Artikel vom 19. August 1998 Christian Czychowski (Biografie): Ein Muster im Ringen um die Unabhängigkeit der Urheber - Anhalt-Dessau-Wörlitz und seine Selbstverlagsunternehmungen (1781-1785) |
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I. Einleitung |
Das Urheberrecht ist erst seit der französischen Revolution als Menschenrecht erkannt.1) Es hat keine derartige Historie wie etwa der Corpus iuris civilis, der die europäische Zivilrechtsentwicklung bald zweitausend Jahre beeinflußt. Das liegt u.a. daran, daß das hinter dem Urheberrecht stehende Rechtsproblem des Ausgleichs zwischen Nutzern urheberrechtlicher Werke und Schöpfern erst spät sichtbar geworden ist. Die Zeit des Urheberrechts kam erst, als seine Gegenstände, wie Bücher und Noten, körperlich in größerem Umfang verbreitet wurden und die Gesellschaft urheberrechtliche Schöpferleistung honorierte. | 1 |
Schriftwerke waren die Auslöser für die ersten Andeutungen eines Problembewußtseins. Werke der Musik, insbesondere Aufführungen, gelangten erst viel später in den Blick der Rechtsordnung. Zu erklären ist dies mit der mangelnden Abstrahierung des Sacheigentums vom immateriellen Gut des Werkes und der mangelnden Verkörperung z.B. einer bühnenmäßigen Darstellung eines Werkes. Die Gesellschaft war als Warenverkehrsgesellschaft auf körperliche Gegenstände fixiert. | 2 |
Die Griechen erkannten zwar, daß der einen Kulturstaat vorantreibende Schaffensprozeß Probleme aufwarf, die das Recht zu lösen aufgerufen ist: Die attische Polis wertete ihre drei großen Tragiker als so überragende Erscheinungen, daß Lykurg ca. 330 v. Chr. ein Staatsexemplar ihrer Werke anfertigen ließ, das den Text vor willkürlichen Eingriffen Dritter schützen sollte.2) Aber Schutzmechanismen entwickelte sie nicht. | 3 |
Auch die Römer stellten geistige Leistungen nicht unter den Schutz ihrer Rechtsordnung. Der Dichter M. Valerius Martialis griff daher zu moralischen Apellen, um unerlaubte Vervielfältigungen seiner Werke zu unterbinden. Er verglich seine veröffentlichten Gedichte mit freigelassenen Sklaven, so daß jeder, der diese Gedichte kopierte, zum "plagiarius" (= Menschenräuber) wurde.3) | 4 |
Zu mehr Schutz für den Urheber brachte es auch das Mittelalter nicht: Die Autoren bedienten sich sogenannter Bücherflüche, um eine Abschrift ihrer Werke zu verhindern. Einer der berühmtesten stammt von Eike von Repgow, dem Autor des Sachsenspiegels. Er wünschte allen denen, die sein Werk veränderten, "miselsucht" (Aussatz) und, daß sie "vare zu der helle grunde" (fahren zum Höllengrund).4) | 5 |
In Kontinentaleuropa war es erst der Aufklärung beschieden, die Autoren mehr zu schützen. Nach dem Privilegienwesen der frühen Buchdruckerzeit kristallisierte sich über die Theorie vom Verlagseigentum und die Theorie vom geistigen Eigentum das Urheberrecht als Immaterialgüterrecht des Schöpfers heraus.5) England ging seit Beginn des 18. Jahrhunderts mit dem Statute of Queen Anne (8 Anne C.19) einen eigenen Weg.6) Die Buchdruckergilden, allen voran die "stationers company", waren noch stärker als auf dem Kontinent. So entwickelte sich das anglo-amerikanische Copyright mit der konstitutiven Eintragung in einer Liste und dem stärker umlauforientierten Rechtsansatz. Kontinentaleuropa hingegen formte im Bann des Naturrechtsdenkens das mehr persönlichkeitsorientierte droit d'auteur-System. | 6 |
II. Allgemeiner geschichtlicher Hintergrund |
