Zitiervorschlag / Citation:

Fritz Schulz,

http://www.forhistiur.de/zitat/0405ernst.htm

Prinzipien des Römischen Rechts.
Unveränderter Nachdruck der 1934 erschienenen ersten Auflage.

Duncker & Humblot, Berlin 2003. XI, 188 Seiten, ISBN: 3-428-11347-0, 56,00 €.


Rezensiert von: Wolfgang Ernst
(Biographie)

 

1933, im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung, war Fritz Schulz, damals 54 Jahre alt, seit zwei Jahren Professor für Römisches Recht in Berlin1. Im Jahre 1931 hatte man ihn als Nachfolger von Theodor Kipp von Bonn nach Berlin berufen. Was er erreicht hatte, galt zu seiner Zeit als die Krönung der Laufbahn eines Professors des Rechts. Vorträge vor der Berliner Juristischen Gesellschaft 19322 und ein Hauptvortrag vor dem Deutschen Rechtshistorikertag im Oktober desselben Jahres3 bezeugen die herausragende Stellung, die Schulz innehatte.

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Nach dem 30. Januar 1933 war absehbar, dass die Nationalsozialisten gegen Schulz vorgehen würden. Im Jahre 1918, als das Kaiserreich zusammenbrach, hatte Schulz, Professor in Göttingen, beherzt Partei für die Sache der Demokratie ergriffen - als Redner, als Publizist und später dann auch als Kandidat für die Deutsche Demokratische Partei. Er hatte dieses Engagement beendet, als ihn seine rechtsnationalen Gegner in Göttingen wegen seiner jüdischen Mutter und wegen seiner jüdischen Frau - sie war Tochter eines Frankfurter Rabbiners - attackierten. Schulz selbst war, wie seine väterlichen Vorfahren, evangelischer Christ, später Mitglied in Pastor Niemöllers Dahlemer Gemeinde der "Bekennenden Kirche". Hetze und Terror des Nationalsozialismus richteten sich in erster Linie und mit besonderer Schärfe gegen diejenigen Personen, in denen sich - wie bei Schulz - eine (im Sinne der Rassenideologie) jüdische Abstammung mit linker oder linksliberaler politischer Gesinnung verband4.

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Im Sommersemester 1933 konnte Schulz noch unterrichten. Er hielt eine Vorlesung mit dem Titel "Prinzipien des Römischen Rechts". Das Buch, dessen Nachdruck hier anzuzeigen ist, ist die ausgearbeitete Fassung dieser Vorlesungen. Es geht Schulz darum, das Grundsätzliche, das dem römischen Recht seine bleibende Bedeutung sichert, herauszuarbeiten. Es handelt sich aber nicht um einen Essay, sondern um eine fachwissenschaftliche Arbeit, die sich in diesem Fall freilich nicht in der "Andacht zum Kleinen" erschöpft, vielmehr eine Besinnung auf das Bleibende darstellt. Abstriche an der historisch-kritischen Methode moderner Philologie werden keine gemacht und auf Fachgrenzen zur Sozial- oder Kulturgeschichte wird keine Rücksicht genommen. Die Darstellung ist unmittelbar aus der breiten Quellenbasis der gesamten Altertumswissenschaft gearbeitet. So bringt Schulz im Sinne von Mommsen und Wilamowitz die Wissenschaft vom Römischen Recht in eine umfassende Altertumswissenschaft ohne Fachgrenzen ein5. Das römische Recht wird erfasst als Produkt der römischen Gesellschaft, zugleich aber als ein unverlierbarer Bestandteil der westlichen Kultur. Feinsinnig hat der Altphilologe Werner Jaeger6 das Buch in die Geschichte der romanistischen Forschung eingeordnet7:

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"Since the times of Mommsen and other pioneers the increasing penetration of the study of law with philological and historical methods had tended to make this field the object of progressive specialization; it became more and more a part of classical scholarship and ancient history than of systematic jurisprudence. Schulz saw the danger involved in the situation. With increasing philological exactness he saw the normative influence of Roman law on systematic jurisprudence decrease more and more. So he wrote his book on the principles of Roman law, in which he tried to erect a monument to the everlasting greatness and importance of this creation for the present time as well as the future."

