Artikel vom 13. Februar 2008
© 2008 fhi
ISSN 1860-5605
Erstveröffentlichung
Zitiervorschlag / Citation:

http://www.forhistiur.de/zitat/0802aure.htm

 

Andreas H. Aure (Humboldt-Universität zu Berlin):

Der säkularisierte und subjektivierte Naturrechtsbegriff bei Hugo Grotius*

1. Einleitung
2. Das Neuartige an Grotius’ Naturrechtstheorie
3. Grotius’ Methode
4. Die säkularisierende Kraft bei Grotius
5. Die Quelle des Naturrechts: Grotius’ Anthropologie
6. Der Kern des Naturrechts: Der subjektivierte Naturrechtsbegriff
7. Naturrecht als rectum
8. Kurze Vergleiche mit Thomas von Aquin und Hobbes
9. Bewertungen und Wirkungsweise von Grotius’ Ideen
10. Zusammenfassung
Anhang: Literaturliste




1. Einleitung

Der holländische Naturrechtsdenker Hugo Grotius (1583-1645) wird zunehmend als ein zentraler Vorläufer der Aufklärung1 und als ein Wegbereiter der Entwicklung der Theorie über subjektive oder individuelle Rechte wahrgenommen.2 Dies ist insbesondere auf zwei bedeutende Eigenschaften des von ihm geprägten Naturrechts zurückzuführen, die in diesem Artikel vorgestellt werden: einerseits sein Beitrag, das Naturrecht zu säkularisieren, d.h. seine Auffassung das Naturrecht lasse sich im Prinzip von Prämissen außerhalb der göttlichen Recht herleiten und andererseits seine Theorie über den subjektiven oder individualisierten Naturrechtsbegriff als Kern des Naturrechts.

1

Dieser subjektivierte Naturrechtsbegriff wird von jenem der römischen Juristen sowie von dem bei Aquin und Hobbes unterschieden. In diesem Artikel wird außerdem eine Einführung in Grotius‘ Methode gegeben. Der Beitrag schließt mit einem Abschnitt über die Wirkung seiner Ideen. Der Artikel berührt in dem Abschnitt ”Naturrecht als rectum” auch das Verhältnis zwischen Naturrecht und willensgesteuertem (positivem) Recht bei Grotius.3 Die Abhandlung basiert hauptsächlich auf meiner Beschäftigung mit De Iure Belli ac Pacis (IBP), das erstmals im Jahre 1625 erschienen ist.4

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Grotius sucht die Begründung für das Naturrecht in den Eigenschaften der menschlichen Natur.5 Diese Eigenschaften sind die dem Menschen innewohnenden Wünsche nach Selbsterhaltung und Soziabilität, also der Wunsch friedlich mit seinen Mitmenschen zusammenzuleben, vgl. IBP Prolog 4-6. Darüber hinaus zählen dazu die einzigartige Fähigkeit des Menschen zu Sprache und Vernunft. Viele Kommentatoren sind der Ansicht, dass Grotius eine Art Theorie der subjektiven Rechte entwickelt hat, welche auf Tatsachen der menschlichen Natur basiert.6 Subjektives Recht wird hier als eine Sphäre von Freiheit verstanden, die den Individuen in einem sozialen Umfeld zusteht oder zustehen sollte.7 Der Ideenhistoriker Jerome Schneewind hebt hervor, dass Grotius dafür sorgte, ”...that the idea of rights as natural attributes of individuals came to occupy a commanding place in modern European thought”.8

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Dass moralische Rechte universell sind und rational begründet werden können – auf der Basis von Studien der Wirklichkeit, wie es in der Naturrechtstradition getan wird, wird von den meisten Rechtstheoretikern unserer Zeit bestritten. Der Rechtspositivismus behauptet, dass Recht im Prinzip nichts anderes sein könne, als diejenigen Vorschriften, die der Staat erlässt um sie mit Gewalt durchzusetzen. Recht in dieser Bedeutung ist zunächst einmal über die Diskussionen über die mögliche moralphilosophische Grundlage oder darüber, was Recht sein sollte, erhaben. Die Diskussion darüber wird allenfalls Politikern und Philosophen überlassen. Will man aber unseres Rechtssystem und unsere Rechtsvorschriften verstehen, kann es indes ein Vorteil sein, die Denkweise und Argumente der Naturrechtsphilosophen zu kennen.9 Denn Fakt ist, dass unser Rechtssystem zu einem großen Teil ein Produkt naturrechtlichen Gedankenguts des 17. und 18. Jahrhunderts ist, dem goldenen Zeitalter des Naturrechts – der Epoche, in der Grotius als der wichtigste Pionier angesehen werden sollte.

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Grotius’ Theorie vom gerechtfertigten Krieg ist das eigentliche Thema in De Iure Belli ac Pacis, dessen Kern von seinem „minimalistischen“ oder subjektiven Naturrechtsbegriff gebildet wird. Denn laut Grotius kann in erster Linie nur die Verletzung oder die konkrete Gefahr einer Rechtsverletzung, bzw. Recht im eigentlichen Sinne (siehe Teil 6. Kern des Naturrechts), eine genuin gerechte Grundlage liefern, einen Krieg zu beginnen.10

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Hugo Grotius ist heute besonders wegen seiner Beiträge zur Entwicklung des modernen Natur- und Völkerrechts bekannt. Dies sind Normen, die für das Zusammenleben im Staat und zwischen den Staaten als bindend angesehen wurden. Aber er erlangte weit über seine Zeit hinaus auch Ruhm als Historiker, Theologe11, Dichter und Staatsmann. Von 1635 bis 1645 war er höchster Repräsentant des Schwedischen Reiches in Paris.12

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Grotius kam mit elf Jahren an die Universität und war mit 16 Jahren Rechtsanwalt. Sein literarisches Werk umfasst neben seiner umfangreichen Briefkorrespondenz mehr als hundert Titel in Prosa und Lyrik.13 Als sein berühmtestes Werk gilt De Iure Belli ac Pacis, das Grotius unter dem Schutz König Ludwigs XIII schrieb, nachdem ihm auf spektakuläre Weise14 die Flucht aus seiner politischen Gefangenschaft in Holland gelungen war.15 Es gibt mehr als 120 Ausgaben dieses Werkes und es ist in12 Sprachen übersetzt worden.16

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Das naturrechtliche Werk De Jure Praedae (im Engl. veröffentlicht als: Commentary on the Law of Prize and Booty) verfasste er im Alter von 23 Jahren. Es wurde zu seinen Lebzeiten nicht publiziert, mit Ausnahme des 12. Kapitels, das im Jahre 1609 unter dem Titel Mare Liberum (im Deutsch veröffentlicht als: Freiheit der Meere) publiziert wurde. Das ganze Manuskript von De Jure Praedae wurde erst 1864 gefunden und vier Jahre später herausgegeben.17

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Von großer Bedeutung ist Grotius’ große, systematische Darstellung des Privatrechts im Werk Inleidinge tot de Hollandische Rechts-geleerdheyd (im Engl. veröffentlicht als: The Jurisprudence of Holland), das erstmals 1631 veröffentlicht wurde. Dieses Werk erreichte in den ersten 200 Jahren nach seinem Erscheinen fast den Charakter eines Gesetzbuches für das römisch-holländische Recht. Bis in unsere Zeit hinein hat dieses Buch große Autorität als Lehrbuch in Südafrika gehabt.18

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2. Das Neuartige an Grotius’ Naturrechtstheorie

Hugo Grotius war der erste protestantische Gelehrte, der eine auf weltlich philosophischer Basis beruhende umfassende und einheitliche Naturrechtstheorie19 mit einer Theorie über eine starke staatliche Souveränität (summa potestas)20 kombinierte. Er gewann damit großen Einfluss in der Folgezeit, besonders in Nordeuropa. Grotius darf nicht nur als einer der wichtigsten Begründer oder Vorläufer des modernen Natur-, Völker- und Staatsrechts bezeichnet werden, sondern aufgrund seiner bedeutungsvollen Eigentums- und Vertragsrechtstheorien auch für das europäische Privatrecht im Allgemeinen.21 Auch seine Strafrechtstheorien, die er von naturrechtlichen Prinzipien herleitete, werden als Ausgangspunkt für die Entwicklung der klassischen Strafrechtsschule angesehen.22

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Umstrittener ist die Auffassung, dass Grotius der erste Gesellschaftsvertragshistoriker der Neuzeit war.23 Um diese Ansicht zu untermauern, wird besonders seine folgende Aussage angeführt: „Der Staat ist eine vollkommene Verbindung freier Menschen, die sich des Rechtsschutzes und des Nutzens wegen zusammengetan haben.“24 Es steht fest, dass Grotius zwischen der natürlichen menschlichen Gesellschaft/Bruderschaft und dem Staat unterscheidet und dass er den Staat als Menschenwerk ansieht.25

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Grotius griff offensichtlich auf frühere Denker zurück, doch die Art, wie er die unterschiedlichen Ideen kombinierte, war einzigartig. Er setzte neue Akzente für die zeitgenössische Naturrechtsdiskussion mit seiner detailierten und systematischen Darstellung natürlicher Rechte, deren Verletzung als gerechte Gründe für Krieg zwischen Staaten dienen könnte. Sein vielleicht herausragendster Beitrag war, dass er den damaligen Ideen von Recht eine explizit philosophisch-anthropologische Grundlage gab, bei der er auf die gemeinsame naturrechtliche Basis der verschiedenen Rechtsbereiche hinwies.26

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Die wichtigsten Pfeiler von Grotius’ Naturrechtsphilosophie können wie folgt beschrieben werden:

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1. Der Mensch kann das Naturrecht allein durch seine Vernunft erkennen.27

2. Das Naturrecht kann unabhängig von Gottes Willen oder Gottes Existenz sowohl erkannt werden als auch verpflichtend sein.28

3. Das unveränderliche, vernunftgesteuerte Naturrecht und das willensgesteuerte (positive) Recht (jus voluntarium) sind prinzipiell gesehen verschiedene Dinge.29 Es gibt einen Unterschied zwischen dem Recht, das sich aus der Natur und aus der Vernunft ableiten lässt (jus naturale), und dem Recht, das seinen Ursprung im Willen eines Wesens hat (jus voluntarium), sei es nun göttlicher Wille (jus divinum30) oder menschlicher Wille (jus humanum). Die Prinzipien des jus naturale sind laut Grotius unveränderlich und können leicht in ein System eingebracht werden. Dahingegen entziehen sich die Regeln des jus voluntarium einem solchen System, weil sie veränderlich sind.31 Das jus voluntarium ist aufgeteilt in das Völker- oder das zwischenstaatliche Recht (jus gentium: „Das Recht ... welches durch den Willen aller oder vieler Völker verbindliche Kraft erhalten hat.“32) und das Recht jeder einzelnen Gesellschaft (jus civile).33

4. Der Kern des Naturrechts ist, wie dieser Beitrag zeigen wird, Recht im eigentlichen Sinne, verstanden als moralische Qualitäten oder Eigenschaften, die jedem einzelnen Menschen eigen sind. Dieser „minimalistische“, individualisierte Rechtsbegriff, läutete für das politische und juristische Gedankengut Europas eine neue Epoche ein.

3. Grotius’ Methode

Grotius war Humanist. Er war Teil dessen, was man als intellektuelle Tradition der Renaissance bezeichnen kann, die zurück ad fontes, zurück zur Quelle wollte. Man suchte die Ideale des Altertums. Aristoteles,34 Stoizismus, Cicero35 und das Römische Recht bildeten für Grotius die wichtigsten Quellen der Inspiration.36 Als Quellen und als Zugang zu dieser Quellen, dienten für Grotius auch die Werke von Spätscholastikern wie Leonardo Lessius und Francisco Suarez, sowie Alberico Gentili.37

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Grotius versuchte, das Naturrecht entweder a priori oder a posteriori zu beweisen, ersteres basierend auf dem was man weiß bevor man eine Erfahrung macht und letzteres basierend auf denjenigen Schlussfolgerungen die aus der Erfahrung entnommen werden können. Die Unterscheidung zwischen dem apriorischen und aposteriorischen Naturrechtsbeweis gründet auf seiner Rezeption der klassischen Rhetorik.38

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“Dass es aber naturrechtliche Bestimmungen gibt, pflegt man teils aus den vorherigen, teils aus den späteren zu beweisen; jener Beweis ist scharfsinniger, der letzterer mehr verbreitet.

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Der Beweis a priori besteht darin, daß gezeigt wird, dass etwas notwendigerweise mit der vernünftigen und sozialen Natur der Menschen im Einklang steht oder nicht. Der Beweis a posteriori hingegen ist es, wenn zwar nicht mit voller Gewißheit, aber doch mit großer Wahrscheinlichkeit, das als Naturrecht zusammenzufasst wird, was bei allen Völkern oder bei allen gesitteten Völkern als solches gehalten wird.”39

Grotius benutzt beide Methoden in seinem Denken. Er stellt manche Ideen a priori als unbestreitbar wahr auf, z.B. dass der Mensch ein rationales Wesen ist, das sich ein friedliches Zusammenleben mit seinen Artgenossen wünscht (appetitus societatis), und leitet gewisse andere Prinzipien daraus ab (siehe hierzu den Abschnitt ”Der Kern des Naturrechts”). Es trifft jedoch nicht zu, wenn behauptet wird, Grotius praktiziere in De iure belli ac pacis eine mathematische Methode, indem er ein feingeschliffenes Ableitungssystem aufgestellt habe, von dem aus alle Rechtsfragen von gewissen Axiomen hergeleitet werden können. In Wirklichkeit war Grotius indessen viel zu sehr damit beschäftigt, sein Denken mit den Tatsachen und nicht minder mit Beispielen und Lehren aus der Geschichte zu verbinden.40

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Grotius sagt in seiner Prolegomena, dass einzelne fundamentale Verhältnisse, die das Naturrecht berühren, so sicher sind, dass niemand sie verleugnen kann, ohne sich selbst Gewalt anzutun. Die Naturrechtsprinzipien, so Grotius, seien fast gleichermaßen einleuchtend wie die Sinneswahrnehmungen.41 Er stellt aber später in De Iure Belli ac Pacis klar, dass es Unterschiede zwischen moralischen Fragen und der Mathematik gibt: »...„Aristoteles hat ganz recht, wenn er sagt, daß in der Moral nicht die gleiche Sicherheit wie in der Mathematik bestehe.»42

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Die überwältigende Anzahl von Zitaten, besonders von Verfassern des Altertums, sind als Beweis dafür angeführt worden, dass Grotius ein Historizist und kein richtiger Naturrechtsdenker gewesen sei. Grotius‘ Interesse für die Quellen des Altertums unterscheidet sich indes nicht von dem, was unter den Humanisten der Renaissance üblich war. Aber seine Methode unterscheidet sich von vielen seiner scholastischen Vorläufer, und zwar insofern, als er Zitate nennt und seine Vorgehensweise (den Beweis a posteriori) erläutert, um seine eigenen a priori-Beurteilungen und Grundlagen hierauf zu stützen. Er benutzt die Quellen, um seine eigenen Erkenntnisse darüber, was aus den Prinzipien des Naturrechts folgert, auszuweiten und vertiefen. Die Hinweise auf frühere Denker und historische Begebenheiten haben folglich, wenn es um den Beweis des Naturrechts geht, nur eine bekräftigende, aber keine konstitutive oder ”grundlegende” Funktion.43

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Aber das Naturrecht konnte auch durch die Zeugnisse der antiken Verfasser bewiesen werden: «Zum Beweis dieses Rechtes habe ich auch die Zeugnisse der Philosophen, Dichter, ja selbst der Redner benutzt.»44

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Doch noch einmal: Es sind nicht die Zeugnisse an sich, die Beweiskraft haben. Grotius verdeutlicht, dass man ihnen nicht blind vertrauen soll, denn sie dienten ja in der Regel ihrer Sekte, ihrem Thema oder ihrer Sache.45 Es ist vielmehr, dass wenn viele das gleiche behaupten, ist es wahrscheinlich, dass die Behauptungen oder Schlussfolgerungen, über die Einigkeit herrscht, eine universelle Ursache zugrunde liegt: «Aber wenn viele aus verschiedene Zeiten und allen Orten dasselbe als gewiss behaupten, muss dies auf einen allgemeingültigen Grund hinweisen.»46

