Artikel vom 12. August 2004 © 2004 fhi Erstveröffentlichung |
Zitiervorschlag
/ Citation:
http://www.forhistiur.de/zitat/0408fischer.htm |
Carsten Fischer:
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I. Einleitung |
Die Täuferherrrschaft1 in Münster vom Februar 1534 bis zum Juni 1535 stellte den Höhepunkt der religiösen Auseinandersetzungen im Westfalen der Reformationszeit dar. Ihr Ende bedeutete das Scheitern der Reformation in dieser Region: Münster wurde wieder katholisch. | 1 |
Die 1534/35 dort stattfindenden religiösen Umwälzungen hatten grundlegende rechtliche Umgestaltungen zur Folge: Münster erlebte die Entwicklung von einer Bischofsstadt mit Ratsverfassung zu einer theokratischen Monarchie, dem "Neuen Jerusalem" auf westfälischem Boden. Die grundsätzliche Trennung von Stadtverfassung und Religion wurde aufgehoben, die Verklammerung von Revolution, Religion, Theologie und Recht durch die Bibel in ihrer Auslegung durch die Täufer begann. Ziel der militärischen wie rechtlichen Maßnahmen der Täufer war die Verwirklichung der "Gemeinde Christi", einer von Andersgläubigen streng abgeschirmten Gemeinschaft von Rechtgläubigen in Erwartung der Wiederkehr Christi und des Beginns seines Tausendjährigen Reiches auf Erden. Das täuferische Münster wurde eine gelebte Umsetzung der chiliastischen Deutung der Apokalypse (20,1-6) des Johannes. | 2 |
Als im Juni 1535 Münster nach sechzehnmonatiger Belagerung durch Fürstbischof Franz von Waldeck und seine Verbündeten fiel, ging das täuferische Utopia in einem Blutbad unter. Und mit ihm endete der erste und einzige ernstzunehmende Versuch einer großen Stadtgemeinde, selbstbestimmt abseits von Luther und Zwingli einen radikal-reformatorischen Kurs einzuschlagen. | 3 |
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die wichtigsten rechtlichen Entwicklungen Münsters unter der Herrschaft der Täufer in ihrer chronologischen Reihenfolge darzustellen. Dabei sollen sie in den jeweiligen theologischen und geschichtlichen Zusammenhang eingeordnet und zu Grunde liegende Tendenzen aufgezeigt werden. Den Untersuchungen zu Recht und Verfassung des täuferischen Münster (III.) geht dabei eine einführende Schilderung der Reformation im Reich und in Münster voraus (II.). | 4 |
II. Voraussetzung und Rahmen täuferischen Wirkens: Die Reformation |
Die rechtlichen Entwicklungen Münsters in den Jahren 1534/352 waren in das reichsweite Geschehen der Reformation eingebettet. Dessen Kenntnis ist deshalb zum Verständnis der münsterischen Rechtsgeschichte unerlässlich. Ereignisgeschichte und Personen werden daher - in gebotener Kürze - im Folgenden dargestellt. | 5 |
1. Die Situation im Reich |
Prägend für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts und bestimmend für die Ereignisse in Münster war die hauptsächlich durch Dr. Martin Luther (Wittenberg) und Huldrych Zwingli (Zürich) initiierte Reformation. Die Hinterfragung abendländischer theologischer Grundsätze, gepaart mit ökonomischen Krisen, sozialer Unzufriedenheit und weitgehender Zersplitterung der politischen Landschaft im Deutschen Reich, sowie dem Dualismus zwischen geistlicher und weltlicher Macht, schufen ein Klima der Unruhe und Aufbruchstimmung. Die lauffeuerartige Verbreitung der lutherischen Lehre zeigt die breite Zustimmung weiter Reichsteile zu der Kritik aus Wittenberg an bestehenden kirchlichen und theologischen Missständen. Luther zielte auf eine Besserung einzelner reformierungsbedürftiger Umstände, wehrte sich jedoch zunächst gegen eine Kirchenspaltung. Aber die von ihm und Zwingli angestoßene Bewegung entwickelte eine kaum zu kontrollierende Eigendynamik, die z.B. auch zum Bauernkrieg (1524-26) führte3. | 6 |
Rasch bildeten sich innerhalb der Reformation verschiedene theologische Richtungen aus, die in ihrer Kritik am Bestehenden unterschiedlich weit gingen4. In diesem Zusammenhang sind die Täufergruppierungen zu sehen. Ihre Überzeugungen entfernten sich weiter von der etablierten Lehrmeinung als die der gemäßigteren Reformatoren Luther und Zwingli. Dadurch gerieten sie alsbald reichsweit zwischen Hammer und Amboss: Die Altgläubigen lehnten die Täuferlehren ohnehin als Ketzerei ab, die gemäßigten Reformationskräfte distanzierten sich von ihnen, um - jenseits der theologischen Debatte - ihre seit dem Wormser Edikt von 1521 auch offiziell als Ketzerei verbotene Sache nicht weiter zu gefährden. Ihnen war es darüber hinaus wohl nicht nur darum zu tun, eine drohende Zersplitterung der Reformation zu vermeiden. Vielmehr konnten sich die Lutheraner und andere in ihrer Abgrenzung zu den täuferischen Gruppierungen dem katholischen Lager als das kleinere Übel darstellen und diesem zumindest teilweise die Angst vor einer durch die Reformation drohenden uferlosen Verwerfung der gegenwärtigen Ordnung nehmen5. So einigten sich die Vertreter der alten Ordnung und der Reformation am 25. April 1529 auf dem Reichstag zu Speyer darauf, fortan die Täuferlehren unter Androhung der Todesstrafe zu verbieten6. | 7 |
Nachdem es den Täufern gelungen war, in Münster die Macht zu ergreifen, kamen weitere Gründe für ein Eingreifen sowohl der Altgläubigen wie der Reformationsanhänger hinzu7: Die Machthaber beider Seiten - geistliche und weltliche Herrscher auf der katholischen, die weltlichen Landesherren auf der evangelischen - mussten eine Bedrohung ihrer Position durch eine Ausbreitung des Täufertums fürchten. Das Beispiel Münsters hatte nur allzu deutlich gezeigt, dass die Reformation durchaus einen anderen Weg gehen konnte, als den in den meisten deutschen Städten eingeschlagenen, wo Konfessionsstreitigkeiten oder ein Übertritt zum anderen Glauben überwiegend im Rahmen der durch die Stadtverfassung geregelten Konfliktlösungsmechanismen vonstatten gingen8. Zwar war auch in Münster die Täuferpartei legal an die Macht gelangt9. Allerdings war der Stadtherr, Fürstbischof Franz von Waldeck, an diesem Vorgang nicht - wie noch kurze Zeit zuvor bei der Einführung der Reformation (Erster Vertrag von Dülmen, 152610) - beteiligt gewesen. Zudem waren die Verwüstungen des Bauernkriegs jedermann noch in guter Erinnerung. An einer Begrenzung sozialrevolutionären Potentials und damit an einer Eindämmung der radikalen Flügel der Reformation, zu denen auch die Täufer gehörten, war demnach allen Fürsten gelegen. Die Errichtung des "Neuen Jerusalem" in Münster, das theoretisch keine Rücksicht auf weltliche Herrschaft nahm, sondern ganz in Erwartung des "Tausendjährigen Reichs" lebte, musste demnach von den Vertretern der bestehenden Ordnung im Reich als Kampfansage verstanden werden. Und die Fürsten nahmen - wenn auch nach einigem Zaudern - diesen Kampf auf. | 8 |
2. Die Situation in Münster11 |
Nachdem es bereits 1525 erste reformatorische Unruhen in Münster gegeben hatte12 begann 1531 Bernhard Rothmann, Kaplan in der Stiftskirche St. Mauritz vor der Stadt, die Reformation zu predigen. Rothmanns Lehre fand in Münster rasch Anhänger, so dass er am 23. Februar 1532 Pastor der Hauptkirche St. Lamberti werden konnte und darüber hinaus im Sommer 1532 alle Stadtkirchen mit evangelischen Predigern besetzt wurden. Im selben Jahr kam es zum Konflikt zwischen Fürstbischof Franz von Waldeck und der Domstadt über die Rücknahme der durch Rothmann eingeführten reformatorischen Neuerungen. Dieser Streit wurde im Februar 1533 durch den Zweiten Dülmener Vertrag13 beigelegt, an dessen Abschluss maßgeblich Philipp, Landgraf von Hessen und zugleich einer der Wortführer der protestantischen Fraktion im Reich, beteiligt war. Resultat war ein Teilsieg der Reformation: Münster erhielt die Erlaubnis, in allen Pfarrkirchen evangelisch zu predigen. Die Gottesdienste in Dom und Klöstern hingegen blieben katholisch. | 9 |
Rothmanns theologische Position veränderte sich allerdings in der Folgezeit unter dem Einfluss niederländischer Melchioriten14. Er lehnte schließlich die Kindertaufe ab und befürwortete eine Bekenntnistaufe Erwachsener. Dem Richtungswechsel Rothmanns folgten auch viele Münsteraner, so dass es im Januar 1534 zu Massentaufen erwachsener Bürger kam. Mit der Ankunft melchioritischer Prediger im selben Monat, unter ihnen Jan Bockelson aus Leiden, genannt Jan van Leiden, erhielt der Radikalisierungsprozess weiteren Schwung. Van Leiden, der sich selbst für einen Propheten hielt, und Rothmann gewannen mehr und mehr Bürger für die Täuferbewegung, es kam zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Altgläubigen, Lutheranern und Täufern. Einig waren sich jedoch die Protestanten und die Täufer darin, dass sie sich jegliche Einmischung des Fürstbischofs in diese Angelegenheit verbaten: Die Täufer fürchteten ihre Verfolgung, die Protestanten eine Gegenreformation im Zuge der Täuferbekämpfung und somit den Verlust der durch den Zweiten Dülmener Vertrag gewonnenen Freiheiten. Befürworteten die Katholiken eingangs ein Eingreifen des Bischofs, so ließen auch sie sich schließlich nach Verhandlungen mit den beiden anderen Gruppen von der Gefahr des Verlustes städtischer Freiheiten und der unterschiedslosen Bestrafung aller Einwohner durch Franz von Waldeck überzeugen15. Während des deshalb vereinbarten Burgfriedens gelang es den Täufern, in der Ratswahl am 23. Februar 1534 die Mehrheit der Ratssitze zu erlangen. Tatsächlich war die Macht dem Rat jedoch faktisch bereits größtenteils entglitten und auf den Mitte Februar in Münster eingetroffenen Propheten Jan Matthijs, einen Bäcker aus Haarlem in den Niederlanden, und - in geringerem Maße - den eloquenten Theologen Bernhard Rothmann übergegangen. Noch vor der Ratswahl ordnete Franz von Waldeck Maßnahmen zur Vorbereitung einer Belagerung an. Am 23. Februar 1534 ließ er sein Hauptquartier in Telgte einrichten und begann, die Stadt einzuschließen. Die Belagerung hatte damit begonnen. Da die Herrschaftszeit der Täufer fast deckungsgleich war mit der Belagerungszeit, ist die religiöse und rechtliche Entwicklung, die Münster in dieser Zeit nahm, vor dem Hintergrund der durch die Belagerung ausgelösten Zwangslage zu sehen. | 10 |
III. Recht und Verfassung des täuferischen Münster |
Die Herrschaft der Täufer lässt sich zeitlich und sachlich in drei Phasen unterteilen. Die erste, gekennzeichnet durch das Nebeneinander von gewähltem Rat und selbsternanntem Propheten, endete mit dem Tod des Jan Matthijs bei einem Ausfall aus der Stadt am 5. April 1534. Hieran schloss sich der Aufstieg des Jan Bockelson aus Leiden an. Der niederländische Täufer nahm Matthijs' Position ein, beseitigte die Ratsverfassung und führte eine Ältestenverfassung ein. Anfang September 1534 begann die dritte Phase, als Jan van Leiden noch einen Schritt weiter ging und sich zum König von Münster, dem "Neuen Jerusalem", ausrufen ließ. Gleichzeitig schaffte er auch die Ältestenverfassung wieder ab. Mit der Erstürmung Münsters am 25. Juni 1535 durch die Truppen Franz von Waldecks und seiner Verbündeten fanden das Königtum Jan van Leidens und die Herrschaft der Täufer ihr Ende. | 11 |
1. Die Errichtung des Neuen Jerusalem: Von der Ratswahl bis zum Tod des Propheten Jan Matthijs (Februar - April 1534) |
a) Münsters innerstädtische Verfassungssituation vor der Ratswahl |
Zu Beginn des Jahres 1534 lag die politische Macht innerhalb Münsters in den Händen zweier Institutionen16: Gesetzgebungs- und Exekutivorgan war der Rat. Seine 24 Mitglieder wurden einmal jährlich von 10 Wahlmännern, den "Koergenoten" (Kurgenossen) gewählt. Die Kurgenossen wiederum wurden von den Bürgern der 6 Leischaften (Bezirke) der Stadt aus ihrer Mitte bestimmt. | 12 |