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Anlass, sich der kulturgeschichtlichen Bedeutung des römischen Rechts zu vergewissern, gab es 1933 in ganz besonderem Maße. Die Bekämpfung des römischen Rechts und seine Verdrängung aus dem juristischen Studium war ein herausgehobener Punkt des nationalsozialistischen Parteiprogramms8. Die romanistischen Fachvertreter reagierten in unterschiedlicher Weise auf diesen Angriff. Manche zogen sich auf die Fachforschung zurück, andere versuchten neue Deutungen des römischen Rechts, um dieses als "arisch" oder "gemeinschaftsbezogen" der nationalsozialistischen Ideologie anzudienen. Konzessionen in diese Richtung blieben teils auf Vorworte und Einleitungen beschränkt, teils gingen sie aber auch in die Tiefe der vorgelegten Arbeiten. Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht auch Schulz, indem er etwa das "Stichwort" Nation behandelt oder indem er die Ansicht vertritt, die für die kapitalistische Verkehrsordnung elementaren Geschäftstypen entstammten nicht dem römischen Recht, den Gegnern Konzessionen gemacht hat9. Für diese Frage muss es auf die Zeitzeugen und deren Urteil ankommen. Danach handelt es sich bei der Arbeit von Schulz um eine kompromisslose Absage an die nationalsozialistische Sicht vom römischen Recht. So ließ Gustav Radbruch 1935 den englischen Rechtsvergleicher Lawson10 im Hinblick auf eine geplante englische Übersetzung wissen, dass "only a German would appreciate how acute and bold the book is to popular attacks on Roman law"11. Gian Gualberto Archi12, der 1935 zu einem Forschungsaufenthalt nach Berlin kam13, sah in dem Buch "un 'manifesto' a difesa di una grande tradizione"14. F. A. Mann15, der als Fakultätsassistent in Berlin beschäftigt gewesen war, befand, dass "Schulz´s last achievement in Germany had been a cause of lectures on principles of Roman Law, which in truth and substance was nothing but a veiled attack on Nazi despotism and lawlessness."16 Werner Flume, Schulz´ Schüler und ebenfalls einer der Assistenten der Berliner Fakultät17, sah in dem Buch

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"eine leidenschaftliche Kampfschrift gegen die soeben aufgerichtete Terrorherrschaft. ... Die Werte, welche er [Schulz] als die Grundlage des römischen Rechts nicht nur darstellt, sondern rühmt, sind auch seine Werte, und sein persönlicher Einsatz für diese Werte im Jahre 1934 ist ein edles Zeugnis der ihm selbst eigenen römischen virtus."18

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Es entspricht dieser Einschätzung, dass Rudolf Schottlaender in den von ihm zusammengestellten Sammelband über Verfolgte Berliner Wissenschaft: Ein Gedenkwerk (1988) einen Ausschnitt aus den "Prinzipien" über "Freiheit" aufgenommen hat19. Zeitgenössische Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung haben das Buch demgegenüber als eine Kampfansage an die nationalsozialistische Position erkannt. In einer ausführlichen Besprechung beklagte Heinrich Lange20, dass die Erforschung des römischen Rechts seit langem von Juden übernommen worden sei. Er kritisiert die internationale Einstellung von Schulz und dessen Weigerung, sich dem neuen Staat anzuschließen: Das Buch lasse "von der Widmung bis zum Schlußwort unter dem Samte neutraler wissenschaftlicher Objektivität die Krallen der Gegnerschaft fühlen"21. Über verschiedene Zwangsmaßnahmen wurde Schulz, der nach dem Sommersemester 1933 keine Vorlesungen mehr halten konnte, zur Einwilligung in eine frühzeitige Pensionierung genötigt. 1939 ist er über Holland nach England emigriert. Davon ist hier nicht weiter zu berichten22.

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Dem Buch war in Deutschland durch die Zeitumstände zunächst keine größere Wirkung beschieden23. Kurz nach seinem Erscheinen regte ein deutscher Emigrant gegenüber der Oxford University Press eine englische Übersetzung an. Die Idee wurde aufgegriffen und Marguerite Wolff, die (englische) Ehefrau Martin Wolffs24, übersetzte das Buch. Fritz Schulz selbst glich die Darstellung an etlichen Stellen den Interessen und Vorkenntnissen einer englischen Leserschaft an. Er nutzte die Gelegenheit zu einigen Ergänzungen und betrachtete die englische Ausgabe25 als eine regelrechte "zweite Auflage". Die gute Aufnahme, welche das Werk nun in der englischsprachigen Welt fand26, erwies sich später, als Schulz zur Auswanderung gezwungen war (1939), als große Hilfe. In den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs übersetzte Vincenzo Arangio-Ruiz27, wegen seiner antifaschistischen Gesinnung ohne Möglichkeit öffentlichen Wirkens, das Buch ins Italienische28. Ein 1995 erschienener Nachdruck29 dieser Ausgabe ist von Guarino30, Knütel31 und Fanizza32 jeweils ausführlich gewürdigt worden. 1990 erschien eine Übersetzung ins Spanische33; sie wurde im Jahre 2000 wieder aufgelegt. Eine Übersetzung ins Japanische soll in Vorbereitung sein. Mit dem hier angezeigten Nachdruck ist dieser Klassiker nun auch in seiner ursprünglichen Gestalt wieder verfügbar.