Die kulturelle Entwicklung der Kommunikation verlief von der reinen Sprache zu Beginn, über die Ausformung einer Schriftsprache hin zur Drucksprache und sorgte so für eine immer größere Verbreitung des kommunizierten Inhalts. Insoweit kann die Digitalisierung (unten) als konsequente Fortschreibung dieser Entwicklung angesehen werden. Sie ist keine umstürzende Neuerung wie der Schritt von der Sprache zur Schrift, führt aber die Buchdruckerei weiter, indem sie eine noch größere Verbreitung des kommunizierten Inhalts gewährleistet. | 7 |
Warum bildete sich auf dem europäischen Kontinent im 18. Jahrhundert das droit d'auteur-System heraus? Bis ca. 1750 honorierte die Gesellschaft geistige Leistungen nicht um der geistigen Leistung willen. Das 17. und 18. Jahrhundert war das Zeitalter der feudalen Druckprivilegien. Seit der Erfindung der Buchdruckerei waren die Buchdrucker in Zünften organisiert und verstanden es, den Markt durch strenge Zulassungsbeschränkungen klein zu halten. Zudem war das Drucken zu Beginn eine aufwendige Angelegenheit, so daß Büchern zunächst keine große Verbreitungszahl- und -region möglich war.7) Daneben emanzipierte sich der Buchhandel.8) Der Autor hingegen wurde nur als Fleißarbeiter angesehen. Eine Honorierung seiner geistigen Leistung fand nicht statt. Denn entweder stand er in Lohn und Brot eines Fürsten, der ihm im wesentlichen Kost und Logis gewährte, oder aber er war Geistlicher, den die Kirche alimentierte. Selbständige Schriftsteller, Musiker oder gar bildende Känstler gab es kaum. Deshalb war das Urheberrecht bis zu diesem Zeitpunkt Priviegienrecht, Einzelfallrecht; es schützte nicht die Urheber gegen die Nutzer, sondern einen Verleger vor dem anderen. | 8 |
Dies erklärt sich auch vor dem Hintergrund der Wirtschaftsordnung dieser Zeit: Die Wirtschaft des 16. bis frühen 18. Jahrhunderts war eine Warentauschwirtschaft. So wurden z.B. Bücher anhand ihrer Tax, dem Messverkaufswert gemessen, der sich im wesentlichen aus dem Materialkosten zusammensetzte.9) Im 18. Jahrhundert wandelte sich die Wirtschaft -- Adam Smith trat auf den Plan -- zu einer Geldwirtschaft. Der Merkantilismus sorgte für größere Märkte, schnelleren Umsatz und größere Nachfrage. Einher damit ging der Niedergang der ehemals übermächtigen Zünfte. Zudem emanzipierten sich die Künstler als selbständige Schöpfer. Mozart z.B. war in seinen Endzwanzigern einer der ersten freien Künstler. Daß Künstler aber elendig honoriert wurden, dafür ist Mozart zu seinem Lebensende nur ein Beispiel unter vielen, wenn es auch Ausnahmen gab. | 9 |
Bei der Herausbildung eines Schutzrechts für die Schöpfer wurde das Urheberrecht an Werken der Literatur zum Vorreiter. Die bildende Kunst, Wissenschaft und Musik hatten keine starken Wirtschaftszweige wie das Verlagswesen hinter sich. Das Verlagswesen war angesichts der immer einfacher werdenden Drucktechniken stetig gewachsen. Hatte das Buch aber für Verlage eine solche Rolle eingenommen, bemühten die Verlage sich auch um eine rechtliche Absicherung ihrer wirtschaftlich wertvollen Positionen. Schon 1685 erkannte dies die Leipziger Juristenfakultät. 1720 folgten Jena und Erfurt in Responsorien. 1726 unterschied man schließlich erstmals zwichen Sach- und geistigen Eigentum.10) | 10 |