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Solch eine Art Konsens dient zunächst als induktiver Beweis für Grotius‘ eigene vernünftige Beurteilung (a priori) für das, was aus den Prinzipien des Naturrechts abgeleitet werden kann. Außerdem ist ein solcher Konsens ein Indiz für ein richtiges Verständnis der Natur einer Sache (die universelle Ursache).47 Und je größer der Konsens ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das angenommene Prinzip wahr ist.48

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In beiden Fällen dient die Verwendung der antiken Quellen nur als Bekräftigung von etwas, was im Prinzip durch den Beweis a priori aufgedeckt werden kann. Denn, wie Grotius sagt, müssen die Zeugnisse im Prinzip immer auf ”eine richtige Schlußfolgerung, wie sie sich aus den Prinzipien der Natur ergibt [ex naturae principiis procedens]“ zurückgeführt werden, um eine Naturrechtsvorschrift zum Ausdruck gebracht haben zu können.49

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Der Konsens, den Grotius findet, ist natürlich keine zufällige Rekonstruktion, sondern eine von ihm getroffene Auswahl. Er verheimlicht nicht, dass er von den Quellen, die er benutzt, lernen kann oder von ihnen beeinflusst wird. Aber das kann so verstanden werden, dass er dieses Material in seinen eigenen Erkenntnisprozess einbringt.50 Grotius betreibt in keinem Fall unselbstständige oder unkritische „Namensstreuung“.51

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Viele Zeitgenossen von Grotius und auch Wissenschaftler nachfolgender Jahrhunderte haben ihn als Eklektiker beschrieben52 und meinten, dies mit der Textstelle Prolegomena 42 im IBP untermauern zu können.53 Eklektizismus54 bedeutet jedoch, systematisch die Gedanken und Theorien anderer Wissenschaftler anzuwenden, und er setzt außerdem eine ”Offenheit, Toleranz, Mäßigung und Bescheidenheit”55 voraus, die Grotius ziemlich fremd waren. Ich stimme daher zu einem großen Teil mit dem Ideenhistoriker Michael Albrecht überein, der schlussfolgert „Grotius wurde von seinen Kritikern ohne jeden stichhaltigen Beleg aus seinen Schriften zum ‚Klugen’ und zum Eklektiker gemacht“.56

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4. Die säkularisierende Kraft bei Grotius

Grotius vertrat eine unabhängige, „minimalistische“ Religiosität, die den Fokus auf Ethik und einige wenige Glaubensartikel legte, von denen Grotius sich erhoffte, dass alle Menschen darüber einig seien und die deshalb dazu geeignet wären, die Kirche wieder zu vereinigen. Um das Ausarten theologischer Streitigkeiten zu verhindern, war Grotius der Ansicht, dass der Staat in allen wesentlichen Kirchenfragen die oberste Autorität sein solle.57 Er versuchte, zwischen den verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen eine Brücke zu schlagen by defining a sort of common denominator, a broad religious concept, based on the idea of consensus, on the assumption that by recognizing and acknowledging this concept as their shared conviction, the parties will be brought to a mutual rapprochement and to love.”58

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Im Licht seiner Theorien und der Zeit, in der er lebte, ist er als ein großer Säkularisierer einzustufen. In jedem Fall hatten seine Gedanken einen stark säkularisierenden Effekt.59 Gottes Existenz war für Grotius unumstritten. Selbst wenn Gott der Ursprung der Natur ist,60 ist seine Existens nach Grotius keine notwendige Voraussetzung, weder für die Existenz des Naturrechts noch für dessen bindenden Charakter. Grotius’ Definition des Naturrechts als eine Anweisung der Vernunft (dictatum rectae rationis), inwieweit eine Handlung moralisch zu tadeln oder notwendig sei61, steht logisch auf eigenen Beinen und benötigt keine göttliche Beteiligung.62

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“Handlungen, für welche ein solches Gebot besteht, sind an sich geschuldet oder unerlaubt, und deshalb gelten sie als von Gott notwendig geboten oder verboten. Durch diese Merkmale unterscheidet sich dieses Recht nicht nur von dem menschlichen Recht, sondern auch von dem willensgesteuerten göttlichen Recht. Letzteres gebietet oder verbietet nicht diejenige Dinge, welche in sich selbst und durch ihre eigene Natur entweder geboten oder verboten sind, sondern macht diejenige Dinge unerlaubt oder geschuldet eben dadurch, dass Er sie jeweils verbietet oder gebietet.”63

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Grotius erklärt, dass das Naturrecht eine eigene Rechtsdisziplin sei, unabhängig vom göttlichen Recht (jus divinum).64 Um dies weiter zu unterstreichen sagt er an anderer Stelle, dass das Naturrecht auch dann gelten würde, wenn man annehmen würde (etiamsi daremus), dass Gott nicht existiert: »Diese hier dargelegten Bestimmungen würden auch Platz greifen, selbst wenn man annähme (was freilich ohne die größte Sünde nicht angenommen werden kann) dass es keinen Gott gäbe oder dass er sich um die menschlichen Angelegenheiten nicht bekümmere.» 65 66

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All das wurde dahingehend gedeutet, dass Grotius meinte, Gott sei weder eine notwendige Voraussetzung für die Erkenntnis der naturrechtlichen Ordnung noch für deren konkreteren Inhalt oder für ihren verpflichtenden Charakter.67 Die Vernunft allein ist ausreichend, um nicht nur den Inhalt des Naturrechts zu erkennen, sondern auch die Verpflichtung, im Einklang mit ihm zu leben. Für Grotius ist somit nicht länger der Schöpfer der Natur, sondern die Natur selbst der Ursprung der Rechtsordnung.68 Das Naturrecht wird unabhängig vom jus divinum erkannt und kann durch letzteres auch nicht verändert werden.69 Wie Grotius sagt: »Das Naturrecht ist so unveränderlich, daß es selbst nicht von Gott verändert werden kann.«70 Diese Trennung drückt den klaren Wunsch aus, das Recht auf einer von der Theologie unabhängigen Basis aufzubauen.71 Es ist bemerkenswert, dass Grotius ausdrücklich die Praxis, das göttliche Recht, sei es das Alte oder das Neue Testament, mit dem Naturrecht zu identifizieren, ablehnte. Dies im deutlichen Kontrast zu z.B. Francisco Suarez, der ja meinte, dass der Dekalog den Menschen als sekundäres Naturrecht gegeben war.72

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Normen, die von Gott z.B. durch die Bibel gegeben sind, sind jus divinum und nicht direkt für den Inhalt des Naturrechts regelnd oder bindend. Das jus divinum stellt laut Grotius bindende Normen für Christen dar, doch haben sie keinen sanktionierbaren Rechtscharakter in einem politischen Zusammenhang. Solche Normen sind Ausdruck für eine höhere Moral, die auf das Gewissen des Menschen einwirken kann und darauf, wo man im Jenseits ankommt.73

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Im Naturrecht des Mittelalters und der Scholastik fanden sich Einschläge der kirchlichen Lehre und das Naturrecht war stets an das lex aeterna geknüpft, das auf Gottes Vernunft oder Ordnung verweist. Die Scholastiker meinten freilich, dass es möglich sei, den Inhalt des Naturrechts zu verstehen, ohne sich auf Gott zu berufen, doch ihnen zu Folge existierte kein Recht und keine Handlungsverpflichtung ohne Gottes Befehl.74 Selbst wenn auch Grotius das Naturrecht nicht von Gott löst, so erfüllt dieser doch nur eine minimale ontologische Rolle und figuriert fast nur als Gedankennotwendigkeit.75

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Der Ideenhistoriker Michael Zuckert meint, dass Grotius‘ Verweltlichung des Naturrechts eine historische Funktion habe, die mit der Einführung der antiken Philosophie in das christliche Naturrechtsdenken durch Thomas von Aquin vergleichbar sei. Während Thomas von Aquin eine Synthese vom Christentum und der Philosophie des Altertums (und insbesondere die aristotelesche Philosophie) aufstellte, stellte Grotius eine „protestantische” Version des (thomistischen) Naturrechts auf, durch eine Art Synthese des römischen Rechts und der Philosophie des Altertums (wobei Aristoteles immer noch eine sehr bedeutende Rolle spielte).76

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Thomas von Aquins Synthese von Christentum und der Aristotelischen Philosophie hatte großen Einfluss auf das Spätmittelalter und führte mit der Zeit zu kulturellen Fortschritten, verglichen mit der Situation im Frühmittelalter. Diese Fortschritte konnten gleichwohl nicht verhindern, dass die Kirche an Macht und Status verlor. Martin Luthers Antwort auf die Veränderungen seiner Zeit und auf die gesunkene Autorität des Katholizismus war, dass die Christen sich unmittelbar an die Heilige Schrift halten sollten und nicht nach der thomistischen Gewichtung an Vernunft und Systemdenken. Die Menschen brauchten ausschließlich Gott als Berater, hieß es.

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Die kulturellen Veränderungen und die Konflikte der Protestanten mit den Katholiken, kombiniert mit den Bestrebungen der Fürsten nach Machtausweitung, erreichten ihren Höhepunkt mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648). Das Hauptmotiv, warum Grotius begann, sich mit De Iure Belli ac Pacis zu befassen war jedoch die Existenz von universellen Rechtsprinzipien aufzuzeigen, die im Interesse der Menschheit gewalttätigen Konflikte mildern und ihnen vorbeugen konnten.

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..ich habe viele und wichtige Gründe gehabt weshalb ich mich entschied darüber zu schreiben. Ich sah in den christlichen Ländern eine entartete Kriegführung, deren sich selbst rohe Völker geschämt hätten. Man greift aus unbedeutenden oder gar keinen Gründen zu den Waffen, und hat man sie einmal ergriffen, so wird weder das göttliche noch das menschliche Recht geachtet, ..” 77

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Das von Grotius identifizierte Rechtssystem, sollte unabhängig von Glaubensrichtungen gelten, ja, es hätte Geltung sogar für Ungläubige und Heiden. Denn Grotius’ Denken ist eine Antwort auf alle Formen von religiösem Fanatismus. Sowohl seine Theologie als auch sein Naturrecht beinhalteten eine Aufforderung zum Pluralismus. Menschen sollten nämlich auf die Weise leben können, die sie bevorzugen – soweit die Rechte anderer dadurch nicht betroffen sind: „Es ist ... nicht gegen die Natur der Gemeinschaft, für sich zu sorgen und zu schaffen, solange die Rechte anderer dadurch nicht verletzt werden.”78 Weiter: ».... [es gibt] viele Lebensweisen, die eine besser als die andere, und aus allen diesen steht es jedem frei die Lebensweise zu wählen, welche ihm gefällt, ...«79 Diese Gedanken dürften als sehr bedeutsame Anfänge einer Säkularisierung und Verschiebung des Staatszweck vom bonum commune zum libertas eingestuft werden.80 Und solche Anschauungen waren kaum dazu geeignet, bereits erhitzte Gemüter besonders in geistlichen, einschlißlich lutheranischen und calvinistischen, Kreisen zu beruhigen – De Iure Belli ac Pacis wurde z.B. unmittelbar auf den päpstlichen Index verbotener Bücher gesetzt. Das Verbot wurde erst 1900 aufgehoben, nachdem dies zur Forderung dafür erhoben worden war, dass der Vatikan an der Friedenskonferenz in Haag teilnehmen durfte.81

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Grotius ging im De Iure Belli ac Pacis auch mit zwei Widersachern der Idee des Naturrechts ins Gericht: dem Skeptizismus, der Grotius durch Karneades,82 den Leiter der Dritten Akademie Athens, vertreten ließ, und dem Machtrealismus, später zumeist als raison d'etat bekannt, der von Machiavellisten repräsentiert wurde.83 Es war Grotius’ Antwort auf den Skeptizismus seiner Zeit, die den Naturrechtskommentator Jean Barbeyrac dazu brachte Grotius zu bescheinigen die „veritables fondemens du Droit Naturel“ bekannt gemacht zu haben, und dass Grotius hierdurch „das Eis gebrochen hat[te]“.84 Grotius beschreibt auch die Gefahr des Pazifismus, den, so meinte er, auch Erasmus von Rotterdam vertrat.85 Machiavellisten und Erasmus repräsentierten für Grotius zwei unhaltbare Extreme auf seiner Suche nach einem gangbaren dritten Weg, so dass Menschen «nicht glauben würden, dass entweder nichts erlaubt ist oder alles erlaubt ist».86

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Grotius’ Versetzung der rechtsphilosophischen Diskussion hin zur Vernunftebene appellierte an viele seiner Zeitgenossen. Denn die Menschen waren ermüdet von unendlich vielen theologischen Polemiken, die über die Bedeutung von Wort und Dogmen in religiösen Texten sinnierten.87

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5. Die Quelle des Naturrechts

Unter den Römern herrschte Unklarheit darüber, was den Inhalt und Geltungsbereich des jus naturale und des jus gentium anbetrifft, aber auch in Bezug auf das Verhältnis der beiden zueinander. Gaius identifiziert jus naturale mit jus gentium: »Was .. die natürliche Vernunft für alle Menschen bestimmt hat, das wird … Völkergemeinrecht genannt ..«88 In den Institutionen von Justinian heißt es hingegen, dass die notwendigen Einrichtungen des Völkergemeinrechts (jus gentium), wie Gefangenschaft und Sklaverei, dem Naturrecht widersprechen können, da ja die Menschen frei geboren wurden.89 Meistens wurde jedoch das jus gentium als eine Art des jus naturale angesehen, und lief auch unter dem Namen jus naturale humanum. Den Römern zufolge entzieht nämlich die Tatsache, dass das jus gentium auf gesellschaftliche Konventionen (Gewohnheiten) basierte, dem Recht weder die Gültigkeit noch die Natürlichkeit. Sie waren der Ansicht, dass das, was am meisten übereinstimmte und/oder auf Gewohnheiten beruhte, ein Ausdruck des Natürlichen war. Sie versuchten, mit anderen Worten, eine Brücke zwischen den Gegensätzen von physis und nomos zu schlagen.90 Denn nur weil etwas durch Einigkeit zwischen den Menschen etabliert ist, entzieht es gesellschaftlichen Konventionen nicht die Autorität und Gültigkeit und ebenso wenig eine Form der Natürlichkeit.91

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Grotius kritisierte die Vermischung unterschiedlicher Rechtstypen durch die Römer und machte es sich zur Aufgabe, ein Rechtssystem aufzuzeigen, bei dem deutlich zwischen den Rechtstypen unterschieden wird.92 Grotius verkündet dabei, dass die Unterscheidung in den Büchern des römischen Rechts zwischen Naturrecht und ius gentium kaum irgendeinen Wert hat (usum vix ullum habet) (IBP I,i,XI). Der Punkt, bei dem die Römer laut Grotius falsch lagen, war, dass sie nicht in ausreichendem Maße zwischen vom Menschen erschaffenen Regeln und den Prinzipien, die ihren Ursprung in der Natur haben, unterschieden.93

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Während die Römer in Folge ihrer Vermischung von jus naturale und jus gentium damit zögerten, das jus gentium und sogar das jus civile als positives Recht zu kategorisieren, war Grotius sicher, dass sowohl das jus gentium als auch das jus civile Formen des positiven Rechts waren bzw. jus voluntarium. Diese waren abhängig vom menschlichen Willen oder der allgemeine Zustimmung und ihr Inhalt war veränderlich. Das Naturrecht hingegen ist unveränderlich und immer gleich.94

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Tonangebende römische Juristen meinten, dass das jus naturale im Kern die operativen Kräfte und Eigenschaften, die alle Menschen mit allen anderen Lebewesen gemeinsam hatten, bezeichnet, was alles beinhaltet, das die Art erhält.95 Dieser Naturrechtsbegriff bezeichnet damit schon etwas, das sowohl natürlich als auch allen gemeinsam ist. Aber er beinhaltete keine Prinzipien für etwas Hochstehendes oder für etwas, das für den Menschen charakteristisch ist.96 Grotius hingegen versucht, das Naturrecht als etwas spezifisch Menschliches darzustellen. Er stützt sich dabei auf die aristotelische Beobachtung, dass sich der Mensch in wesentlichen Punkten von anderen Tieren unterscheidet. In der Prolegomena 6 zeigt er, dass der Unterschied zwischen den Menschen und anderen Lebewesen größer ist als der Unterschied zwischen den anderen Arten unter einander.