Das zweite Zentrum politischer Willensbildung lag in der Gesamtgilde, dem Zusammenschluss der 17 Einzelgilden der Stadt. Jede dieser Einzelgilden bestimmte zwei "Mesterlude" (Gildemeister) und diese 34 Gildemeister wiederum wählten zwei "Olderlude", die Sprecher und Vertretungsorgane der Gesamtgilde. Über diese Olderlude partizipierte die Gesamtgilde an den Entscheidungen des Rats. So hatten sie z.B. Mitsprache- und Vetorechte und mussten vor der Verhaftung eines Gildemitglieds angehört werden. Dabei verstand sich die Gesamtgilde nicht nur als Vertretungsorgan der Gildebrüder, sondern vielmehr auch als Sprachrohr der "Gemeinheit", d. h. aller Gildenbürger und nicht-gildenfähigen Bürger17. | 13 |
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Münsters Stadtverfassung den männlichen, mit Bürgerrechten versehenen Einwohnern (sog. "gude lude") die Beteiligung an der Stadtpolitik in mehreren Formen und auf unterschiedlichen Ebenen der mittelbaren Demokratie erlaubte: Über die Wahl der Koergenoten, bei den Gildebrüdern zusätzlich über die Wahl von Mester- und Olderluden, und schließlich für die Gemeinheit die Möglichkeit, auf Entscheidungen des Rats über die Gesamtgilde Einfluss zu nehmen. | 14 |
b) Rat und Propheten |
In den regulär anstehenden Ratswahlen am 23. Februar 1534 gewannen Sympathisanten der Täufer die Mehrheit der Ratssitze18. Die Täufer hatten sich demnach im Rahmen der Stadtverfassung, also auf legalem Wege, durchgesetzt. Allerdings blieb es nicht allein bei diesem Wahlerfolg. Die Verfassung wurde umgestaltet. Zwar wurden die bisherigen Strukturen nicht angetastet, doch kam ein neues, das weitere Geschehen prägendes Element hinzu: das Prophetenamt. Hatte Jan Matthijs bei seiner Rede am 24. Februar vor der Bürgermeisterwahl19 in seiner Funktion als Prediger noch außerhalb der Verfassungsstrukturen gestanden, so gelang ihm jetzt die stille Institutionalisierung des Prophetenamts. Neben die bisherigen politischen Einrichtungen traten also die Propheten. Der erste Schritt zur Verquickung von Theologie und Recht war damit getan: Legitimation für das Propheten-Amt war nunmehr allein das göttliche Berufensein, oder vielmehr die Überzeugung der Gläubigen hiervon. Die Wahl politischer Entscheidungsträger wurde durch Akklamation ersetzt, der Wahlvorgang entfiel mithin. An die Stelle demokratischer Legitimation zur Machtausübung trat theologische Überzeugungskraft20. Erwartungsgemäß kam es in der Folgezeit zu ersten Kompetenzkonflikten zwischen dem Rat und den Propheten Matthijs und van Leiden. Zwischen Ende Februar und Mitte März21 hatte der Schmied Hubert Rüscher ersteren öffentlich kritisiert22. Daraufhin sprachen die beiden Propheten sowie die täuferischen Prädikanten auf dem Domplatz vor der versammelten Wehrgemeinde und in Anwesenheit Rüschers das Todesurteil über diesen aus mit der Begründung, der Schmied habe mit seiner Kritik am gottgesandten Propheten Gotteslästerung getrieben und dadurch Gottes Zorn erregt. Er müsse nun als "Unreiner" aus der Gemeinde des heiligen Volkes getilgt werden23. Anschließend vollstreckte Matthijs eigenhändig das Urteil24. Bemerkenswert an diesem Vorgang ist nicht allein die radikale Brutalität des Propheten, sondern auch dass das Einschreiten der Stadtorgane die Hinrichtung nicht hatte verhindern können. Weder Bürgermeister noch Olderlude25 hatten der Anmaßung von Gerichtsgewalt durch die Propheten etwas entgegen zu setzen. Darüber hinaus richteten sich ihre Einwände auch gar nicht gegen das Strafmaß, sondern vielmehr gegen das Verfahren. Ihrer Meinung nach hätte Rüscher von einem öffentlichen Stadtgericht verurteilt werden müssen. Auch ein ausbleibendes nachträgliches scharfes Vorgehen gegen die Propheten macht klar, dass sich die Machtverhältnisse in der Stadt innerhalb kürzester Zeit entgegen der Verfassung faktisch zu ihren Gunsten verschoben hatten26. Dafür spricht ebenfalls, dass die von Matthijs am 24. Februar 1534 gepredigte Austreibung der Taufunwilligen27 am 27. Februar durch eine Anordnung des Rats verwirklicht wurde. Hiernach hatten die noch immer Ungetauften sich entweder einer Taufe zu unterziehen oder umgehend die Stadt zu verlassen28. Der neu gewählte Rat gab damit die am 30. Januar und 11. Februar 1534 von seinen Vorgängern gegebene Zusicherung religiöser Toleranz auf, und folgte in seiner politischen Handlungsweise dem theologischen Ansinnen Matthijs' nach29. | 15 |
c) Gütergemeinschaft |
Nach der Institutionalisierung des Prophetenamtes und der Gleichschaltung von Stadtgemeinde und religiöser (Täufer-) Gemeinde durch Zwangstaufen und Austreibungen war die Einführung der Gütergemeinschaft in der Stadt die letzte bedeutsame Verfassungsänderung dieser ersten Phase der Täuferherrschaft30. In der Theologie des Bernhard Rothmann waren bereits früh Ansätze zu einer Gütergemeinschaft angelegt31. Ab Januar 1534 wurden diese im mehr oder minder heimlichen Gemeindeleben der Täufer verwirklicht, indem einzelne wohlhabende von ihnen Teile ihres Vermögens der Gemeinde zur Verfügung stellten, damit diese es an Not leidende und arme Täufer verteile. Theologische Anknüpfungspunkte Rothmanns waren dabei die Urchristengemeinde und die Apostelgeschichte32. Im Februar nun wurde religiöses Gebot zu weltlicher Stadtordnung und in einigen Einzelanordnungen genauer formuliert: Es wurden "Diakone" eingesetzt, die den Bestand an Lebensmitteln und später auch Kleidung jedes einzelnen Haushaltes inventarisierten und teilweise auch einsammelten33. Der Geldverkehr wurde abgeschafft, an seine Stelle trat die Tauschwirtschaft. Geld, Gold, Silber und Schmuck waren bei vier hierzu neu ernannten Beamten abzuliefern34. Trotz des Verbots des Geldverkehrs ließen die Täufer jedoch während des später folgenden Königtums eigene Münzen prägen35. Die gesammelten Wertgegenstände sowie die neugeprägten Münzen wurden in der Folgezeit zur Anwerbung von Landsknechten sowie zum Ankauf von Waffen und Nahrung verwandt. | 16 |
Neben dieser Umgestaltung des wirtschaftlichen Lebens sollte auch im alltäglichen Rechtsleben ein klarer Schnitt und Neubeginn gemacht werden. Schuldscheine, Rechnungen und sonstige Rechtsdokumente jeglicher Art wurden vernichtet36. Der Verbund der Gütergemeinschaft sollte in Zukunft nicht von weltlichen Forderungen belastet werden. | 17 |
Im Gegensatz zur Einführung des Prophetenamtes und ähnlich wie bei den Zwangstaufen und Austreibungen standen hinter der Verwirklichung der Gütergemeinschaft nicht nur theologische Überlegungen, sondern auch militärische. Zwar war zu dieser Zeit der Belagerungsring um Münster noch so durchlässig, dass die Stadt vom Verkehr mit der Außenwelt nicht vollkommen abgeschnitten war. Folglich konnten immer noch - und noch ungefähr ein Jahr lang - Lebensmittel und Waffen zugekauft, Nachrichten ausgetauscht werden37. Trotzdem blieb eine Lebensmittelknappheit bei fortdauernder Belagerung wahrscheinlich. Die Erfassung aller kriegswichtigen Güter war also nicht nur dem Idealbild einer Urchristengemeinde geschuldet, sondern auch - und wohl vor allem - der Kriegsnot. Gleiches gilt für die Austreibungen: Verrat in der Stadt sollte vermieden, illoyale Esser beseitigt werden, entweder durch Einschwören auf den gemeinsamen Verstoß gegen Reichsgesetz38 und Bischofswillen39, also die Bekenntnistaufe, oder durch Austreibung. | 18 |
Anders als bei dem Prophetenphänomen gingen bei der Gütergemeinschaft und den Taufen bzw. Austreibungen also Theologie und kriegsbedingte Notwendigkeit Hand in Hand. | 19 |
2. Theokratie: Die Abschaffung der Ratsverfassung und die Einführung des Ältestenrats (April - September 1534) |
Als am 5. April (Ostersonntag) 1534 nicht, wie von Matthijs vorausgesagt40, die Wiederkunft Christi auf Erden und das Strafgericht eintraten, sah sich der Prophet veranlasst, einen Ausfall zu unternehmen, bei dem er umkam41. Angesichts der geringen Erfolgsaussichten für den nur von wenigen vorgetragenen Angriff ist anzunehmen, dass Matthijs seinen Tod billigend in Kauf nahm. Damit hatte die "Gemeinde Christi" zwar nicht ihren wichtigsten Theologen (Bernhard Rothmann), aber - und vielleicht schlimmer - einen der Verkünder göttlichen Willens verloren. Durch den Tod Matthijs' genoß Jan van Leiden nunmehr uneingeschränkte Autorität als Prophet. Er vermochte es, die verunsicherten Bürger zu beschwichtigen, Matthijs' Tod theologisch zu erklären42 und machte sich umgehend daran, die Verfassung der Stadt Münster umzugestalten. | 20 |
a) Abschaffung der Ratsverfassung und Einführung des Ältestenrats |
Spätestens am 8. April 153443 beseitigte van Leiden die Ratsverfassung der Domstadt44. Der gewählte Rat wurde von ihm durch einen "Rat der Ältesten der zwölf Stämme Israels" ersetzt. Führte er zwar diese Ältesten in ihr neues Amt ein, so scheint van Leiden dennoch nicht ohne Zustimmung der einheimischen und zugewanderten Täufer gehandelt zu haben, denn die Verteilung der Sitze im Ältestenrat entspricht verhältnismäßig ungefähr der Zusammensetzung der Einwohnerschaft45. Eine Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen an der Herrschaft war somit durch die Verleihung eines hohen Amtes an ihre jeweiligen Honoratioren sichergestellt. | 21 |
Der neu konstituierte Rat erließ alsbald zwei Gesetze, die "Ordnung des weltlichen Regiments in der Stadt Münster" und die "Öffentliche Verordnung der Zwölf Ältesten". | 22 |
b) Die "Ordnung des weltlichen Regiments in der Stadt Münster" |
Die Ordinatio46
besteht aus einem Einleitungssatz und 33 Einzelvorschriften. Das genaue
Datum ihres Erlasses ist unbekannt. Die folgende Übersicht soll die
Regelungsgegenstände und -schwerpunkte verdeutlichen:
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23 |
Die Ordinatio enthält damit zunächst einmal die schriftliche Verfassung der neuen, göttlich legitimierten politischen Ordnung der Stadt. Theologischer Hintergrund dieser Verfassungsänderung ist die Aufgabe der chiliastischen Naherwartung und der Wahrnehmung Münsters als Neuem Jerusalem. Die Münsteraner orientierten sich jetzt am Konzept des Neuen Israel, also der Stadt- und Täufergemeinde als auserwähltem Volk Gottes, das Vorbildwirkung für die anderen Städte des Reichs haben soll52. Diesem neuen Selbstverständnis entsprechend werden die 12 Ratsmitglieder die "Ältesten der 12 Stämme Israels" genannt. | 24 |
Mit der neuen Verfassung verlieh Jan van Leiden gleichzeitig seinem Prophetenamt Verfassungsrang53. Dadurch gelang es ihm, das ungeklärte Nebeneinander von Rat und Propheten, wie es zur Zeit Jan Matthijs' bestand und für Konflikte sorgte, aufzulösen: Zwar beschränkte er in Art. 7 der Ordinatio54 seine Rolle auf diejenige des Sprachrohrs des Ältestenrats. Gleichzeitig ließ er sich darin aber als "treuer Diener des Allerhöchsten und der hochheiligen Obrigkeit der Gemeinde Christi und der ganzen israelitischen Gemeinde"55 ausweisen. Die Reihenfolge seiner Herren und die verwendeten Steigerungsformen machen deutlich, dass er sich zunächst Gott, nicht dem Ältestenrat verpflichtet fühlte. Diese Klarstellung in Verbindung mit seiner Eigenschaft als Verkünder göttlichen Willens lassen das angeordnete Weisungsverhältnis zwischen Ältestenrat und dem Propheten inhaltsleer erscheinen. Zudem machte auch die Einführung der 12 Ältesten dem "Volke Israel" deutlich, wer die engere Verbindung zu Gott und damit im Zweifelsfalle die größere Autorität hatte. Van Leiden übergab ihnen in einer weihevollen Zeremonie auf dem Domplatz als Zeichen ihrer Amtswürde jeweils ein Schwert56. Die Ordinatio führte also zu einer fortgesetzten Institutionalisierung des Prophetenamtes durch schriftliches Gesetz, zur Beilegung der österlichen Unruhe und zur Festigung der persönlichen Macht Jan van Leidens. | 25 |
