Tagungsbericht / Report: |
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10. Tagung des Forums Junger Rechtshistoriker
Dr. Viola Heutger, Universität Utrecht Vom 22. Bis 25. Mai 2003 trafen sich mehr als 50 junge Rechtshistoriker aus 11 Ländern und drei Kontinenten in Budapest. Zum 10. Mal fand das Forum Junger Rechtshistoriker statt. Die diesjährige Tagung stand unter dem Titel: Das neue Europa und seine Traditionen IUS PRIVATUM, IUS CANONICUM, IUS PUBLICUM. Die festliche Eröffnungsveranstaltung wurde im Festsaal der Katholischen Universität Pazmany Péter abgehalten.
Zur Organisation dieser internationalen Tagung hatten sich zwei ungarische Fakultäten - Budapest und Debrecen - zusammengetan. Béla Szabó sprach die Grußworte für die Universität Debrecen und Nadja el Beheiri für die Pazmany Universität Budapest. Der Erzbischof von Budapest-Esztergom, Primas von Ungarn und vormaliger Rektor der Pazmany Universität, Prof. Dr. Péter Erdö, selbst Professor für Kirchenrecht, eröffnete die Tagung. Das ungarische Fernsehen und die Presse verfolgten die Eröffnung und so begrüßte Péter Erdö die Foristi sowohl auf deutsch als auch auf ungarisch. Der Gründungsvater und ehemalige Dekan der juristischen Fakultät Prof. Dr. Janós Zslinski leitete mit sehr persönlichen Worten in die wechselhafte Geschichte der akademischen Welt in Ungarn ein: Recht könne man lernen, aber auch verlernen, und in diesem Zusammenhang komme gerade der Rechtsgeschichte eine hervorragende Bedeutung zu, betonte János Zlinszky. Im Blick auf seinen eigenen Lebensweg, der ihn nach seinem Ausschluss von allen Universitäten Ungarns im Jahre 1950 vom Handwerker bis zum Verfassungsrichter des nach der Wende neugegründeten Ungarischen Verfassungsgerichtshof geführt hat, hob er hervor, dass für ihn persönlich die aus dem Studium der Rechtsgeschichte gewonnen Werte immer eine sichere Richtlinie geboten hätten. Zum Ius Commune Europaeum, so strich Zlinszky abschließend heraus, gehöre auch das Kirchenrecht und er freue sich, dass auch dieses auf der Agenda der Jungen Rechtshistoriker stehe. Als rechtshistorischer Lehrer fast aller versammelten Ungarn der verschiedensten ungarischen Universitäten hob er die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Fakultäten hervor. Ein ungarisches Büffet schloss den ersten Abend ab.
Am nächsten Tag begann um neun Uhr die erste intensive Vormittagsveranstaltung, für die das Programm sieben Vortragenden auswies. Die Moderation übernahm Verena Halbwachs, die zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Jahr 2001 das Forum in Wien ausgerichtet hatte und eingangs den Wiener Tagungsband Nadja el Beheiri überreichte. Clemens Geelhaar, Wien, leitete den Vormittag mit einem Vortrag über das Rekuperatorenverfahren der lex de provinciis praetoriis ein. Die Zuhörer erfuhren vieles über den Formularprozess und darin vorkommende Fristen und Höchstanzahlen von Zeugen. Der folgende Vortrag von Philipp Scheibelreiter, Wien, untersuchte die vertragliche Ausgestaltung des delisch-attischen Seebundes. Verteidigungsbündnisse und das Verhalten des Bündnispartner standen hier im Vordergrund. Jakub Urbanik, Warschau, führte mit Beamer und schönen Bildern in das antike Scheidungsrecht ein. Der Priester Johannes und seine Frau Nonna standen im Mittelpunkt seiner Ausführungen zu den Gebräuchen in Palästina im 7. Jahrhundert. Kaius Tuari, Helsinki, nahm die Zuhörer mit in das 1. Jahrhundert vor Christus und sprach über Q. Mucius Scaevola Pontifex und seinen Anteil an der Entwicklung der Rechtswissenschaft. Magdolna Gedeon, Debrecen, berichtete über die Zirkusspiele im antiken Rom bis zur Prinzipatszeit und machte dabei den Zuhörern die Freizeitbeschäftigung der Römer anschaulich. Paul du Plessis, Edinburgh, sprach über Mietminderungsgründe im Fall von Schäden durch höhere Gewalt. Den Abschluss des Vormittags übernahm Viola Heutger mit Reflektionen über eine mögliche Integration der rechtsgeschichtlichen Fächer in den Entstehungsprozess eines europäischen Privatrechts.