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Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Tier und Mensch ist der menschliche Soziabilisierungsdrang (apetitus societatis – Grotius’ Übersetzung des griechischen Ausdrucks Oikeiosis97), also der dem Menschen innewohnende Wunsch, in friedlicher und geordneter Gesellschaft mit seinen Artgenossen zusammenzuleben. Grotius zu Folge würde der Mensch auch dann noch Gesellschaft suchen, wenn es ihm als alleinstehendem Individuum an nichts fehlen würde. Denn der Mensch ist allein schwach und benötigt viele Dinge.98 Dieser Drang nach Gesellschaft und Frieden wird unterstützt durch die menschlichen Fähigkeiten zu sprechen, allgemeine Regeln zu verstehen und nach ihnen zu handeln.99 Über diese Fähigkeiten verfügt nur der Mensch allein.

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Laut Grotius bildet dieser dem Menschen innewohnende Wunsch nach Aufrechterhaltung einer sozialen Ordnung in Übereinstimmung mit der menschlichen Vernunft die wirkliche Quelle des Rechts (societatis custodia, humano intellectui conveniens, fons est eius iuris). Um eine soziale Ordnung aufrecht zu erhalten, sind die klassischen Rechtsnormen notwendig. Aus ihnen folgert Grotius, dass man sich des fremden Guts enthält und es ersetzt, wenn man etwas davon besitzt oder genommen hat, ferner die Verbindlichkeit, gegebene Versprechen zu erfüllen, der Ersatz des durch unsere Schuld veranlassten Schadens und die Widervergeltung unter den Menschen durch die Strafe (Proleg. 8).

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Sowohl die Soziabilität als auch die Vernunft sind essentielle Eigenschaften der menschlichen Natur: Als Quelle des Naturrechts wird die innewohnende menschliche Soziabilität angesehen oder der Wunsch, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten, rational ausgedrückt im Verhältnis zu dem, was in Übereinstimmung mit der rechten Vernunft steht.100 Es liegt in der Natur, d.h. in der menschlichen Soziabilität und Vernunft, sich durch Recht und rechtsähnliche Regeln lenken zu lassen. Daher nennt Grotius die menschliche Natur «die Mutter des natürlichen Rechts».101

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Er behauptet damit, dass das Naturrecht nur für Menschen gilt. «Denn über Recht zu verhandeln ist streng genommen nur ein Lebewesen das allgemeine Vorschriften versteht fähig».102 Im Unterschied zu Tieren haben nur die Menschen die Fähigkeit, zu formulieren und nach generellen Prinzipien zu handeln (IBP Proleg. 7).

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Hiervon ausgehend war es ein Fehler, wenn Karneades und andere, als universelle Wahrheit ausgedruckt, behaupteten, dass der Mensch einen natürlichen Drang hat, nach eigenem Nutzen auf Kosten anderer zu streben. Diejenigen, die das behaupten, haben Grotius zufolge wesentliche eigentümliche menschliche Eigenschaften übersehen.103

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Er hebt hervor, dass es im eigenen Interesse oder zum eigenen Nutzen (utilitas) sei, als rationales und soziables Wesen rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen: „ ... der Bürger, welcher eines gegenwärtigen Nutzens wegen, das bürgerliche Recht verletzt, zerreißt damit das Band, das den dauernden Nutzen seiner und seiner Nachkommenschaft einschließt, und ein Volk, welches das Natur- und Völkerrecht verletzt, reißt damit für die Zukunft die Schutzwehr seines Friedens nieder.“104 Aber auch wenn es scheint, als ob etwas nicht zum eigenen Vorteil gereicht, muss es nichtsdestotrotz als klug (sapientiae) angesehen werden, wenn der Mensch auf eine Weise handelt, von der er annimmt, dass sie in Übereinstimmung mit seiner Natur steht.

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Der Mensch ist also infolge seiner Natur ein soziables Wesen, das nach rational hergeleiteten Rechtsnormen leben muss. Grotius greift kritischen Einwänden von denjenigen vor, die meinen, dass der Mensch durchaus nicht immer ein rationales und soziables Wesen sei, indem er sich unter anderem auf Aristoteles beruft: «Was naturgemäß ist, muß man nach denen bestimmen, die sich natürlich verhalten, und nicht nach denen, die schlecht geworden sind.»105

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6. Der Kern des Naturrechts

Wie bereits erwähnt ist der Staat bei Grotius idealtypisch und historisch «eine vollkommene Verbindung [coetus perfectus] freier Menschen, die sich des Rechtsschutzes und des Nutzens wegen zusammengetan haben»,106 denn”die Gesellschaft ist deswegen errichtet, damit, durch gemeinsamen Kraft und im Zusammenwirken, der Rechtbereich [suum] von jedem unverletzt bleibt.”107 Man kann daher behaupten, dass der Staat bei Grotius eine Funktion der Individuen ist, aus denen er besteht, und dass er zunächst einmal nicht mehr Macht oder Autorität hat als die Individuen ihm gegeben haben.108 Dafür dass der Staat das Recht des Einzelnen beschützt, ist der Bürger im Gegenzug dazu verpflichtet, sich den Gesetzen und Befehlen der Obrigkeit unterzuordnen.109

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Das Naturrecht existiert für Grotius in drei Bedeutungen: Recht als das, was nicht ungerecht ist; Recht als moralische Qualität, die eng mit den Individuen verbunden ist; Recht als rectum oder Recht im weiteren Sinne.110 Die letztgenannte Bedeutung wird im nächsten Kapitel näher erläutert.

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Die erste Formulierung:

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«[Als] Recht wird hier nur das Gerechte bezeichnet, und zwar mehr im verneinenden als bejahenden Sinne; so daß Recht ist, was nicht Unrecht ist. Unrecht ist aber das, was der Natur einer Gemeinschaft vernünftiger Wesen widerstreitet.”111

Grotius beschreibt hier Recht im negativen Sinn, wo Ungerechtigkeit als etwas angesehen wird, das mit einer Gesellschaft von rationalen Wesen widerstreitet. Hierin liegt die Verpflichtung, nichts zu tun, was den Gesellschaftsfrieden gefährdet. Damit sind solche Dinge wie nicht zu stehlen, keine Absprachen zu brechen und es nicht zu unterlassen, diejenigen zu bestrafen, die das Recht verletzen, gemeint.112 Grotius definiert hier Gerechtigkeit negativ, nämlich als Verpflichtung, es zu unterlassen, in die Rechtssphäre von anderen einzugreifen. Mit Cicero weist er darauf hin, dass es im Widerspruch mit der Natur steht zu rauben, was einem anderen gehört. Dies zu erlauben würde die menschliche Gesellschaft und Bruderschaft zerstören (societas hominum et communitas evertatur).113

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Um das Prinzip des Unrechts oder dessen, was im Widerspruch zu einer Gesellschaft mit rationalen Wesen zu stehen scheint, zu konkretisieren, beschreibt Grotius jus als eine Eigenschaft, die direkt an die Individuen geknüpft ist:114

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“Von diesem Begriff des Rechts abweichend, gibt es ein anderer, der jedoch von ihm abstammt und der auf die Person bezogen wird. In diesem Sinne ist das Recht eine moralische Eigenschaft [Qualitas moralis], kraft der eine Person etwas gerecht haben oder tun kann. ... Ist die moralische Eigenschaft vollkommen, so heißt sie eine Fähigkeit [Facultas], ist sie weniger vollkommen, eine Geeignetheit [Aptitudo]. ...”115

In dieser auf das Individuum orientierten Bedeutung von jus liegt der innovative Kern des Naturrechts116, woraus Grotius seine Naturrechtstheorie und ein System dazu entwickelt, was als gerechte Gründe für einen Krieg dienen können. Diese Formulierung von natürlichem Recht unterscheidet er von dem, was er justitia attributrix nennt, d.h. distributive/attributive Gerechtigkeit. Denn

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».. viele haben schon einst dies [prudens dispensatio – kluge Verteilung] zu einem Teil des Rechts im eigentlichen und strengen Sinne gemacht, als doch dieses Recht [ius] im eigentlichen Sinne eine ganz andere Natur hat. Diese Natur besteht darin, dass man das, was schon jemand gehört, in Ruhe lässt, oder das was man schon jemand schuldet, erfüllt.«117

Laut Grotius baut die am Individuum orientierte oder subjektivierte Formulierung des Naturrechts, d.h. die moralische Qualität, die eine Person innehat, um etwas berechtigterweise zu haben oder zu tun, auf zwei unterschiedliche Typen von Gerechtigkeit – nämlich der attributiven oder der expletiven Gerechtigkeit. Beide entsprechen den aristotelischen Begriffen von der distributiven, respektive der wiederherstellenden, Gerechtigkeit. Die distributive Gerechtigkeit beinhaltet z.B., dass jemand, der eher einer Auszeichnung würdig ist, oder für eine Stellung geeignet ist, einen höheren Anspruch auf eine solche Ernennung hat, als jemand, der weniger würdig oder geeignet ist. Wiederherstellende Gerechtigkeit bedeutet z.B., dass Eingriffe in die legitime Verfügungssphäre einer Person (suum118 - lateinisch für ”sein eigen”) durch Ersatz und Strafe geschützt werden können.

57

Aus der attributiven Gerechtigkeit folgert bloss einen potentialen, moralischen Anspruch oder ein Billigkeitsanspruch ohne die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung, während mit der wiederherstellenden Gerechtigkeit, ausgedrückt als justitia expletrix, eine solche Zwangsmacht folgt. Diese justitia expletrix ist der Ausdruck für eine sogenannte perfekte moralische Qualität (qualitas moralis perfecta), während die justitia attributrix eine unperfekte moralische Qualität (minus perfecta) zum Ausdruck bringt (IBP I,i,IV).

58

Grotius sucht eine Begründung für die justitia expletrix, indem er zurückschaut auf etwas, das eine legitime Verfügungssphäre im Naturzustand gewesen sein müsste. Ein jeder würde dann, laut Grotius, den Anspruch auf Schutz von Leben, Freiheit und Nutzung von besitzlosen Naturressourcen haben. Die Gesellschaft ist gebildet worden, um diese ursprüngliche Verfügungssphäre zu beschützen:

59

»die Gesellschaft ist deswegen errichtet, damit, durch gemeinsame Kraft und im Zusammenwirken, die Rechtssphäre [suum] von jedem unverletzt bleibt. Dies würde offenbar auch stattfinden, wenn das Eigentum, wie man es jetzt versteht, nicht eingeführt wäre. Denn das Leben, die Glieder und die Freiheit würden auch dann jedem zu eigen gehören, so daß sie nicht ohne Unrecht von einem anderen angetastet werden könnten.«

»Von Natur gehört dem Menschen sein Leben, nicht um es zu verlieren, sondern um es zu erhalten, sein Körper, seine Glieder, sein guter Ruf, seine Ehre, sein eigenes Handeln.«119

Das Eigentumsrecht ist laut Grotius in stillschweigender Übereinkunft eingeführt worden120, weil die Menschen die Vorteile dieser Lebensform im Vergleich zu dem Zustand der vorstaatlichen Lebensformen bestehend aus undefinierten Nutzungsrechten einsahen.121 Selbst wenn das Eigentumsrecht durch den menschlichen Willen eingeführt worden ist, so ist die Institution an sich vorstaatlich und hat ihre naturrechtliche Sanktion und ihren naturrechtlichen Schutz.122 Grotius schreibt, dass der Mensch das gleiche Recht auf sein Habe (res) wie auf seine Handlungen (actiones) hat.123

60

Jus im eigentlichen und rechtlichen Verstand umfasst danach laut Grotius’ eigener Auflistung:

61

» - Das Recht [potestas] über einen selbst, das Freiheit [libertas] genannt wird, oder das Recht über andere, wie es ein Vater über seine Kinder hat [patria] oder ein Herr über seine servos [dominica].124

- Eigentumsrechte [dominium], die mehr oder weniger vollständig sind (wie Nutzungs- oder Pfandrechte).

- Forderungsrechte [creditum],125 die die Schuldigkeit [debitum] eines anderen etwas zu leisten oder erdulden wiederspiegelt.«126

Während “aus der bloßen Geeignetheit [aptitudine], welche weniger zutreffend [minus proprie] Recht genannt wird, und zur attributiven Gerechtigkeit gehört, entsteht kein wahres Eigentumrecht [verum dominium], und daher auch keine Verbindlichkeit zum Ersatz [restitutionis], denn das was angemessen ist [aptus est], erlangt nicht in den Rechtbereich [suum] von Jemandem.”127

62

Grotius unterscheidet zwischen dem Anspruch, den der beste Flötenspieler an die beste Flöte hat in Bezug auf die attributive Gerechtigkeit (justitia attributrix) und den Anspruch, den der Flötenbesitzer in Bezug auf die vollkommene Gerechtigkeit (justitia expletrix) hat. Selbst wenn der beste Flötenspieler eine Art Recht hat – so z.B. dass es das beste oder passendste wäre, wenn der beste Flötenspieler das beste Instrument besitzt – ist es schwierig nachzuweisen, dass eine andere Person eine konkrete Verpflichtung hat dafür zu sorgen, dass der beste Spieler die beste Flöte erhält. Doch das Wesentliche ist, dass diese Gerechtigkeit mit dem suum oder den Rechten einer anderen Person in Konflikt gerät. Das würde dazu führen, dass das Recht im eigentlichen Sinne seinen absoluten Charakter verliert, was wiederum den sozialen Frieden gefährden würde.128 Eine rechtliche Handhabung der attributiven Gerechtigkeit den Menschen untereinander würde auch der Voraussetzung für die Staatsbildung widersprechen, die ja gerade der Schutz des suum ist.129

63

Ein anderes Beispiel, das diesen Punkt näher beleuchtet, bilden die Streitigkeiten, denen eine Gesellschaft ausgesetzt sein könnte, wenn beispielsweise jemand, der meint, er sei am besten geeignet Staatschef zu sein - oder ist es auch tatsächlich – und solle auch das Recht haben, dies zu erzwingen. Es würde dieser Person das Recht auf eben diese Stellung geben, unabhängig davon, inwieweit andere innerhalb der Gesellschaft denjenigen als Staatschef wollen oder mögen.

64

Es ist einleuchtend, dass eine erzwungene Handhabung des jus attributrix unkontrollierbar wäre und ins Chaos oder zu unendlichen Interessenskonflikten führen würde. Daher fällt, Grotius zufolge, die Tatsache, dass eine Person eine Sache oder eine Position verdient in Bezug auf die attributive Gerechtigkeit, in einen Bereich, der außerhalb des vollständigen oder perfekten Rechts liegt.

65

Recht im eigentlichen und rechtlichen Sinne umfasst für Grotius also nicht jede Form von Gerechtigkeit oder Tugend, sondern nur die Gerechtigkeit, die für den Schutz (custodia) der Gesellschaft nötig ist. Der Schutz oder Aufrechterhaltung der Gesellschaft ist die Quelle der vollständigen Gerechtigkeit oder des Rechts im eigentlichen Sinne.

66

Und dieser Typus Gerechtigkeit ist eine Eigenschaft oder Qualität bei Personen und etwas, das einer Person innewohnt, kraft ihres Menschseins. Der Kern im Naturrecht ist damit nicht länger das objektive Recht oder ein rechtmäßiger Zustand. Nach Grotius stellen die moralische Qualitäten den Ursprung des Rechts dar und nicht umgekehrt das objektive Recht den Ursprung für die Qualitäten.130 Damit hat er seinen einzigartigen Wechsel vom objektiven zum subjektiven Recht vollzogen.

67

Grotius ist nahe daran zu sagen, dass Recht bloß bedeutet, die Rechte anderer zu respektieren. Das Recht auf Leben, Glieder und Freiheit, die mit dem Begriff suum zusammengefasst sind, werden so als persönliche Attribute verstanden, die allen und jedem gehören, außerhalb und unabhängig von welcher Gesellschaft auch immer.131 Er gibt dem jus eine Form und einen Inhalt, was spätere bedeutende Naturrechtsdenker wie Samuel Pufendorf und insbesondere John Locke weiterentwickelten und verkündeten, und die zusammen i hohem Maße die amerikanischen Revolutionäre und viele europäische Bürgerrechtsbewegungen inspiriert haben.