Mit Erlass der Ordinatio wurde uno actu der alte, gewählte Rat abgeschafft57. Ebenso wie dieser Rat spielten in der Folgezeit Einzelgilden und Gesamtgilden, Mester- und Olderlude keine Rolle mehr.Einen Bruch mit den alten Herrschaftseliten stellte dieser Vorgang jedoch nicht dar:Viele der 12 Ältesten und der in der Ordinatio genannten Amtsträger entstammten der alten Gildenführung, die sich bereits 1532/33 für die Reformation stark gemacht hatte58. Angesichts der personellen Kontinuität von Gildenführung und Ratsmitgliedern in dem neuen Ältestenrat und anderen Ämtern59 ist daher ein fließender, mit der politischen Führung Münsters abgestimmter Übergang zwischen der Beendigung der Ratsverfassung und der Einführung der Ältestenverfassung am wahrscheinlichsten60. | 26 |
Neben diesen und einigen wenigen anderen "Verfassungsvorschriften", z.B. denjenigen bzgl. des Notariats und des Schwertträgeramtes, beschäftigt sich die Ordinatio in der Mehrzahl ihrer Vorschriften mit der Verteilung und Durchführung militärischer Aufgaben i.w.S.61, sowie deren Überwachung. Hierauf verwendet sie ca. 23 Vorschriften (in der Tabelle mit einem * versehen), deren Inhalt sich auf grundlegende Regelungen beschränkt wie z.B. die Besetzung von Schlüsselpositionen62. Diese Normengruppe kann man unter dem Begriff "Verwaltungsvorschriften" zusammenfassen. | 27 |
Betrachtet man diese Zweiteilung von Normen in Verfassungs- und Verwaltungsvorschriften, so wird deutlich, dass es sich bei der Ordinatio um ein Konsolidierungswerk handelt. Die neue Regierungsform sollte unter Beseitigung des Gegensatzes zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft eingeführt und auf ein festes, normatives Fundament gestellt werden. Gleichzeitig wurde die Verteidigungsorganisation der Stadt in gesetzesähnlicher Form klar strukturiert. Dies war der Einsicht der Belagerten geschuldet, dass die Ankunft Christi und das Weltgericht nach deren Ausbleiben zu Ostern und dem Tod des Jan Matthijs nunmehr in weitere Ferne gerückt waren. Die Naherwartung wich zunächst Enttäuschung und Verzweiflung, dann - geleitet durch Jan van Leiden - einer veränderten Auffassung vom eigenen Auftrag, welcher nun ein Ausharren in der Stadt vorsah63. Damit musste aber auch eine Neuformulierung des Verteidigungskonzeptes einhergehen. War dieses bislang nur auf ein Aushalten der Belagerung bis zur Erlösung am Ostertag, also knapp zwei Monate vom Beginn der Belagerung an, ausgerichtet, so mussten die Einwohner nun selbstverständlich dauerhaft die Eroberung der "Gemeinde Christi" verhindern, und wenn möglich auch die "Gottlosen" vertreiben. Folgerichtig wurde daher in der Ordinatio die Verteidigung der Stadt durch organisatorische Maßnahmen auf einen langen Zeitraum eingerichtet. | 28 |
Die Ordinatio stellte also in ihrem Verfassungsteil einen Einschnitt und Neubeginn dar. Die Verwaltungsvorschriften folgten der durch den Verfassungsteil gegebenen neuen Ordnung und der außerhalb des Gesetzes entwickelten neuen theologischen Zielrichtung. | 29 |
c) Die "Öffentliche Verordnung der Zwölf Ältesten" |
Zusammen mit der Ordinatio erließ der Ältestenrat ein Strafgesetz, die "Öffentliche Verordnung der Zwölf Ältesten"64 (im Folgenden: Verordnung). Sie besteht aus einer längeren Einleitung, 13 Artikeln und einem Schlussteil. | 30 |
Die Einleitung, ausweislich derer sich das Gesetz an "ganz Israel, das Volk Gottes"65 richtet, also an die münsterischen Täufer66, zeichnet sich durch drei Hauptmerkmale aus: Erstens enthält sie einen generalklauselartigen Verweis auf die Gebote der heiligen Schrift67. Die nachfolgenden Strafnormen waren demnach bei weitem nicht als abschließend gedacht, vielmehr erhielten alle in der Bibel enthaltenen Ge- und Verbote über die Einleitung Gesetzeskraft68. Eine solche Generalklausel findet sich auch im Schlussteil der Verordnung, der "conclusio", wieder69. | 31 |
Zweitens wird im Folgenden die große Bedeutung religiösen Handelns in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes betont70. Mehrere Bibelzitate streichen heraus, dass gottgefällig und religiös wertvoll allein das gute Handeln, die guten Taten, nicht das bloße Reden sei. Der theologische Kurs und die Gemeindezucht wurden damit verschärft, die Gemeinde sollte in vorbildlicher Weise auf die Bibel eingeschworen werden. | 32 |
Drittens betont die Einleitung das Gottgewolltsein der neuen Herrschaftsform. Demnach sei diese Teil der göttlichen Ordnung, Verstöße gegen ihr Regiment seien damit Verstöße gegen Gottes Willen71. Dadurch untermauert die Einleitung im Verein mit entsprechenden Bibelstellen die neu errichtete Verfassung theologisch, die Unauflöslichkeit weltlicher und geistlicher Herrschaft in Münster wurde vor Augen geführt. | 33 |
Anders als die Ordinatio enthält die Verordnung in ihrem Hauptteil keine Verfassungs- oder Verwaltungsvorschriften, sondern ausschließlich Strafnormen in Form eines Sündenkatalogs. Der Überleitungssatz zwischen Einleitung und Hauptteil zieht die Sanktion für Verstöße - die Todesstrafe - vor die Klammer dieser Aufzählung. Gleichzeitig wird aber eine Ausnahme für Einsichtige und Bußfertige gemacht72. Damit war die Vollstreckung der Todesstrafe nominell in die Entscheidung des Ältestenrats gestellt, faktisch aber hing ihre Aussetzung vom Wohlwollen des Propheten ab. | 34 |
Die nun folgenden 13 Artikel enthalten biblische Ge- und Verbote, die in der Verordnung mit den jeweiligen Bibelstellen belegt sind. Der Schrifttext ist also direkt in den Gesetzestext mit aufgenommen. Ihrer Funktion nach ist die Verordnung somit einer "Überleitungsvorschrift" vergleichbar, die den geistlichen Anordnungen der Bibel weltliche Geltung verleiht. | 35 |
Verboten waren demnach: | 36 |
Die ersten vier Artikel positivierten in bislang ungekannter Deutlichkeit die zukünftige Geschlechter- und Sozialhierarchie. Die Reihenfolge Gott - Obrigkeit - Eltern / Ehemann / Hausherr ist Ausdruck einer für mittelalterliche und frühneuzeitliche Gemeinwesen zwar nicht ungewöhnlichen patriarchalischen Ordnung. Bemerkenswert ist jedoch der in diesen vier Vorschriften enthaltene umfassende Geltungsanspruch, der über die Regelung einzelner Lebensteilbereiche, wie z.B. des beruflichen Tätigwerdens und der Familie, hinausgeht. Neben der damals wohl empfundenen Notwendigkeit, in Verfolgung abweichender religiöser Überzeugungen das theologische Weltbild in weltliches Recht umzusetzen und damit in den Denk- und Wahrnehmungsmustern der Zeitgenossen greifbarer werden zu lassen, darf der Propagandaeffekt nicht unterschätzt werden. Die angesprochenen Artikel hinterlassen den Eindruck einer rigiden Gesellschaftsordnung. Sie können daher wohl auch als Mittel im bald nach Aufnahme der Belagerung einsetzenden Propagandakrieg bewertet werden, in dem von beiden Seiten aus der jeweiligen Perspektive die moralische Verderbtheit des Gegners angeprangert wird. | 37 |
Die Vorschriften Nr. 2-4 der "Öffentlichen Verordnung" sind ferner die erste ausdrückliche Normierung jenes Gedankens, der - neben anderen - später in der Einführung der Mehrehe Gestalt fand, mit der dieser in der "Öffentlichen Verordnung" enthaltene Ansatz strenger Sozial- und Geschlechterhierarchie auf konsequent-extreme Weise umgesetzt wurde73. | 38 |
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die letzte Vorschrift. Sie sollte Umsturzversuche und Meuterei innerhalb der Stadt verhindern, und knüpft damit an den Inhalt der Einleitung an, das Gottgewolltsein täuferischer Herrschaft. | 39 |
Die "conclusio" hält zum Abschluss noch einmal die Rechtsfolge für Verstöße fest: Bann und Hinrichtung74. Im Gegensatz zur Einleitung wird also hier nicht nur mit der Todesstrafe, sondern auch mit dem Ausschluss aus der Täufergemeinde gedroht. Theologisch ist dies folgerichtig, da diese Strafe - der Ausschluss aus dem "Volk Gottes" - für gläubige Täufer mindestens genauso schrecklich gewesen sein muss wie die Todesstrafe. Tatsächlich ist allerdings kein einziger Fall eines solchen Banns bekannt. Schon die Gefahr, die für das Gemeinwesen von solchen potentiell für Verrat anfälligen ehemaligen Täufern ausging, dürfte die Richter und den Propheten veranlasst haben, von dieser Strafalternative keinen Gebrauch zu machen. Zudem konnte die Bannandrohung allein solche Einwohner nicht schrecken, die die (Zwangs-) Taufe nur hingenommen hatten, um weiterhin ihre Familien sowie Hab und Gut innerhalb der Stadtmauern schützen zu können75. | 40 |
Die Strafen waren - wie schon im Überleitungssatz angedeutet - allerdings nicht automatisch bei jedem Vergehen verwirkt. Die "conclusio"76 wie die Einleitung räumten die Möglichkeit ein, bei reuigen Sündern und Bußfertigen von Bestrafung abzusehen. Hiervon wurde auch tatsächlich Gebrauch gemacht77. | 41 |
d) Die Einführung der Mehrehe |
Die wohl bekannteste und gleichzeitig - sowohl bei Zeitgenossen78, wie auch bei nachfolgenden Generationen79 - unpopulärste Maßnahme der Täuferherrschaft ist die Einführung der Polygamie. Im Juli schlug Jan van Leiden sie den zwölf Ältesten vor. Kombiniert werden sollte dies mit einer allgemeinen Pflicht zur Eheschließung. Dabei war allerdings die Vielehe als strikt "halbseitige Polygamie" ausgestaltet, d.h. es war lediglich Männern gestattet, mehrere Ehefrauen zu haben (Polygynie)80. Der Vorschlag stieß auf großen Widerstand, doch schließlich vermochte sich der Prophet - vor allem unter Berufung auf alt- und neutestamentarische Vorbilder81 - durchzusetzen82. | 42 |
Die Bewertung der Vielehe war in den letzten Jahrzehnten einem starken Wandel unterworfen. Wurde noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jhs. die münsterische Polygynie als moralisch verwerflich und nur der persönlichen Zügellosigkeit und Verderbtheit des Jan van Leiden geschuldet angesehen83, so beziehen neuere Untersuchungen84 die Gesamtsituation der belagerten Stadt mit ein. Von dieser Perspektive her betrachtet werden einige funktionale Dimensionen der Vielehe sichtbar, die bei einer ausschließlich moralisierenden Bewertung allzu schnell aus dem Blickfeld zu geraten drohen: | 43 |
Münster hatte im Zeitpunkt des van Leiden-Vorschlags ca. 8-9.000 Einwohner. Davon waren ungefähr 5.000 Frauen, weit mehr als 1.000 Kinder und schätzungsweise 2.000 Männer85. Auf einen Mann kamen demnach 2-3 Frauen. Die Überzahl der Frauen musste sich zwangsläufig während der Belagerung weiter vergrößern, denn meist waren ausschließlich Männer und männliche Jugendliche an Kampfhandlungen beteiligt und regelmäßig kamen einige von ihnen dabei um. | 44 |
