Zitiervorschlag / Citation: |
|
Lukas Grünenfelder, |
http://www.forhistiur.de/zitat/0804buchholz.htm |
Das Zürcher Ehegericht, Eheschliessung, Ehescheidung und Ehetrennung nach der erneuerten Satzung von 1698.
|
„Dann gewüßlich so ist ein einträchtiger und wolgerathener ehestand und heürath zweyer verliebter und verlobter persohnen die süßeste lieblichkeit in dißem sonst ellenden menschlichen leben, ja ein angenehmer vorgeschmack der ewigen himmlischen hochzeit freüden“. Solche Worte könnten in verlockender Weise für die Ehe werben. Sie finden sich in der erneuerten Ehegerichtssatzung von Stadt und Landschaft Zürich aus dem Jahr 1698. Im Übergang vom konfessionellen Zeitalter zur Frühaufklärung ist in der reformierten Stadt Zwinglis eine sehr umfangreiche Eherechtskodifikation entstanden, in deren erster Vorschrift sehr wort- und inhaltsreich die geistlichen und weltlichen Freuden der Ehe vom Paradies bis in die Gegenwart geschildert werden. Aber der allmächtige Feind darf nicht vergessen werden: Der „ertzfeind des göttlichen reichs“ hat es von Anfang an möglich gemacht, dass „hurereien, ehebrüche und andere noch abscheülichere grewel und unreinigkeiten“ die Ehe beschmutzen. So war es auch in Zürich, denn diese Ehegerichtssatzung hatte es, wie alle anderen Eherechte auch, vor allem mit den Schattenseiten der Ehe zu tun. |
1 |
Vorab sei aus der Satzung eine Regelung genannt, die Grünenfelder nicht erwähnt, zu Recht, da seine materialreiche Darstellung an der Praxis des Ehegerichts orientiert ist. Es geht um die Polygamieregelung, die in der Rechtswirklichkeit wohl ebenso bedeutungslos war wie die eingehende Wiedergabe der levitischen Eheverbote: So wird für die Ehe bestimmt, „daß sie zwüschen zwo persohnen allein seye; Dahero die ehe zwüschen einem mann und zweyen oder mehr weiberen; Oder einem weibsbild und zweyen oder mehreren männern, digamia oder polygamia genennet, verbotten ist“. Zur Begründung wird, wie üblich, Gen. 2, 24 und Matth. 19, 5 (das una caro-Prinzip) herangezogen. Die Zürcher Eherechtssatzung knüpft damit an eine Polygamiediskussion an, die das christlich-abendländische Eheschrifttum von der Patristik bis in die Spätaufklärung geprägt hat. Das gilt für die Doppel- und Mehrehen in beiderlei Gestalt, die Polygynie und die Polyandrie. Das ist insoweit bemerkenswert, als überhaupt erst im profanen Vernunftrecht die Vielmännerei als naturrechtlich denkbar erwogen wurde – zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an Christian Thomasius. Entwicklungsgeschichtlich ist die genannte Regelung deshalb von Interesse, weil sie gewissermaßen auf das Kodifikationsideal vorausgreift: auch Eherechtssatzungen haben als Gesetzesrecht unbedingte Vollständigkeit anzustreben. |
2 |
Die kirchliche Gerichtsbarkeit in Zürich unterstand zunächst dem Bischof zu Konstanz. Mit der Reformation unter Ulrich Zwingli sollte sich dies grundlegend ändern. Der Rat zog allmählich die Spruchkompetenz in Ehesachen an sich. Das führte zu Rechtsunsicherheiten, die dann mit dem Erlass der ersten Ehegerichtssatzung von 1525 behoben wurden. Da diese erste Satzung das materielle Eherecht nur rudimentär geregelt hatte, blieb es vor allem der Praxis des reformierten Ehegerichts selbst überlassen, die für Zürich maßgeblichen Leitlinien und Grundsätze herauszuarbeiten. Diese Anbindung an die jeweilige Gerichtspraxis und die unterschiedliche territoriale