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Fußnoten:

1 Zur Biographie von Schulz s. Ernst, in: J. Beatson/R. Zimmermann (Hrsg.), Jurists Uprooted. German-Speaking Emigré Lawyers in Twentieth-century Britain, 2004 (im Druck), S. 105-204. S. http://www.oup.co.uk/isbn/0-19-927058-9.

2 Über 'Die soziale und kulturelle Bedeutung der römischen Anwaltschaft und ihre Beziehung zur Rechtswissenschaft'; A. Fijal, Die Geschichte der Juristischen Gesellschaft zu Berlin in den Jahren 1895 bis 1933 (1991) 163, 200.

3 'Kannte das klassische römische Recht Gewohnheitsrecht?', s. E. Seidl, 'Bericht über den dritten deutschen Rechtshistorikertag in Jena (24.-26. Oktober 1932)', ZRG Rom. Abt. 53 (1933) 640-644, 641 ff.

4 Gräfin von Lösch, Der nackte Geist: Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933 (1999), 179.

5 Zur Zusammenführung der verschiedenen Zweige historischer, philologischer und juristischer Forschungen, in denen Mommsen seine Hauptleistung sah, s. U. von Wilamowitz-Moellendorf, 'Geschichte der Philologie', in A. Gercke/E. Norden (Hrsg.), Einleitung in die Altertumswissenschaft, Bd. I (3. Aufl. 1927), 1 ff. S. auch S. Rebenich, Theodor Mommsen: Eine Biographie (2002), 125 und öfter.

6 Zu Werner Jaeger (1888-1961), Professor für Altphilologie in Basel, Kiel, Berlin, Chicago und Harvard, s. F. Solmsen, 'Werner Jaeger', Neue Deutsche Biographie, Bd. 10 (1974), 280-281; H. Langerbeck, 'Werner Jaeger †', Gnomon 34 (1962) 101-105; E. Mensching, 'Über Werner Jaeger (geb. am 30. Juli 1988) und seinen Weg nach Berlin', in idem, Nugae zur Philologie-Geschichte 2 (1989) 60-92.

7 In einem Brief vom 2.4.1939, in dem sich Jaeger gegenüber dem Präsidenten der Universität Harvard für Schulz einsetzte; Harvard University Archive, Record James Bryant Conant, UAI 5.168, box 144, folder 'University Lecturer: Schulz'.

8 P. Landau, 'Römisches Recht und deutsches Gemeinrecht: Zur rechtspolitischen Zielsetzung im nationalsozialistischen Parteiprogramm', in: M. Stolleis/D. Simon (Hrsg.), Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus (1989), 11 ff.; R. Frassek, 'Weltanschaulich begründete Reformbestrebungen für das juristische Studium in den 30er und 40er Jahren', ZRG Germ. Abt. 111 (1994) 564-591. Den vorgesehenen Studienplan enthielt das Buch: K. A. Eckhard, Das Studium der Rechtswissenschaft (1935); s. dazu u.a. A. Pientka, Juristenausbildung zur Zeit des Nationalsozialismus, dargestellt am Beispiel der Universität Tübingen (1990).

9 M. Stolleis, 'Fortschritte der Rechtsgeschichte', in: Stolleis/Simon (Fn. 8), 178-197, 185 ff.; ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 1914-1945 (1999), 340.

10 Zu Frederick Henry Lawson (1897-1983), Professor of Comparative Law in Oxford, s. B. Nicholas, 'Professor F. H. Lawson 1897-1983', Oxford Journal of Legal Studies 4 (1984) 153-156.

11 Mitgeteilt in einem Brief Lawsons (vom 25.6.1935) an den Geschäftsführer der Oxford Universtity Press, der die Frage einer englischen Ausgabe zu entscheiden und Lawson um Rat gefragt hatte; OUP Archives, Oxford, PB/ED/010384.

