Nochmals: Osnabrück 2002
Ergänzungen zum "Europäischen Forum junger Rechtshistorikerinnen
und Rechtshistoriker" (Osnabrück 2002)
von David von Mayenburg, M.A.
Mit ihrem Tagungsbericht zum "Europäischen Forum junger Rechtshistorikerinnen
und Rechtshistoriker" hat Annette Keilmann die trefflich zu diskutierende
Frage des Sinns und Unsinns des Fachkongresses schlechthin aufgeworfen.
Sie untermalt ihre Kritik mit durchaus geglückten und amüsant
zu lesenden Seitenhieben auf das teilweise von erkennbaren prä-professoralen
Eitelkeiten geprägte Zeremoniell derartiger Veranstaltungen. Auch
wenn sich hierzu sicherlich noch manches ergänzen ließe,
so soll der folgende Beitrag weniger die atmosphärische, als vielmehr
die von Frau Keilmann bewusst ausgesparte wissenschaftliche Seite der
Osnabrücker Veranstaltung unter die Lupe nehmen. Dabei soll allerdings
nicht in eine Einzelkritik der Beiträge eingestiegen werden, sondern
vielmehr - mit Blick auch auf künftige "Foren" - zu fragen
sein, welche Schwerpunkte und Tendenzen die Veranstaltung erkennen ließ
und welchen Erkenntnisgewinn sie für die Teilnehmer bereithielt.
Konzeptionell ist das Forum erkennbar darauf ausgelegt, eine ausgesprochen
respektable Breite rechtshistorischer Forschung abzudecken: Von der
Antike bis zur Zeitgeschichte, vom Ural bis zur Bretagne, vom Zivilrecht
bis zum Öffentlichen Recht waren Vorträge vertreten. Das Tagungsthema
"Europa und seine Regionen" trägt nicht wirklich zu einer
inhaltlichen Begrenzung dieser Spannweite bei, aber das ist vielleicht
auch gut so: Will sich die Rechtsgeschichte als einheitliches Fach gegen
die Gefahr einer wuchernden Spezialisierungstendenz einerseits und die
Vereinnahmung durch die Nachbargebiete andererseits behaupten, so ist
sie auf Veranstaltungen wie diese angewiesen, die das gesamte Spektrum
und Potenzial des Fachs aufzeigen und den Zuhörern über die
eigene Spezialisierung hinaus Zugang zu einem Querschnitt der gegenwärtigen
Forschungslandschaft bieten.
Der Preis, der hierfür zu zahlen ist, liegt in der teilweise zu
geringen Verzahnung der Vorträge, so dass die Diskussionen notwendigerweise
gelegentlich unter mangelnder Anschlussfähigkeit litten. Nur selten
entwickelte sich daher im Kopf der Zuhörer ein Dialog zwischen
den einzelnen Vorträgen, die eben doch eher isoliert nebeneinander
standen. Die Veranstalter haben diese Gratwanderung aber offenbar erkannt
und versucht, mit der Strukturierung des Tagungsprogramms nach Epochen
(und bezüglich Großbritanniens auch nach Regionen) Abhilfe
zu schaffen. Auffällig war auch, dass sich gleich drei Vorträge
mit der Rechtsschule von Bologna befassten. Dennoch fehlte auch den
jeweils in "Sektionen" zusammengefassten Vorträgen die
nötige Kohäsion, um eine vielleicht wünschenswerte spannende
Schlussdiskussion zu ermöglichen. Das geschilderte Dilemma wird
sich wohl nie wirklich auflösen lassen; auch wenn die Schwerpunktsetzung
auf das Thema "Bologna" sofort den Unwillen von eher neuzeitlich
interessierten Kollegen erregte, so ist den Veranstaltern jedenfalls
zu bescheinigen, dass sie das Problem erkannt und letztlich überzeugend
gelöst haben.
Quantitativ dominierten eindeutig die auf Mittelalter und frühe
Neuzeit bezogenen Vorträge, außerdem beschäftigte sich
die Mehrzahl mit Problemen der Zivil- und Staatsrechtsgeschichte; das
Strafrecht war, ebenso wie die Nebengebiete, nur vereinzelt vertreten.
Leider wurde das 19. und 20. Jahrhundert nur in einer einzigen Sektion
mit fünf Vorträgen behandelt. Angesichts der Tatsache, dass
hier durchaus ein Schwerpunkt der neueren Forschung liegt und dass gerade
dieser Bereich auch ein besonderes "Zugpferd" für die
Rekrutierung wissenschaftlichen Nachwuchses bildet, wäre eine stärkere
Betonung dieser Epoche wünschenswert gewesen.