Ausrichtung sind charakteristisch für das gemeine protestantische Ehe(scheidungs)recht, das ja Gebiete von strenger und milder Observanz aufweist. In diesem Pluralismus der Quellen und Orientierungen liegt der Unterschied zu der homogenen Ordnung des kanonischen Rechts. Nachdem die erste Zürcher Ehesatzung sehr knapp gestaltet war, suchte man im späten 17. Jahrhundert nach klaren, schriftlich fixierten Rechtsgrundsätzen. So fiel die erneuerte Ehegerichtssatzung von 1698 umfangreich aus, ja sie wies einen Hang zum Detail auf, der für vergleichbare, noch kirchlich ausgerichtete Eherechtsregelungen eher ungewöhnlich war. Vor allem das Eheprozessrecht nahm einen bemerkenswerten Umfang an. Im Gegensatz zur ersten Satzung von 1525 unterblieb der Druck. Die neue Satzung war für das Gericht und nicht die Parteien bestimmt, damit die Verfahren nicht durch zu viel Rechtswissen der Betroffenen verkompliziert würden. Noch lassen in Zürich aufklärerische Gedanken auf sich warten. Grünenfelder liefert uns jedenfalls eine gewissenhafte Edition dieses ungedruckten Textes. |
3 |
Grünenfelder beschränkt sich nicht auf die Behandlung, Erörterung und Interpretation dieser 60 handschriftliche Seiten umfassenden Ehegerichtssatzung. Vielmehr befasst er sich in erster Linie mit der Praxis des Ehegerichts und wertet die Gerichtsprotokolle aus. Das Ergebnis ist anerkennenswert. Der Autor liefert keine spröde Abhandlung über Eherechtstheorien und konfessionelle Eherechtskontroversen. Vielmehr handelt es sich um eine äußerst lebendige Darstellung der Eherechtswirklichkeit in einem überschaubaren Territorium der frühen bis mittleren Neuzeit, wobei zahlreiche Fallbeispiele dem im übrigen klar gegliederten Darstellungsstoff noch eine besondere Farbigkeit verleihen. Diese von Clausdieter Schott betreute Zürcher Dissertation erweist sich als erfreuliche, gut lesbare Lektüre auch für diejenigen, die nicht zu den Spezialkennern der Eherechtsgeschichte zählen. Insofern ist es auch verzeihlich, dass sogar Namen wie Dieter Schwab fehlen. Das Literaturverzeichnis nimmt im wesentlichen Verfasser auf, die, mit wenigen Ausnahmen, zum lokalhistorischen Umfeld von Zürich gehören. |
4 |
Die Vielfalt der Entscheidungspraxis des Zürcher Ehegerichts kann hier nicht wiedergegeben werden. Deshalb folgen nur einige Hinweise. |
5 |
Der Verfasser bezeichnet das Eheversprechen als ein „höchst sensibles Thema, das zu vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen führte“. Der Beweis eines Eheversprechens und seine Durchsetzung stellten in der Tat ein höchst komplexes Problem dar. Die von Grünenfelder angeführten Beispiele sind dafür ein äußerst beredtes Zeugnis. Für den Rechtshistoriker ist die Darstellung bei Grünenfelder in weiterer Hinsicht bemerkenswert. Bekanntlich gab es in der vielschichtigen Dogmengeschichte des Eherechts keine verwickeltere Materie als das Sponsalienrecht. Zu erinnern ist an die im kanonischen Recht begründete und durch die scholastischen und spätscholastischen Lehren fortgeführte Unterscheidung zwischen den sponsalia de futuro und den sponsalia de praesenti, zwischen Konsensehe und konsumierter Ehe etc. Die Protestanten haben den ganzen Theorienwildwuchs aufgenommen und erweitert, wie Stryks Tractatus de dissensu sponsalitio (1699) belegt. Demgegenüber ist es geradezu ernüchternd zu sehen, was für eine geringe Bedeutung diese Theorien für die Praxis des Ehegerichts hatten. |
