Katalin Gönczi

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Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne


Der Wissenstransfer zwischen Deutschland und Ungarn und die Umgestaltung des ungarischen Rechts im 19. Jahrhundert

 

Zusammenfassung

Im April 2003 wurde ein wichtiger Zwischenschritt jenes langjährigen Prozesses besiegelt, der die Transformationsländer im östlichen Mitteleuropa seit einem guten Jahrzehnt begleitete - die juristische Neukonstruktion des alten Europa. Es hatte unverkennbar Symbolcharakter, dass das diplomatische Ereignis in der Nähe der Akropolis stattfand, denn dabei wurde auch die western legal tradition mit den Traditionen Ostmitteleuropas vereinigt. Das neue Staatengefüge kann auch in juristischer Hinsicht auf historische Vorbilder zurückblicken - wenn man auf die Wasserscheiden der europäischen Rechtsentwicklung schaut.
Bekanntlich galt vor dem Zeitalter der nationalen Identitätsfindung, also dem 19. Jahrhundert, im okzidentalen Europa das ius commune, das auf römischen und kanonischen Rechtsgrundlagen beruhte. Auch im 19. Jahrhundert brachen innerhalb des europäischen Rechtssystems die Verbindungen trotz der Nationalisierung nicht abrupt ab, sondern es bildete sich ein feingesponnenes Netzwerk der rechtswissenschaftlichen Kommunikation, das den juristischen Wissens-transfer zwischen den europäischen Staaten förderte.

In dem Artikel werden die Auswirkungen dieser rechtswissenschaftlichen Kommunikation auf die Modernisierung des ungarischen Rechts erörtert. Nach einem Überblick zur Forschungslage und nach einigen methodischen Überlegungen wird der Wissenstransfer in vier Etappen der ungarischen Geschichte analysiert: Während der Aufklärung (1770-1795), im Vormärz, während des Neoabsolutismus (1849-1861-1867) und im Dualismus (1867-1918). In diesen Perioden wird also den wichtigsten Verbindungslinien samt den liaisonmen und den Empfängerstrukturen (Kodifikationsausschüsse, Zeitschriftenredaktionen, Ungarische Akademie der Wissenschaften und Juristenvereinigungen) nachgegangen, damit die Geschichte der ungarischen Rechtswissenschaft anstatt der bisherigen vorrangig dogmengeschichtlich orientierten Arbeiten einen auch sozialhistorisch fundierten Ansatz erhält.

Dadurch wird sichtbar, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts die Grundsteine jenes Rechtsystems gelegt wurden, die sogar während des Untergangs der verfassungsrechtlichen Garantien eines Rechtsstaates unter der Herrschaft der nationalistischen und kommunistischen Ideologien nicht zerstört wurden. Auf diese Bausteine wurde dann zurückgegriffen, als die Rechtssysteme in Ostmitteleuropa in den Transformationsländern neuformuliert wurden, so dass die historischen Erkenntnisse auch an der Jahrtausendwende von besonderer Bedeutung sind.

 

On the brink of tradition and modernity

The transfer of legal ideas between Germany and Hungary and the reshaping of the Hungarian legal system in the 19th century

 

Abstract

In April 2003 there has been an important step taken in that longlasting process, which had dominated the development of east-central European states of transition for about a decade - the reshaping of the Ancient Europe in juristic sense. The diplomatic event, which had taken place in the surrounding of the Acropolis, was obviously symbolic, because at that historic place the western legal tradition has been united with the legal tradition of Eastern Europe. But the newly constructed constitutional unity is not unknown, there have already been historical models in legal sense, if one takes a look at the watersheds of the legal development in Europe.

It is a common knowledge, that before the age of nationbuilding in the 19th century, the Roman an Canonic law based ius commune was acknowledged by the courts through Europe. In the 19th century this legal community did not came to an end abruptly, instead of the ius commune a finely spun net of communication of scholars has been built up. That was the way, how legal knowledge was transferred between the European legal systems.

This article focuses on the impacts of this scientific communication on the modernisation of Hungarian law. After reviewing the stand of the research and some methodological issues, the transfer of legal ideas is discussed in four stages: during the age of the enlightment (1770-1795), in the Age of Reform (1825-1848), during the Absolutism (1849-1861-1867) and in the Age of Dualism (1867-1918). The most important lines of exchange, the so-called liaisonmen and the recipients (commissions of codification, board of editors of periodicals, the Hungarian Academy of Sciences and the professional associations of lawyers) are outlined in these four periods, in order to replace the former Dogmengeschichte-oriented topics by theses based on Sozialgeschichte.

In this paper the way of the establishment of a 19th century- legal system is shown, which could not have been destroyed basically, when constitutional guarantees of the due process had been perished by the nationalistic and communist ideology. In the age of the reconstruction of those guarantees in the east central European states of transition, these elements had been referred to, so that at the dawn of the new year thousand the historic cognitions are of novel importance.