Der eigentliche Übergang vollzog sich zwischen 1760 und 1790.11) Die Messkataloge der Leipziger Buchmesse zeigen die zunehmende und nicht mehr theologisch ausgerichtete Buchproduktion. Waren es 1750 bis 1760 noch 73 Romane, so verzeichnen die Kataloge zwischen 1791 und 1800 schon 1623 Bücher dieser Art. Einher damit geht ein genereller Anstieg der Produktion von 1000 Stück 1695 zu über 4000 Büchern 1800.12) Gleichzeitig stieg auch die Zahl der selbständigen Schriftsteller. 1773 werden in Deutschland 3000 Schriftsteller öffentlich gezählt. 1790 sind es bereits 6000.13) Die Honorierung dieser sich entwickelnden selbständigen Schöpfer war jedoch miserabel.14) | 11 |
III. Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich des Fürsten Franz |
Dieses und viele andere Defizite erkannte man im Fürstentum Dessau-Wörlitz, einem Musterland aufklärerischer Regierung: | 12 |
Wer bliebe da nicht gern, wo Fürst Franz mit Louisen, wo Dessaus Fürstenpaar regiert, wo Menschenfreundlichkeit und Gnad und Güte Und Weisheit nur das Scepter führt? -- Gern blieben wir im Land, das jenem Tempel an reizenden Gefilden gleicht, In Franzstadt gern in Freyland, das an Schönheit Und Ruhme bald Athen nicht weicht.15) |
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1. Allgemeines |
Das Fürstentum Anhalt war Rest des Herrschaftsgebiets der Askanier, eines alten deutschen Fürstengeschlechts. Es war durch jahrhundertelange Erbspaltungen zersplittert. Aus ihm ging mit der letzten Anhaltischen Teilung von 1603 das Fürstentum Anhalt-Dessau, auch Dessau-Wörlitz genannt, hervor. Leopold III. Friedrich Franz (1740-1817) regierte es als Fürst und ab 1807 als Herzog.16) Er trat seine Regierung 1758 an. Das Ländchen zählte zur Regierungszeit Leopold III. Friedrich Franz, dem Enkel des als "Altem Dessauer" bekannten Leopold II., zu den Hauptsehenswürdigkeiten in Europa.17) Dichter besangen es als "Freyland". Es war in puncto Gartengestaltung Wegbereiter des preußischen Arkadiens in Postdam und hatte angesichts seiner umfassenden aufklärerischen Reformtätigkeit europäische Wirkung. | 14 |
Wieland sprach von der "Zierde und dem Inbegriff des XVII. Jahrhunderts"18). Dessau-Wörlitz verband Landesverschönerung mit geistigen Veränderungen. Zu den wichtigsten Projekten gehörten die architektonische Gestaltung und Auszierung von Tempeln, Palästen, aber gerade auch einfachen Häusern. Mittelpunkt des Gesamtkunstwerks war der Garten- und Landschaftsbau, aber auch die Modernisierung der Landwirtschaft durch die Einführung des Fruchtwechsels, Straßen- und Deichbau. Im Geistigen beherbergte das Fürstentum so berühmte Deutsche wie den Begründer des Klassizismus in Deutschland, Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, ebenso wie den Altertumsforscher August von Rode. Die neu gegründete Chalkographische Gesellschaft galt als Zentrum der Kupferstecherei und der Pädagoge Basedow verwirklichte seine revolutionären neuen Ideen von Erziehung im seinerzeit berühmten Philantropinum. Öffentliche Bibliotheken wurden errichtet und auch die Dichter und Denker spürten die Gunst des Augenblicks. Es entstanden zwei Selbstverlagsunternehmen, von denen hier die Rede sein soll: Die Allgemeine Buchhandlung der Gelehrten und Künstler und die angeschlossene Verlagskasse. | 15 |
2. Allgemeine Buchhandlung der Gelehrten und Künstler |
Die Situation der Schöpfer geistiger Leistungen, im speziellen der Autoren, von denen hier die Rede sein soll, am ausgehenden 18. Jahrhundert war wenig erfreulich. Wir hatten bereits berichtet von der zwar ansteigende Nachfrage nach Gedrucktem und der langsam aufkommenden Selbständigkeit, aber auch von der damit einhergehenden weiterhin schlechten Honorierung der Autoren. | 16 |