Besonderer Wert wurde dagegen zu recht auf den europäischen Bezug
gelegt. Flächendeckend waren die europäischen Regionen vertreten,
erfreulicherweise wurden vielfach auch vergleichende Aspekte berücksichtigt.
Zum Glück spielten die leidigen Grabenkämpfe Germanisten
vs. Romanisten, die noch in Leipzig gelegentlich einiges Kopfschütteln
erregt hatten, überhaupt keine Rolle mehr, dafür scheint eine
zunehmende Frontstellung zwischen Historikern und historisch arbeitenden
Juristen erkennbar zu werden, wie sie etwa hinsichtlich des unterschiedlich
interpretierten Staatsbegriffs erkennbar wurde. Die Ursachen mögen
vielfältig sein: zunächst lassen sich methodische Differenzen
erkennen: dem zunehmenden Interesse der begrifflich flexiblen Fachhistoriker
an der Interpretation von Rechtsquellen steht der teilweise begrifflich
festgezimmerte, aber dogmatisch geschulte Blick des Juristen gegenüber.
Andererseits kann auch eine gewisse Rivalität um die Deutungshoheit
in diesem Bereich nicht verkannt werden. Es bleibt zu wünschen,
dass angesichts zunehmender Verteilungskämpfe an den Universitäten
die befruchtenden Aspekte der Interdisziplinarität nicht auf der
Strecke bleiben.
Fragt man nach dem Erkenntnisgewinn der Osnabrücker Veranstaltung,
so fand der Verfasser diesen häufig völlig unerwartet bei
Vorträgen, die weitab vom eigenen Forschungsinteresse lagen, dafür
aber den Anschluss an die grundlegenden Fragestellungen des Fachs fanden.
Auch für den zeithistorisch interessierten Rechtshistoriker war
es dann faszinierend, so unterschiedliche Themen wie die Genese der
Arbeitsstrafe (Thomas Krause) oder die Debatte über die "Volkstümlichkeit
der Gesetzgebung" im 19. Jahrhundert einerseits (Pascale Cancik)
und den heiligen Method als Gesetzgeber (Kirill Maksimovic) oder die
Rechtsschule von Bourges im 16. Jahrhundert (Isabelle Deflers) andererseits
kennen zu lernen. Die rhetorischen Qualitäten der Vorträge
waren natürlich immer persönlichkeitsabhängig; dennoch
scheint es kein Zufall zu sein, dass der Beitrag von Magnus Ryan nicht
nur wegen seiner spannenden Thesen über das Verhältnis von
Common Law und Ius Commue, sondern auch durch seine erkennbar von angelsächsischer
Tradition geprägte, schwungvolle Darbietung nachhaltig in Erinnerung
bleiben wird.
Nicht nur aufgrund des ebenfalls rhetorisch überzeugenden Vortrags
wurde der einzige dezidiert methodenorientierte Beitrag von Rainer
Maria Kiesow besonders lebhaft und kontrovers diskutiert, der nichts
weniger als die "Ordnung des Rechts" zum Gegenstand hatte.
Der Versuch, die juristische Welt mit Hilfe von "Kopfgeburten der
juristischen Theorie" vor der Zersplitterung zu bewahren und den
Kollektivsingular "Recht" mit Hilfe gewaltiger Anstrengungen
in juristische Lexika und Enzyklopädien zu bannen und dadurch die
Einheit des Rechts zu bewahren, hat sich, Kiesow zufolge, als Irrweg
erwiesen, weil diese Einheit von vorneherein eine Illusion sei und sich
die Rechtspraxis ohnehin ihre eigenen Wege suche.
Abschließend sei angemerkt, dass sich das "Forum" als
offensichtlich einzige Veranstaltung, die ausschließlich die
jüngeren Vertreter des gesamten Fachs zu Wort kommen lässt
und gleichzeitig den Blick über die deutschen Grenzen hinaus ermöglicht,
in Osnabrück überzeugend präsentiert hat. Auch wenn natürlich
einiges immer verbesserungswürdig ist, so ist die organisatorische
Leistung der Veranstalter nachdrücklich zu loben.
Angesichts des geringen Zuspruchs von lediglich etwa 50 Teilnehmern
bleibt es im Interesse der Rechtsgeschichte zu hoffen, dass genügend
Kolleginnen und Kollegen den Weg nach Budapest 2003 nicht scheuen, damit
das Auditorium nicht auch an denjenigen Tagen, die nicht durch die An-
oder Abreise überschattet werden, "wie eine Bahnhofshalle"
wirkt.
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