Hans-Christian Jasch: Dr. Wilhelm Stuckart 1902-1953
Stuckart war eine schillernde Figur in der Verwaltung des nationalsozialistischen
Staates, dessen Wirken bisher nur am Rande untersucht wurde. Mit 33 Jahren
wurde er 1935 Abteilungsleiter im Rang eines Staatssekretär im Reichs-
und Preußischen Ministerium des Innern. Er spielte dort eine zentrale
Rolle als Interpret des nationalsozialistischen Staats- und Verwaltungsrechts,
wirkte bei der Ausarbeitung der Judengesetzgebung und später bei der Organisation
der Judenvernichtung mit. Als Leiter der Abteilung Verfassung und Verwaltung
im Reichsministerium des Innern war er in die Vorbereitung des Krieges
eingebunden und spielte eine maßgebliche Rolle bei der Integration der
im Zuge der Expansion an das Dritte Reich gelangten Gebiete und der Entwicklung
einer spezifisch nationalsozialistischen Europapolitik. Seit 1936/37 SS-Angehöriger,
zuletzt (1944) im Rang eines Obergruppenführers (General der SS), war
Stuckart eines der Gründungsmitglieder des SD-nahen Instituts für Staats
und Verwaltungswissenschaften am Kleinen Wannsee, wo er gemeinsam mit
in einem Kreis gleichgesinnter Generationsgenossen die Vierteljahreszeitschrift
"Reich, Volksordnung und Lebensraum" herausgab. Diese Zeitschrift war
das Publikationsorgan eines kleinen Kreises akademischer SS-Führer und
Spitzenbeamten aus der nationalsozialistischen Verwaltung, die hier Konzepte
für eine rassische Neuordnung Europas propagierten an deren Aufbau sie
in ihrem Berufsleben Anteil hatten. Eine biographische Auseinandersetzung
mit Stuckart, soll einerseits einen prototypischen Einblick in den Wirkungskreis
und das Denken junger Verwaltungsjuristen in der NS-Bürokratie vermitteln,
andererseits bietet eine biographische Darstellung zahlreiche Ansatzpunkte
zur zeit- und sozialhistorischen Erforschung von Ereignissen, die die
Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert geprägt haben. Die zu Stuckart
erhaltenen Quellen eröffnen die Möglichkeit anhand eines Einzelfalls von
der Wissenschaft bisher vernachlässigte Nachkriegsereignisse wie den Wilhelmstrassenprozess
1947-1949 darzustellen. Die weitgehend erhaltenen Entnazifizierungsakten
Stuckarts oder der von Stuckarts Frau gegen die Bundesrepublik angestrengte
Rechtsstreit um die Versorgungsbezüge Stuckarts nach dem Gesetz zu Art
131 GG ermöglichen zudem eine umfassende Analyse des schwierigen Prozesses
der "Vergangenheitsbewältigung" in Nachkriegsdeutschland anhand eines
prominenten Falles, der jedoch kein "Einzelfall" war. Ein besseres Verständnis
der jungen Eliten des NS-Staates sowie deren Wirkungs- und Einflussmöglichkeiten
im NS-Staat und in der späteren Bundesrepublik läßt Rückschlüsse auf die
Dynamiken von Transformationsprozessen zu und versteht sich als Negativ-Beitrag
zur Debatte um good-governance.
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