Autoren wie Leibnitz, Klopstock und Lessing hatten bereits zuvor die Idee entwickelt, das Verlegen -- also Vervielfältigen und Verbreiten -- ihrer Bücher selber in die Hand zu nehmen; sie dachten an Selbstverlagsunternehmen der "Gelehrtenrepublik", waren aber gescheitert.19) Auch Goethe sprach von einer "allgemeinen Bewegung" unter deutschen Schriftstellern, die "ein lebhaftes Verlangen" spürten, "ihre Lage zu verbessern, sich von den Verlegern unabhängig zu machen".20) | 17 |
Carl Christoph Reiche, von Hause aus Prediger, im preußischen Havelberg aber seines Amtes enthoben, fand seinen Weg zum Dessauer Philantropinum. Er war von diesen Ideen der deutschen Schriftsteller infiziert; die für damalige Verhältnisse freigeistige Stimmung in Dessau tat ein übriges. So entstand der Gedanke, einen Verlag zu gründen, der die Autoren zum ersten Mal in der Geschichte nicht zu Gewinnstreben des Inhabers mißbrauchte, sondern sie mitbestimmen ließ und angemessen honorierte. Auch wenn die damalige theoretische Entwicklung das Privilegienwesen bereits hinter sich gelassen hatte und die Theorie vom Verlagseigentum bzw. sogar schon vom geistigen Eigentum vertrat,21) bedurfte man in Deutschland als Verleger eines Privilegs, um sich im Alltag gegen den Nachdruck seiner Bücher abzusichern. | 18 |
Deshalb ersuchte Reiche zum Jahreswechsel 1780/81 den Fürsten um die Gewährung eines Privilegs für sein Verlagsunternehmen, das er am 18. Januar 1781 erhielt.22) | 19 |
Titel des Privilegs, erteilt durch Fürst Leopold
III. Friedrich Franz, Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Oranienbaum, Abt.D
C 9e Nr. 2I 02 |
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Am 24. April 1781 fand Reiche sich mit zwei Gleichgesinnten zusammen und gründete die Allgemeine Buchhandlung der Gelehrten und Künstler.23) "Allgemein" stand dabei ganz im Sinne der Aufklärung für das "Große Ganze", für "gemeinnützig"24). | 21 |
Die Allgemeine Buchhandlung der Gelehrten und Künstler gab bald darauf Nachricht von ihrer Gründung.25) | 22 |
Titel des Gründungsheftes der Allgemeinen Buchhandlung,
Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Oranienbaum, Abt. D C 9e Nr.2I 008
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In diesem Heftchen erläuterte sie die Gründe für ihre Errichtung und stellte fest, daß Bücher in Deutschland viel zu teuer seien und die Autoren an diesen Preisen nicht hinreichend beteilgt würden:26) Dessau liege "so ziemlich in der Mitte des schriftstellerischen Deutschlands"; darüber hinaus lag es auch verkehrstechnisch günstig nahe dem Messestandort Leipzig. Es gebe in und um Dessau viele gute Buchdrucker, und Fürst Franz garantiere darüber hinaus etwas für ihn, aber keineswegs für andere Fürsten, Selbstverständliches: Zensurfreiheit. | 24 |
Der Verlag war zwar mit einem Verleger an der Spitze organisiert, er ließ den Autoren jedoch weitgehende Freiheit. Sie hatten die Druckkosten zu tragen, der Verlag übernahm Vervielfältigung und Verbreitung und sicherte ihnen einen erheblichen Anteil am Gewinn als Tantiemenzahlungen. Die Ziele des Verlages, über die die Fundationsgesetze Aufschluß geben, seien hier kurz aufgezählt: Es sollten lediglich Bücher, Musikalien und, wegen der nahen Chalkographischen Gesellschaft verständlich, Kuperstiche verbreitet werden. Der Abdruck sollte "nach Vorschrift des Verfassers" geschehen und dabei "auf das pünktlichste" erledigt werden; zudem garantierte man dem Verfasser die Möglichkeit, die