme der Okkupation aus Art. 4 RV: "Der Beaufsichtigung seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: 1. die Bestimmungen über (...) Kolonisation und Auswanderung nach außerdeutschen Ländern.” Von seiner Gesetzgebungskompetenz machte das Reich durch Verabschiedung des SchGG am 17. April 1886 Gebrauch. Vorgenommen werden Okkupationen für das Reich durch den Kaiser, der nach Art. 11 RV das Reich völkerrechtlich vertritt. In der Praxis erfolgte dies beispielsweise durch die Erteilung des Schutzbriefes an die GfdK im Februar 1885.

137 Beide Artikel gehörten zu Kapitel 6 der Kongo Akte, dessen Überschrift lautete: "Erklärung, betreffend die wesentlichen Bedingungen, welche zu erfüllen sind, damit neue Besitzergreifungen an den Küsten des afrikanischen Festlandes als effektive betrachtet werden.”

138 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, S. 269.

139 Pakenham, Scramble for Africa, S. 284. Pakenham datiert das Telegramm irrtümlich auf den 3. März 1885.

140 Max Joel (SchGG, AnnDR 1887, S. 195 f.) räumt diesen Gebieten sogar Staatscharakter ein.

141 Joel, SchGG, AnnDR 1887, S. 203.

142 Der Wortlaut beider Schutzbriefe findet sich bei Bornhak, Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 28 -32.

143 Joel, SchGG, AnnDR 1887, S. 205.

144 V. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 878. Unmittelbar durch das Reich verwaltet wurden 1887 Südwestafrika, Togo und Kamerun. Durch Gesellschaften wurden Ostafrika und das "Kaiser-Wilhelm-Land” (Neuguinea) mit dem "Bismarck-Archipel.” Zu den Schutzgebieten zählte man auch Witu und die Marshall-Inseln, doch gab es hier 1887 noch keine Verwaltung.

145 V. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, a.a.O.

146 So heißt es in dem Schutzbrief vom 27. Februar 1885: "Wir verleihen der besagten Gesellschaft (...) die Befugniß zur Ausübung aller aus den Uns vorgelegten Verträgen fließenden Rechte (...)”

147 V. Stengel vergleicht die Kolonialgesellschaften mit einer Privateisenbahngesellschaft, die einerseits das Ziel verfolgt, Erwerb zu erwirtschaften, andererseits aber öffentlichrechtliche Aufgaben wahrnimmt, indem sie beispielsweise dem öffentlichen Erwerb dient (Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 880). Für v. Stengel stellte sich ein weiteres interessantes rechtliches Problem: Kolonialgesellschaften übten als quasi-Selbstverwaltungskörperschaften Herrschaftsrechte des Reiches in den Schutzgebieten aus, hatten ihren Sitz aber regelmäßig im Reich. So stellte sich die Frage, inwiefern sich eine in Berlin residierende Aktiengesellschaft eine Beaufsichtigung innerer Verhältnisse gefallen lassen muß, welche nach dem Standpunkt der Kolonialverwaltung und des SchGG gerechtfertigt waren (Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 881); daher ordnete Bismarck gegenüber v. Wissmann 1889 an, daß er sich nicht in die wirtschaftlichen Angelegenheiten der DOAG einzumischen habe (Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 308).

148 Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 21 ff, 27 f.. Bornhak beruft sich dabei auf die englische Unterscheidung zwischen "Crown-colonies” und "Charter-colonies.”

149 Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 34.

150 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 308.

151 Bereits am 1. Januar 1891 wurde die DOAG ihrer öffentlich-rechtlichen Stellung entkleidet, übte jedoch in begrenztem Umfang noch bis zum 1. April 1903 Hoheitsrechte aus; vgl. Münstermann, Rechtsstellung des Kaisers, S. 15. Für die Auffassung Bornhaks, v. Stengels und Adams sprach auch die Rede, die Bismarck am 26. Juni 1884 vor dem Reichstag hielt: dort war zwar von einer Souveränität der Unternehmer in Schutzgebieten die Rede, diese sollte jedoch dem Reich lehnbar bleiben.

152 So sagte Bismarck u.a.: "Bei diesem System überlassen wir dem Handel (...) die Wahl, und wenn wir sehen, daß der Baum Wurzel schlägt, anwächst und gedeiht und den Schutz des Reiches anruft, so stehen wir ihm bei (...)”; vgl. Gründer, "da und dort ein junges Deutschland gründen”, Dokument Nr. 28; vgl. auch Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 27.

153 Schwörbel, Staats- und völkerrechtliche Stellung, S. 18.

154 Joel, SchGG, AnnDR 1887, S. 196.

155 V. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 329.

156 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 4, 1969, S. 627.

157 Artt. 10 - 12 der Kongo-Akte, RGBl. 1885, S. 215, hier S. 227 - 229. Die Briten, die zu den Signatarmächten gehörten, bewiesen bei Ausbruch des 1. Weltkrieges einmal mehr, daß Papier geduldig ist, und behandelten die deutschen Kolonien in Afrika kriegsrechtlich als Bestandteile des Deutschen Reiches. Allerdings hielt sich das Reich zu Beginn des Krieges ebenfalls nicht an Neutralitätsabkommen, als es bei Eröffnung der Westfront seine Truppen durch das neutrale Belgien schickte.