Die ersten beiden Vortragenden des Nachmittags unter der Moderation von Béla Szabó widmeten sich dem kanonischen Recht. Thomas Wetzstein, Frankfurt am Main (MPI), sprach über die Europäisierung des Prozessrechts im Spiegel der Kanonisationsakten. Durch Vergleiche von Kanonisationsprozessen im 15. und 17. Jahrhunderte stellte er fest, dass die Verfahren schon weitgehend harmonisiert waren und längere Postwege schon zur damaligen Zeit mühelos überbrückt wurden. Sz. Anzelm Szuromi, Budapest, ein Schüler von Péter Erdö, sprach über die Collectio Canonum Anselmi Lucensis, eine gregorianische Sammlung. Leider schloss sich an beide kirchenrechtlichen Vorträge keine rege Diskussion an. Das Kirchenrecht gehört scheinbar zu den ein wenig vernachlässigten Forschungsbereichen.
Die folgenden drei Vorträge konzentrierten sich auf die Frage nach Strukturen der Partikularrechte. Stephan Dusil, Frankfurt am Main, fragte, ob es ein Ius Commune Teutonicum gab. Er führte historiographische Aspekte zu den städtischen Rechtslandschaften des Ostens auf. Um gemeinsame Rechtstraditionen im alten Europa ging es auch im folgenden Vortrag. Nicole Grochowina, Jena, sprach über die Anforderungen an die Juristen im Schöppenstuhl von Jena und über die Stellung des Jenaer Schöppenstuhls zwischen Sachsenspiegel und Ius Commune. Mit einem lebhaft vorgetragenen Vortrag über das flämische Lehnsrecht im 14. - 15. Jahrhundert beschloss Rik Opsommer, Gent, den Nachmittag. Er schlug einen Bogen zu den Fragen der heutigen Zeit und überlegte, welche Stellung der Rechtsgeschichte in der Welt der Bologna-Reformen zukomme.
Der intensive Studientag wurde beendet mit einer Stadtrundfahrt durch Budapest. Innerhalb von zwei Stunden lernten die Teilnehmer die Wahrzeichen der Stadt kennen, wurden in die Geschichte der Stadt und des ungarischen Volkes eingeführt und erlebten vom Gellerthügel aus ein herrliches Panorama.