68

Grotius’ Subjektivierung des Naturrechts in der Form ius proprie aut stricte dictum, sollte als die prägnanteste und kraftvollste Quelle des modernen Begriffs des subjektiven Rechts angesehen werden.132 Jus im eigentlichen Sinn bedeutet nur die Verpflichtung das, was schon jemandem gehört, unberührt zu lassen, und das, was man schon jemandem schuldet, zu erfüllen, d.h. justitia expletrix.133 Zusammen mit der Trennung des Rechts von der Theologie, ist der subjektive Begriff des jus, verstanden als durchsetzbare Individualrechte, vielleicht sein wirkungsvollster ideen- und rechtsgeschichtlicher Beitrag.134

69
   

7. Naturrecht als rectum

Grotius gibt überdies eine dritte Bedeutung des Naturrechtsbegriffes, bei dem Verpflichtung als entscheidendes Element in naturrechtlichen Normen aufgezeigt wird.

70

Es gibt noch einen dritten Begriff des Rechts,.. als eine Regel des moralischen Handelns, welches mit dem, was Recht ist, verbindet. … Recht in diesem Sinne [umfaßt] nicht bloß die hier behandelte Gerechtigkeit, sondern auch andere Tugenden.”135

71

Recht in diesem erweiterten Sinne beruht auf der menschlichen Fähigkeit, beurteilen zu können, was das Überleben auf kurze und längere Sicht fördert oder hindert. Es umfasst auch andere Tugenden als Gerechtigkeit im engeren Sinne (wie Mäßigung, Mut, Klugheit, Wohltätigkeit136), falls die aktuelle Tugend eine Verpflichtung innehat. Diese Verpflichtung kann sowohl bloß eine moralische (Verpflichtung ohne Zwang oder diesseitige Sanktion) oder auch eine positiv-rechtliche (mit Zwang) Basis haben. Dagegen sind “Ratschläge und ähnliche Reden zwar anständig, aber sie verpflichten nicht und bilden deshalb kein Gesetz oder Recht”137 nicht inbegriffen. Grotius konstatiert, dass Anweisungen zu Handlungen, die unsere Vernunft nur als ehrenhaft (honesta) oder als die bessere Alternative von zwei Möglichkeiten anweist – die aber keine Verpflichtung (non debita) innehaben – fälschlicherweise (per abusionem) als Naturrecht bezeichnet worden sind.138

72

Wie ist das nähere Verhältnis zwischen diesem Rechtsbegriff und dem jus voluntarium? Die Gültigkeit des jus voluntarium begründet Grotius primär in der Verpflichtung gemäß dem Naturrecht Einwilligungen oder soziale Konventionen (Gewohnheiten) einzuhalten.139 Diese Begründung ist unproblematisch wenn das willensgesteuerte Recht Verhältnisse reguliert, die in voller Übereinstimmung mit Recht im eigentlichen Sinne stehen, oder, wenn das willensgesteuerte Recht Verhalten reguliert, die dem Naturrecht neutral oder unbestimmt gegenübersteht. In dieser Lage existiert kein Widerspruch, und das willensgesteuerte Recht ist in jeder Hinsicht gerecht. Aber wie ist die Lage, wenn das willensgesteuerte Recht von dem Recht im eigentlichen Sinne abweicht? Handlungen und Ergebnisse, die in sich oder anscheinend ungerecht sind, werden dann vom willensgesteuerten Recht durch äußerliche Straffreiheit oder auch durch direkten Schutz bei weltlichen Gerichten sanktioniert, vgl. Proleg. 41. Grotius stellt nämlich fest, dass diese Straffreiheit und die Autorität der Gerichte bedeutungslos wären, wenn es in solchen Fällen ein Recht auf Widerstand geben sollte.140 Aber die Verpflichtung, dem willensgesteuerte Recht zu gehorchen mit Hinweis auf den Vertragsgedanken zu gehorchen, scheint in solchen Fällen formalistisch und wenig befriedigend.

73

Hier gilt es, dass das Naturrecht im weiteren Sinne, formuliert als lex oder rectum, eine präzisere und verständlichere Begründung für die Gehorsamspflicht verleiht. Die eigentliche Begründung für die Verpflichtung (oder Notwendigkeit) zu gehorchen gründet sich nämlich auf andere lebensfördernde Tugenden (wie Mäßigung) oder Wertebetrachtungen (wie, dass das geringere von zwei Übeln zum Guten wird141) - solche Moralprinzipien sollten manchmal bevorzugt werden anstatt auf reinen Gerechtigkeitsprinzipien zu beharren.

74

Ein Krieg, der von der Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne abweicht, z.B. weil ihm objektiv gesehen eine gerechte Ursache fehlt, oder, der auf eine grausame und ungerechte Weise geführt wird, kann Grotius zufolge trotzdem als rechtmäßig gemäß jus gentium angesehen werden.142 Dem naturrechtlichen Gebot, gemäß jus gentium, die äußerlichen Konsequenzen, die einem Krieg folgen, zu akzeptieren und dem Sieger zu gehorchen, wird eine nähere Begründung in der dritten Formulierung des Naturrechtsbegriffes gegeben. Denn es ist nicht klug um jeden Preis sein Recht (im eigentlichen Sinne) zu verteidigen oder einzufordern. Um Leben und Ordnung aufrechtzuerhalten und um neue Kriege zu vermeiden, sollte man die Notwendigkeit und das Wertvolle am jus gentium erkennen und sich von anderen Tugenden wie Rationalität (sapientia) im weiteren Sinne leiten lassen.143

75

Grotius zufolge hat die benachteiligte Partei dementsprechend, gemäß jus gentium, in einem in sich rechtmäßig (ohne kriminellen Betrug - mendacium) zustande gekommenen Vertrag in dem aber die materielle aequalitas (d.h. der naturrechtliche Anspruch auf Gleichwertigkeit zwischen den Leistungen) nicht erfüllt ist, kein Recht auf Grund dieser Tatsache Klage zu erheben. Die übervorteilte Partei, sei zwar nach dem aequalitas verpflichtet eine Leistung zu einem gerechten Preis zu verkaufen, nicht aber gemäß jus gentium. Aequalitas als Anspruchsgrundlage sei dementsprechend durch jus gentium aufgehoben worden. Dieses Recht (iuris) ist eingeführt worden, um Konflikte zwischen denjenigen, die keinen gemeinsamen Richter haben zu verhindern, und es ist für den Käufer gemäß De Iure belli ac pacis I,i,IX moralisch verpflichtend (rectum) diesem Recht zu gehorchen.

76

Durch diese Formulierung des Naturrechtsbegriffes wird also dem willensgesteuerten Recht, das vom Recht im eigentlichen Sinne abweicht, eine tiefere Verankerung in der Vernunft gegeben.144 Während der Gültigkeit des willensgesteuerten Rechts, sei es jus civile oder jus gentium, im naturrechtlichen Prinzip „Verträge/Einwilligungen seien einzuhalten“, jf. Proleg. 16-17 verankert ist, und sich als solches von Gerechtigkeit im eigentlichem Sinne ableitet, folgt die Verpflichtung dem willensgesteuerten Recht (das vom Recht im eigentlichem Sinne abweicht), zu gehorchen, tiefer gesehen dem (im weiteren Sinne) rationalen Prinzip oder der Tugend, dass man von zwei Übeln das kleinste wählen sollte.

77

Für die Gültigkeit des jus gentium im Beispiel des Krieges, der objektiv ohne gerechten Grund geführt wird, spricht außerdem, dass die Frage, welche der Parteien den gerechten Grund hat, oft für die nicht direkt beteiligten Parteien schwer zu beurteilen ist.145 Und dass ein ungerechter Kriegführender unbestraft freikommt, ist schlecht, aber immerhin dem „System“, in welchem überhaupt keine Normen existieren, vorzuziehen.146 Das Übel, das dadurch von den Völkerrechtssubjekten gewählt wird (nämlich die Machtposition des Siegers zu respektieren und eventuell einen Friedenstraktat anzunehmen, das unter normalen Umständen oder „in sich selbst“ unbillig/ungerecht ist) hört damit nicht auf ein Übel zu sein, aber es sollte toleriert werden, um größeres Unheil zu vermeiden.147

78

Die dritte Formulierung des Rechtsbegriffes bekräftigt, wie wichtig Sanktion oder Zwang im Naturrechtssystem bei Grotius ist. Das große Gewicht oder die Rationalität, die Grotius dem willensgesteuerte Recht beimisst, kombiniert mit dem was er als den vollkommenen Naturrechtsbegriff beschreibt (ius est qualitas moralis perfecta), gibt dem Naturrecht einen ausgeprägten juristischen Charakter. Wie er sagt: „[D]as Recht fehlt seiner äußeren Kraft ohne Hilfe der physischen Macht.“148 Die Möglichkeit zur Zwangsvollstreckung wird in der Tat ein formelles naturrechtliches Kriterium. Gleichzeitig werden Recht und Moral mit diesem Kriterium unterschieden.149

79

Er fügt aber auch hinzu: „[E]in von der Macht entblößtes Recht [entbehrt] nicht aller Wirkung. Denn die Gerechtigkeit bringt die Ruhe des Gewissens, die Ungerechtigkeit die Qualen des Gewissens, wie sie nach Platons Beschreibung in der Brust des Tyrannen wüten“. 150 Grotius beteuert, dass jeder (auch derjenige der tyrannisch handelt) als rationales Wesen, ein Interesse oder einen Nutzen (utilitas) daran hat, sowohl moralische als auch rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen, und dass es ohnehin „von Weisheit und nicht von Torheit zeugt, wenn man sich dahin wendet, wohin uns, wie wir fühlen, die Natur zieht“.151

80
   

8. Kurze Vergleiche mit Thomas von Aquin und Hobbes

Wenn man das Naturrecht von Grotius mit dem von Thomas von Aquin vergleicht, stellt man fest, dass das Naturrechtsbegriff des heiligen Thomas mehr umfasst als dasjenige von Grotius. Thomas von Aquin unterscheidet nicht zwischen moralischen Tugenden im weiteren Sinne von dem Naturrecht im eigentlichen Sinne, und definiert auch nicht das Recht als eine an eine Person geknüpfte moralische Fähigkeit oder Qualität. Bei Thomas von Aquin gehört zum jus naturale nicht nur «everything toward which man is inclined in accord with his nature», sondern auch «all virtuous acts».152

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Gemäß Aquin sind die Prinzipien für das jus naturale in drei Ebenen von natürlichen Neigungen eingeteilt. Die erste Ebene ist die grundlegende Neigung eines jeden Lebewesens, den eigenen Organismus aufrechtzuerhalten. Die Selbsterhaltung ist für Thomas von Aquin jedoch eine Anweisung des natürlichen Rechts. Die zweite Ebene ist die Neigung aller Tiere, der Mensch inklusive, die eigene Art zu erhalten: «… the union of male and female, the education of offspring, etc.», d.h. die Dinge, die die Reproduktion und die Aufrechterhaltung der eigenen Art einbeziehen und nicht nur die Aufrechterhaltung des Individuums. Die dritte Ebene umfasst die Neigung, die einzigartig für den Menschen ist, nämlich das Gute in Bezug auf den rationalen Charakter zu suchen. Dies beinhaltet die Neigung, die der Mensch hat «toward knowing the truth about God and toward living in society».153 Laut Thomas von Aquin hat kein anderes Tier diese Neigung.

82

Grotius seinerseits meint, das nur die zuletzt erwähnte Ebene Aquins direkt das jus naturale im rechtlichen, eigentlichen Sinne berührt, und davon wiederum nur der Teil, der die Neigung, in einer Gesellschaft zu leben, betrifft.154

83

Viele sind der Ansicht, dass Grotius Theorie an Thomas Hobbes Naturrechtstheorie erinnert, weil beide den Begriff des jus naturale – bei Hobbes mit der Bezeichnung «Right of Nature»155 ausgedrückt – im Verhältnis zu Aquins Theorie radikal einschränken. Der Ideenhistoriker Richard Tuck sieht in Grotius den eigentlichen Urheber der Naturrechtstheorie, die dann durch Hobbes bekannt gemacht wurde. Auch andere sehen, mit unterschiedlichen Begründungen, in Grotius den wahren Begründer des modernen Naturrechts.

84

Es ist richtig, dass sowohl Grotius als auch Hobbes, Thomas von Aquins Schema von rechtsgenerierenden natürlichen Neigungen umwälzen und vereinfachen. Aber wo Grotius das Naturrecht vollständig auf den zweiten Teil von Aquins dritter Neigungsebene, die auf die menschliche Soziabilität abzielt, begründet, basiert Hobbes‘ Theorie auf der menschlichen Neigung zur Selbsterhaltung, die der Mensch mit allen anderen Wesen gemein hat. Grotius findet, wie bereits erwähnt, die Grundlage für das Naturrecht in dem, was er als die höchste und für den Menschen einzigartige Neigungsebene ansieht, nämlich die Neigung, als rationales Wesen in einer Gesellschaft leben zu wollen.156

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Hobbes’ Version des Naturrechts ist ein markanter Bruch mit der aristotelischen Tradition innerhalb der politischen Philosophie bzw. der Rechtsphilosophie. Grotius hingegen modifiziert sowohl Aristoteles selbst als auch die aristotelische Tradition in hohem Maße, bleibt aber dennoch innerhalb einer aristotelischen Einflussphäre. Dies geschieht auf verschiedene Weisen, am meisten jedoch als Folge des Naturalismus, den er vertritt, und seine Auffassung von der menschlichen rationalen Soziabilität.157

86

Für Grotius ist Naturrecht zunächst einmal die Fähigkeit, in Übereinstimmung mit dem Respekt für die Gesellschaft und dem suum der Bürger zu handeln (d.h. dem subjektiven Recht der Bürger). Die rationale und gesellige Natur des Menschen ist die Grundlage für dieses Recht. Darüber hinaus sieht Grotius Verpflichtung als eine definierende Charakteristik des Rechts. Hobbes jedoch nimmt als Ausgangspunkt das Recht oder die Freiheit, die ein Mensch in einem Naturzustand hat, mehr oder weniger alles, was er möchte, zu machen – ein Recht ohne irgendeine korrespondierende Verpflichtung (vor der Bildung eines Gesellschaftsvertrages).158

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Ein wesentlicher philosophischer Unterschied zwischen Grotius und Hobbes besteht in ihrem Menschenbild. Unterschiede in der Menschenbild machen gewöhnlich aus, für welche Staatsform man sich entscheidet und wie viel Macht man dem Staat überlässt. Während Hobbes den Menschen als homo homini lupus (der Mensch ist des Menschen Wolf) ansah, war Grotius weitaus optimistischer in seinem Menschenbild und vertrat stattdessen das Prinzip homo homini amicus159 (der Mensch ist des Menschen Freund). Er stimmte daher z.B. Aristoteles Aussage zu, dass der Mensch von Natur aus, d.h. in seiner rationalen Form, ein sanftes Wesen ist.160

88

Grotius kombinierte das Naturrecht der römischen Juristen mit dem der Thomisten auf eine neuartige Weise. Er verwarf ihr Verständnis vom jus naturale, nach dem die universelle Natur aller Lebewesen keine Antwort darauf gibt, was die spezifische Natur des Menschen ausmacht – und somit auch nicht, was das menschliche jus naturale ist. Bei dieser Kritik ist Grotius mehr oder weniger einig mit Thomas von Aquin und seinen Nachfolgern. Er zeigt damit eine breitere und höhere Auffassung der Natur, als es für die Thomisten charakteristisch war, zusammen mit einem vom römischen Recht inspirierten reduzierten und eingeschränkten Begriff des Rechts.

89

Das Leben in einer Gesellschaft wird bei Grotius am besten durch bestimmte spezifische Rechte und Verpflichtungen für das Individuum gefördert. Es würde Unruhe in eine Gesellschaft bringen, die Dinge unsicher machen und eine reelle Gefahr für Eskalation und Konflikte bedeuten, wenn man moralische Tugenden im weiten Sinne als rechtlich, d.h. als jus im eigentlichen Sinne behandeln würde. Er verleugnet nicht, dass es andere natürliche „Rechte“ gibt, aber er spricht ihnen den Status als Recht im juristischen Sinne ab, auch weil diese anderen „Rechte“ ohne diesen Status bestehen könnten. Er ist zusammen mit Aristoteles der Ansicht, dass Tugend Freiheit voraussetzt oder dass Tugend nicht erzwungen werden darf.161 Die Tugenden oder «Rechte«, die man in Bezug auf die justitia attributrix hat, lassen sich ausgezeichnet als moralische Verpflichtungen realisieren.