Rechnung des Buchdruckers nachzuprüfen. Schon hier zeigen sich erste Ansetze eines modernen Verlagsrechtsdenkens. Auch heute noch bereiten dem Praktiker Verlage, die zugesicherte Drucktermine nicht einhalten, Schwierigkeiten. Nach § 15 VerlG kann man Drucktermine zwar einfordern, was aber, wenn der Verlag § 15 VerlG abbedingt, wie dies in der Praxis sehr oft vorkommt? Die Dessauer Gelehrten-Buchhandlung wollte hier offener sein. Das selbe gilt für Klauseln in Verträgen, die dem Autor erst nach Deckung der Verlagskosten eine Beteiligung versprechen. Nicht selten rechnet der Verlag nicht nachvollziehbar über seine Kosten ab. Gäbe es nicht den allgemeinen Rechnungslegungsanspruch, der hier bereits angedeutet ist, wären die Autoren derartigen Abrechnungen ausgeliefert. Die Fundationsgesetze enthielten darüber hinaus die Verpflichtung des Verlegers, eine Makulierung des Buches nur durchzuführen, wenn die Bestände nachweisbar eine bestimmte Grenze unterschritten hatten. Die auferlegten der Buchhandlung darüber hinaus Verschwiegenheitspflichten und die Notwendigkeit, eine Neuauflage vor Druck dem Autor anzuzeigen. All diese Regelungen lassen den Mißbrauch, der mit dem geistigen Gut der Schöpfer zuvor getrieben wurde, ahnen. Sie stärken den Autor gegenüber dem Verlag in einem Maße, wie es erst in unserem Jahrhundert wieder mit dem Verlagsgesetz, das allerdings weitestgehend dispositiv ist, zur Verpflichtung wurde. Die Fundationsgesetze fassen die in ihr enthaltenen Grundsätze zusammen mit den Worten "den Gelehrten und Künstern die Vortheile, die ihnen von Gott und Rechts wegen gebühren"27). | 25 |
Auf zwei Selbstverpflichtungen sei noch besonders hingewiesen: Ziffer 18 der Ziele spricht davon, daß dem Verleger "kein Eigentumsrecht an den Werken" zukomme. Leider finden sich in den Fundationsgesetzen keine weiteren Anhaltspunkte für eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Urheberrechtsdenken der damaligen Zeit, aber die Formulierung läßt erkennen, daß die Gründer unterschieden zwischen dem Buch als körperlichen Gegenstand und dem geistigen "Eigentum" am Werk, das dem Autor gebührte und an dem er, unserem heutigen Verständnis nach, nur Nutzungsrechte einräumt. Schließlich verdient die Passage der Fundationsgesetze, die sich mit der Rechtsdurchsetzung befaßt, Beachtung. Die Gründer der Buchhandlung fragen "Was kann er gegen Diebe tun?" Und sie schlagen eine für heutige Verhältnisse ungewöhnliche Vorgehensweise vor: Der Autor solle "schleunigst Nachricht geben", sodann werde ihm erlaubt, einen Unterpreisverkauf in dem Gebiet, in dem Nachdrucker aufgetaucht sind, einzuleiten. Der Preis könne dann bis zu 1/6 des Originalpreises des Buches betragen. So könne der Autor "durch den äußerst niedrigen Preis den Dieb gehörig züchtigen".28) | 26 |
Zu den Schriftstellern der Gelehrtenbuchhandlung zählten Goethe -- er wollte seine erste Gesamtausgabe hier verlegen -- und Herder mit seiner "Hebräischen Poesie". Auch Schiller fragte aus Baucherbach an, und Pestalozzi veröffentlichte mehrere Bücher. Weitere als Kollekteure bezeichnete Genossen fanden sich in Kopenhagen, im Haag, in Petersburg, Warschau, Badel oder Pisa. 1783 sind es über 200 Autoren.29) Daneben kannte die Gelehrtenbuchhandlung viele in- und ausländische Besucher, wie Schlabrendorf oder Mendelssohn. Aber auch Musiker verlegten hier: Naumann aus Dresden und Vogler, der Lehrer von Weber. Goethe schrieb im Rückblick: "Hier sollten Gelehrte und Verleger, in geschlossenem Bund, des zu hoffenden Vorteils beide verhältnismäßig genießen."30) Der Verlag publizierte über 800 Titel und mehr als 30 Zeitschriften.31) | 27 |