Bei strahlendem Sonnenschein ging das Forum unter der Moderation von Viola Heutger weiter. Michaela Reinkenhof, Leipzig, und Rozália Bánoczi sprachen über ihr Projekt der Erstellung eines neuen Lateinbuches für Juristen. Die Zuhörer wurden so in die Tradition des Gebrauchs des Lateinischen in Europas eingeführt. Aber auch Statistiken über den Lateinunterricht in Ungarn und Deutschland beleuchteten das Bild. Nicht nur wegen der Überlieferung juristischen Gedankengutes, sondern auch zur didaktischen Schulung sprachen sich beide für eine verstärkte Förderung des Lateins unter Juristen aus. Die daran anschließende Diskussion war sehr kontrovers. Vor allem aus Frankfurt am Main wurden kritische Stimmen laut, die das Latein zur abgeschriebenen Vergangenheit zählten. Der folgende Vortrag von Susanne Lepsius, Frankfurt am Main (MPI), widmete sich der mittelalterlichen Rechtsgeschichte. Es ging um die Reaktion von Bartolus von Sassoferrato auf einen umbrischen Fall und die Frage, ob es eine kollektive strafrechtliche Verantwortung bei Nichtverfolgung von Verbrechen gäbe. Andres Gonzales Watty, Mexiko, sorgte dafür, dass die Zuhörer auch einmal zumindest gedanklich Europa verließen. Er reflektierte über die latein-amerikanische Geschichte im Zeitalter der Globalisierung und berichtete über den Einfluss der Lehren von Hans Kelsen auf sein Land. In eine ganz andere Welt führte eine Schweizerin mit ungarischen Eltern Julia Szemeredy, Zürich,. Unter dem erstaunlichen Titel "Die Bedeutung der Deszendenztheorie in der deutschen Privatrechtswissenschaft um 1900" sprach sie über damalige Studien im Rahmen eines hoch dotierten Preisausschreibens zum Thema Kampf ums Dasein und Kampf ums Recht. Mit einem Vortrag von Bastiaan van der Velden, Amsterdam (UvA), über Friesisch als Rechtssprache in den Niederlanden in den letzten zwei Jahrhunderten ging wieder ein Vormittag zu Ende. Er berichtete über die Bestrebungen der Friesischen Bewegung, um den Gebrauch des muttersprachlichen Friesisch auch vor Gericht in der Provinz Friesland möglich zu machen. Am Nachmittag stand ein Besuch im sogenannten "Haus des Terrors" auf dem Programm. Das im Jahre 2002 eröffnete Museum gibt einen durch die Veröffentlichung von Originaldokumenten dokumentierten Einblick in die Geschichte der Herrschaft der totalitären Regime in Ungarn.
Der sommerheiße Nachmittag unter der wienerischen Moderation Thomas Olechowskis begann mit Georg Rasche, Frankfurt am Main (MPI), zum Thema Sachverstand und Rechtskunde im Prozess des 19. Jahrhunderts. Tilman J. Röder, Berlin/Frankfurt am Main, schloss an mit einem auch heute noch hoch aktuellem Thema, nämlich die Harmonisierung des Versicherungsrechts in Europa. Sein besonderes Interesse galt der Zeit des ersten Weltkrieges, in der einheitliche Klauseln in Feuerversicherungsverträgen eingeführt wurden, ohne dass es vereinigende supranationale Institutionen wie heute gab. Margit Seckelmann, vormals MPI in Frankfurt, nun Speyer, sprach über den mobilen Weltbürger um 1900. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen standen die Reaktionen des Deutschen Reiches auf die Internationalisierung des Patentschutzes in der Zeit von 1871 bis 1914. Unverhofft ging der Nachmittag zu Ende. Anstelle eines nach seiner Ankündigung zu befürchtetenden eher trockenen Vortrages über Mittermaiers Briefwechsel mit amerikanischen Juristen reflektierte Michael Wieczorrek, Frankfurt am Main (MPI), über den Wert von Klatsch und Tratsch für die Nachwelt..
Nach der Möglichkeit zum Gottesdienstbesuch begann der letzte Tag des Forums. Unter dem Vorsitz von Judith Balogh sprach Rieko Ueda, Kumamoto, aus dem Blickwinkel einer außereuropäischen Forscherin über die ungarische Geschworenengerichtsbarkeit von 1900 bis zum Vorabend des ersten Weltkrieges. Weiter ging es mit Lars Hendrik Riemer, Frankfurt am Main (MPI). Er sprach über die Preußische Gesetzeskommission als gesetzesberatende Institution im vorkonstitutionellen Staat in der Zeit von 1780 bis 1820. Hieran schloss sich wieder ein ungarisches Thema an. Szilvia Bato, Szeged, berichtete von den strafrechtlichen Prinzipien im ersten Jahrgang der politischen Zeitung Pesti Hirlap im Jahr 1841. Ebenfalls mit den Medien beschäftigte sich Thomas Olechowski. Er sprach über Zensur und Presserecht in der Habsburgermonarchie im Zeitalter des Neoabsolutismus. Den Endvortrag des Forum hielt Julia Piffl, Wien. Sie sprach über das noch immer hochaktuelle Thema der Rückabwicklung bei der Restitution von arisiertem Vermögen nach dem dritten Rückstellungsgesetz und stellte die Frage, ob es in diesem Fall überhaupt einen gutgläubigen Erwerber geben kann.