Der große Überhang an Frauen hatte unterschiedliche Gründe. Zum einen scheint das Täufertum insbesondere auf Frauen eine große Anziehungskraft ausgeübt zu haben. Bislang waren sie von der aktiven, gestalterischen Teilnahme am religiösen Gemeindeleben ausgeschlossen. Der Zugang zu geistlichen Ämtern blieb auf das Klosterleben beschränkt86. Das änderte sich nun. Gerade in der Anfangszeit der Täufer in Münster (Januar - Februar 1534) erhielten viele Frauen Eingebungen, hatten Gesichte und Visionen87 und spielten damit eine maßgebliche Rolle in der Verbreitung der Täuferlehre. Zudem hatten die Frauen (wie auch die Männer) mit der Erwachsenentaufe die Möglichkeit erhalten, sich bewusst für eine religiös-soziale Gemeinschaft zu entscheiden. Die Ablehnung der Kindstaufe und die große Bedeutung, die die Täufer der bewussten Entscheidung für eine theologische Lehre in der Erwachsenentaufe zumaßen, unterstrichen Selbstverantwortlichkeit und Willens- bzw. Glaubensfreiheit des einzelnen. Sie stellten damit auch die Freiheit der Frau heraus, sich ggf. gegen den Willen ihres Mannes für die Taufe zu entscheiden. Insgesamt also hatte das Täufertum insbesondere den Frauen vieles zu bieten. | 45 |
Die Austreibungen am 27. Februar 1534 und die anschließenden Zwangstaufen (27. Februar - 1. März 1534) taten ihr Übriges, um den Frauenüberschuss in der Stadt zu befördern. Viele Familien entschieden sich dafür, dass ein Teil in der Stadt bliebe und sich taufen ließe, um über das familiäre Hab und Gut zu wachen. In den meisten Fällen war dies die Frau88. Diese Entwicklung lässt sich wohl damit erklären, dass die Frauen im Falle der Eroberung der Stadt durch den Bischof - mit der diese zerrissenen Familien ja rechneten - Schonung erwarten konnten, zumal wenn die Familie nur nolens volens in der belagerten Stadt verblieben war. Die täuferischen Männer hingegen - als die eigentlich kriegführenden Elemente in der Stadt - mussten damit rechnen zu fallen, bei Plünderungen, die regelmäßig nach der Eroberung einer feindlichen Stadt durch Landsknechte stattfanden89, getötet oder in Vollstreckung des Bischofsbefehls vom 23. Januar 1534 und Reichsgesetzes90 hingerichtet zu werden. Diese unterschiedlichen Aussichten machen die Entscheidung solcher Familien nachvollziehbar. | 46 |
Die geschilderte Situation erforderte es aus Täufersicht, die zurückgebliebenen zwangsgetauften Frauen einer stärkeren sozialen Kontrolle zu unterstellen. Nach dem neuen Kirchenrecht wurde die erneute Verheiratung bereits verheirateter Ehepartner durch die Ungültigerklärung der vor Empfang der Bekenntnistaufe geschlossenen Ehe ermöglicht91. Mittel zum Kontrollzweck war die Vielehe, durch die die alleinlebenden Frauen in einen Familienverband eingegliedert werden konnten92. | 47 |
Darüber hinaus hatte die Verordnung in ihren Artikeln 1-4 einen deutlichen Wandel des Verständnisses von der Gemeinde- und Gesellschaftsordnung gezeigt93. Sie etablierten eine patriarchalische Gesellschaftsstruktur, die Stellung des Mannes als Oberhaupt der Familie und "Herr des Hauses" wurde gestärkt und betont, diejenige der Frau verschlechterte sich im Gegenzug. Diese neuen religiös-sozialen Vorstellungen waren später - die Restitution erscheint im Oktober - auch in Bernhard Rothmanns Schrift "Restitution rechter und gesunder christlicher Lehre" enthalten94. Ihnen entspricht die Einführung der Mehrehe in münsterischer Ausprägung. | 48 |
Diese teils handfesten, teils theologisch geprägten Hintergründe für die Vielehe95 wurden vor allem durch zwei theologische Argumente begründet, deren erstes das oben bereits angesprochene biblische Vorbild z.B. der Erzväter Israels war96. Da die zwölf Ältesten kurz zuvor in der Verordnung biblischen Ge- und Verboten Gesetzeskraft verliehen hatten, Verstöße gar mit der Todesstrafe ahnden wollten, musste es ihnen jetzt äußerst schwer fallen, an dieser Stelle wider die heilige Schrift zu streiten. Denn auch wenn diese keine ausdrückliche Anordnung zur Vielehe enthält, so wog der Umstand, dass die Führer des Volkes Gottes sie laut Bibel praktizierten, schwer97. Die zweite argumentative Stütze war das alttestamentarische Fruchtbarkeitsgebot98. Und dieses wurde in der Folgezeit tragende Erwägung und ratio des Ehegebotes und der Vielehe. Die Vermehrung, der Zeugungszweck bestimmten die Ausgestaltung der Vielehe in Münster99. So durften sich verheiratete Männer erst dann eine weitere Frau nehmen, wenn ihre erste Frau schwanger geworden war. Ebenso wurde bei dritten und weiteren Frauen verfahren100. Da neben dem Zeugungszweck gleichrangig der Patriarchatsgedanke stand, wurden auch gebärunfähige Frauen in dieses System einbezogen, indem sie sich in ein "Patronat", unter die Schirmherrschaft eines Mannes begeben mussten101. Umgekehrt durften sich später allerdings auch Frauen von zeugungsunfähigen Männern trennen102. | 49 |
Aber auch nachdem die zwölf Ältesten die neue Eheordnung akzeptiert hatten, blieb diese nicht unwidersprochen. Die Unzufriedenheit einiger Bürger und in der Stadt lebender Landsknechte mit der Täuferherrschaft im allgemeinen und der Eheordnung im besonderen machte sich im Aufstand des Heinrich Mollenhecke103 am 29. Juli Luft. Die Aufständischen wurden zwar am folgenden Tage geschlagen und 47 von ihnen kurz darauf ohne Verhandlung hingerichtet104. Der Rest musste in Prozessen Zeugen für seine erst späte Beteiligung an der Erhebung anführen. Wem dies nicht gelang, der wurde ebenfalls hingerichtet. Die Erhebung machte aber deutlich, dass Jan van Leiden mit seiner neuen Eheordnung die Grenzen der Zustimmung und des Reformwillens der münsterischen Täufer erreicht hatte. Selbst nach den dem Aufstand folgenden Exekutionen widersetzten sich immer wieder einzelne Frauen der neuen Ordnung, so dass es ab September 1534 aus diesem Grund zu weiteren Hinrichtungen kam105. | 50 |
Zu den Spannungen, die zum Mollenhecke-Aufstand führten, zählen auch die neuen und ungewohnten Belastungen des Ehe- und Familienlebens, wie sie sich u.a. aus dem Nebeneinander von Erst- und weiteren Frauen ergaben106. Die Täufer reagierten und billigten den Frauen im Herbst 1534 befristet ein eingeschränktes Scheidungsrecht zu. Angesichts der grundsätzlichen Unauflöslichkeit der Ehe stellt dies einen revolutionären Vorgang dar. Vom neuen Scheidungsrecht machten ca. 100 Frauen Gebrauch107. | 51 |
Die für Männer nunmehr bestehende Möglichkeit, mit mehreren Frauen zusammenzuleben, missbrauchten einige von ihnen, und es kam zu Fällen von Vergewaltigung, auch von Ehe-"Frauen", die dem Kindesalter noch nicht entwachsen waren108. | 52 |
Die Polygynie wurde bis zum Fall der Stadt beibehalten109. War sie eigentlich - wie eben dargelegt - ein Instrument der patriarchalischen Gesellschaftsordnung und der Befolgung des göttlichen Vermehrungsgebots, so entwickelte sie sich jedoch auch zu einem Ventil von Standesdünkel und -bewusstsein. Offenbar spiegelte sich schon bald der tatsächliche oder vermeintliche soziale Status in der Anzahl der Frauen, mit denen Männer verheiratet waren110. | 53 |
Damit entsteht das Bild eines radikalen Bruchs mit den gängigen Eheauffassungen. Inwieweit die Einführung der Vielehe allein auf Jan van Leiden zurückzuführen ist111, bleibt wohl ungeklärt. Dass aber sexuelle Zügellosigkeit den täuferischen Lehren widersprach, lässt sich Rothmanns Schriften entnehmen112. Moralisch geprägte Wertungen gegenüber der neuen Eheordnung greifen daher zu kurz. | 54 |
3. Der König der letzten Tage: Das
Königtum des Jan van Leiden
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Die letzte und zugleich längste Phase der täuferischen Herrschaft wurde im September 1534 eingeleitet: das Königtum Jan van Leidens. Aus rechtlicher Sicht sind die vier herausragenden Ereignisse dieser Zeit die Abschaffung der Ältestenverfassung und das Ausrufen van Leidens zum König, der Erlass einer Hofordnung und eines weiteren Gesetzes, des sog. Artikelbriefs, sowie die Einsetzung von zwölf "Herzögen". | 55 |
a) Die Thronbesteigung |
Im September 1534 ließ sich Jan van Leiden vom neuen Propheten der Gemeinde, Johann Dusentschuer113, als König Münsters ausrufen114. Wie alle vorangegangenen Verfassungsänderungen so war auch diese theologisch legitimiert. Sie entsprach nicht nur dem durch Bibelexegese erkennbaren Willen Gottes, sondern sogar seinem direkten Befehl: Sowohl Dusentschuer wie auch van Leiden berichteten der auf dem "Berg Zion", dem ehemaligen Domplatz, versammelten Gemeinde, dass Gott ihnen das Königtum Jan van Leidens befohlen habe115. Die maßgebliche Legitimation lag also in der Berufung auf eine neue Offenbarung. | 56 |
Wie schon bei der Abschaffung der Ratsverfassung nach dem Tode Jan Matthijs' und den enttäuschten Erlösungshoffnungen der münsterischen Täufer, so nutzte Jan van Leiden auch im September 1534 wieder eine Zeit innerer Unruhe, um die Herrschaftsstruktur Münsters umzugestalten. Die Königskrönung fällt in die Zeit nach der erfolgreichen und für die Belagerer sehr blutigen Abwehr eines zweiten Sturmangriffs auf die Stadt am 31. August 1534. Dieser große militärische Erfolg und der damit verbundene psychologische Auftrieb der Täufer sind Voraussetzung und Rahmen für die Verfassungsänderung, denn die Gemeinde war auf Grund des errungenen Sieges verstört: Einerseits hatte sie ihre Angreifer in die Flucht schlagen und sich - und ihr Gemeindekonzept - erneut behaupten können, andererseits stand das Gelingen des Angriffs auf Messers Schneide, das Scheitern der Fürstlichen war zwar schlussendlich eindeutig, aber knapp erfochten116. Den Münsteranern wurde abermals das Ausmaß der äußeren Bedrohung deutlich. Nach der Eintönigkeit und Gleichförmigkeit der Belagerung war für den Propheten nunmehr die Gelegenheit gekommen, in der nach dem Sieg entstandenen Bewegung seine Position weiter auszubauen. | 57 |
Mit der Einführung der Monarchie schaffte Jan van Leiden die von ihm selbst eingerichtete Ältestenverfassung wieder ab. Doch obwohl auch dieses Mal - wie bei der Absetzung der Ratsherren im April 1534 - alle bisherigen Inhaber ihrer Ämter verlustig gingen, wurden sie doch auch weiterhin in die Machtstrukturen der Stadt eingebunden. Viele vormalige "Älteste der zwölf Stämme Israels" fanden sich bald darauf mit hohen Ämtern bekleidet im königlichen Hofstaat wieder117. Abermals also vermochte van Leiden die Stärkung seiner Position und die Änderung der Verfassung ohne größeren Widerstand der täuferischen Honoratioren durchzuführen118. | 58 |
Über die Natur des Königtums Jan van Leidens herrscht Streit. Hielt er sich und die täuferische Gemeinde Münsters ihn für den "Neuen David", der den Königsthron in Erwartung der Ankunft des "Neuen Salomon", also Christi, für diesen als Platzhalter innehatte119? Oder erstreckte sich der Herrschaftsanspruch Jan van Leidens als König Münsters auf die gesamte Welt, war also nicht lediglich auf eine verteidigende "Reichsverweserrolle" beschränkt120? Für beide Ansichten lassen sich gute Gründe anführen, von denen hier nur einige angedeutet werden sollen. Die Aussendung der Prädikanten am 13. Oktober 1534121 und die Vergabe von 12 Herzogtümern an Gefolgsleute innerhalb Münsters im Mai 1535122 sprechen für die zweitgenannte Ansicht. Ebenso der weltlich-königliche Prunk, mit dem van Leiden sich fortan umgab123, insbesondere sein Siegelzeichen und Wappen, das er auch an einer Kette um den Hals trug: zwei einen Reichsapfel durchstoßende Schwerter124. Wohl bewusst lehnte sich dieses Wappen an die Zweischwerterlehre und die Reichsinsignien an. Die Gegenansicht weist auf die Hervorhebung des Weltherrschaftsanspruchs und der Anmaßung der Königswürde durch die Belagerer hin. Für sie ist die "Weltherrschafts-Legende"125 bischöfliche Propaganda, dazu bestimmt, anderen Fürsten die Bedrohung für die eigene Machtstellung vor Augen zu führen und sie zur Unterstützung der Belagerer zu bewegen. | 59 |
b) Die Hofordnung |
