Eva Bieker,Die Interventionen Frankreichs und Großbritanniens anlässlich des Frankfurter Wachensturms 1833. Eine Fallstudie zur Geschichte völkerrechtlicher Verträge(= Saarbrücker Studien zum Internationalen Recht, Bd. 21), Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2003, 135 Seiten, ISBN 3-8329-0022-5, € 28.-
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Am 3. April 1833 versuchten Studenten in Frankfurt am Main, dem Sitz der Bundesversammlung, nach Besetzung der beiden Wachgebäude des städtischen Militärs einen Aufstand zu initiieren. Nachdem dieser innerhalb kurzer Zeit zusammengebrochen war, fasste die Bundesversammlung den Beschluss, ein zu gleichen Teilen aus preußischen und österreichischen Verbänden zusammengesetztes Truppenkontingent in der Stadt und ihrer näheren Umgebung zu postieren. Die gefangengenommenen Insurgenten wurden an deren Standort in Mainz überstellt. Gegen diese Maßnahmen erhob die freie Stadt Frankfurt Protest. In der Folgezeit überreichten Großbritannien und Frankreich - nicht zuletzt auf Betreiben Frankfurts - dem Deutschen Bund sowie Preußen und Österreich Verbalnoten, in denen gegen die Bedrohung der Unabhängigkeit der Stadt durch die Bundesstaaten protestiert wurde. |
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Die Saarbrücker Dissertation schildert den historischen Verlauf, geht den politischen Interessen der beteiligten Staaten nach und ordnet die Frage nach einem Interzessionsrecht der beiden intervenierenden Mächte völkerrechtlich ein. Im ersten ihrer vier Teile werden die Rechtsstellung der Stadt Frankfurt, die Reaktionen der Staaten und ihre Motive dargelegt. Dabei stützt sich die Verfasserin nicht nur auf die veröffentlichten Frankfurter Akten der Bundesversammlung, sondern auch auf handschriftliche Quellen aus dem Public Record Office London, den Archives Diplomatiques Paris, dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin sowie aus Staats- und Landesarchiven in Dresden, Hannover, Karlsruhe, München und Stuttgart (einschlägiges Archivmaterial der Stadt Frankfurt verbrannte im Zweiten Weltkrieg). |
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Auf dieser Basis wird im zweiten Teil die Debatte um ein Garantierecht der beiden Interventionsmächte über den Deutschen Bund rekonstruiert. Ihre Garantenstellung für den Deutschen Bund wurde in der Literatur immer wieder aus einer Verknüpfung zwischen der Deutschen Bundesakte (DBA) von 1815 und der durch die Kongressverträge errichteten Neuordnung Europas abgeleitet, die darin bestehe, dass die Wiener Kongressakte von 1815 Art. 1-11 DBA aufgenommen und damit, einer Forderung Metternichs entsprechend, unter den internationalen Schutz ihrer Signatarmächte gestellt habe. Vor allem mit Blick auf die ausgewerteten Quellen tritt die Verfasserin dieser Deutung überzeugend entgegen, indem sie belegt, warum sich weder Frankreich noch Großbritannien auf eine derartige Garantenstellung stützen wollten. Unter anderem wurde statt dessen Art. 15 der Schlussakte der Wiener Ministerialkonferenz von 1820 angeführt, der Veränderungen des Status der Mitglieder des Bundes als selbständige und unabhängige Staaten dem Vorbehalt der Zustimmung aller Beteiligten unterwirft. |
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Dieses Ergebnis wird im dritten Teil mit Blick auf die völkerrechtliche Praxis anlässlich zweier Vorfälle untermauert, die über das Verhältnis beider Staaten zum Deutschen Bund Aufschluss geben, der Sezession Belgiens von den Niederlanden 1830 und der Angliederung Krakaus an Österreich 1846. Im letztgenannten Fall war für das Schrifttum bisher die Stellung der europäischen Mächte als Vertragspartei der Kongressakte entscheidend, woraus ein Recht folge, auch die Einhaltung der Bundesakte zu verlangen. Doch auch diese Konstruktion weist die Verfasserin letztlich zurück. Sie interpretiert die Rechtsposition der europäischen Mächte im Anschluss an einen von Eckart Klein (Statusverträge im Völkerrecht, Berlin u.a. 1980) herausgearbeiteten Vertragstypus neu, indem sie das Wiener Vertragswerk als Statusvertrag einordnet. Damit ist ein völkerrechtlicher Vertrag gemeint, der eine territoriale und politische Ordnung mit Achtungsanspruch erga omnes, d.h. auch gegenüber Nichtvertragsparteien errichtet. Die Kongressakte und die in ihr aufgenommenen weiteren Vereinbarungen etablierten ein objektives Regime mit dem Ziel der Wahrung des territorialen status quo, der durch eine Art kollektives Sicherheitssystem und Mechanismen gemeinsamen Agierens ("Europäisches Konzert") erhalten werden sollte. Die (vor allem in den 20er Jahren des 20. Jh. geführte) Garantiedebatte sei dagegen auf die Projektion eines erst später so entstandenen Garantiekonzepts auf einen zunächst untechnisch gemeinten Begriff zurückzuführen. |
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Im vierten und letzten Teil wird auf Hilfsbegründungen eingegangen, die Großbritannien und Frankreich für ihre Interventionen anführten, wie ein Mitspracherecht aufgrund eines allgemeinen Interesses am Erhalt des Gleichgewichts zwischen den Staaten, die Großmachtstellung der beiden Hauptakteure und die Eindämmung eines aus revolutionären Umtrieben entstandenen Gefahrenherdes in der Nachbarschaft. Keiner dieser Aspekte sei im zeitgenössischen völkerrechtlichen Schrifttum anerkannt gewesen. |
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Trotz ihres zuweilen etwas schwerfälligen Stils ist diese Arbeit ein gelungener Beitrag zur europäischen Völkerrechtsgeschichte. Viele der verwendeten Quellen wurden - so weit erkennbar - bisher nicht ausgewertet und werden hier in Auszügen erstmals veröffentlicht. Dabei bietet die quellenmäßige Aufarbeitung der Frankfurter Episode den Ausgangspunkt für eine völkerrechtliche Neuinterpretation des europäischen Staatensystems im 19. Jh., von der man nur hoffen kann, dass sie ihren Weg in die verfassungshistorische und völkerrechtliche Lehrbuchliteratur finden wird.
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