Die Buchhandlung war kurzzeitig Mittelpunkt der deutschen Aufklärung. Damit traten Neider auf den Plan. Die "normalen" Verleger begannen um ihre Profite zu bangen. Sie formierten sich um das ungekrönte Haupt ihrer Gilde, Philipp Erasmus Reich.32) Reich und der Berliner Buchhändler Mylius verfolgten jeden Schritt der Dessauer mit bis ins kleinliche gehendem Haß, den sie nach dem Ende der Gelehrtenbuchhandlung an jedem nun nach neuem Verlegern suchenden Autor ausließen. | 28 |
Nicht hieran, sondern an der wirtschaftlichen Leitung lag es, daß die Gelehrtenbuchhandlung nicht alt wurde. Sie exisitierte nur vier Jahre. Reiche trat zwar sehr hinter seinem Unternehmen zurück. Er gewährte den Autoren aber zwei Drittel des Ladenpreises als Tantiemen.33) Zum Vergleich: eine übliche Autorenlizenz ohne Druckkostenzuschuß liegt heute bei 5-10% des Nettoladenpreises. Die Buchhandlung war, trotz der über Druckkostenzuschüsse abgesicherten Druckkosten, damit wirtschaftlich überfordert. Sie war 1785 bereits überschuldet. Der Fürst sah sich zu einem Verfahren gegen Reiche gezwungen, in dessen Verlauf Reiche Dessau verließ.34) | 29 |
3. Die angeschlossene Verlagskasse |
Die eigentlich revolutionäre Neuerung der Dessau-Wörlitzer Selbstverlagsunternehmen aber war die sogenannte angeschlossene Verlagskasse. | 30 |
Sie war an den Verlag angeschlossen und ermöglichte mittellosen Autoren, die die Druckkosten für die Gelehrtenbuchhandlung nicht tragen konnten, hier ihre Werke zu veröffentlichen. Sie wurde -- auch von Reiche -- ein Vierteljahr nach der Gelehrtenbuchhandlung gegründet und war als Actiengesellschaft organisiert.35) Ihre Zielsetzung war wie folgt formuliert: "Denn auf diese Art wird die Buchhandlung der Gelehrten ein Fond, in den nicht bloß einige Kapitalisten zu Dessau, sondern Jeder, sooft er will und kann, ein kleines oder großes Kapital einlegen kann; bei dem er durch Niemanden so gebunden wird, als er bei anderen Fonds und Actien=Handlungen durch die Mehrheit der Stimmen gebunden wird; und bey welchem er, nicht nur von dem Kapital, das er waget, sondern von einem, wenn's gut gehet, ungleich größerem Kapital 10 Procent gewinnen kann". Zu den Aktionären zählten Unternehmer wie Bertuch, Fürst Franz und Wieland. Die Form einer Actiengesellschaft ermöglichte es, einen Fonds zusammenzutragen, der Autoren die Druckkosten abnahm. Dennoch aber erhielten sie Tantiemen. Autoren waren Wieland mit seinen Briefen des Horaz oder Herder mit seiner Hebräischen Poesie. | 31 |
Aber auch hier verkalkulierte sich Reiche, und zwar noch entschiedener. Nicht nur, daß er den Autoren die Druckkosten abnahm, er sicherte ihnen 55% Lizenz vom Ladenverkaufspreis zu, ein Satz der angesichts der oben beschriebenen heutigen Usancen aberwitzig anmutet und zum Scheitern verurteilt war. | 32 |
Die Beteiligten erkannten den zu begrüßenden Ansatz und die Idee der Verlagskasse. So urteilt Bertuch: "Die Verlagskasse ist weit wichtiger noch als das erste Unternehmen"36). Wieland beeilte sich, ihre Statuten noch im Maiheft des Merkur abzudrucken. Dennoch überforderten die Autoren Reiche. Sie besaßen schon viele, gegenüber normalen Verlegern undenkbare Freiheiten. Dennoch nahmen sie sich noch mehr heraus. Sie überschütteten die Verlagskasse mit Anträgen, so daß sich Reiche genötigt sah eine verzweifelten Appell an seine Autoren zu richten: "An die sämtlichen Autoren". | 33 |