6 |
Anerkannt waren Gründe für eine Aufhebung des (erwiesenen) Eheversprechens („Verlöbnisscheidung“). Dazu gehörten etwa „tödtlicher widerwillen und feindtschafft“, ein erster Ansatzpunkt für die im 18. Jahrhundert aufkommende Scheidung wegen Unverträglichkeit der Gemüter. Aus dem kanonischen Recht wurde auch für die evangelische Eherechtspraxis die Scheidung von Tisch und Bett (separatio quoad torum et mensam) übernommen, und zwar erst durch die Satzung von 1698. Diese Rechtsfigur erwies sich als probates Mittel, die streitenden Eheleute mittel- oder langfristig voneinander zu trennen, ohne gleich das Eheband aufzulösen. Solche Trennungen waren aber in der Zürcher Praxis weniger häufig als die Ehescheidungen selbst. Kurzum, die Zürcher Eherichter nahmen die Auflöslichkeit der Ehe nach evangelischer Lehre ernster, als dies in anderen urprotestantischen Gebieten der Fall war. |
7 |
Entsprechend der evangelischen Doktrin bezeichnete die Zürcher Ehegerichtssatzung zwei Scheidungstatbestände als bibelkonforme Gründe zur Scheidung quoad vinculum: „Der ehebruch ist eine rechtmeßige, in der heiligen schrifft begründete ursach der ehescheidung“. Und: „Die bößwillige verlaßung ist die andere in Gottes wort ausgetruckte ursach der ehescheidung, wann namlich ein ehegenoß die haußhaltung hindansetzt und im stich laßt, aus keiner nothwendigkeit, sonder aus muthwillen und eigensinnigkeit“. Dieser „klassische“ Dualismus der Scheidungsgründe von Ehebruch und Desertion war für die strenge Richtung des protestantischen Ehescheidungsrechts maßgeblich, eine Differenzierung, die vor allen Ämilius Ludwig Richter (Beiträge zur Geschichte des Ehescheidungsrechts in der evangelischen Kirche, Berlin 1858) herausgearbeitet hat und die in der eherechtsgeschichtlichen Forschung (etwa von Paul Mikat, Zerrüttungsprinzip) bestätigt worden ist. Das Zürcher Recht kannte Erweiterungen des Scheidungskatalogs auf Geisteskrankheit, unheilbare Krankheiten (Aussatz), Impotenz – diese Tatbestände rechtfertigen aber noch nicht die Annnahme, dass Zürich der milden Richtung gefolgt sei, denn dazu hätten Scheidungsgründe wie Insidien und Sävitien gehört. Wie Grünenfelder sehr einleuchtend nachgewiesen hat, liegt ein Hinneigen der Zürcher Spruchpraxis zu einer milderen, offeneren Handhabung des Scheidungsrechts darin, dass es verhältnismäßig oft zu einem Scheidungsausspruch dem Bande nach kam. Das Zürcher Gericht gab sich weniger restriktiv als andere protestantische Konsistorien und Ehegerichte. |
8 |
Wie gesagt, überzeugt die Arbeit von Grünenfelder durch die fall- und beispielsorientierte, bildhafte, quellennahe Darstellungsweise, die mitten hinein in die Sozial- und Mentalitätsgeschichte des späten 17. Jahrhunderts führt. Zu diesen Fallbeispielen sind auch die Verfahren zu zählen, in denen der Vorwurf von Zauberei und Magie als Angriffs- oder Verteidigungsmittel in einem Eheprozess erhoben wurde. Dieser Zusammenhang von Zauber- und Hexenglauben einerseits und Konfliktverhalten in Ehestreitigkeiten andererseits wird sehr anschaulich geschildert. Alles in allem ist Grünenfelder ein vorzügliches Buch gelungen, das die schon reichhaltige ehe- und familienrechtshistorische Forschung der Schweiz – ich erinnere etwa an Annamaria Ryter, Als Weibsbild bevogtet (1994) – noch bereichert. |
9 |
![]() |
Betreut vom ![]() Diese Seite ist vom 24. April 2008 |