In der Abschlussdiskussion unter der Moderation von Nadja el Beheiri und Viola Heutger wurde noch einmal das Motto des Forums "Das neue Europa und seine Traditionen" aufgegriffen. Es zeigte sich, dass über die Zukunft der rechtsgeschichtlichen Fächer auch bei den jungen Rechtshistorikern sehr geteilte Auffassungen herrschten. Auf die angesichts des Themas des Forums 2003 aufgegriffene Frage, welcher Platz der rechtshistorischen Forschung und Lehre bei dem Aufbau eines gemeinsamen Europas zukomme, ließen sich durchaus unterschiedliche Antworten vernehmen. Einige sahen Rechtsgeschichte mehr als Forschungs- denn als ein Lehrfach an. Andere sahen in der Rechtsgeschichte vor allem ein Mittel, um Gesellschaftsordnungen näher verstehen und kennen lernen zu können. Wieder andere waren der Meinung, dass die rechtshistorische Forschung eng mit den jeweils eigenen Traditionen in den einzelnen Ländern verbunden sei. Es wurde aber auch die These vertreten, dass der Rechtsgeschichte ein wesentlicher Platz bei der Schaffung eines gemeinsamen Rechts zukommt. Dabei geht es nicht um naive Verherrlichung der Vergangenheit, sondern um das Bewusstsein des juristischen Erbes, das seit vielen Jahrhunderten die Grundlage der gemeinsamen Rechtskultur gebildet hat, in diesem Zusammenhang wurde auch die Bedeutung der lateinischen Sprache für die Beschäftigung mit der Rechtsgeschichte erneut hervorgehoben. Ein Konsens im Sinne einer gemeinsamen rechtshistorischen Zukunftsplanung konnte nicht erzielt werden, aber die Diskussion führte dennoch die Vielfalt der rechtshistorischen Perspektiven klar vor Augen.
Vortrag und Themenwahl Wie auch in den vorangehenden Jahren waren auch auf dem Budapester Forum die verschiedensten Themen vorgetragen worden. Nicht alle Themen erinnerten automatisch an das gewählte Motto: "Das neue Europa und seine Traditionen, Ius Privatum, ius Canonicum, Ius Publicum". Aber da das Thema weit genug formuliert war, kam eine stimulierende Mischung von neuerer und älterer Geschichte dabei heraus. Es erstaunte allerdings, dass, obwohl fast alle Vortragenden bereits über einige Jahre Lehrerfahrung verfügen, doch ein Grossteil aller vorsichtig am geschriebenen Text blieb und ablesend vortrug. Ein wenig mehr Lebendigkeit im Vortrag wäre of wünschenswert gewesen. Die Vortragssprachen waren dieses Mal deutsch und englisch. Leider fehlten auf diesem Forum, unter anderen, Vertreter der romanischen Länder. Vielleicht sollte in der Zukunft das Forum noch europäischer ausgerichtet sein und nicht nur vorwiegend deutschsprachige Rechtshistoriker ansprechen. Was in Budapest besonders beeindruckte, war die harmonische und hervorragende Kooperation der beiden Fakultäten in Budapest und Debrecen in Organisation und Durchführung. Den Kollegen beider Universitäten sei an dieser Stelle herzlichst gedankt für die unvergesslichen Tage in Ungarn.
Ausblick Das nächste Forum Junger Rechtshistoriker wird höchstwahrscheinlich in Warschau stattfinden. Wer nun gespannt geworden ist auf die Einheit und Vielfalt der verschiedenen Traditionen im neuen Europa, dem sei der Tagungsband des Budapester Forums wärmstens empfohlen, der gegen Ende des Jahres erscheinen wird. |
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Betreut vom ![]() Diese Seite ist vom 28. Juli, 2003 |