IV. Ausblick |
Eine derartiges Projekt, insbesondere die Verlagskasse, konnte zu Ende des 18. Jahrhunderts nicht gelingen. Nicht nur die wirtschaftlich schlecht geplante Unternehmung, auch die gesellschaftliche Situation am Vorabend der französischen Revolution trugen hierzu bei. Vieles wurde zu hektisch betrieben, und Dessau war einmal mehr einfach seiner Zeit zu sehr voraus. | 34 |
Wirtschaftlich war das Unternehmen gescheitert, wenn es sich auch als "normaler" Verlag weiterentwickelte. Reiche kapitulierte 1785, auch wenn er zuvor einen letzten Versuch unternommen hatte und nach Leipzig seinen Sitz verlegt hatte, um näher am Geschäft zu sein. Sein Nachfolger wurde Joachim Georg Göschen, der sich in Dessau seine ersten Sporen als Hersteller und Verlagsleiter verdient hatte.37) Göschen fühlte sich den Ideen verpflichtet, baute jedoch einen "normalen Verlag" auf. Goethe verlegte immerhin seine erste Gesamtausgabe hier. Nach dem 1. Weltkrieg ging der Göschensche Familienbesitz in den de-Gruyter-Konzern auf. | 35 |
Theoretisch kann uns das Dessau-Wörlitzer Unternehmen dennoch viel auf den weiteren Weg der Urheberrechtsentwicklung mitgeben. Dabei geht es nicht so sehr um die allgemeine theoretische Fortentwicklung des Urheberrechts. Die Wissenschaft war Ende des 18. Jahrhunderts in ihrer Herausbildung der Theorie vom geistigen Eigentum bereits weiter als die Gelehrtenbuchhandlung, die sich immer noch eines Privilegs bediente. Viel wichtiger war die Stellung, die die Gelehrtenbuchhandlung den Schöpfern literarischer Werke zuerkannte. Es waren im Verhältnis zur großen Theorie klein anmutende Leistungen wie Anspruch auf Überprüfung der Rechnungen, keine Makulierung ohne vorherige Mitteilung und pünktlicher Druck. Doch diese Errungenschaften machen den alltäglichen Kern der Urheberrechtspraxis aus. Hinzu kommt, daß mit dem Tantiemenanspruch der Anspruch des Urhebers auf Teilhabe an jeder wirtschaftlichen Nutzung seines Werkes anerkannt wurde; ein Anspruch, der bis heute vom deutschen Gesetzgeber nicht in das Urheberrechtsgesetz aufgenommen wurde. Mit all diesen kleinen Schritten leitete die Gelehrtenbuchhandlung eine Emanzipation der Urheber gegenüber den Verlegern ein. | 36 |
Das Echo der Nachwelt war deshalb teilweise überschwenglich. So sollen die beiden Dessauer Institute die wichtigste Etappe des Ringens um die Unabhängigkeit des Autors vom Verleger bilden,38) eine Einschätzung die sich in Urheberrechtskreisen bislang wenig herumgesprochen zu haben scheint. Daher seien zwei Beispiele aus neuerer Zeit gestattet, die die Aktualität der Dessauer Gedanken belegen: Der deutsche Verlag der Autoren, der Autoren am Verlag teilhaben läßt, zeigt, daß die Idee nicht gestorben ist. Das Internet, das erstmals jedem Schöpfer ohne besonderen finanziellen und organisatorischen Aufwand die Möglichkeit der weltweiten Verbreitung seines geistigen Schaffens an die Hand gibt, könnte eine späte Verwirklichung der Ideen aus Dessau ermöglichen. | 37 |