158 RGBl. 1886, S. 75.

159 Anders wurde bei Elsaß-Lothringen und Helgoland verfahren: Beide Gebiete wurden durch Verfassungsänderung 1873 bzw. 1890 in das Reichsgebiet integriert.

160 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 2, München 1992, S. 351 - 352.

161 Georg Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, 4. Auflage, Leipzig 1895, S. 191. Das Lehrbuch wurde nach dem Tode Meyers im Jahre 1900 von Gerhard Anschütz (1867 - 1948) fortgeführt. Zum Wirken Anschütz' vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 352 - 354.

162 Adolf Arndt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Berlin 1901, S. 762.

163 Nach Art. 2 RV übte das Reich innerhalb des in Art. 1 RV bezeichneten Bundesgebietes das Gesetzgebungsrecht aus.

164 Arndt beruft sich auf § 6 SchGG in der Fassung von 1888 (RGBl. 1888, S. 75); Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit: RGBl. 1870, S. 355; Gesetz über die Beseitigung der Doppelbesteuerung: RGBl. 1870, S. 119.

165 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, S. 627. Bornhak (Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 13) sah nicht das Reich, sondern nur den Kaiser als Souverän in den Schutzgebieten an. Für Bornhak waren die Schutzgebiete staatsrechtlich Ausland, dem Ausland gegenüber aber war nur der Kaiser lt. Art. 11 RV Vertreter der Reichssouveränität. Allerdings vertrat Bornhak hinsichtlich der Stellung des Kaisers im Reich eine Mindermeinung: während die h.M. die Rolle des Kaisers als Bundespräsidium verstand, sah Bornhak ihn als souveränen Monarchen (vgl. auch Conrad Bornhak, Die verfassungsrechtliche Stellung des deutschen Kaisertums, AöR 8 (1893), S. 425 - 479.

166 Zorn gab gemeinsam mit Franz Josef Sassen eine Sammlung deutscher Kolonialgesetze heraus: Deutsche Kolonialgesetzgebung, Textausgabe mit Anmerkungen und Sachregister, 2. Auflage 1913, Guttentagsche Sammlung deutscher Reichsgesetze Nr. 49.

167 Philipp Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 1, Berlin 1895, S. 577 - 581.

168 Philpp Zorn, Das deutsche Reichsstaatsrecht, Band 1: Die deutsche Reichsverfassung (= Wissenschaft und Bildung Band 10), 2. Auflage Leipzig 1913, S. 103.

169 Schwörbel, Staats- und völkerrechtliche Stellung, S. 22 f., m.w.N. Der gleichen Auffassung waren Karl Münstermann (Rechtsstellung des Kaisers, S. 17) und Franz Josef Sassen (Das Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht in den deutschen Kolonien, Diss. Erlangen 1909, S. 14).

170 Sassen, Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht, S. 13.; v. Stengel, Deutsches Kolonialstaatsrecht, AnnDR 1887, S. 861.

171 Zu dieser Frage umfassend: Münstermann, Rechtsstellung des deutschen Kaisers, S. 18 - 40.

172 Bornhak, Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 15.

173 Bornhak räumte dem Kaiser jedoch, entgegen der h.M., die Stellung eines souveränen Monarchen ein, vgl. FN. 154.

174 Sassen, Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht, S. 18 m.w.N.

175 Sassen, Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht, S. 21; Münstermann, Rechtsstellung des Kaisers, S. 28.

176 Münstermann, Rechtsstellung des Kaisers, S. 22.

177 Zitiert nach Sassen, Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht, S. 21 f.

178 Sassen, Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht, S. 23; Münstermann, Rechtsstellung des Kaisers, S. 39 f., 43.

179 Münstermann, Rechtsstellung des Kaisers, S. 44.

180 Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, AöR 2, S. 10 und 15.

181 Münstermann, Rechtsstellung des Kaisers, S. 46. Gegen die Auffassung Bornhaks spreche auch der Umstand, daß die Rechtsstellung des Kaisers in den Schutzgebieten durch einfaches Gesetz begründet sei und ihm auch wieder durch einfaches Gesetz entzogen werden könne (S. 47).

182 Daher auch der Gebrauch des Begriffs "Schutzgebiet" anstelle von "Kolonie"

183 Adam, Völkerrechtliche Okkupation, AöR 19, S. 310.

184 So stellen sich beispielsweise die Gottes- und Landfrieden des 11. und 12. Jahrhunderts nach überwiegender Ansicht als Reaktion mittelalterlicher Herrschaftsträger auf ausufernde Gewalt im Rahmen von Fehden dar. Vgl. Klaus Richter, Barbarossa hält Gericht, Köln u.a. 1999.; Elmar Wadle, Der Ewige Landfriede, von 1495 und das Ende der mittelalterlichen Friedensbewegung, in: 1495 - Kaiser Reich Reformen: Der Reichstag zu Worms, Koblenz 1995, S. 71 - 80.

 

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