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9. Einige Bewertungen und Wirkungen von Grotius’ Ideen

Die Nachwelt hat Grotius sehr unterschiedlich bewertet. Eine von Rousseaus vielen Tiraden gegen Grotius in seinem Buch Du Contrat Social war, dass Grotius Recht auf Tatsachen aufbaute.162 Kant wiederum beschrieb Grotius, wie andere Naturrechtsdenker auch, als einen leidigen Tröster.163 Hegel behauptete, dass De Iure Belli ac Pacis von niemandem mehr gelesen werde.164 Doch bevor die Negativbeurteilungen dieser großen Denker wirksam wurden, war Grotius´ Naturrecht in großen Teilen von Europa Allgemeingut geworden.

91

Deutsche Naturrechtsdenker und Aufklärungsphilosphen wie Samuel Pufendorf165 , Christian Thomasius166, Adam Friedrich Glafey167 und Christian Wolff168 bauten in hohem Maße auf Grotius’ Theorien auf. Auch Gottfried Wilhelm Leibniz ließ sich von seinen Theorien inspirieren und gab diesen die Bezeichnung »incomporabilis doctrina».169

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In den anglo-amerikanischen Ländern war das Interesse für Grotius immer sehr groß. Mit Hinblick auf England kann man berechtigterweise behaupten, dass nicht John Locke der wichtigste Urheber der englischen Glorious Revolution im Jahre 1689 war, sondern viel eher Hugo Grotius, den Michael Zuckert den »Master of Whig170 Political Philosophy»171 nennt.

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Und es ist damit auch möglich Verbindungslinien zwischen der amerikanischen Revolution und Grotius aufgrund seines großen Einflusses auf John Locke und spätere englische, schottische und amerikanische Naturrechts- und Aufklärungsdenker zu ziehen. Es wird behauptet, dass John Locke den zentralen materiellen Inhalt seines Rechtsdenkens von Grotius übernommen hat.172 Was Locke in Wirklichkeit tat, war zu sagen, dass die Rechtstheorien, die Grotius auf grundätzlich zwischenstaatliche Verhältnisse anwandte, auch innerhalb eines Staates volle Gültigkeit hätten oder haben sollten.

94

In Schweden setzte die Rezeption von Grotius´ Ideen durch den Austausch von Gelehrten der Universitäten Straßburg und Uppsala besonders früh ein. Diese Rezeption wurde noch stärker, nachdem Samuel Pufendorf 1668 Professor in Lund wurde, wo er 1672 sein Meisterwerk De iure naturae et gentium libri octo, (Über das Natur- und Völkerrecht in acht Büchern) und im darauffolgenden Jahr die Synopsis De Officio hominis et civis (Über die moralische Verpflichtung des Menschen und des Bürgers) herausbrachte.173

95

In Dänemark-Norwegen war es der Volksaufklärer Ludvig Holberg, der die Theorien des Hugo Grotius weitervermittelte. Dies geschah durch sein populäres Naturrechtsbuch Introduction til Naturens of Folke-Rettens Kundskap (1716), vergleiche den Untertitel »uddragen af de fornemste Juristers besynderlig Grotii Pufendorfs og Thomasii Skrifter». Das Menschenbild in diesem Buch wurde die Basis für Holbergs spätere Tätigkeit als Schriftsteller.174 Holberg schrieb in seinen Memoiren, dass Grotius mit De Iure Belli ac Pacis „das Eis in der Sittenlehre gebrochen [hat], viele andere sind ihm gefolgt, aber keiner hat seine Vollkommenheit erreicht.“175

96

Grotius’ Rechtsideen bekamen direkt oder durch die oben erwähnten Denker auch Einfluss auf die Entwicklung der Gesetzgebung während der Aufklärung. Als Beispiele können das Königsgesetz oder das Lex regia in Dänemark-Norwegen und das Gesetz des Schwedischen Reiches aus dem Jahr 1734 angesehen werden.176 Innerhalb der internationalen Politik erlebten die Ideen von Grotius eine gewisse Renaissance gegen Ende des 19. Jahrhunderts und die Konventionen von Haag und Genf über die Kriegsführung zeigen seinen Geist. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich wieder viele Juristen und Philosophen den naturrechtlichen Ideen zugewandt auf ihrer Suche nach möglichen Gründen und Antworten, wie die Grenzen für staatliche Machtausübung zu ziehen seien.

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10. Zusammenfassung

Für Grotius ist die Quelle des Naturrechts das, was notwendig ist, um eine Gesellschaft, die aus rationalen Wesen besteht, zu schützen und aufrecht zu erhalten. Diese Grundlage beinhaltet vor allem eine Verpflichtung nicht anzutasten was einem anderen gehört. Denn Recht im eigentlichen Sinne bedeutet den Schutz dessen, was einem selbst gehört (suum), d.h. das Eigentum im weitesten Sinne, oder das Recht auf Leben, Freiheit und rechtmäßig erworbenes Eigentum. Diese Rechte sieht Grotius als das Mittel an, durch das die Ziele Selbsterhaltung und sozialer Friede erreicht werden können.177

98

Grotius’ Ideen breiteten sich schnell über das Europa des 17. Jahrhunderts aus, besonders in England, doch auch in hohem Maße innerhalb der schottischen Aufklärung.178 In Deutschland wurden seine Ideen besonders durch Pufendorf verbreitet. Grotius’ Theorie von den Rechten als einer Art natürlicher Attribute, die den Individuen innewohnt, sollte große Aufmerksamkeit und Durchschlagskraft in der Gedankenwelt der modernen europäischen Politik bekommen.179 Sein, in Vergleich mit allen früheren Naturrechtslehren, umfassendes und detailliertes Naturrechtssystem wurde „zum Steinbruch aller späteren Naturrechtsgebäude“.180

99

Der Appell der Idee bestand im theologisch neutralen, „minimalistischen“ Naturrecht, das mit einem ausgeprägten Realismus kombiniert war. Dies wurde z.B. durch das Gewicht zum Ausdruck gebracht, das Grotius dem jus gentium und dem jus civile in seinem System beimaß. Er versuchte damit, das Ideelle mit der Wirklichkeit, das Theoretische mit dem Praktischen auf einzigartige Weise zu kombinieren. Grotius glaubte, dass diese Kombination seinem Hauptziel dienen würde, nämlich Kriege, die durch Religion und rohe Machtansprüche motiviert seien, zu verhindern, bzw. zu lindern.

100

In einer Zeit mit stetig anwachsendem religiösen Fanatismus, dem oftmals mit philosophischer Ratlosigkeit begegnet wird, kann die Kenntnis von Grotius rationale Theorien von Mensch, Staat und Recht eine wichtige Quelle für sowohl ein besseres Selbstverständnis als auch für neue Ideen sein.

101
   

Anhang: Literaturliste


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Fußnoten:

* Der Autor ist Doktorand an der Humboldt-Universität zu Berlin. Das Thema seiner Dissertation ist die Rezeption von Hugo Grotius’ Ideen zum gerechten Krieg an deutsche Universitäten im 17. Jahrhundert. Dieser Artikel ist eine überarbeitete Version des bereits auf Norwegisch erschienenen Aufsatzes „Hugo Grotius’ sekulariserte og subjektiverte naturrett“, in Retfærd 04/2007. Der Autor dankt Benjamin Straumann und Wim Decock für ihre anregenden und hilfreichen Kommentare der deutschen Version.

1 H. Blom, Drei Bücher über das Recht des Krieges und des Friedens (1625), in: M. Brocker (Hg.), Geschichte des politischen Denkens, Frankfurt am Main 2007, S. 199-211, hier S. 200. Grotius kann als ein wichtiger Frühaufklärer eingestuft werden, insbesondere wenn man Ideen, die geeignet sind, die Macht des Adels und der Kirche abzubauen, als wesentliche Charakteristika des Begriffes der Aufklärung versteht, vgl. K. Flasch, Das Licht der Vernunft, München 1997, S. 7.

2 Siehe B. Straumann, Hugo Grotius und die Antike, Frankfurt a. M. 2007. B. Straumann, Is Modern Liberty Ancient? Roman Remedies and Natural Rights in Hugo Grotius' Early Works on Natural Law, in: IILJ Working Paper 2006/11 (History and Theory of International Law Series) (www.iilj.org) 2006, S. 35, stellt den Begriff des subjektiven Rechts bei Grotius vorzüglich dar. Straumann meint, dass Grotius „was the first of the natural lawyers to develop a fullyfledged account of subjective natural rights“, Straumann, ebd., S. 8. Zur Geschichte des subjektiven Rechts allgemein siehe H. Coing, Zur Geschichte des Begriffs „subjektives Recht“, in: Coing, Lawson und Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, Frankfurt a.M. 1959, B. Tierney, The Idea of Natural Rights, Atlanta 1997 und M. Villey, La formation de la pensée juridique moderne, Cours d’histoire de la philosophie du droit, nouvelle édition corrigée, Paris 1975.

3 Dazu siehe L. Besselink, Cynicism, Scepticism and Stoicism, in: H. Blom und L.Winkel (Hg.), Grotius and the Stoa, Assen 2004, S. 177-195, und P. Remec, The position of the individual in international law according to Grotius and Vattel, Haag 1960, S. 66 ff. A. Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis, Kopenhagen 1933, S. 242 f. beschreibt das Verhältnis zwischen Naturrecht und positivem Recht, das auch für Grotius' Theorie ziemlich zutreffend ist, denn «.. das natürliche Recht [führt mit sich] eine übersinnliche, potentielle Zwangsmacht, die sich, wenn die Rechte positiviert werden, in dem physischen Zwange des positiven Rechtes aktualisieren.». Grotius drückt es so aus: « [W]enn Gerichtsverhandlungen mißlingen, bricht der Krieg aus. » (ubi iudicia deficiunt incipit bellum.) De Iure Belli ac Pacis (IBP) II,i,II,1. Die Zahlen entsprechen Buch, Kapitel, Abschnitt und evt. Unterabschnitt. Zum Rangverhältnis zwischen ius naturale (Naturrecht) und ius gentium (welches nach Grotius als willensgesteuertes Völkergemeinrecht übersetzt werden kann) bei Grotius empfehle ich: M. Kunde, Der Präventive Krieg: Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung, Frankfurt a. M 2007, S. 43 ff. und S. 74 f. Siehe auch Anm. 115.

4 Vollständiger Titel: De jure belli ac pacis libri tres in quibus ius naturae et gentium item iuris publici praecipua explicantur (Drei Bücher über das Recht des Krieges und des Friedens, in welchen das Natur- und Völkergemeinrecht und das Wichtigste aus dem öffentlichen Recht dargestellt werden.) Die Ausgabe von B.J.A. De Kanter-van Hettinga Tromp, Leiden 1939, wurde benutzt, welche alle von Grotius selbst vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen kennzeichnet. Diese Ausgabe wurde 1993 von Robert Feenstra neu herausgegeben und mit zusätzlichen Anmerkungen erweitert. Die hier wiedergebene Übersetzungen bezieht sich auf diejenige von Schätzel (Das Recht des Krieges und des Friedens, Tübingen 1950), die allerdings manchmal von mir verbessert, bzw. geändert worden ist. Die zwei englischen Übersetzungen des De Iure Belli ac Pacis von Kelsey et al. (The Law of War and Peace, Oxford 1925) und Morrice et al. (The Rights of War and Peace, Indianapolis 2005) sind herangezogen worden.

5 Siehe z.B. Grotius, De Jure Praedae Commentarius, New Jersey 2003, S. 78: “Denn Recht ist von Fakten abgeleitet. ... eine andere Weise zu lernen, der Wahrheit gemäß, gibt es nicht ... Die menschliche Vernunft, von dieser Notwendigkeit gezwungen, hat für sich gewisse grundlegende Prinzipien aufgestellt um über Fakten angemessen beurteilen zu können.” (meine Übers.) (Jus enim ex facto oritur. .. nec ullus est alius vere noscendi modus. Hac necessitate humana ratio compulsa ad factorum judicia regulas sibi quasdam verisimilium .. fabricavit.)

6 So z.B. R. Tuck, Natural Rights Theories, Cambridge 1979; K. Haakonssen, Hugo Grotius and the History of Political Thought, in: Political Theory 1985, S. 239-265; S. Buckle, Natural Law and the Theory of Property, Oxford 1991; M. Zuckert, Natural Rights and the New Republicanism, Princeton 1994; J. Schneewind, The Invention of Autonomy, Cambridge 1998. Ablehnend z.B. C. Edwards, Hugo Grotius, The Miracle of Holland, Chicago 1981.

7 Diese Sphäre von Freiheit gewährt Zuständigkeit oder Kontrolle und sagt nicht wie der einzelne Mensch innerhalb dieser Sphäre handeln sollte, vgl. T. Smith, Moral Rights and Political Freedom, Lanham 1995, S. 18.

8 Schneewind, Autonomy (Anm. 6), S. 81.

9 Die Juristen haben eine wichtige Rolle in der Debatte darüber, was Recht sein sollte. Durch ihre Kenntnisse vom praktischen Rechtsleben geben sie dieser Debatte eine unermessliche Dimension, welche die politischen Philosophen ohne diese Erfahrung nicht geben können. Diese Rolle ist besonders wichtig für Juristen, die an Gesetzgebungsprozessen teilnehmen.

10 Nicht zu vergessen ist, dass Grotius in seinem Naturrechtssystem jus gentium oder “das Recht der Völker” wichtige rechtliche Autorität gibt. Siehe dazu noch Abschnitt 7 “Naturrecht als rectum”.

11 Theologische und kirchenpolitische Fragen waren für Grotius nicht weniger wichtig als Rechtsphilosophie/politische Theorie. Ein zentrales Werk für das Verhältnis zwischen Staat und Religion, aber auch allgemein zum Verhältnis Staat und Bürger ist De Imperio Summarum Potestatum circa Sacra (Über die Befugnisse der höchsten politischen Gewalt in Religionsangelegenheiten) von 1647. Dieses Werk ist in einer kommentierten Ausgabe von H.J. van Dam mit englischer Übersetzung von 2001 (Leiden) verfügbar. Besonders große Verbreitung erhielt De Veritate Religionis Christianae (Über die Wahrheit der christlichen Religion), erstmals 1622 auf Niederländisch in einer poetischen Form erschienen. Eine umfassende Abhandlung zu den frühen theologischen Werken bei Grotius, einschließlich De Imperio und De Veritatate, findet man in F. Mühlegger, Hugo Grotius. Ein christlicher Humanist in politischer Verantwortung, Berlin 2007.

12 Seit Generationen ist soeben die erste umfassende Biographie über Grotius erschienen, und zwar vom Herausgeber des 17 bändigen Briefwechsel von Grotius: H. Nellen, Hugo de Groot, Een leven in strijd om de vrede, Amsterdam 2007.

13 Vgl. H. Hofmann, Hugo Grotius, in: M. Stolleis (Hg.), Staatsdenker der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1995, S. 52-77, hier S. 59.

14 Am 22. März 1621 erlangte Grotius die Freiheit wieder, nachdem er sich in einer Bücherkiste aus Loevestein tragen ließ. Grotius hatte während seiner Haft einen ständigen Zugang zu Büchern, wofür sein enger Freund, Gerhard Johann Vossius, sorgte.

15 Die Verurteilung von Landesadvokat Oldenbarnevelt, Grotius und zwei anderen holländischen Stadtsyndikusen, nachdem ihnen vorgeworfen worden war, die vereinigten Provinzen in Gefahr gebracht zu haben, kann als Kulmination eines langjährigen religiösen- und religionspolitischen Konflikts in den Vereinigten Provinzen angesehen werden. Grotius wies darauf hin, dass die Souveränitätsrechte von Holland verletzt worden seien, und verurteilte den Prozess scharf in seiner Rechtfertigungsschrift Verantwoordingh van de Wettelijcke Regieringh (1622), vgl. H. Nellen, Hugo Grotius 1583-1645, Bonn 1983. Diese Schrift, die heimlich in Holland gedruckt wurde, wurde ein Bestseller, war jedoch nicht dazu geeignet, die Feindseligkeit gegen ihn in den Niederlanden zu mildern.

16 Hofmann, Grotius (Anm. 13), S. 60.

17 De Jure Praedae Commentarius wurde 2006 in Englisch (Commentary on the law of prize and booty) neu aufgelegt. Die Übersetzung ist diejenige von Gwladys L. Williams von der Classics of International Law Reihe, inzwischen mit neuen Anmerkungen von Martine van Ittersum versehen.

