Zitiervorschlag / Citation:

Isabelle Deflers,

http://www.forhistiur.de/zitat/0610schmoeckel.htm

Lex und ordo. Eine rechtshistorische Untersuchung der Rechtsauffassung Melanchthons.

 

(=Schriften zur Rechtsgeschichte, 121), Berlin, Duncker & Humblot 2005, IV und 318 Seiten, ISBN: 3-428-11245-8, 79,80 Euro

 

Rezensiert von Mathias Schmoeckel (Bonn)

 

Die von W.E. Voß betreute Dissertation der Französin Isabelle Deflers widmet sich der rechtshistorischen Bedeutung Melanchthons. Dieser hat nicht nur durch seine Schriften zur politischen Ordnung, sondern auch durch solche, die sich direkt mit Recht und Gesetz befassen, im Wittenberger und lutherischen Umfeld prägend gewirkt. Verschiedene Beiträge der jüngeren Zeit haben gezeigt, wie wichtig Melanchthon war. Damit zeigt sich, wie lohnend, aber auch anspruchsvoll das Thema ist, da es nicht ohne die theologischen und historischen Implikationen bewältigt werden kann.

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Die Verf. will einen umfassenden Überblick über M.s Werk geben, soweit es für die Rechtsgeschichte relevant ist, und geht damit weiter als Guido Kisch seinerzeit. Sie beginnt nach der Einleitung mit der Beschreibung seiner Rechtsphilosophie. Danach folgt seine Rechtsquellenlehre unter dem Blickwinkel der Frage des Vorzugs für das biblische oder das römische Recht. Anschließend stellt sie die Konzeptionen M.s zum Staatsrecht und der politischen Ordnung dar. Schließlich werden noch kurz einzelne politische Institutionen wie Obrigkeit, Ehe, Eigentum, Vertrag und Strafrecht beleuchtet.

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Die Anlage verdeutlicht, dass hier weder eine übergeordnete Idee verfolgt noch eine historische Entwicklung bei M. gesucht wird; nur innerhalb der Fragestellung arbeitet die Verf. Entfaltungen und Abweichungen in M.s Denken heraus. Ebenso deutlich wird die Orientierung auf die verschiedenen juristischen Fragen, die nacheinander abgearbeitet und kaum aufeinander bezogen werden.

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Die Verf. stellt im Ergebnis dar, dass M. zwar nicht als Reformator des Rechts bezeichnet werden dürfe, doch als wichtige Etappe hin zur Entwicklung der Naturrechtslehre aufgefasst werden müsse. Gerade durch seine Betonung der Aufgaben des Fürsten verändere er die Rechtslehre so, dass sie die Fürsten und damit die entstehende Staatlichkeit stärkte. Als Instrument in der Hand des Fürsten allein diene das Recht der Bestrafung, Abschreckung der Bösen und Erziehung der übrigen. Schließlich betont sie die Ausstrahlungswirkungen M.s auf die protestantische Welt.

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Mit großem Fleiß widmet sich die Verf. den verschiedenen rechtshistorischen Fragen und referiert jeweils deren Vorgeschichte. So finden sich hier mitunter seitenlange Darstellungen der mittelalterlichen Völkerrechtsgeschichte, der scholastischen Naturrechtslehre, der Rezeption, des Sachsenspiegels, des Investiturstreits und der Position von Kaiser und Papst, der Papstwahl usw. Bei einer solchen Konzeption der Arbeit wäre es aber im Rahmen einer Dissertation schon fast ein Wunder, wenn man die Literatur vollständig herangezogen hätte. Die Darstellungen sind daher etwas zu stark dem alten HRG verpflichtet und wichtige jüngere Literatur fehlt, etwa zum Streit um die Naturrechtslehre nach Ockham oder zur spanischen Spätscholastik. Die Verf. übersieht, dass M. durch die Rezeption des Aristoteles graece die pädagogische Funktion des Gesetzes überhaupt wieder entdeckte.

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In diesem Zusammenhang fällt auf, dass zwar der Begriff des usus politicus, aber nicht des tertius usus legis fällt. Die dogmenhistorischen Hintergründe, die hier bisher mehr in der Theologiegeschichte diskutiert wurden, werden ausgeblendet, obgleich sie ebenso juristisch relevant sind. Die Bedeutung der Parusie für die Vorstellungen der menschlichen Rechtspflege oder theologische Vorstellungen etwa vom Zorn Gottes werden nicht behandelt; die Bedeutung Luthers für M. wird nur vorausgesetzt, die eigene Stellung M.s und der Philippisten lediglich am Rande erwähnt. Daher sei der Zweifel gestattet, ob die Theologie trotz aller Freiheit des Autors in der Bestimmung des Themas ausgeschlossen werden konnte.

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Mit Recht betont die Verf. die rechtshistorische Bedeutung M.s. Juristen erschließt sie sein Werk aufs Neue, indem sie den Reichtum seiner Ideen aufweist und die Quellen erneut auswertet. Damit sind zwar die theologischen und historischen Implikationen noch nicht erforscht, aber sie zeigt an Hand vieler wichtiger Punkte – beispielsweise der Definition von ius als agendi secundum legem (S. 30) –, wie lohnend die Beschäftigung mit M. für Rechtshistoriker ist. Insofern ist diese gediegene Arbeit sicherlich als anregend zu bezeichnen.

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Diese Seite ist vom 16. Oktober 2006