Bei der Einführung des Königtums orientierte Jan van Leiden sich an bekannten und augenfälligen Vorbildern: den weltlichen Reichsfürsten. Amtsinsignien, Wappen, Zeremonien und Prunk bildeten die äußere Legitimation seiner Stellung als weltlicher und geistlicher Herrscher126. Theologisch untermauert wurde das neu eingeführte Königtum bei der Amtseinführung durch den Propheten mit der Zitierung entsprechender Bibelstellen127. | 60 |
Gleich nach der Machtergreifung begann van Leiden mit der Machtverteilung: Er errichtete einen Hofstaat, ein festes Gefüge von Schlüsselpositionen innerhalb der Stadt. Diese neue Struktur, die Hofordnung, ist in einem Flugblatt und einer Abschrift erhalten geblieben128. Kurz nach der Stürmung der Stadt am 25. Juni verbreiteten die Belagerer diesen Druck129, der im ersten Teil die Nachricht von der Eroberung enthält. Die diesem Abschnitt nachfolgend geschilderte Hofordnung van Leidens zerfällt in drei Teile: die Auflistung der Hofämter und ihrer Inhaber, diejenige der Frauen van Leidens, also der "Königinnen", inklusive einer kurzen Beschreibung des Verfahrens, anhand dessen sich der König seine jeweilige Bettgefährtin für die kommende Nacht erwählte (!), und schließlich die Nennung des Hofgesindes der Königinnen. | 61 |
In ihrer Ausführlichkeit - genannt sind 148 Personen - ist die Hofordnung Ausdruck des Selbstverständnisses des Königs. Von höchsten Ämtern, wie z.B. dem "Worthalter" (Bernhard Rothmann), dem "Statthalter" (Bernd Knipperdolling) und vier Räten, über Hofhandwerker bis zum Pagen130 enthält sie den deutlich formulierten Herrschaftsanspruch van Leidens und markiert einen weiteren Wendepunkt in der täuferischen Verfassungsgeschichte, an dem diesmal die landesherrlichen Höfe als Verfassungsvorbild herangezogen werden. | 62 |
c) Der Artikelbrief |
Das letzte täuferische Gesetzeswerk Münsters wurde am 2. Januar 1535 erlassen. Dieser sogenannte "Artikelbrief" ist eine unsystematische Zusammenstellung von Vorschriften (Artikeln) aus verschiedenen Regelungsbereichen131. Er ist in mehreren, teilweise in der Anzahl der Vorschriften voneinander abweichenden Kopien oder Berichten überliefert132. Da es nicht die Zielrichtung dieser Arbeit und wohl auch nahezu unmöglich ist, soll an dieser Stelle nicht versucht werden, die ursprüngliche Fassung aus den verschiedenen Quellen wiederherzustellen. Vielmehr werden in die Betrachtungen alle erhaltenen Einzelvorschriften aufgenommen133. | 63 |
Dem Vorschriftenteil vorangestellt ist eine Einleitung, ihm nach folgt eine Schlussformel. Schon die Einleitung macht ausdrücklich klar, welchen Zweck die Gesetzessammlung verfolgte. Als Adressaten nennt sie sowohl Täufer wie auch Nicht-Täufer134. Sie sollte also nicht nur innerhalb der Stadt normative Funktionen erfüllen, sondern war auch Propagandazwecken zu dienen bestimmt. Gleichzeitig macht sie das Selbstbewusstsein deutlich, mit dem das junge Königtum Münsters seinen Gegnern und seinen auswärtigen Anhängern gegenübertrat. Dementsprechend forsch bezeichnete sich Jan van Leiden als "gerechter König auf dem Stuhle Davids"135. Bemerkenswert hieran ist, dass bislang der Schriftverkehr mit den Belagerern und der Außenwelt im allgemeinen nicht unter dem Namen des Königs stattfand, sondern hierfür zeichneten vielmehr die "Regenten und Gemeinde Münsters" - ohne nähere namentliche Nennung der Regenten - verantwortlich136. Dieser Versuch, die Verhandlungspartner und Adressaten der Nachrichten nicht durch den Affront und die Herausforderung des täuferischen Königtums zu verprellen137, wird also im Artikelbrief aufgegeben, zumindest aber durchbrochen. Die Schlussformel138 führt diese Ansätze fort und betont noch einmal das Gottesgnadentum van Leidens. | 64 |
Die Vorschriften selbst lassen sich in verschiedene Gruppen gliedern, wobei einige Artikel mehreren Gruppen zugeordnet werden können:
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Das Zahlenverhältnis der Vorschriftengruppen zeigt drei Regelungsschwerpunkte: das Kriegs- und Eherecht sowie die theologische Basis der Täuferherrschaft. Dabei gingen das Ziel, verbindliche Regelungen zu treffen einerseits und Werbe-145 und Propagandaabsicht andererseits in den einzelnen Vorschriften fließend ineinander über. Gute Beispiele hierfür sind die Art. 20 und 21. Zum einen legen sie für die Wachen verbindlich die Behandlung von aufgegriffenen Nicht-Täufern fest, zum anderen sollen sie Händler und Bauern dazu ermuntern, Handel mit der eingeschlossenen Stadt zu treiben. | 66 |
d) Die Einsetzung der Herzöge |
Am 3. Mai 1535, also gut sieben Wochen vor dem Fall der Stadt, nahm Jan van Leiden die letzte Verfassungsänderung vor146. Im Rahmen einer fingierten Wahl ließ er scheinbar die Bevölkerung Münsters zwölf Männer zu ihren Führern wählen147. Diese zwölf, tatsächlich enge Vertraute van Leidens, ernannte er zu "Herzögen" und setzte sie in Lehen im Deutschen Reich ein148. Neben diesem nur symbolischen Akt erhielten die Herzöge allerdings auch weitgehende Aufgaben und Kompetenzen innerhalb Münsters. Jeweils einem von ihnen oblag die Verteidigung eines Mauerabschnitts oder Tores, sie verwalteten und überwachten jeweils einen Stadtbezirk149. Diese Maßnahme scheint überraschend, schließlich hatte van Leiden mit seiner Krönung die - wenn auch nur formale - Machtteilung mit den zwölf Ältesten beseitigt. Sie lässt sich aber - zumindest auch - mit der Lage innerhalb der Stadt erklären. Die Bevölkerung hungerte bereits seit einigen Wochen150, dazu kam der zunehmende militärische Druck von außen151 sowie die misslungenen Werbeversuche und Entsatzunternehmungen vor allem niederländischer Täufer152. All dies zusammen konnte in den Einwohnern Zweifel an ihrem Erfolg und die Bereitschaft für das Überlaufen und den Verrat nähren. Die Herzöge, ausgestattet mit einem Stab an Bewaffneten und Beamten153, konnten dieser Gefahr wirksam entgegentreten und die Stimmung in den einzelnen Stadtteilen beobachten und unter Kontrolle halten154. | 67 |
IV. Der Untergang des täuferischen Münster und seine Nachwirkungen |
Mit der Erstürmung der Stadt am 25. Juni 1535 fand das Täuferreich zu Münster sein Ende, und mit ihm oder kurz darauf die meisten der täuferischen Protagonisten. Jan van Leiden, Bernd Knipperdolling sowie Bernd Krechting wurden gefangen genommen und verhört. Am 6. Januar 1536 wurden sie verurteilt, am 22. Januar in Münster öffentlich hingerichtet und ihre Leichname anschließend in Käfigen am Turm der Lambertikirche hinaufgezogen. Ob Rothmann den Sturm überlebte, ist zwar nicht mit Sicherheit festzustellen, aber sehr wahrscheinlich. Heinrich Krechting wurde freier Abzug aus der Stadt gestattet. Er ließ sich später in Ostfriesland nieder und wandte sich dem gemäßigteren Flügel der Reformation zu. | 68 |
Für die westfälischen Täufergruppierungen war das Scheitern des Täuferreichs der Anfang vom Ende. Nach einigen Jahren härtester Verfolgung war täuferisches Gemeindeleben hier erloschen155. | 69 |
Die Bedeutung der Täuferherrschaft für Münster selbst greift weit über die turbulenten Belagerungsereignisse hinaus. Münster ging vieler Rechte und Privilegien verlustig, die es erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte zum Teil wieder zurückerlangen konnte. Das Verhältnis der Bürger zu ihrem Landesherrn, dem Fürstbischof, blieb gespannt. Von überregionaler Bedeutung war allerdings, dass die 1533 friedlich durchgesetzte Stadtreformation nicht mehr als eine kurze Episode blieb. Sie wurde nach der Einnahme wieder rückgängig gemacht, und Münster schied damit für immer aus der Reformationsfraktion im Reich aus. | 70 |
V. Ergebnis |
Tritt man von der Untersuchung der einzelnen täuferischen Rechtssetzungsmaßnahmen einen Schritt zurück, so lassen sich mehrere rechtliche Tendenzen durch die verschiedenen Phasen der münsterischen Täuferherrschaft verfolgen. | 71 |
Als die beiden großen Triebfedern rechtlichen Tätigwerdens der Täufer sind zum einen ihr theologischer Hintergrund, zum anderen die durch die Belagerungssituation hervorgerufene Notlage auszumachen. In den meisten Gesetzen scheinen beide Motive zu gleichen Teilen durch. Das beste Beispiel hierfür sind wohl die Einführung der Gütergemeinschaft und der Vielehe156. | 72 |
Dabei darf nicht angenommen werden, dass hier religiöse Überzeugung durch erdverbundenen Pragmatismus verwässert wurde: Für die münsterischen Täufer kam die Verteidigung ihrer Gemeinde, damit der Stadt, der Verteidigung ihres Glaubens gleich. Insofern entspringen die rechtlichen Antworten auf den Belagerungsalltag wiederum religiöser Überzeugung. | 73 |
Im Recht des täuferischen Münster begegnet ferner nicht nur der Regelungs-, Ordnungszweck, sondern es erfüllt auch eine Propagandafunktion157. 1534 wird Krieg auch mit Druckerzeugnissen geführt. Daher müssen bei der Untersuchung des (neu-) geschriebenen Rechts Münsters sowohl dessen rechtliche, wie auch seine propagandistische Reichweite in den Blick genommen werden, um Zweck und Form mancher täuferischer Norm richtig einordnen zu können. Einige sind in ihrer Unbestimmtheit als gesellschaftlich-theologische Absichtserklärung und Gegenentwurf zur "ungetauften" Welt zu verstehen158. Gleichzeitig transportiert die bloße Existenz eines geschriebenen, originär täuferischen Rechts ohne Rücksicht auf dessen Inhalte den Eindruck von Ordnung. Die Schnelligkeit, mit der unter Jan van Leiden alte Normen aufgehoben und durch täuferische ersetzt worden sind zeigt, dass die münsterischen Eliten sich der Bedeutung einer rechtlichen Verfasstheit ihrer Gemeinde und der Wirkung dieser Verfasstheit auf die Umwelt bewusst waren. Umfassendes gesetzgeberisches Tätigwerden sollte damit nach der Überwerfung der alten Ordnung dem Eindruck von Ordnungslosigkeit entgegenwirken. | 74 |
Die Täufer standen vor der Aufgabe, der Stadtgemeinde und der Außenwelt Machtwechsel, Herrschaftskonzepte und die Legitimität ihrer Herrschaft zu vermitteln. Dabei fällt auf, dass sie sich trotz aller religiösen Radikalität und Abwendung von überkommenen Gesellschaftsstrukturen an die hergebrachte Herrschaftssymbolik hielten. Ob Bekleidung mit einem Amt durch Übergabe von Gewaltsymbolen wie dem Schwert159, ob Amtskette inkl. auf die Zweischwerterlehre anspielendes Wappen, um Ansprüche auf die Königswürde kenntlich zu machen160, ob stark nach sozialer Bedeutung gestaffelte Hofordnung161: Die Täuferführer wie auch die -gemeinde waren mit der Herrschaftssymbolik ihrer Zeit vertraut und bedienten sich ihrer Mittel. Obschon sich im Verlaufe der Jahre 1534/35 Inhalte und Zielrichtung der Täuferherrschaft änderten, die Formen und Sprache der Macht blieben gleich. Die Täufer hatten sich also dazu entschieden, innerhalb der bestehenden, allgemein verständlichen Regeln ihren Ansprüchen Ausdruck zu verleihen. | 75 |
Begleitet wurde diese Kontinuität in der Kommunikation von einer personellen Kontinuität. Wenngleich die Täufer die bisherigen Regeln städtischen Gemeindelebens in Münster z.B. durch die Einführung der Gütergemeinschaft und der Vielehe einschneidend änderten, zu einem Bruch mit den alten Machteliten kam es nicht. Auch das neue System wurde von diesen getragen162. Einem hauptsächlich religiös motivierten Wandel in der Ausgestaltung städtischer Verfasstheit stand damit die Kontinuität im personellen Herrschaftsprofil Münsters gegenüber. |
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Fußnoten: *
Der Verfasser (email: carstfischer@web.de)
hat in Münster Rechtswissenschaften studiert und an der Fachspezifischen
Fremdsprachenausbildung für Juristen im englischen Recht teilgenommen.