18 Hofmann, Grotius (Anm. 13), S. 60

19 Zuckert zufolge war Grotius «the first to present the true art or science of law». Grotius pointierte, die Bedeutung der Rechtswissenschaft [iuris arte] von der Politikwissenschaft [artem politicam] zu unterscheiden und tadelte Bodin, beides vermischt zu haben, vgl. Proleg. 57. Hinsichtlich der Organisation und Dokumentation hat Grotius jedoch einem anderen Protestanten, dem aus dem Katholizismus konvertierten, aus Italien nach England ausgewanderten Alberico Gentili viel zu verdanken, vgl. A. Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts in gedrängter Darstellung, München 1960, S. 120.

20 Siehe mehr dazu: IBP I,iii-iv. Im Gegensatz zu Jean Bodin meint Grotius, dass die Staatssouveränität (summa potestas) auf mehrere Personen oder Organe verteilt sein kann, vgl. Borschberg 1994, S. 117 ff. und Konegen, Hugo Grotius und die moderne Politikwissenschaft, in: N. Konegen (Hg.), Staat bei Hugo Grotius, Baden-Baden 2005, S. 159-179, hier S. 173 f. Hoheitsträger können somit Widerstand gegen einander leisten, falls Verfassungsverletzungen und Machtmissbrauch stattfinden. In einem unveröffentlichten Manuskript rechtfertigte Grotius den Freiheitskampf der Niederländer gegen Spanien vor der Abspaltung 1581 so: «The Duke of Alba extorted, or endeavored to extort, taxes or tribute from these peoples .. by the threat of violence and action that was adjudged by all constitutional experts to be most pernicious. Now the States [of Holland] had a right, by virtue of their mark of sovereignty, to block the raising of these taxes.» Grotius 1994, S. 281. Siehe auch infra Anm. 109. Grotius schaffte mit seiner Staatsrechtstheorie «a remarkable power in the original or constitutional act of human will or agreement», Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 146. Konegen, ebd., S. 179, meint , Grotius „bereitete … den Boden für einen gewaltenteilenden Verfassungs- und Rechtsstaat“.

21 Giambatista Vico (1668-1744) bezeichnete Grotius «the jurisconsult of the human race». Zitiert nach J. Macdonnell und E. Manson (Hg.), Great jurists of the World, Boston 1914, S. 181. Vico glaubte jedoch, bezeichnend für die Zeit, dass er es sich als Katholik nicht leisten könnte, seinem Wunsch nachzugeben und das Werk von Grotius zu kommentieren, vgl. Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts (Anm. 19), S. 127.

22 D. Hüning, ”Nonne puniendi potestas reipublicae propria est”, Die naturrechtliche Begründung der Strafgewalt bei Hugo Grotius. I: Jahrbuch für Recht und Ethik, Die Entstehung und Entwicklung der Moralwissenschaften im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2001, S. 93-124. Es handelt sich, Hüning zufolge, um folgende Elemente: Die strikte Unterscheidung von Naturrecht und Moraltheologie bzw. von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit und Gerichtsbarkeit; die Beschränkung der Strafbarkeit auf die sog. äußeren Handlungen (kein Zwang zur Tugend); die Aufstellung des Schuldprinzips und der persönlichkeitsbezogenen strafrechtlichen Verantwortlichkeit; schließlich eine grundlegende Revision der Verbrechenslehre, ebd. S. 97 f. Dass die Frage der Strafe für Grotius wichtig war, beweist die Tatsache, dass die Erörterungen über Strafe etwa ein Zehntel des gesamten De Iure Belli ac Pacis ausmachen.

23 Für eine gründliche Diskussion, inwiefern Grotius ein Gesellschaftsvertragstheoretiker sei, siehe F. Grunert, Normbegründung und politische Legitimität, zur Rechts- und Staatsphilosophie der deutschen Frühaufklärung, Tübingen 2000, S. 116 ff. Grunert bezeichnet Grotius´ Theorie als «Juristischer Kontraktualismus», S. 148 ff. Zuckert, New Republicanism (Anm. 6) S. 137, gibt zu, dass Grotius ein Gesellschaftsvertragstheoretiker ist, aber dass «he has no doctrine of a state of nature». Tadashi meint, dass Grotius, was ihn von späteren Gesellschaftsvertragstheoretikern unterscheidet, seine Staatstheorie nicht aufstellt «with an awareness of the need to dismantle a given state or society, trace it back to the hypothesis of the state of nature, and reconstruct it, starting with an enquiry into the essential nature of human beings”, T. Tadashi, State and Governing Power, in: Onuma Yasuaki (Hg.), A Normative Approach to War, Oxford 1993b, S. 122-146, hier S. 133. Für eine Reihe Referenzen, die auf Erörterungen dieser Frage hinweisen, siehe P. Borschberg, Grotius, the Social Contract and Political Resistance. A Study of the Unpublished Theses LVI, in: IILJ Working Paper 2006/7 (History and Theory of International Law Series (www.iilj.com).

24 IBP I,i,XIV,1, vgl. Proleg. 15. Diese Definition hat ihr Vorbild bei Cicero, De re publica, Jeffrey Henderson (Hg.), London 1928, I, 39, vermittelt an Grotius durch Augustins Civitas Dei 2, 21, vgl. auch Cicero, De officiis, Stuttgart 1976, 2, 73. Mehr dazu: Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 183 ff.

25 Vgl. Grotius, De Iure Praedae Commentarius (Anm. 17), S. 137-138. Siehe auch Haakonssen, Hugo Grotius (Anm. 6), S. 239.

26 Vgl. Konegen , Hugo Grotius (Anm. 20), S. 169, vgl. S. 160.

27 Onuma Yasuaki schreibt, dass Grotius mit IBP “in principle liberated legal norms from religion”. O. Yasuaki, Introduction, in: O. Yasuaki (Hg.), A Normative Approach to War, Oxford 1993, S. 8.

28 Siehe z.B. K. Haakonssen, Natural law and moral philosophy, Cambridge 1996, S. 29 und Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 81.

29 Samuel Pufendorf meinte, dass ‘no one before Hugo Grotius [...] accurately distinguished the laws of nature from positive law, and put them in proper order’, . Pufendorf, Specimen controversiarum circa jus naturale ipsi nuper motarum, Uppsala 1678, S. 26. Zitiert nach R. Tuck, The ’modern’ theory of natural law, in: Anthony Pagden (Hg.), The Languages of Political Theory in Early-modern Europe, Cambridge 1987, S. 99-122, hier S. 103. Hier muss aber hinzugefügt werden, dass Pufendorf sich wenig für die Spätscholastiker, wie z.B. Suarez, interessierte, was die Richtigkeit dieser Beurteilung fraglich oder diskutabel erscheinen läßt, vgl. Fiammetta Palladini, Die Bibliothek Samuel Pufendorfs. In: Dies. (Hg.), Samuel Pufendorf und die europäische Frühaufklärung. Berlin 1996, S. 28-39.

30 Bei Grotius ist jus divinum positivum moralisches oder religiöses Recht und als solches vor Allem für das Gewissen oder justitia interna bindend. Als politische Norm geht das Naturrecht vor jus divinum, dort wo sich diese Normquellen anscheinend widerstreiten. Die rechte Vernunft ist daher dem Glauben übergeordnet. Vgl. Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 97 f.

31 Proleg. 30.

32 «..id est quod Gentium omnium aut multarum voluntate vim obligandi accepit.» IBP I,i,XIV. Das jus gentium bei Grotius war maßgeblich für die Entwicklung der Normen für internationale Beziehungen. Jus gentium darf aber nicht mit dem, was wir heute unter Völkerrecht/Internationale Politik verstehen, verwechselt werden. Jus gentium umfasst z.B. bei Grotius rein privatrechtliche Rechtsprobleme, welche heute zunächst von dem Internationalen Privatrecht (IPR) der einzelnen Länder gelöst werden würden. Vgl. Remec, Grotius and Vattel (Anm. 3), S. 88, und E. Tießler-Marenda, Einwanderung und Asyl bei Hugo Grotius, Berlin 2002, S. 125 ff. Andererseits können heute noch privatrechtliche Fragen schnell völkerrechtliche Brisanz kriegen, wenn das IPR eines Landes für unerträglich oder unzumutbar gehalten wird und verschmähte Parteien Schutz und Unterstützung von ihren Heimatsstaaten fordern.

33 Siehe z.B. Proleg. 30.

34 “Unter den Philosophen gehört dem Aristoteles mit Recht die erste Stelle.” Proleg. 42. Nach dieser Huldigung kommt aber eine mehrere Abschnitte umfassende Kritik an Teilen von Aristoteles' Moralphilosophie, z.B. Das Prinzip der goldenen Mitte. Eine umfassende und aufschlussreiche Widerlegung von Grotius' Kritik unternahm der aristotelische Naturrechtsdenker Samuel Rachel (1632-1691), siehe S. Rachel, Dissertations on the Law of Nature and of Nations (De iure naturae et gentium dissertationes), Washington DC 1916, S. 109-124.

35 Cicero ist der meistzitierte philosophische Verfasser in IBP und ist Straumann zufolge normativ gesehen die wichtigste Inspirationsquelle für Grotius, vgl. Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 121.

36 Für eine neue, ausgezeichnete Darstellung über die Bedeutung der Altertumsquellen für die Theorie von Grotius, siehe Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2). Straumann ist der erste Grotiuskommentator, der die Bedeutung der klassischen Rhetorik für Grotius' Methode umfassend analysiert und hervorhebt.

37 Leonardus Lessius (1554-1623), dessen Haupwerk De iustitia et iure im Jahre 1605 erschien, übte einen großen Einfluß auf Grotius, vgl. R. Feenstra, Der Eigentumsbegriff bei Hugo Grotius im Licht einiger mittelalterlicher und spätscholastischer Quellen, in: O. Behrends u. A. (Hg.), Feschrift für Franz Wieacker zum 70. Geburtstag, Göttingen 1978.

38 Vgl. Straumann, Hugo Grotius (Anm. 2), der vor allem auf die Bedeutung von Quintillians Instituto Oratoria hinweist.

39 IBP I,i,XII,1.

40 Vgl. R. Schnepf, Naturrecht und Geschichte bei Hugo Grotius, in: ZnR 1998, S. 1-14, hier S. 8.

41 IBP Proleg. 39. Meine Hervorhebung. Merke, dass Schätzels Übersetzung, obwohl die sich auf die Ausgabe des IBP von 1646 beruht, den Begriff “ferme” (fast) auslässt. Dies hat bei Publizisten, die sich auf diese Übersetzung verlassen haben, zu Missverständnissen hinsichtlich der Methode von Grotius´ geführt. Der Satz, wie er in allen Ausgaben ab 1631 erschien: Principia enim eius iuris, si modo animum recte advertas, per se patent atque evidentia sunt, ferme ad modum eorum quae sensibus externis percipimus; ...

42 IBP II,xxiii,I. Daher ist es um so wichtiger, dass man sich z.B. im Vertragsrecht auf objektive Auslegungsprinzipien stützen kann, wodurch “der Versprechende zu dem, was eine angemessene Auslegung hervorbringt” (promissorem cogere ad id quod recta interpretatio suggerit), gezwungen werden kann. Dies „weil die inneren Vorgänge im Geiste in sich nicht ersichtbar sind” (quia interni actus per se spectabiles non sunt). IBP II,xvi,I.

43 Vgl. Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 70 ff und Macdonnell, The Great Jurists of the World, (Anm. 21), S. 180. Vgl. G. Posthumus Meyjes: «His frame of reference was unquestionably enriched and enhanced by what he found in others, but it was barely, if at all, altered by them, since its foundations had been conclusively laid from the start. ... He obviously had no sense of doubt about his own scheme of reference, but rather appropriated the phrase: Noli perturbare circulos meos.” Posthumus Meyjes, G.H.M. Introduction, in: Posthumus Meyjes (Hg.): Hugo Grotius, Meletius sive De iis quae inter Christianos conveniunt epistola, Leiden 1988, S. 1-71, hier S. 62.

44 IBP Proleg. 40

45 IBP I,iii,V,6 und Proleg. 40.

46 Proleg. 40.

47 Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 72.

48 J.P. Heering, Hugo Grotius as apologist for the Christian religion: a study of his work De veritate religionis Christianae, 1640, Leiden 2004, S. 86 f. Grotius führt in IBP II,xxiii,IV in Anlehnung an Aristoteles weiter aus: “Zur richtigen Beurteilung ist [..] Übung und Erfahrung erforderlich; wenn diese Fehlen, um selbständig ein Urteil zu fällen, so sind kluge Leute um Rat zu fragen. Denn nach Aristoteles scheinen Sachen als wahr, sind also wahrscheinlich, welche von allen Menschen oder von den meisten oder wenigstens von den Gebildeten so angesehen werden, und diese besonders dann, wenn von den Gebildeten die meisten oder die hervorragendsten zustimmen. Diesen Weg der Entscheidung benutzen besonders die Könige, welche keine Zeit haben, selbst das Entscheidende in den Künsten und Wissenschaften zu erlernen und zu erwägen.”

49 Proleg. 40. Gilt der Konsensus Prinzipien, die nicht von den naturrechtlichen Prinzipien abgeleitet oder zurückgeführt werden können, ist der Konsens Ausdruck für das jus gentium, vgl. dieselbe Stelle. Wie ist jeweils zwischen Zeugnissen für das Naturrecht und das jus gentium zu unterscheiden? Grotius schreibt in Proleg. 40: “Deren Unterschied kann man zwar nicht aus den Aussprüchen selbst entnehmen (denn die Schriftsteller verwechseln zum Teil das Naturrecht mit dem Völkerrecht), aber aus der Beschaffenheit des Gegenstandes. Denn alles, was sich aus bestimmten Grundsätzen durch sichere Schlussfolgerung nicht ableiten lässt und doch überall befolgt wird, hat offenbar seinen Ursprung in dem freien Willen.”

50 Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 73.

51 Grotius erklärt in Proleg. 47, dass Referenzen an Dichter und Redner kein großes Gewicht haben, dass aber ihre Aussagen eine dekorative Funktion haben. Diese Arbeitsweise mit diesen Quellen entspricht derjenigen der klassischen Rhetorik, Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 117.

52 Siehe Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 73 ff. mit weiteren Referenzen.

53 Proleg. 42, die auf die sogenannte «christliche Methode» anspielt, welche die Freiheit der Christen, „welche auf keine Philosophen Sekte schwuren“, bezeichnet.

54 Zu Eklektik allgemein, siehe M. Albrecht, Eklektik, Trier 1994, und H. Dreitzel, Zur Entwicklung und Eigenart der ’Eklektischen Philosophie’, in Zeitschrift für historische Forschung 1991, S. 281-343. Eklektik hatte in der frühen Neuzeit einen weitaus positiveren Begriffsinhalt als heute. Während der Aufklärung wurde Eklektik oft als ein dritter Weg zwischen Skeptizismus und Dogmatismus angesehen. Hegel trug zum Bedeutungswandel bei, als er Eklektik mit Synkretismus gleichstellte, vgl. Dreitzel, ebd., S. 281.

55 Albrecht, Eklektik (Anm. 55), S. 669.

56 Albrecht, Eklektik (Anm. 55), S. 510, vgl. S. 170 f.

57 Vgl. H. Grotius, De imperio summarum potestatum circa sacra, in: H.J. v. Dam (Hg.), Leiden 2001.

58 Posthumus Meyjes, Introduction (Anm 43), S. 23.

59 Vgl. die umfassende Erörterung von Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 86 ff. Vgl. auch W. Röd, Geometrischer Geist und Naturrecht, München 1970, S. 70.

60 Weil Gott existiert muss aber das Naturrecht “Gott zugeschrieben werden, weil er gewollt hat, daß dieses menschliche Wesen besteht”, Proleg. 12. Dies interpretiert Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 85 als ein “voluntaristisches Moment”. Er meint, dass Grotius‘ Semantik keinen theologischen oder offenbarungstheologischen Charakter hat, sondern als eine metaphysische Notwendigkeit benutzt wird, ebd. S. 86. Vgl. Haakonssen, Natural Law (Anm. 28), S. 34.

61 “Das natürliche Recht ist ein Gebot der Vernunft, welches anzeigt, dass einer Handlung wegen ihrer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der vernünftigen Natur selbst eine moralische Häßlichkeit oder eine moralische Notwendigkeit innewohnt”, IBP I,i,X.