1 "Le plus sacré, la plus légitime, la plus inattaquable, et, si je puis parler ainsi, la plus personelle des proprieté, est l'ouvrage fruit de la pensé d'un écrivain", Deputierter Le Chapelier in der Französischen Nationalversammlung 1791, zitiert nach Dietz, in: Urhebervertragsrecht, Festgabe für Gerhard Schricker zum 60. Geburtstag, München 1995, S. 1, 4. 2 Vgl. Blume, Einführung in das Theaterwesen, 3. Auflage, Darmstadt 1991, S. 3 sub Fn. 7. 3 Zitiert nach Gieseke, Vom Privileg zum Urheberrecht, Göttingen 1995, S. 2 f. 4 Vers 221 f. der Reimvorrede des Sachsenspiegel Landrecht, Ausgabe von Karl August Eckardt, Göttingen/Frankfurt am Main, 3. Auflage 1973. 5 Zu dieser Entwicklung des heutigen Urheberrechts vgl. nur Gieseke, a.a.O., m. zahlr. w. Nachw. 6 Hierzu vgl. Cornish, in: Wadle (Hrsg.), Historische Studien zum Urheberrecht in Euopa, Berlin 1993, S. 57 ff.. 7 Vogel, Die Entwicklung des deutschen Verlagesrechts, GRUR 1973, 303, 303 f. 8 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, Band II, Leipzig 1908, S. 92 f. 9 Vogel, GRUR 1973, 303, 304. 10 Vgl. hierzu insgesamt Vogel, GRUR 1973, 303, 306. 11 Schumann, Der deutsche Buchhandel der Neuzeit und seine Krisis, Halle 1895, S. 8 ff. 12 Goldfriedrich (wie Fn. 8), Band III, S. 557. 13 Goldfriedrich (wie Fn. 8), Band III, S. 249 ff. 14 Vogel, GRUR 1973, 303, 307 f. 15 Vgl. Niedermeier, Aufklärung im Gartenreich Dessau-Wörlitz, in: Bechtoldt/Weiß, Weltbild Wörlitz, Dessau 1996, S. 51, Fn. 1. 16 Zur Geschichte Anhalt-Dessaus vgl. Hirsch, Dessau-Wörlitz, Aufklärung und Frühklassik, Leipzig 1985. 17 Maier-Solgk, Musterstaat der Aufklärung, FAZ Nr.173/1996. 18 Wieland, zitiert nach Niedermeyer (wie Fn. 15), S. 58. 19 Vgl. Niedermeier (wie Fn. 15), S. 59, 60; Hirsch, Die Allgemeine Buchhandlung der Gelehrten und Künstler, in: Hirsch, a.a.O.., S. 112. 20 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 12. Buch, S. 519. 21 Vgl. Gieseke, a.a.O., S. 93 ff., 105ff. 22 Privileg für Magister Carl Christoph Reiche des Leopold Friedrich Franz von Gottes Gnaden, Dessau 17.1.1781", Akten des Landesarchivs Sachsen-Anhalt, Oranienbaum, Abt.D C 9e Nr.2 I 002-003. 23 "Actum corporali, Carl Sigmund Ouvrier, Gabriel Wilhelm Steinacker, Carl Christoph Reiche, Dessau 24.4.1781," Akten des Landesarchivs Sachsen-Anhalt, Oranienbaum, Abt.D C 9e Nr.2 I 004-006. 24 Hirsch (wie Fn.16), S. 112. 25 "Nachricht und Fundationsgesetze von der Allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten und Künstler, Dessau 1781", Akten des Landesarchivs Sachsen-Anhalt, Oranienbaum, Abt.D C 9e Nr.2 I 008-038. 26 "Nachricht und Fundationsgesetze von der Allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten und Künstler, Dessau 1781", a.a.O., S. 3. 27 "Nachricht und Fundationsgesetze von der Allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten und Künstler, Dessau 1781", a.a.O., S. 25. 28 "Nachricht und Fundationsgesetze von der Allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten und Künstler, Dessau 1781", a.a.O., S. 27. 29 Hirsch (wie Fn.16), S. 114. 30 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 12. Buch, S. 519. 31 Hirsch (wie Fn.16), S. 117. 32 Hirsch (wie Fn.16), S. 113. 33 "Nachricht und Fundationsgesetze von der Allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten und Künstler, Dessau 1781", a.a.O., S. 24 sub.Nr.20. 34 "Acta des Herrn Magister Carl Christoph Reiche, qua Vorsteher zur Buchhandlung der Gelehrten, Dessau 1785", Akten des Landesarchivs Sachsen-Anhalt, Oranienbaum, Abt.D C 9e Nr.5. 35 "Berichte der allgemeinen Buchhandlung der Gelehrten vom Jahre 1781, Dessau 1781", Akten des Landesarchivs Sachsen-Anhalt, Oranienbaum, Abt.D C 9e Nr.2 I 039. 36 Bertuch, zitiert nach Niedermeyer (wie Fn. 15), S. 58. 37 Hirsch (wie Fn.16), S. 117. 38 Hirsch (wie Fn.16), S. 118. |
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