Er promoviert z. Zt. bei Prof. Dr. Andreas Thier, M.A., Zürich,
rechtsvergleichend über lehnsrechtliche Strukturen des hochmittelalterlichen
Angevinischen und Deutschen Reichs. 1 Zur Terminologie: Anstelle der in der Literatur auch anzutreffenden Bezeichnung "Wiedertäufer" (vgl. Galen, Hans (Gesamtred.): Die Wiedertäufer in Münster. Katalog zur Eröffnungsausstellung im Stadtmuseum Münster vom 1. Oktober 1982 bis 27. Februar 1983, 4. Aufl., Münster 1983, S. 17) schreibe ich im Folgenden von den "Täufern". Trotz des inhaltlichen Gleichklangs der ersten Bezeichnung mit den in anderen Sprachen üblichen (vgl. engl.: anabaptist, frz.: anabaptiste, ital.: anabaptiste) hat sich in der Forschung der Begriff "Täufer" durchgesetzt. Einen der Gründe hierfür fasst Ralf Klötzer (Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung, Münster 1992, S. 11) prägnant in der folgenden Formel zusammen: "Abgelehnt wird der Begriff der Wiedertäuferherrschaft, der im Gegensatz zum Selbstverständnis der Protagonisten einer Bekenntnistaufe suggeriert, dass die Taufe von unmündigen Kindern gültig ist." Das Abstellen auf das Selbstverständnis entspricht der im 20. Jh. einsetzenden (quellen-) kritischen Durchleuchtung innerer Aspekte der Täuferherrschaft, die sich von der Propaganda ihrer Gegner und der Sieger zu lösen vermag. Als Beispiel hierfür mag die veränderte, kritischere Einstellung gegenüber der Kerssenbroch-Abhandlung (Kerssenbroch, Hermann von: Anabaptistici furoris Monasterium inclitam Westphaliae metropolim evertentis historica narratio, hg. von Heinrich Detmer (= Geschichtsquellen des Bistums Münster - GQM - Band 5 und 6; im Folgenden zitiert als Kerssenbroch, GQM 5/6), Münster 1900/1899.) dienen, wie sie u.a. Kirchhoff (Kirchhoff, Karl-Heinz: Gab es eine friedliche Täufergemeinde in Münster 1534?, Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 55/56, 1962/63, S. 7 ff.) vertritt. 2 Gute und kompakte Gesamtdarstellungen der Geschichte der Täufer in Münster enthalten die Beiträge von Gerd Dethlefs, Robert Stupperich und Joachim Fest in: Galen: Die Wiedertäufer in Münster (wie Anm. 1), S. 18 ff., sowie diejenigen von Wilhelm Ribhegge und Ralf Klötzer in: Das Königreich der Täufer, Band 1: Reformation und Herrschaft der Täufer in Münster. Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Münster (17. September 2000 bis 4. März 2001), hg. von Barbara Rommé, Münster 2000, S. 10 ff., 64 ff., 104 ff.; weiterhin Seifert, Thomas: Die Täufer zu Münster, Münster 1993. 3 Lutz, Heinrich: Reformation und Gegenreformation (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 10), 5. Aufl., München 2002, S. 35 f. 4 Zu den verschiedenen Täufergruppierungen s. Wolgast, Eike: Stellung der Obrigkeit zum Täufertum und Obrigkeitsverständnis der Täufer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Radikalität und Dissent im 16. Jahrhundert, hg. von Hans-Jürgen Goertz und James M. Stayer, Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 27, Berlin 2002, S. 90 f. m.w.N. 5 Wolgast: Stellung der Obrigkeit zum Täufertum und Obrigkeitsverständnis der Täufer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 4), S. 97 f. 6 Zum Täufermandat von Speyer: Goertz, Hans-Jürgen: Die Täufer. Geschichte und Deutung, 2. Aufl., München 1988, S. 121 ff.; Wolgast: Stellung der Obrigkeit zum Täufertum und Obrigkeitsverständnis der Täufer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 4), S. 96 f. 7 Zu den Beziehungen zwischen Reich und Täuferstadt: Vogler, Günter: Das Täuferreich zu Münster als Problem der Politik im Reich. Beobachtungen anhand reichsständischer Korrespondenzen der Jahre 1534/35, Mennonitische Geschichtsblätter NF 37, 1985, S. 7-23; ders.: Das Täuferreich zu Münster im Spannungsfeld von Täuferbewegung und Reichspolitik, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 36, 1988, S. 23-35; Stupperich, Robert: Das Münsterische Täufertum im Blickfeld des Reiches, Westfalen 58, 1980, S. 109-116; Haude, Sigrun: In the Shadow of "Savage Wolves". Anabaptist Münster and the German Reformation During the 1530s, Boston, Leiden, Köln 2000. 8 Bader, Karl S. / Dilcher, Gerhard: Deutsche Rechtsgeschichte. Land und Stadt - Bürger und Bauer im Alten Europa, Berlin, Heidelberg, New York 1999, S. 705 ff. 9 s. u. III. 1. b) Rat und Propheten. 10 s. u. II. 2. Die Situation in Münster. 11 Allgemein zum Verlauf von Reformation und Konfessionsstreitigkeiten im Hochstift Münster während des 16. und 17. Jhs.: Rudolfine Freiin von Oer, in: Schindling, Anton / Ziegler, Walter (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, Band 3: Der Nordwesten, Münster 1991, S. 108-129. 12 Schilling, Heinz: Aufstandsbewegungen in der Stadtbürgerlichen Gesellschaft des Alten Reiches. Die Vorgeschichte des Münsteraner Täuferreichs, 1525 bis 1534, in: Der deutsche Bauernkrieg 1524-1526, hg. von Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1975, S. 193-238. 13 Der Erste Dülmener Vertrag wurde 1526 zwischen der Stadt und ihrem Bischof geschlossen, s. o. II. 1. Die Situation im Reich. 14 Anhänger der Lehre Melchior Hoffmans, eines schwäbischen Kürschners, der zunächst als Lutheraner im Ostseeraum predigte, später jedoch Täuferlehren übernahm und seine apokalyptischen Nahzeiterwartungen auf Straßburg als "Neuem Jerusalem" fokussierte. Hoffman wurde von seinen Anhängern für den Propheten Elias gehalten, einen der beiden Zeugen der Endzeit (Offb 11, 3). Zu Hoffman Moersen, Marcel in: Das Königreich der Täufer, hg. von Rommé, Band 1 (wie Anm. 2), S. 58 f. und List, Günther: Chiliastische Utopie und radikale Reformation. Die Erneuerung der Idee vom 1000jährigen Reich im 16. Jahrhundert, München 1973, S. 187 ff.; Deppermann, Klaus: Melchior Hoffmans Weg von Luther zu den Täufern, in: Umstrittenes Täufertum 1525-1975. Neue Forschungen, hg. von Hans-Jürgen Goertz, 2. Aufl., Göttingen 1977, 173-205. James M. Stayer nennt den von den münsterischen Täufern eingeschlagenen Weg die "bastard line" der melchioritischen Bewegung, die sich durch ihre Gewaltbereitschaft von der "legitimate line", die von Hoffman zu Menno Simons führe, scheide (Anabaptists and the Sword, 2. Aufl., Lawrence 1976, S. 223). Zu den Einflüssen auch Melchior Hoffmans auf Rothmanns Theologie s. Dipple, Geoffrey L.: Sebastian Franck and the Münster Anabaptist kingdom, in: Radical Reformation Studies. Essays presented to James M. Stayer, hg. von Werner O. Packull / Geoffrey L. Dipple, Aldershot 1999, S. 91-105. 15 Zu diesem Streit am 9. Februar 1534: Kirchhoff: Gab es eine friedliche Täufergemeinde in Münster 1534? (wie Anm. 1), S. 7, 14 ff. 16 Eine hervorragende schematische Übersicht über die Verfassung und Verwaltung von Stift und Stadt Münster bietet Galen: Die Wiedertäufer in Münster (wie Anm. 1), S. 106 ff. Auch Seifert (Die Täufer zu Münster (wie Anm. 2), S. 14-23) gibt eine knappe Darstellung der Verfassung und innerstädtischen Organisation. Siehe weiterhin Kuratsuka, Taira: Gesamtgilde und Täufer: Der Radikalisierungsprozess in der Reformation Münsters: Von der reformatorischen Bewegung zum Täuferreich 1533/34, Archiv für Reformationsgeschichte 76, 1985, S. 231, 234 f. sowie Kirchhoff, Karl-Heinz: Das Phänomen des Täuferreiches zu Münster 1534/35, in: Der Raum Westfalen, Bd. 6/1, hg. von Franz Petri / Alfred Hartlieb von Wallthor, Münster 1989, S. 277, 341 ff. 17 Zum Begriff der "Gemeinheit": Kirchhoff, Karl-Heinz: Gilde und Gemeinheit in Münster / Westf. 1525-1534. Zur legalen Durchsetzung einer oppositionellen Bewegung, in: Niederlande und Nordwestdeutschland. Studien zur Regional- und Stadtgeschichte Nordwestkontinentaleuropas im Mittelalter und in der Neuzeit. Festschrift für Franz Petri, hg. von Wilfried Ehbrecht / Heinz Schilling, Köln, Wien 1983, S. 164, 165 f. 18 Nach der Wahl ließen sich 8 oder 9 von 10 Kuergenoten und 23 der 24 Ratsherren taufen (Kirchhoff, Karl-Heinz: Die Täufer in Münster (1534/35). Untersuchungen zum Umfang und zur Sozialstruktur der Bewegung, Münster 1973, S. 67 f.; Kuratsuka: Gesamtgilde und Täufer: Der Radikalisierungsprozess in der Reformation Münsters: Von der reformatorischen Bewegung zum Täuferreich 1533/34 (wie Anm. 16), S. 265). 19 Die Bürgermeisterwahl fand traditionell am Tag nach den Ratswahlen statt. Nach Klötzer (Die Täuferherrschaft von Münster (wie Anm. 1), S. 75 f.) hielt allerdings nicht Jan Matthijs, sondern Jan van Leiden die o.g. Rede. 20 Seifert schreibt dazu (Die Täufer zu Münster (wie Anm. 2), S. 95): "Das eigentliche Geheimnis seines [Matthijs'] Erfolges besteht darin: Täufergemeinde wie Stadtbürgerschaft Münsters stehen vor Fragen, die ihnen nur durch die Offenbarung von Gottes Wort lösbar erscheinen ... Münster braucht in diesem Februar 1534 einen Propheten." 21 Zur Datierung des Vorgangs s. Klötzer, Ralf: Die Täuferherrschaft von Münster (wie Anm. 1), S. 82, Fn. 299. 22 Kerssenbroch, GQM 6, S. 559-561; Cornelius, Carl Adolf (Hg.): Berichte der Augenzeugen über das münsterische Wiedertäuferreich, 2. Nachdruck der 1. Aufl., Münster 1983 (= Geschichtsquellen des Bistums Münster - GQM - Band 2; im Folgenden zitiert als Verfasser, GQM 2), Gresbeck, S. 28-30. 23 Gresbeck, GQM 2, S. 28: "er wer des dodes werdich, er moiste sterven, er hedde Got vertornt, und et wer so Godes wil, Got en wol nicht unreines in die stat hebben, und al, wat in sunden is, moet uthgeradet sein, Got will ein hilligh volck hebben." 24 Zwar gelang es ihm nicht, Rüscher sofort zu töten, dieser erlag jedoch kurz darauf seinen Verletzungen (Kerssenbroch, GQM 6, S. 561). Nach Gresbecks Bericht (GQM 2, S. 29 f.) stach Jan van Leiden mit einer Hellebarde auf Rüscher ein, der jedoch überlebte. Matthijs erschoß ihn daraufhin. 25 Gresbeck nennt den Erbmann und früheren Bürgermeister Hermann Tilbeck, sowie den Bürgermeister Kippenbrock und die vormaligen Olderlude Redeker und Mollenhecke (GQM 2, S. 31). Kerssenbroch erwähnt nur Tilbeck und Redeker (GQM 6, S. 560 f.). 26 So im Ergebnis auch Wolgast, Eike: Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im Täuferreich von Münster 1534/35, Archiv für Reformationsgeschichte 69, 1978, S. 179, 180. Klötzer bezweifelt dies (Die Täuferherrschaft von Münster (wie Anm. 1), S. 72 f., 203) und schreibt, Matthijs' "politische Bedeutung in der Stad [bleibt] gering" (S. 203). Vgl. allerdings Kerssenbroch, GQM 6, S. 560, über Jan Matthijs: "Habebat enim lictores aliosque satellites non paucos, quibus nemo resistere audebat." 27 Detmer, Heinrich: Ungedruckte Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer in Münster - Vor eyne gedechtnisse (Tagebuchaufzeichnungen), Westfälische Zeitschrift 51 (1893), S. 90, 106: "Eodem anno des dinxdagh na dem sondage Invocavit, als men de borgermestere keisen wolde, ys de prophet up dat raithuyss myt eynen geschrey gekommen und under dat gemeyne volck geropen, dat men der overicheit solde horsam syn und solde nicht fruchten pauwest, kayser, fforsten, bischoppe noch jenigen forsten dusser werldt; und de sick nicht wolden laten doepen in den bloide Christi, solde men tor stadt uth yagen etc.". 28 Kerssenbroch, GQM 6, S. 534 ff.; Detmer: Ungedruckte Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer in Münster - Vor eyne gedechtnisse (Tagebuchaufzeichnungen) (wie Anm. 27), S. 107; Aussage Vinnes vom Oktober 1534, GQM 2, S. 274, 272: "Nachdem de almechtige Got dorch den Propheten heft seggen laten, dat ein ider solle sick dopen laten dan Got wille de stede reinigen, und wy sick nicht wolde bekeren und allen Gots willen wolden doin, de sollen sick uthmaken, wente Got wille se straiffen". 29 Wolgast nennt den Rat daher ein "bloßes Vollzugsorgan des Propheten und seiner Anhänger", s. Wolgast: Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im Täuferreich von Münster 1534/35 (wie Anm. 26), S. 179, 181. 