62 Dies im Gegensatz zu den Naturrechtsauffassungen von beispielsweise Pufendorf und Locke, die beide meinen, dass das Naturrecht mit Notwendigkeit ein transzendenter Befehl von Gott sei, vgl. S. Pufendorf , On the Law of Nature and Nations (De iure naturae et gentium), Oxford 1934, II,iii,20, und J. Locke, Two Treatises on Government, Cambridge 1988, II,6-7. Zu Locke, siehe Zuckert, New Republicanism (Anm. 6) 207-215. Grotius fügt im Vergleich, wie oben erörtert, nur hinzu, dass Gott als Schöpfer der Natur etwas gebietet oder verbietet, wegen des schon innewohnenden moralischen Charakters einer Vorschrift oder Handlung, IBP I,i,X.

63 Meine Hervorhebung. IBP I,i,X,2. Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 81 bezeichnet die Rolle von Gott (“der voluntaristische Rest”) in der Naturrechtsdefinition von Grotius als “rhetorischen Floskel”. Zuckert stimmt zu, dass die Verpflichtung im Naturrecht existiert vor und unabhängig von dem göttlichen Befehl. Oder wie er zusammenfasst: «nature is the sufficient condition for the natural law.» Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 199. Vgl. Haakonssen, Natural Law (Anm 28), S. 29 und K. Haakonssen, The Moral Conservativism of Natural Rights, in: Ian Hunter und David Saunders (Hg.), Natural Law and Civil Sovereignty, Moral Right and State Authority in Early Modern Political Thought, New York 2002, S. 27-42, hier S. 34: «The implication of Grotius' notion of obligation is that God in effect is dispensable, a criticism raised time and again through the seventeenth century and beyond.»

64 Vgl. Vgl. auch H. Grotius, Freedom of the Seas (Mare Liberum), New Jersey 2001, S. 5, wo Grotius feststellt, dass nach seinem Verständnis das Naturrecht „unabhängig von den heiligen Schriften“ ist (non ex divini codicis pendet explicatione), vgl. Straumann, Hugo Grotius (Anm. 2), S. 11 f.

65 Proleg. 11.

66 J. Hervada,The Old and the New in the Hypothesis «Etiamsi daremus» of Grotius, in: Grotiana 1983, S. 3-21, tritt denjenigen entgegen, die behaupten, dass Grotius mit seinem etiamsi daremus nicht viel mehr sagt, als schon Scholastiker wie Gregor von Rimini. Hervada geht auf die Bedeutung von Grotius' Formulierung, dass die Hypothese, dass Gott nicht existiert, bloß unrichtig sei, ein. Diese Aussage steht im Gegensatz zu den Scholastikern, die auch diese Hypothese aussprachen, aber gleichzeitig sagten, dass die Nicht-Existenz von Gott eine Unmöglichkeit war. In diesem Zusammenhang wird auch übersehen, dass die meisten Vorgänger bloß über die Erkennung des Naturrechts unabhängig von der Existenz Gottes sprachen. Grotius behauptet schließlich zusätzlich, dass das Naturrecht ohne Gott auch noch verpflichtend sein würde.

67 Vgl. Haakonssen, Natural Law (Anm. 28), S. 27.

68 N. Paech, Hugo Grotius, in: Klassiker der Gesellschaftstheorie, Studienheft 63 , Berlin 1985, S. 35.

69 Vgl. z.B. Proleg. 48, vgl. Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 121.

70 IBP I,i,X,5.

71 Röd, Geometrischer Geist (Anm. 59), S. 74. Vgl. T. Tadashi, Grotius's Method, in. O. Yasuaki (Hg.), A normative approach to war, Oxford 1993, S. 11-31, hier S. 26 ff.

72 Vgl. Proleg. 48, 50. F. Suarez De Legibus, ac deo legislatore, (Nachdruck) Buffalo 1995, S. 99: ”..[legem naturalem] dupliciter esse hominibus propositam, prius per naturale lumen rationis; secundo per legem decalogi in tabulis Mosaicis scriptam.” Vgl. Haakonssen, Natural Law (Anm. 28), S. 29.

73 Als Beispiel soll hierzu IBP III,x,III dienen. Nach Grotius werden nämlich kriegführende Parteien, die wissentlich ungerecht Krieg anfangen oder führen, obwohl der Krieg formal richtig angefangen war, “nicht ohne Reue in das Himmelreich kommen”. Und wahre Reue verlangt, “wenn die Zeit und Gelegenheit hinreicht, daß man das wieder gut macht was man durch Tötung oder Zerstörung oder Beutemachen an Schaden angerichtet hat”.

74 Haakonssen, Moral Conservativism (Anm. 63), S. 33 f.

75 Grunert, Normbegründung (Anm. 23), S. 85.

76 Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. xvii und S. 119 f.

77 Proleg. 28, vgl. Prol. 1 und 58. Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 123 schreibt, dass IBP Grotius' Beitrag zum Frieden war, und dass er, wenn der Krieg nicht zu vermeiden ist, auf eine gemäßigtere Kriegsführung hoffte.

78 IBP I,ii,I,6.

79 IBP I,iii,VIII,2.

80 Vgl. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, München 1988, S. 322 und S. 324.

81 Hofmann, Grotius (Anm. 13), S. 54.

82 Zur Aufnahme Grotius' Antwort an Karneades bei Jean Barbeyrac, vgl. Tuck, ’Modern’Theory (Anm. 29), S. 107 ff. Bezüglich Karneades‘ Stellung bei Grotius, siehe Straumann, Hugo Grotius (Anm. 2), S. 96-103 und S. 129-136.

83 Grotius adressiert implizit Machiavelli in Proleg. 3 und 5.

84 J. Barbeyrac, Vorrede (Preface), in: S. Pufendorf, Le droit de la nature et de gens, Amsterdam 1734, S. CIV, vgl. Tuck, ‘Modern’ Theory (Anm. 29), S. 107 f.

85 Proleg. 29. Dass Erasmus Pazifist war, ist allerdings ein Mythos. In De bello turcico (1530) bezeichnete z.B. Erasmus selbst die Auffassung, dass Christen niemals Krieg führen dürften “too absurd to refute”. Zitiert nach J. Trapman, Grotius and Erasmus. In: Nellen und Rabbie (Hg.). Hugo Grotius Theologian essays in honour of G.H.M. Posthumus Meyjes. Leiden 1994, S. 77-98, hier S. 96, mit mehreren anderen Referenzen zu den Werken von Erasmus, die seinen Pazifismus entkräften oder in ein anderes Licht stellen.

86 Proleg. 29. Meine Hervorhebung.

87 Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 122. Vgl. A. Eyffinger, In quest of synthesis: an attempted synopsis of Grotius's works according to their genesis and objective, in: Grotiana 1983, S. 76-88, hier S. 86.

88 Institutionen des Gaius I, 9. Vorbild könnte diese Stelle in Cicero, De officiis 3, 23 sein.

89 Corpus Iuris Civilis, Die Institutionen, in: O. Behrend u. a . (Hg.), Heidelberg 1993, I,ii,2.

90 Physis vs. nomos kann grob mit “das Naturgegebene vs. das von Menschen Geschaffene, Veränderliche” übersetzt werden.

91 Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 132.

92 Proleg. 53, 37, 38, 40.

93 Proleg. 30.

94 Grotius ist natürlich bewusst auf die Notwendigkeit zwischen allgemeine Rechtssätze und konkrete Rechtsverhältnisse zu unterscheiden - indem der Gegenstand des Rechts sich ändern kann, nicht die Rechtssätze: “Wenn z.B. der Gläubiger das, was ich ihm schulde, mir erläßt, so brauch ich nicht zu zahlen, nicht, weil das Naturrecht aufgehört hat zu verordnen, daß eine Schuld zu bezahlen sei, sondern weil meine Schuld aufgehört hat.” IBP I,iX,6.

95 Vgl. Corpus Iuris Civilis, Die Institutionen, I,i,2.

96 Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 130.

97 Grotius identifiziert den appetitus societatis mit Oikeiosis erst ab der Ausgabe von 1631. Nach Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 155, hat Grotius den Begriff des Oikeiosis von Cicero übernommen. Cicero übersetzt seinerseits oikeiosis mit conciliatio.

98 Proleg. 16.

99 Proleg. 7.

100 Vgl. Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 137.

101 Proleg. 16.

102 IBP I,xi,1.

103 Proleg. 6 und Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 136.

104 Proleg. 18. Für diese Einheit, oder der nicht-existierende Gegensatz, zwischen das Moralische und das Nutzliche diente wohl vor allem Ciceros De officiis als Vorbild.

105 IBP I,xii, zitiert aus Aristoteles' Politik, Buch I, Kap. 5.

106 IBP I,i,XIV.

107 «Nam societas eo tendit ut suum cuique salvum sit communi ope ac conspiratione.» IBP I,ii,I,6, vgl. F.J. Stahl, Geschichte der Rechtsphilosophie, Heidelberg 1854, S. 174 f.

108 Vgl. Richard Tucks Arbeiten, z.B. R. Tuck, Grotius and Selden, in: Burns (Hg.), The Cambridge History of Political Thought 1450-1700, Cambridge 1991, S. 499-529, hier S. 509; H. Lauterpacht, The Grotian Tradition in International Law, in: British Journal of International Law, 1949, S. 1-53, hier S. 27; Macdonnell, Great Jurists (Anm. 21); Stahl, Geschichte (Anm. 107), S. 175.

109 Die Verpflichtung zu Gehorsam gegenüber dem Staat ist bei Grotius nicht ausnahmslos, vgl. IBP I,iv und Grotius, De Imperio (Anm. 11), Kap. III. Vgl. Anm. 20 supra) Ein starker Staat, der Ordnung in die unruhigen Zeiten brachte, wurde als “the paramount dictate of reason” angesehen, Lauterpacht, Grotian Tradition (Anm. 108), S. 44. Buckle, Natural law (Anm. 6), S. 3, weist darauf hin, dass nicht notwendigerweise ein Gegensatz besteht zwischen Tendenzen zum Absolutismus und der individuellen Freiheit im Denken des Grotius, weil ein starker Staat, um die Macht von Adel und Kirche zu reduzieren, als entscheidend angesehen wurde. Vgl. auch Tuck, ‚Modern‘ Theory (Anm. 29), S. 118.

110 Der Rechtshistoriker Tanaka Tadashi meint, dass Grotius die drei Bedeutungen oder Formulierungen des Naturrechts als ein unteilbares Ganzes versteht, T. Tadashi, Grotius's Concept of Law, in: Onuma Yasuaki (Hg.), A Normative Approach to War, Oxford 1993, S. 31-56, hier S. 35. In der Literatur ist umstritten, auf welche Weise die Formulierungen des Naturrechts zueinander stehen oder angeknüpft sind, vgl. Besselink, Stoicism, (Anm. 3), S. 179, und auch inwiefern Grotius die Dreiteilung unabhängig von Suarez‘ De legibus ac Deo legislatore entwickelt hat oder nicht, vgl. Hinweise bei Straumann, Hugo Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 158, Fn. 286. Suarez hat übrigens eine beachtenswerte und umfangreiche Darstellung über die historisch wechselnde Bedeutung von lex, und das Verhältnis zwischen lex und ius, siehe F. Suarez, De legibus ac Deo legislatore, Washington, Buch I, Kap. I-III.

111 IBP, I,i,III,1.

112 Proleg. 8, vgl. Schneewind, Autonomy (Anm. 6), S. 79.

113 IBP, I,i,III,1.

114 Vgl. K. Olivecrona, Die zwei Schichten im naturrechtlichen Denken, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1977, S. 79-103, hier S. 82.

115 IBP I,i,IV. «Qualitas autem moralis perfecta, Facultas nobis dicitur; minus perfecta, Aptitudo.» Dass die moralische Qualität perfekt ist, impliziert, dass es sich um Rechte handelt, die zur Zwangsvollstreckung geeignet sind, wenn nicht willensgesteuerte Normen etwas anderes festlegen. Für Grotius ist daher das Naturrecht im eigentlichen Sinne nicht weniger real als beispielsweise das jus gentium, vgl. P. Haggenmacher, Grotius and Gentili, A Reassessment of Thomas E. Holland's Inaugural Lecture, in: Hedley Bull, Benedict Kingsbury und Adam Roberts (Hg.), Hugo Grotius and International Relations, Oxford 1990, S. 133-176, hier S. 172, Anm. 131.

116 Blom, De iure belli ac pacis (Anm. 1), S. 205. Grotius introduzierte ausdrücklich die Idee eines subjektiven Naturrechtsbegriffs in seiner Verteidigungsschrift (von etwa 1615) gegen William Welwood, der sein Mare Liberum angegriffen hatte, siehe dazu Straumann, Is modern Liberty ancient? (Anm. 2), S. 15. Für eine gründliche Darstellung der Entwicklung der Idee des subjektiven Rechts in Grotius' Werken, siehe P. Haggenmacher, Droits subjectifs et système juridique chez Grotius, in: Foisneau (Hg.), Politique, droit et theologie chez Bodin, Grotius et Hobbes, Paris 1997, S. 73-130. Für einen Durchgang der Theorien des subjektiven Rechts vor Grotius, vgl. B. Tierney, Natural Rights (Anm. 2), A. Brett, Liberty, right and nature, individual rights in later scholastic thought, Cambridge 1997.

117 Proleg. 10. „… quam iuris propire stricteque dicti partem [aptitudo] iam olim multi faciunt, cum tamen ius illud proprie nominatum diversam longe naturam habeat, in eo positam ut quae iam sunt alterius alteri permittantur, aut impleantur.“

118 Suum ist sehr ähnlich das, was bei John Locke mit dem Wort property ausdrückt wird, Locke, Two Treatises (Anm. 62), II, 27: „.. every man has a property in his own person.“ Zu suum, vgl. K. Olivecrona, Das Meinige nach der Naturrechtslehre, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1973, S. 197-205. Olivecrona beschreibt suum als „Sphäre der geistigen Persönlichkeit“, ebd. S. 199.

119 IBP I,ii,I,5 und II,xvii,II

120 Diese Übereinkunft hat nach Grotius die Folge, dass das Eigentumsrecht auf die Weise begrenzt ist, dass das ursprüngliche gemeine Nutzungsrecht wieder aufsteht, für den Fall dass sich irgendjemand in tatsächlicher Not befindet. Dies bedeutet, dass diejenige, die sich in einer Notlage befinden, ein Recht haben, das Eigentum eines anderen zu benutzen oder zu beschädigen, um aus der Notsituation herauszukommen. Siehe IBP II,ii,VI-XI. Vgl. Buckle, Natural law (Anm. 6), S. 45-48.

121 „Die Menschen begnügten sich nicht mehr, von wilden Früchten zu leben, Höhlen zu bewohnen, nackt zu gehen oder sich in Baumrinde und Tierfelle zu kleiden, sondern sie verlangten nach einer feineren Lebensweise. Arbeit [industria] wurde nötig, welche jeden auf den einzelnen Gegenständen verwendeten [adhiberent]. Die Früchte der Arbeit wurden aber nicht zusammengebracht, weil die Orte, wohin die Menschen sich getrennt hatten, zu weit entfernt voneinander waren und es an der Gerechtigkeit und Liebe fehlte, ohne welche bei der Erzeugung und dem Verbrauch der Früchte die erforderliche Billigkeit nicht möglich war.“ IBP II,ii,II,4.

122 Vgl. Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 172 f. Siehe dazu IBP I,iX,4, mit Referenzen zu Cicero und römischen Juristen. Eine faszinierende Darstellung über die Stellung und Begründung des Eigentumsrechts bei Grotius und den römischen Quellen liefert Straumann, Is modern Liberty ancient? (Anm. 2), S. 22 ff.