12 Zu Gian Gualberto Archi (1908-1997), Professor für Römisches Recht in Pavia und Florenz, s. M. Amelotti, 'Gian Alberto Archi', RIDA 48 (1997) 207-208; M. P. Pavese, 'Gian Gualberto Archi e la Storiografia giuridica del Novecento', SDHI 65 (1999) 515-527.

13 G. G. Archi, 'Fritz Schulz', 24 SDHI (1958) 451-459, 451 ff.

14 G. G. Archi, in: A. Schiavone/A. G. Cassandro (Hrsg.), La Giurisprudenza Romana nella Storiografia contemporanea: Testi di un Seminario raccolti da A. Schiavone e Anna Girogio Cassandro (1982), 98-107, 100.

15 Friedrich (später Frederick oder Frances) Alexander Mann (1907-1991), emigrierte 1933 nach Abschluss seiner Dissertation nach London, dort solicitor. S. H. H. Jakobs/G. Kegel u.a., in: In memoriam Frederick Alexander Mann: Alma Mater, Beiträge zur Geschichte der Universität Bonn, Bd. 77 (1992).

16 F. A. Mann hat eine unveröffentlichte Autobiographie hinterlassen. Ausschnitte mit Bezug zu Schulz hat freundlicher Weise David Mann, Basel, für die Herstellung der Fn. 1 genannten Biographie zur Verfügung gestellt. S. auch F. A. Mann, 'Dr Fritz Schulz', The Times, 21.11.1957.

17 Zu Werner Flume (geb. 1908), Professor für Römisches und Bürgerliches Recht (und Steuerrecht) in Göttingen und Bonn, s. zuletzt W. Schön, Der Betrieb 2003, Heft 37; H.-H. Jakobs, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 2659.

18 W. Flume, Fritz Schulz: Gedenkrede, gehalten bei einer von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn am 25.7.1958 veranstalteten Gedächtnisfeier, Schriften der Universität Bonn, Dritte Reihe: Alma Mater, 9. Heft (1959), 21.

19 R. Schottlaender, Verfolgte Berliner Wissenschaft: Ein Gedenkwerk (1988), 190-191.

20 Zu Heinrich Lange (1900-1977), Professor für Römisches und Bürgerliches Recht und für Zivilprozeßrecht, s. K. Kuchinke, 'Heinrich Lange', NJW 1978, 309.

21 Heinrich Lange, 'Deutsche Romanistik? Grundsätzliche Bemerkungen zu Fritz Schulz "Prinzipien des römischen Rechts"', DJZ 1934, Spalten1493-1500.

22 S. dazu die Biographie oben Fn. 1, S. 144 ff.

23 Besprechungen erfolgten durch M. Gelzer, 'Prinzipien des Römischen Rechts', GNOMON 1935, 1-6, und - in Italien - durch M. Lauria, 1 SDHI (1935) 219-226.

24 Zu Martin Wolff (1872-1953), Professor für Bürgerliches Recht und Internationales Privatrecht in Berlin, seit 1938 in England, s. statt aller D. Medicus, 'Martin Wolff (1872-1953): Ein Meister an Klarheit', in H. Heinrichs/ H. Franzki/K. Schmalz/M. Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen Jüdischer Herkunft (1993), 543-553.

25 Principles of Roman Law (1936).

26 P. W. Duff, The Classical Review 1937, 31.12.; The Times, Literary Supplement, 6 February 1937; (1937) Virgina Law Review.

27 Zu Vincenzo Arangio-Ruiz (1884-1964), Professor für Römisches Recht in Messina, Modena, Neapel, Kairo und Rom, 1945 Italienischer Erziehungsminister, s. G. Broggini, 'Vincenzo Arangio-Ruiz', ZRG Rom. Abt. 81 (1964) 503-508; G. G. Archi, 'Vincenzo Arangio-Ruiz', SDHI 30 (1964) 527-533.

28 I Principi del Diritto Romano.

29 In der Reihe 'Bibliotheca' (Nr. 29).

30 A. Guarino, Labeo 42 (1996) 302 ff.

31 R. Knütel, ZRG Rom. Abt. 114 (1997) 627-628.

32 L. Fanizza, 62 SDHI (1996) 543-549.

33 Principios del Derecho Romano, Traducción castellana (M. A. Velasco), 1990, 2., überarbeitete Auflage 2000.

 

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Diese Seite ist vom 19. Mai, 2004