30 Allgemein zur Gütergemeinschaft: Stayer, James M.: Neue Modelle eines gemeinsamen Lebens. Gütergemeinschaft im Täufertum, in: Goertz, Hans-Jürgen (Hg.): Alles gehört allen. Das Experiment Gütergemeinschaft vom 16. Jhdt. bis heute, München 1984, S. 21, 43 ff. 31 So z.B. in seiner großen Schrift "Bekenntnis von beiden Sakramenten, Taufe und Nachtmahl, der Prädikanten zu Münster" vom Oktober 1533 (Stupperich, Robert: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1: Die Schriften Bernhard Rothmanns, Münster 1970, S. 183 f.). 32 Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 183 f.; vgl. Apg 2, 44-45: "Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte."; 4, 32.34: "Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam. ... Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte." 33 Die Zahl der Diakone ist nicht genau zu ermitteln. Es sind nur sieben Namen bekannt (s. Kirchhoff: Die Täufer in Münster (1534/35) (wie Anm. 18), S. 69). Gresbeck schreibt allerdings, dass jedes der sechs Kirchspiele drei Diakone gehabt habe (Gresbeck, GQM 2, S. 34). Ausführlich zur Arbeit der Diakone: Plümper, Hans-Dieter: Die Gütergemeinschaft bei den Täufern des 16. Jahrhunderts, Göppingen 1972, S. 171 ff.; Gresbeck, GQM 2, S. 96 f. 34 Kerssenbroch, GQM 6, S. 561 f. 35 Kerssenbroch, GQM 6, S. 666; s. auch Thier, Bernd in: Das Königreich der Täufer, Band 1, hg. von Rommé (wie Anm. 2), S. 175 ff., 181, 188. 36 Dieser Zerstörung fiel auch das Stadtsiegel zum Opfer. 37 Kirchhoff, Karl-Heinz: Die Belagerung und Eroberung Münsters 1534/35. Militärische Maßnahmen und politische Verhandlungen des Fürstbischofs Franz von Waldeck, Westfälische Zeitschrift 112, 1962, S. 77, 132 ff, 137 ff. 38 Auf dem Speyerer Reichstag von 1529 wurde die Erwachsenentaufe mit dem Tode bedroht, s. o. II. 1. Die Situation im Reich. 39 Am 23. Januar 1534 ordnete Franz von Waldeck seinen Amtleuten die Verhaftung und Auslieferung von Täufern an, Kerssenbroch, GQM 6, S. 474 ff. 40 Zu den Endzeitberechnungen lesenswert Kirchhoff, Karl-Heinz: Die Endzeiterwartung der Täufergemeinde zu Münster 1534/35. Gemeindebildung unter dem Eindruck biblischer Verheißungen, Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 78, 1985, S. 19, 20 ff. 41 Kerssenbroch, GQM 6, S. 568 ff. 42 Kerssenbroch, GQM 6, S. 570 f.; Gresbeck, GQM 2, S. 39 ff. 43 Zur Datierung: Kerssenbroch, GQM 6, S. 586-88; Klötzer: Die Täuferherrschaft von Münster (wie Anm. 1), S. 90, Fn. 319; anders noch Detmers Anm. 2, GQM 6, S. 574 f.: Verfassungsänderung Anfang Mai. 44 Kerssenbroch, GQM 6, S. 574 ff., Gresbeck, GQM 2, S. 35 ff.; vgl. auch die Aussage Vinnes vom Oktober 1534, GQM 2, S. 275. 45 Sechs der Ältesten waren Münsteraner (Kirchhoff: Die Täufer in Münster (1534/35) (wie Anm. 18), S. 70), einer (Gerlach van Wullen) stammte aus Nienborg, war jedoch mit einer münsterischen Erbmannstochter verheiratet (ders. ebd., S. 269). Je einer stammte aus Friesland, Warendorf, Coesfeld und Lüttich (Kerssenbroch, GQM 6, S. 576). Einzig die Herkunft Lambert Mapertincks ist nicht gesichert, vgl. Detmers Anm. 1 in Kerssenbroch, GQM 6, S. 576, den Druck der Ordnung in der Westfälischen Zeitschrift 17, 1856, S. 240, 247 und Kirchhoffs Arbeiten zur münsterischen Herkunft von sechs der zwölf Ältesten (Kirchhoff: Die Täufer in Münster (1534/35) (wie Anm. 18), S. 70). 46 "Ordinatio politici regiminis in civitate Monasteriensi a 12 senioribus recens introducta", Kerssenbroch, GQM 6, S. 582 ff. (lateinische Übersetzung des niederdeutschen Originals). Ein Flugblatt, das einen Teil des niederdeutschen Originals enthält, ist in der Westfälischen Zeitschrift 17, 1856, S. 240 ff. abgedruckt. Übersetzt liegt die Ordinatio vor bei Löffler, Klemens: Die Wiedertäufer zu Münster 1534/35. Berichte, Aussagen und Aktenstücke von Augenzeugen und Zeitgenossen. Ausgewählt und übersetzt von Klemens Löffler, Jena 1923, S. 83. 47 Hierzu Kluge, Dietrich: Die Rechts- und Sittenordnung des Täuferreiches zu Münster, Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 68, 1975, S. 75, 82. 48 Bernd Knipperdolling, Kuergenote, Ratsherr und Bürgermeister Münsters, war nunmehr also Inhaber der Polizeigewalt und Scharfrichter. Über die Ernennung Knipperdollings zum Scharfrichter berichtet Kerssenbroch, GQM 6, S. 573 f. Dass ausgerechnet einer der Honoratioren selbst dieses Amt wahrnimmt - Knipperdolling sagt nach seiner Gefangennahme aus, er habe eigenhändig 11 oder 12 Enthauptungen vorgenommen (GQM 2, S. 378) - mag angesichts der mit diesem Beruf regelmäßig verbundenen sozialen Außenseiterstellung erstaunlich erscheinen. Gerade dieser Widerspruch muss für die Zeitgenossen ein sichtbarer Ausdruck der in Münster stattfindenden sozialen Umgestaltung und Neuorientierung gewesen sein. 49 Die Vorschrift Nr. 21 habe ich ebenfalls hierzu gerechnet, da das von den dort Genannten zu verwaltende Geld auf Grund des Verbots des innerstädtischen Geldverkehrs wohl nur zum Ankauf von Lebensmitteln, Pulver und Waffen, zur Ausstattung der Boten, Kundschafter und Werber sowie zur Anwerbung von Landsknechten gedient haben kann. Die Norm kann allerdings ebenso gut der folgenden Untergruppe zugerechnet werden. 50 s. Fn. 49. 51 Hierbei handelt es sich interessanterweise um ein Verbot des "Landsknechtsstils", für den z.B. geschlitzte Puffärmel und flamboyante Farben kennzeichnend waren. 53 Wolgast: Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im Täuferreich von Münster 1534/35 (wie Anm. 26), S. 183. 54 "Was die Ältesten in gemeinsamer Beratung in diesem neuen Staate Israel für gut befunden haben, das soll der Prophet Johann von Leiden als treuer Diener des Allerhöchsten und der hochheiligen Obrigkeit der Gemeinde Christi und der ganzen israelitischen Gemeinde verkündigen und vortragen." Übersetzung von Löffler: Die Wiedertäufer zu Münster 1534/35 (wie Anm. 46), S. 84. Die lateinische Vorlage enthält Kerssenbroch, GQM 6, S. 582. 55 Löffler: Die Wiedertäufer zu Münster 1534/35 (wie Anm. 46), S. 84 (lat.: Kerssenbroch, GQM 6, S. 582). 56 Kerssenbroch, GQM 6, S. 574 ff.; Bezeichnend auch die Formel, mit der Jan van Leiden gemäß Kerssenbroch die 12 Ältesten investiert: "Accipe ius gladii tibi a Deo Patre per me commissum eoque ad mandatum Dei scinde!", Kerssenbroch, GQM 6, S. 576. 57 Kerssenbroch, GQM 6, S. 575 ff.; Gresbeck, GQM 2, S. 35 f. 59 s. ders. ebd., S. 68 ff. 60 Sollten diese tatsächlich - wie wohl zu vermuten ist - zur vom Propheten proklamierten Ältestenverfassung zugestimmt haben, so hätten sie damit auch wissentlich die Gilden und die Gesamtgilde obsolet gemacht: "Hos duodecim tribuum Israeliticarum seniores appelavit, penes quos omnium rerum tam publicarum quam privatarum, tam sacrarum quam politicarum iudicium, imo ius gladii summaque imperii potestas esse debebat.", Kerssenbroch, GQM 6, S. 576. 61 Darunter fasse ich z.B. auch die Zwangsverwaltung von Nahrung, da sie durch die militärische Situation bedingt war. 62 vgl. die Vorschriften Nr. 11-17. 64 "Duodecim seniorum edictum publicum", Kerssenbroch, GQM 6, S. 577. Das niederdeutsche Original ist bislang noch nicht wiederentdeckt, war seinerzeit aber in Münster gedruckt worden (vgl. Detmer: Ungedruckte Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer in Münster - Vor eyne gedechtnisse (Tagebuchaufzeichnungen) (wie Anm. 27), S. 112 und ders. in Kerssenbroch, GQM 6, S. 577, Anm. 2). In deutscher Übersetzung bei Löffler: Die Wiedertäufer zu Münster 1534/35 (wie Anm. 46), S. 80 ff. 65 Kerssenbroch, GQM 6, S. 577. 66 Zur Verordnung lesenswert: Kluge: Die Rechts- und Sittenordnung des Täuferreiches zu Münster (wie Anm. 46), S. 78 ff. 67 "Legibus ergo et metu earum soluti esse volentes Deum ante oculos habeant et omnia mandata eius servent, sicut infra ex scriptura sacra breviter annotatum est.", Kerssenbroch, GQM 6, S. 578. 68 Kluge (Die Rechts- und Sittenordnung des Täuferreiches zu Münster (wie Anm. 47), S. 81) spricht von einer "integrierten Gemeindezucht und Strafgerichtsbarkeit". 69 "Quicunque his peccatis et similibus ... se contaminaverit ...", Kerssenbroch, GQM 6, S. 581. 70 Kerssenbroch, GQM 6, S. 578 f. 71 "Si autem filii Dei facti sumus et in Christum baptizati, omne residuum malum de medio nostri eradicandum est, cui rei magistratus maxime post Deum ancillatur, sicut scriptum est Rom. 13: Omnis anima supereminentibus potestatibus subdita sit. Non enim est potestas nisi a Deo; quae vero sunt potestates, a Deo ordinatae sunt. Itaque quisquis resistit potestati, Dei ordinationi resistit; qui autem restiterint, sibi ipsis iudicium accipient. ... Non enim frustra gladium gestat; nam Dei minister est, ultor ad iram ei, qui, quod malum est, fecerit.", Kerssenbroch, GQM 6, S. 578 f. 72 "Sequuntur aliquot peccata in scriptura comprehensa, quorum nomine inobedientes et non resipiscentes gladio punientur: ...", Kerssenbroch, GQM 6, S. 579. 73 s. u. III. 2. d) Die Einführung der Mehrehe. 74 "excommunicatione gladioque", Kerssenbroch, GQM 6, S. 581. 75 Das weiterhin regelmäßig durchgeführte Glaubensexamen beim gemeinsamen Abendmahl (Gresbeck, GQM 2, S. 42 f.; Kluge: Die Rechts- und Sittenordnung des Täuferreiches zu Münster (wie Anm. 47), S. 84 f.) könnte darauf hindeuten, dass sich die Täuferführung dieser Interessenlage bewusst war. 76 "Quicunque his peccatis et similibus salutari et sanae Iesu Christi doctrinae contrariis se contaminaverit, nisi veram egerit poenitentiam, legi subiicietur et excommunicatione gladioque a magistratu ordinario a Deo constituo de populo Dei eradicabitur.", Kerssenbroch, GQM 6, S. 581. 77 Gresbeck, GQM 2, S. 78 f. 78 allg. zur Vielehe: Kerssenbroch, GQM 6, S. 618 ff.; Gresbeck, GQM 2, S. 59 ff.; Sachsse, Carl: Die politische und soziale Einstellung der Täufer in der Reformationszeit, Zeitschrift für Kirchengeschichte 74, 1963, S. 282, 309 ff.; Frehe, Bernhard: Vielweiberei im täuferischen Münster. Legende und Wirklichkeit, Münster 2001. 79
vgl. nur Löffler: Die Wiedertäufer zu Münster 1534/35
(wie Anm. 46), S. 107: "Soviel
steht freilich fest, dass die Vielweiberei der münsterischen
Wiedertäufer nicht die Konsequenz aus täuferischen Lehren
zog, sondern aus den sinnlichen Lüsten Johanns van Leiden ihren
Ursprung herleitete. Noch das eben mitgeteilte "Bekenntnis des
Glaubens und Lebens der Gemeinde Christi zu Münster" ist
eine warme Schutzschrift für die Einehe, und mit den früheren