123 IBP II,xi,I,3.

124 Servus hat viele Bedeutungen. Grotius hat eine Art dauerhaftes Dienstverhältnis im Sinn, siehe Nifterik, 2004, S. 234. Seine Freiheit veräußern zu dürfen ist für Grotius ein natürliches Recht, wo der Herr ein begrenztes ius in personam (d.h. potestas nicht dominium) erhält. Aus einem anderen Charakter und mit jus gentium als Rechtsquelle ist die “echte Sklaverei” (servitus vera) aus einem verlorenen Krieg entstanden. Siehe zu Grotius' Ansichten bezüglich der Veräußerung von Freiheit in IBP II,v und II,vii und xiv. Siehe außerdem dazu Buckle, Natural law (Anm. 6), S. 48 ff und G. Nifterik, in: Hans Blom und Laurent Winkel (Hg.), Grotius and the Stoa, Assen 2004, S. 233-243, hier S. 233 ff. Empfehlenswert zum Verhältnis zwischen Naturrecht und Leibeigenschaft-Sklaverei in der Aufklärung: D. Klippel, Persönliche Freiheit und Vertrag im Deutschen Naturrecht des 18. und 19. Jahrhunderts, in: J-F. Kervegan und H. Monhaupt, Gesellschaftliche Freiheit und vertragliche Bindung in Rechtsgeschichte und Philosophie, Frankfurt 1999.

125 Zu Creditum gehört das Recht , Strafe zu verhängen, vgl. Barbeyracs Auslegung zu Grotius, The Rights of War and Peace, Indianapolis 2005, I,i,V, Kommentar Nr. 27.

126 IBP I,i,V. «.. Potestas, tum in se, quae libertas dicitur, tum in alios, ut patria, dominica: Dominium, plenum sive minus pleno, ut usufructus, ius pignoris: et creditum cui ex adverso respondet debitum.»

127 IBP II,xvii,II «.. ex sola aptitudine, quod ius minus proprie dicitur, et ab assignatrice iustitia spectatur, non oritur verum dominium, ac proinde restitutionis obligatio: quia non id alicui suum est, ad quod aptus est.».

128 Vgl. Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 145. Tuck, ‘Modern’ Theory (Anm. 29), S. 112 drückt es so aus: «no society could be imagined in which [expletive justice] were systematically flouted.»

129 Die justitia attributrix spielt natürlich eine Rolle bei der Verteilung der Kosten und Vorteile des Staates, z.B. bei Verteilung von Staatsämtern. Im Übrigen kann die attributive Gerechtigkeit durch z.B. Gesetze rechtlich werden, ohne dass solche Gesetze dem Naturrecht widersprechen würden. Wie genannt ist für Grotius auch ein Maßstab für Recht, dass etwas nicht ungerecht ist, d.h. “was dem Begriff einer Gemeinschaft vernünftiger Wesen widerstreitet.” Dadurch kann der individualisierte Rechtsbegriff (jus expletrix) durch jus civile oder jus gentium in Grotius' System relativ leicht ausgehöhlt werden. Inwiefern und mit welcher Begründung der Staat die attributive Gerechtigkeit (oder sogenannte unvollkommene Rechte) positivieren sollte, wurde von Grotius' Nachfolgern im 17-18. Jahrhundert unterschiedlich beantwortet, vgl. Haakonssen, Hugo Grotius (Anm. 6), S. 253 ff.

130 «He treats [rights] as qualities grounding law, not as derived from law.» Schneewind, Autonomy (Anm. 6), S. 80.

131 Schnewind, Autonomy (Anm. 6), S. 80.

132 Vgl. R. Dubischar, Über die Grundlagen der schulsystematischen Zweiteilung der Rechte in sogenannte absolute und relative, Tübingen 1961, S. 62. Siehe jedoch Anm. 2 und 116 supra.

133 Proleg. 10, nochmals in Proleg. 44.

134 Haggenmacher, Grotius and Gentili (Anm. 115), S. 166 schreibt in Anmerkung 114, dass «Grotius' conception of a limited number of types of subjective rights, of legal powers 'naturally' belonging to any human person, is historically important .. [and] quite relevant to the history of human rights theories». Vgl. B. Straumann, Hugo Grotius (Anm. 2), S. 9.

135 IBP I, i,IX und Proleg. 9-10.

136 IBP II,i,IX.

137 IBP I,i,IX. Ein interessantes Beispiel von Grotius zur Unterscheidung zwischen Ratschläge und verpflichtende Tugenden: „Ita aeger recte facit si pharmacum sumat a bonae famae medico praescriptum, immo periclitante valetudine tenetur etiam sequi medicorum consilia, si ipse non eius sit ingenii atque artis ut ex naturalibus principis certi aliquid possit assequi. Grotius, De Imperio (Anm. 11), Kapitel 6, 3, S. 293.

138 IBP I,i,X,3. Eine Handlung kann als ehrenhaft angesehen werden ohne verpflichtend zu sein, z.B. wenn eine Person es ohne Druck unterlässt, ihr Recht zu nutzen; vgl. das Beispiel, wo Sokrates einen Kriminellen, der ihn geschädigt hatte, nicht anklagen wollte, S. Pufendorf, On the Law of Nature and Nations, Oxford 1934, II,iii,22, S. 225.

139 Proleg. 16-17 und IBP I,i,XIV. Vgl. Besselink, Stoicism (Anm. 2), S. 188 f.

140 IBP, III,vii,VII.

141 «Denn immer, wo man eine Wahl nicht entgehen kann, nimmt das geringere Übel die Natur des Guten an.» (Semper enim ubi electio evadi non potest, minus malum rationem induit boni) IBP II,xxiii,II.

142 Damals wurden Kriege als rechtmäßig gemäß jus gentium angesehen, wenn der Krieg auf beiden Seiten von dem ausgeht, der die höchste Staatsgewalt innehat und wenn gewisse Förmlichkeiten eingehalten wurden. Um Schutz nach jus gentium fordern zu können, muss jedoch der grundsätzlich Staat frei oder ein Rechtsstaat sein, der die Rechte der eigenen und der fremden Bürger schützt. Ein Staat, der systematisch die fundamentalen “rechtlichen” Rechte verletzt, hört auf, ein Staat zu sein und wird stattdessen als Räuberbande oder Pirat eingestuft, vgl. IBP III,iii,II,2. Mit Bezug darauf sollte man auch nicht die Existenz des relativ ausgedehnten Interventionsrechts gegen Staaten vergessen, die systematisch Rechte verletzen, vgl. IBP II,xxv,VIII, und II,xx,XL welches einer langen Überlebenszeit von tyrannischen Regierungen entgegenwirken würde.

143 Vgl. Proleg. 9: «Es entspricht ... der menschlichen Natur, ... nach dem Maße menschlicher Einsicht dem zu folgen, was für richtig erkannt wird, und sich dabei weder durch die Furcht noch durch die Lockungen einer gegenwärtigen Lust irreleiten, noch von leidenschaftlichen Erregungen hinreißen zu lassen.»

144 Vgl. Remec, Grotius and Vattel (Anm. 3), S. 66 ff.

145 IBP III,iv,IV.

146 Wie Grotius schreibt in Proleg. 22: «Es ist schon durch und durch wahr, daß alles unsicher wird, wenn einmal vom Recht abgegangen wird.» Nach Grotius haben Rechtsnormen Geltung nicht nur in den einzelnen Staaten, sondern auch zwischen Staaten. Grotius meint, dass derjenige Bürger oder Staat, der das Natur- und Völkerrecht verletzt, um daraus einen unmittelbaren Vorteil zu gewinnen, «reißt damit für die Zukunft die Schutzwehr seines Friedens nieder.», vgl. Proleg. 18.

147 Remec, Grotius and Vattel (Anm.3), S. 100, vgl. IBP III,iv,IV und Proleg. 41. Siehe auch T. Tadashi, Temperamenta (Moderation), in: Onuma Yasuaki (Hg.), A Normative Approach to War, Oxford 1993, S. 276-307, hier S. 294 f.

148 Proleg. 19.

149 H. Eikema Hommes, Grotius and International Law, in: Netherlands International Law Review 1983, S. 61-71, hier S. 69.

150 Proleg. 19-20. Auf Basis solcher Betrachtungen erörtert Grotius in seinen berühmten temperamenta diejenigen Vorschriften, denen die Kriegführenden gemäß der justitia interna - einschließlich des Naturrechts im weiteren Sinne – seiner Meinung nach folgen sollten, vgl. IBP III,x-xvi, obwohl die Handlungen gemäß dem jus gentium zugelassen sind.

151 Siehe hierzu Proleg. 18, wo Grotius auf die Vorteile, die Anweisungen des Natur- und Völkerrechts zu erfüllen, hinweist. Vgl. IBP III,x-xvi.

152 T. Aquinas, Summa Theologica, in: A.P. D'entrèves (Hg.), Aquinas Sected Political Writings, Oxford, 1959, I-II Q. 94 A3.

153 Aquinas, Summa Theologica, ebd. I-II Q. 94 A2.

154 Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 142.

155 T. Hobbes, Leviathan, in: R. Tuck (Hg.) Leviathan, Cambridge 1996, S. 91 (Kap. XIV).

156 Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 142 f.

157 Hobbes' vertritt die Antithese der genannten Punkte. Vgl. auch Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 143.

158 Zu Hobbes vgl. D. Hüning, Freiheit und Herrschaft in der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes, Berlin 1998, und H. Syse, Natural Law, Religion, and Rights, South Bend 2007. Syse, S. 168, legt Hobbes so aus, dass das Recht auf Selbsterhaltung die natürliche Pflicht oder Verpflichtung impliziert, sich an diejenige Norm, die faktisch Selbsterhaltung sichert, zu binden. Sich vertraglich zu verpflichten ist bei Grotius etwas ganz Natürliches oder etwas, das in Übereinstimmung mit der menschlichen Natur steht, während der Gesellschaftsvertrag bei Hobbes gegensätzlich oder stark einschränkend zum Natürlichen zu stehen scheint, vgl. Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 176.

159 Über die Ideengeschichte und den Inhalt dieses Prinzips, insb. bei Aquinas, siehe L. Berg, Homo homini naturaliter amicus, in: Franz Böckle und Franz Groner (Hg.), Moral zwischen Anspruch und Verantwortung, Düsseldorf 1964, S. 69-83.

160 IBP I,i,XII

161 Vgl. z.B. IBP II,xx,XX,1.

162 J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, Stuttgart 1977, S. 7 (Buch 1, Kap. 2). H. Weberg, Hugo Grotius, in: Institut für Europäische Geschichte Mainz Vorträge, Wiesbaden 1956, S. 40 f. kommentiert die Aussage von Rousseau so: «Wenn [Grotius] auch ganz gewiss den tatsächlichen Verhältnissen mehr Rechnung trug als [Erasmus], so war er doch weit davon entfernt, aus Tatsachen, deren Entstehung dem Gebot der Gerechtigkeit widersprach, Recht abzuleiten.» Es war immerhin für Grotius eine Selbstverständlichkeit, moralische und politische Prinzipien von Fakten abzuleiten, nicht jedoch von irgendwelchen historischen Aussagen und Ereignissen, sondern von Eigenschaften der menschlichen Natur und von der Beurteilung der Geschichte. Vgl. Anm. 5.

163 Kant stellt mit dieser Beurteilung sein grimmiges Menschenbild unter Beweis, durch seine pauschale Behauptung, dass niemals “[wäre] ein Staat durch mit Zeugnissen so wichtiger Männer Argumente bewogen worden, von seinem Vorhaben abzustehen”. I. Kant, „Zum ewigen Frieden, in: Weischedel (Hg.), Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden (Bd. 11), Frankfurt am Main 1977, S. 210.

164 Aber Hegel fügte hinzu, dass “es ist von höchster Wirksamkeit gewesen”, zitiert nach F. Grunert, Von der Morgenröte zum hellen Tag, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 2003, S. 204.

165 Pufendorf war der meist gelesene moderne Naturrechtsdenker, insbesondere durch sein De officio hominis et civis, und verblieb ein wichtiger Teil der akademischen Kultur bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Pufendorf hielt die ersten Vorlesungen über Grotius' Theorie 1662 beim ersten Deutschen Lehrstuhl für “ius naturae et gentium” in Heidelberg. Schon 1657 hatte aber Konrad Friedlieb (1633-1713) in Greifswald über De Iure Belli ac Pacis vorgelesen und war damit unseres Wissens der erste in Nord-Deutschland.

166 C. Thomasius sagte im Vorwort zur ersten Deutschen Übersetzung 1707, dass Grotius “den Bann gebrochen hat” und “den Weg, die Wahrheit von den Irrtümern abzusondern, gezeigt hat”. C. Thomasius, Vorrede, in: Hugo Grotius, Das Recht des Krieges und des Friedens, Tübingen 1950, S. 1-44, hier S. 26. Zu Thomasius, siehe P. Schröder, Christian Thomasius zur Einführung, Hamburg 1999.

167 Vgl. F-S. Schmidt, Praktisches Naturrecht zwischen Thomasius und Wolff: Der Völkerrechtler Adam Friedrich Glafey (1692-1753), Baden-Baden 2007. Pufendorf scheint, neben Grotius, für Glafey der wichtigste Lehrer gewesen zu sein. Wie Pufendorf sieht Glafey den verpflichtenden Charakter des Naturrechts im Gottesbefehl. Gleichzeitig trennt er, wie Pufendorf (und Grotius), deutlich zwischen jus divinum und jus naturale, vgl. Schmidt, ebd, S. 146 ff.

168 Wolff: Grotius' Lehrsätze «kommen mit meiner Weltweisheit gar genau überein« Zitert nach Grunert, Morgenröte (Anm. 164), S. 220. Wie Grotius, sieht auch Wolff Naturrecht als etwas in der Natur verbindliches, die weder einen Oberen, noch einen Gott bedarf: „.. das Gesetze der Natur [ist] durch die Natur fest gestellet worden, und würde statt finden, wenn auch der Mensch keinen Oberen hätte, der ihn dazu verbinden könte: ja es würde statt finden, wenn auch gleich kein Gott wäre. Und also irren diejenigen, welche ihnen einbilden, ein Atheist möge leben, wie er wolle, … denn dieses trift nur ein, wenn ein Atheist unverständig ist, und die Beschaffenheit der freyen Handlungen nicht recht einsiehet.“ C. Wolff, Vernünftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, Halle 1752, Kap. I, § 20, 21.

169 Leibniz zitiert nach E. Wolf, Große Rechtsdenker, Tübingen 1951, S. 299.

170 Zuckert zufolge hatte John Locke um 1750 Grotius' Position als “the master of Whig thought” übernommen, Zuckert, xviii. Whig war eine im späten 17. Jahrhundert gegründete, liberal-radikale politische Partei, die stark an der sogenannten “Glorious Revolution” im Jahre 1688, welche bedeutende verfassungsrechtliche und politisch-ökonomische Änderungen mit sich führte, mitwirkte.

171 Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. 119. Vgl. Tuck, Natural Rights Theories (Anm. 6), S. 3. Grotius' Ideen hatten großen Einfluss auf “the Great Tew Circle” mit Lord Falkland an der Spitze, vgl. H.R Trevor Roper, Hugo Grotius and England, in: Groenveld und Wintle (Hg.), The Exchange of Ideas: religion, scholarship and art in Anglo-Dutch relations in the seventeenth century, Zutphen 1994, S. 64.

172 Tuck, Natural Rights Theories (Anm. 6), S. 173, schreibt, dass «the most faithfully Grotian political theory availible from the presses of the late seventeenth century was that of Locke». Zuckert, New Republicanism (Anm. 6), S. xviii, Zuckert zufolge war die wichtigste Übereinstimmung zwischen Grotius und Locke die Idee der subjektiven Rechte. Locke kopierte Grotius' Begriff des Naturrechts als Rechte. Siehe auch Straumann, Hugo Grotius (Anm. 2), S. 202, insb. seine Anm. 22.

173 Die Rezeption von Grotius in Schweden ist näher beschrieben bei B. Lindberg, Naturretten i Uppsala 1655-1720, Uppsala 1976.

174 L.R. Langslet, Den store Ensomme, Oslo 2001, S 269 f.

175 L. Holberg, Nachricht von meinem Leben, in G. Brandes (Hg.), Frankfurt a.M. 1926, S. 248.

176 K. Haakonssen, German natural law, in: M. Goldie und R. Wokler (Hg.), The Cambridge History of Eighteenth-Century Political Thought, Cambridge 2006, S. 251-290, hier S. 257.

177 Vgl. Tuck, Natural Rights Theories (Anm. 6), S. 73.

178 Adam Smith schätzte Grotius als „the greatest of the modern natural jurists“ ein, siehe Haakonssen, Hugo Grotius (Anm. 6), S. 251.

179 Schneewind, Autonomy (Anm. 6), S. 81.

180 H. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Göttingen 1962, S. 129.





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Diese Seite ist vom 13. Februar 2008