täuferischen Traktaten steht es nicht anders." 80 Kerssenbroch, GQM 6, S. 619; Kerssenbroch (GQM 6, S. 688) berichtet die Hinrichtung Catharina Kokenbeckers wegen Bigamie. 81 Insbes. die Erzväter, vgl. Gresbeck, GQM 2, S. 59 und Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 264: "Item dat eth einen man fry ys, mer dan eine frouwe tho gelick in der Ehe tho hebben, betuegen noch de exempel der hilligen Oltueder, als van anfanck des menschliken geslechtes an, wo dan voele in der schryft vthgedruecket steit. Nemptlick, van Lamech, Abraham, Jacob, Dauid, Helkana etce.beß tho der Apostelen tydt tho. Want dat eth noch by der Apostelen tyde fry gewesen ys, ys wal tho vorstan vth den schrifften Pauli, dan he secht: `ein Bisschop sal eins wyffs man syn.´ " 82 Dorpius, Henricus: Wahrhaftige Historie, wie das Evangelium zu Münster erstlich angefangen unnd durch die Widertäuffer verstöret, wieder auffgehöret hat, in: Lucas Osiander: ein Predigt von dem Widertauff, Tübingen 1582, S. 71; Aussage Jan van Leidens, GQM 2, S. 372; Aussage des Klopriß, in: Niesert, Joseph: Münsterische Urkundensammlung, 1. Band: Urkunden zur Geschichte der Münsterischen Wiedertaufer, Coesfeld 1826, S. 122, 135. 83 vgl. z.B. Kluge: Die Rechts- und Sittenordnung des Täuferreiches zu Münster (wie Anm. 47), S. 86 und Löffler: Die Wiedertäufer zu Münster 1534/35 (wie Anm. 46), S. 107 (s. Fn. 79). 85 Kirchhoff: Die Täufer in Münster (1534/35) (wie Anm. 18), S. 24 f., gibt als Durchschnitt der Belegzahlen verschiedener Quellen 1755 Männer, 4800 Frauen und 1200 Kinder an; ders.: Die Belagerung und Eroberung Münsters 1534/35 (wie Anm. 37), S. 142 m.w.N. 86 Tatsächlich haben sogar viele Nonnen die Klöster Münsters und seiner Umgebung verlassen, um sich taufen zu lassen. 87 Kirchhoff: Die Endzeiterwartung der Täufergemeinde zu Münster 1534/35 (wie Anm. 40), S. 29 f. m.w.N. 88 Gresbeck, GQM 2, S. 62 f. 89 vgl. die Kriegsartikel Franz von Waldecks bei Kerssenbroch, GQM 6, S. 527 f. (dt. Übersetzung von Löffler: Die Wiedertäufer zu Münster 1534/35 (wie Anm. 46), S. 45 f.), z.B. Art. 4: "Der Fürst ist zur Zahlung des gewöhnlichen Belagerungssoldes an die Soldaten nicht verpflichtet, wenn er ihnen die Stadt zur Plünderung überläßt." 90 Beschluss des Reichstags zu Speyer 1529, s. o. II. 1. Die Situation im Reich. 91 Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 204 f.: "Und wan es also mit den ehestant stet, so machen wir einen underscheit zweschen der ehe der heiden und ungleibigen. Und der ungleibigen ehe ist sonde und unrein und ist kein vor Got, sonder hurerei und eprecherei. Dan, was nit aus dem gleiben, is sonde, und den ungleibigen und unreinen ist ale dinck unrein. [S. 204] ... Und ales non gescheg, dos der man oder die frow eins gleipig werde und das ander ungleibick plipe, wolde der worheit Gotes nicht gehorsam sein, sonder ungleipigh, ein seliche ist dan nit gepunden an den ungleipigen, sonder frei. [S. 205]" 92 Seibt, Ferdinand: Utopica. Modelle totaler Sozialplanung, Düsseldorf 1972, S. 191. 93 s. o. III. 2. c) Die "Öffentliche Verordnung der Zwölf Ältesten". 94 Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 258 ff. (Kapitel 14-16 der "Restitution"). 95 Stayer (Stayer, James M.: Vielweiberei als "innerweltliche Askese". Neue Eheauffassungen in der Reformationszeit, Mennonitische Geschichtsblätter 37, 1980, S. 24, 34) nennt das Ziel, die Zahl der in Offb 14 genannten 144.000 Gerechten auch durch Vermehrung, nicht nur durch Zuwanderung zu erreichen, als weiteren Grund der Polygamie. 96 Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 264 f., 267. 97 vgl. Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 267. 98 Gen 1, 28; Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 258 f. 99
Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer
Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 258,
259, 260-61, 264, 267. 100 Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 264 f.: "Hyrumme so ein man ricklicker van Godt gesegent were, dan eine frouwe to befruechtigen, vnde he en moit van wegen des Godtlicken gebades, sodanen segen nicht mißbrucken, so ys em fry gelaten, ya van noeden, meer fruchtbare frouwen in de Ehe tho nemmen, dan vnehelick, dat ys anders dan na Gades willen vnde gesette, ein frouwe bekennen, ys Ehebreckerye vnd horerye. [S. 264] ... Godt hefft gebaden, "wasset vnd vormennichuoldiget yuw", hyr medde ys den manne ghebaden sinen naturlicken samen nergens anders tho, dan dat dar frucht van kommen moege, antholeggen. Also ysset naturlick und apentlick verbaden, eine swangere vnnde vnfruchtbare frouwen tho bekennen, ock verbaden syn natur wettens vnde unwettens, vergeues thouorstorten. ... Hyrumme so volget van nodt wegen, dat, welcke rickliker van Godt gesegent sint, dan se mit einer frouwen rein leuen konnen, moegen tho erer nodtrofft, vp dat se nicht en sundigen, meer dan eine frouwe thor Ehe nemmen. [S. 265]" 101 Gresbeck (GQM 2, S. 68) spricht von "beschornherren". 102 Gresbeck, GQM 2, S. 79. 103 Mollenhecke war ehemaliger Mesterman der Schmiedegilde wie auch ehemaliger Olderman der Gesamtgilde. 104 Kerssenbroch, GQM 6, S. 621 ff.; Gresbeck, GQM 2, S. 73 ff. 105 Kerssenbroch, GQM 6, S. 687 ff.; Gresbeck, GQM 2, S. 65 f. 106 Gresbeck, GQM 2, S. 64 ff. 107 Gresbeck, GQM 2, S. 66 ff. 108 Gresbeck, GQM 2, S. 72 f. 109 Mit zunehmender Nahrungsmittelknappheit erlaubte Jan van Leiden allerdings später in Vielehe lebenden Männern, ihre Nebenfrauen aus der Stadt zu schicken bzw. sie ziehen zu lassen, Gresbeck, GQM 2, S. 190 f. 110 Gresbeck, GQM 2, S. 63: "Jo sie mehr frawen hedden, io sie better Christen weren."; ders. ebd., S. 110; Jan van Leiden selbst etwa war mit bis zu 16 Frauen verheiratet, vgl. die Hofordnung, Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 16 (1855), 358, 362. 111 So laut Verhörprotokoll Klopriß (Niesert: Münsterische Urkundensammlung, 1. Band (wie Anm. 82), S. 122 und 135): "Aber der Viller Weiber Lust halben, dargegen weren alle Predicanten in Munser mit der gantzen Gemeinden. Aber der Kunigk bewiese jnen das mit der schrifften, vnd drunge sie dazu, das sie solchs halten moisten." (S. 122). Ebenso laut Verhörprotokoll Knipperdolling (ders. ebd., S. 191). 112 Stupperich: Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Teil 1 (wie Anm. 31), S. 258 f. 113 Dusentschuer, ein Goldschmied aus Warendorf, war seit Anfang August Prophet. Unklar ist das Verhältnis zwischen ihm und dem Propheten Jan van Leiden, vgl. hierzu Wolgast: Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im Täuferreich von Münster 1534/35 (wie Anm. 26), S. 190 ff. 114 Aussage Bernd Krechtings, GQM 2, S. 406; Verhörprotokoll des Jan van Leiden in: Niesert: Münsterische Urkundensammlung, 1. Band (wie Anm. 82), S. 178 f. 115 Aussage Bernd Krechtings, GQM 2, S. 406; Verhörprotokoll des Jan van Leiden in: Niesert: Münsterische Urkundensammlung, 1. Band (wie Anm. 82), S. 178 f. 117 vgl. folgende Übersicht zu den 12 Ältesten und den später von ihnen nach der Hofordnung eingenommenen Ämtern:
118 Vgl. als Parallele zu dieser Entwicklung die Einbindung des Adels in die Hofgesellschaft der frühen Neuzeit durch den absolutistischen Herrscher. Hierzu z.B. Hinrichs, Ernst: Fürsten und Mächte. Zum Problem des europäischen Absolutismus, Göttingen 2000, S. 177 ff., sowie Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft, 4. Aufl., Frankfurt am Main 1989, S. 102 ff., 178. 119 So Kirchhoff: Das Phänomen des Täuferreiches zu Münster 1534/35 (wie Anm. 16), S. 399 ff. Ferner Laubach, Ernst: Reformation und Täuferherrschaft, in: Franz-Josef Jakobi (Hg.), Geschichte der Stadt Münster, Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Fürstbistums, Münster 1993, S. 145, 200 und ders.: Das Täuferreich zu Münster in seiner Wirkung auf die Nachwelt. Zur Entstehung und Tradierung eines Geschichtsbildes, Westfälische Zeitschrift 141, 1991, S. 123, 128 f., 134. 121 Gresbeck, GQM 2, S. 114 f.; Kerssenbroch, GQM 6, S. 703 ff. 122 Stupperich spricht etwas ungenau von der "Ersetzung" der "bisherigen zwölf Ältesten durch zwölf Herzöge" (Stupperich, Robert: Westfälische Reformationsgeschichte. Historischer Überblick und theologische Einordnung, Bielefeld 1993, S. 121). Die Einsetzung der zwölf Herzöge erfolgte erst im Mai 1535, die Absetzung der Ältesten dagegen bereits mit der Königskrönung im September 1534. 123 Gresbeck, GQM 2, S. 86 ff., 90 ff. 124 s. hierzu z.B. Baußmann, Edda und Thier, Bernd in: Das Königreich der Täufer, Band 1, hg. von Rommé (wie Anm. 2), S. 164 f., 178 f., 182 f. 126 Wolgast: Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im Täuferreich von Münster 1534/35 (wie Anm. 26), S. 188. 128 Abgedruckt in Westfälische Zeitschrift 16 (1855), S. 358 ff. 129 Die im Flugblatt enthaltene Hofordnung selbst muss vor dem Mai 1535 von Überläufern mit Kenntnissen der münsterischen Verhältnisse zusammengestellt worden sein, da sie noch nicht die Namen der 12 Herzöge (s. u. III. 3. d) Die Einsetzung der Herzöge) enthält, wohl aber diejenigen der 16 Frauen Jan van Leidens. 130 Christoph Waldeck, ein in Gefangenschaft geratener Sohn des belagernden Bischofs, der wohl zu dessen Demütigung dieses Amt erhielt. 131 Abgedruckt bei Kerssenbroch, GQM 6, S. 763 ff.; Philippi, F.: Der sogenannte Artikelbrief des Münster'schen Wiedertäufer Königs Johann von Leiden, Zeitschrift für Kirchengeschichte 10, 1889, S. 146-155; Löffler: Die Wiedertäufer zu Münster 1534/35 (wie Anm. 46), S. 198 ff. 132 vgl. nur Detmer, GQM 6, S. 763 f. in Fn. 1. 133 Als Vorlage soll hier die Kerssenbroch-Version dienen (GQM 6, S. 763 ff.). Zusätzlich zu den von Kerssenbroch genannten Artikeln werden die beiden von ihm nicht wiedergegebenen als Art. 4 und 10 erörtert, vgl. die Anm. Heinrich Detmers in GQM 6, S. 765, Fn. 4 und S. 766, Fn. 4. Somit beträgt die Gesamtzahl der Artikel 29 (Kerssenbroch: 27, davon einer nur bei ihm überliefert, aus anderen Quellen zwei weitere, die bei Kerssenbroch fehlen). 134 "Notum et manifestum sit omnibus veritatis et iustitiae Dei amatoribus, tam rudibus quam mysteriorum gnaris, ...", Kerssenbroch, GQM 6, S. 763. 135 "..., nunc vero per Ioannem iustum regem in sedem Davidis collocatum instaurato vivere et gerere se debeant.", Kerssenbroch, GQM 6, S. 764. 136 Wolgast: Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im Täuferreich von Münster 1534/35 (wie Anm. 26), S. 189 m.w.N. 137 Wolgast (Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im Täuferreich von Münster 1534/35 (wie Anm. 26), S. 189) geht davon aus, dass die Königswürde bewusst nur innerhalb der Stadt der Gläubigen eine Rolle spielen sollte, und dass Jan van Leiden auf eine Anerkennung als König durch andere Fürsten außerhalb Münsters keinen Wert legte. 138 "Edita sunt haec a Deo ac Ioanne, iusto rege novi templi, altissimi sanctissimique Dei ministro, anno aetatis suae vicesimo sexto, regni vero sui primo, secundo die primi mensis post nativitatem Iesu Christi filii Dei 1535.", Kerssenbroch, GQM 6, S. 770. 139 Art. 10 ist nicht bei Kerssenbroch enthalten. 140 s. auch Art. 13. 141
vgl. auch Art. 22. 142 Art. 4 fehlt - wie Art. 10 - bei Kerssenbroch. 143 "...sive in urbibus sive in castris campestribus ...", Kerssenbroch, GQM 6, S. 765. 144 Beachte den engen Zusammenhang mit Art. 12. 145 vgl. z.B. die Aussendung der Prädikanten im Oktober 1534. 146 Zur Datierung: Brief Graf Dauns und seiner Kriegsräte an klevische Räte in Düsseldorf vom 7. Mai 1535, GQM 2, S. 324. 147 Wolgast (Herrschaftsorganisation und Herrschaftskrisen im Täuferreich von Münster 1534/35 (wie Anm. 26), S. 200) weist auf die Parallele zu 4. Mose 1, 4 ff. hin, wonach das Volk Israel vor dem Betreten des verheißenen Landes Stammesführer gewählt hatte und nennt daher die - manipulierte - Wahl einen "Akt konsequenten Biblizismus[ses]" (ders. ebd., S. 200). 148 Kerssenbroch, GQM 6, S. 772 ff.; Gresbeck, GQM 2, S. 179 ff. 149 Kerssenbroch, GQM 6, S. 772 ff.; Gresbeck, GQM 2, S. 179 ff. 150 Gresbeck, GQM 2, S. 140 f., 170, 174 ff., 188 ff. 152 vgl. z.B. den Kampf um das westfriesische Oldekloster, Kerssenbroch, GQM 6, S. 793 ff. 153 Kerssenbroch, GQM 6, S. 151; Gresbeck, GQM 2, S. 183. 154 Gresbeck, GQM 2, S. 183: "So heft der koningk den anslach gemacket und heft die twolf hertoge gekoren, up dat se wolden dat gmein volk in dwangh halden, und hebben die porten so umbher besat, und hebben so ihre boferei bedreven wente tho dem ende tho." 155 Zum Zusammenhang zwischen Täufer- und Hexenverfolgung Waite, Gary K.: Between the devil and the inquisitor: Anabaptists, diabolical conspiracies and magical beliefs in the sixteenth-century Netherlands, in: Radical Reformation Studies, hg. von Packull / Dipple (wie Anm. 14), S. 120-140. 156 s. III. 1. c). Gütergemeinschaft und III. 2. d) Die Einführung der Mehrehe. 157 s. z.B. III. 2. c) Die "Öffentliche Verordnung der Zwölf Ältesten" und III. 3. c) Der Artikelbrief. 158 s. z.B. III. 2. b) Die "Ordnung des weltlichen Regiments in der Stadt Münster", Vorschriften Nr. 1 und 8 sowie III. 3. c) Der Artikelbrief, Art. 4. 159 s. III. 2. b) Die "Ordnung des weltlichen Regiments in der Stadt Münster". 160 s. III. 3. a) Die Thronbesteigung und III. 3. b) Die Hofordnung. 161 s. III. 3. b) Die Hofordnung. 162 s. III. 2. b) Die "Ordnung des weltlichen Regiments in der Stadt Münster" und Fn. 117. |
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