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Rainer Schröder †*

Kauf- und Mietprozesse in der DDR am Beispiel des Jahres 1983

1.Entwicklung von Verfahrensgegenständen...
1.1In der DDR
1.2Zivilprozessrate ... Bundesrepublik
2.Einzelne Verfahrensarten DDR
2.1Kaufsachen
2.2Mietsachen
2.3Konfliktanalyse bei Wohnungsrechtsstreitigkeiten
2.4Konflikttheorie
3.Aussergerichtl. Schlichtung
4.Schluss

Die Abhandlung gibt einen Überblick über mietrechliche Zivilverfahren und Kaufprozesse in der DDR. Es werden Zahlen und Daten verwendet, die in dem Forschungsprojekt "Zivilrechtskultur der DDR" archivalisch ermittelt wurden.1) Mietverfahren waren in der DDR besonders häufig. Die im Verhältnis zu westlichen Staaten sehr geringe Quote von Kaufprozessen zeigt, dass es sich bei der DDR nicht um eine Warenverkehrsgesellschaft handelte. Die Zahlen machen zugleich deutlich, wie problematisch eine Fixierung der Rechtsgeschichte auf das law in the books wäre, also eine Ausserachtlassung des Vollzuges der Normen in Rechtsprechung und Praxis.2) Die Bedeutung eines in der Theorie gerühmten Gesetzes wie des ZGB der DDR könnte in einem anderen Licht erscheinen, wenn den theoretisch existierenden Rechten keine Realisierungsmöglichkeit entsprach.3)

1. Entwicklung von Verfahrensgegenständen in Zivilsachen nach Häufigkeit4)

1.1 In der DDR


Verfahrensgegenstand1974 (%)1975 (%) 1976 (%) 1977 (%) 1978 (%)
WohungsS insges. 11.076 (31) 11.554 (29) 9.763 (26) 11.679 (28) 10.895 (28)
- Zahlung/Inst.g 7.399 (21) 7.643 (18) 6.187 (17) 6.627 (17) 6.984 (17)
- Mietaufhebung 2.460 (7) 2.513 (6) 2.089 (6) 2.236 (6) 2.027 (5)
ausservertragl.
mat. Verwantw. 5)
6.057 (17) 7558 (19) 7.758 (21) 6.943 (18) 7.117 (18)
Kaufvertrag 2.414 (7) 3.014 (8) 3.505 (9) 3.381 (9) 3.472 (9)
Dienstleistung 1.768 (5) 2.040 (5) 1.914 (5) 2.036 (5) 2.161 (5)
Anteil an allen ZivilS (60) (61) (61) (60) (60)
Verfahrensgegenstand1979%) 1980 (%) 1981 (%) 1982 (%) 1983 (%)
WohnungsS insges. 12.932 (32) 13.962 (31) 14.704 (30,60) 14.888 (29,40) 15.237 (29,50)
- Zahlung/Inst. 7.832 (19,40) 8.633 (19,20) 8.901 (18,50) 9.312 (18,40) 9.576 (18,50)
- Mietaufhebung 2.055 (5,10) 2.291 (5,10) 2.388 (5) 2.341 (4,60) 2.254 (4,40)
ausservertragl.
mat. Verantw.
9.176 (22,70) 10.599 (23,50) 11.089 (23,10) 11.250 (22,20) 11.093 (21,40)
Kaufvertrag 2.943 (7,30) 3.187 (7,10) 3.480 (7,20) 4.020 (7,90) 3.868 (7,50)
Dienstleistung 1.805 (4,50) 1.897 (4,20) 2.041 (4,30) 2.188 (4,30) 2.107 (4,10)
Anteil an allen Zivilsachen (66,50) (65,80) (65,20) (63,80) (62,50)

Die Tabelle listet die häufigsten Verfahrensgegenstände in Zivilprozessen in der DDR zwischen 1974 und 1983 auf, die insgesamt i.d.R. mehr als 60 % aller Zivilsachen eines jeden Jahres ausmachten. Die beiden mit Abstand wichtigsten Verfahrensgruppen, die i.d.R. über 50 % aller Sachen ausmachen, bilden die Mietsachen und die sog. ausservertragliche materielle Verantwortlichkeit, worunter sich in BGB Terminologie das Deliktsrecht verbirgt. Die Schwankungen, die sich ergeben sollen in diesem ersten Überblick, der sich im wesentlichen auf den Zeitraum kurz vor und unmittelbar nach dem Inkrafttreten des ZGB erstreckt und nicht auf die gesamte Dauer der DDR, zuächst unberücksichtigt bleiben. Die Schwankungen sind auch nicht so wesentlich, dass sie für den ersten Zugriff kommentiert werden müssten. Auf die Auffälligkeit bei den Wohnungsmietklagen (Maximum 1979 mit 32 % und Minimum 1976 mit 26 %) wird noch eingegangen.

1.2 Zivilprozessrate ausgewählter Verfahren in der Bundesrepublik nach Häufigkeit

In der Bundesrepublik hingegen stellt sich die Verteilung der Verfahrensgegenstände beim Amt- und Landgericht nach Häufigkeit für das Jahr 1984 wie folgt dar.6)

Amtsgericht

Geht man nach der amtlichen Statistik von der Gruppe 'Gewöhnliche Prozesse' aus, so fällt auf den ersten Blick der andere Schwerpunkt dieser Statistik ins Auge. Freilich kann man die mit ca 50 % nicht aufgeschlüsselte Gruppe der Amtsgerichtssachen nicht zuordnen. Relativ konstant dominiert auch hier das


Wohnungsmietrecht 21,07 %
Kaufrecht 17,87 %
Verkehrsunfälle 10,05 %
Bau- und Architektenrecht 1,12 %
Unterhaltsrecht 0,61 %

Landgericht

Auch hier ist die grösste Gruppe der Eingänge mit 63 % nicht aufgeschlüsselt. Die wichtigsten Gruppen der Streitwerte über 5000 DM (Stand 1984 gem. § 23 Nr. 1 GVG7) sind


Kaufsachen 22,10 %
Bau-/Architektenrecht 7,88 %
Verkehrssachen 6,89 %

Die 'richtigen' Zahlen sind deutlich niedriger, denn die erstinstanzlichen Landgerichtszahlen müssen, um die Vergleichbarkeit mit dem im dreistufigen Gerichtsaufbau allein zuständigen Kreisgericht herzustellen, mit denen vom Amtsgericht addiert und ins Verhältnis gesetzt werden, da das Amtgericht nach § 23 Ziff. 2 GVG eine Spezialzuständigkeit für Wohnungsmiete hat. Nimmt man so die Zahl der gewöhnlichen Sachen an AG und LG zusammen, so ergeben sich 1 400 136 gewöhnliche Prozesse. Es beträgt hieran der Anteil der


Kaufsachen 18,74 %
Wohnungsmietsachen 16,76 %
Verkehrssachen 9,40 %
Bau-/Architektensachen 2,50%

Diese Zahlen weichen massiv von denen aus der DDR ab. Zunächst haben wir rund 10 Prozentpunkte (!) weniger Wohnungssachen schon beim Amtsgericht. Nimmt man zu der in der Bundesrepublik dominierenden Gruppe der Kaufsachen, die in der benutzten Statistik, die in einer für den Deutschen Bundestag erstellten Statistik nicht enhaltenen Werk und Dienstvertragssachen teilweise8) hinzu, die Steinbach/Kniffka für das AG mit 20,8 % angaben, so zeigt sich für die Bundesrepublik die Dominanz des Güter- und Dienstleistungsaustausches und die des Strassenverkehrs auch in der Prozessstatistik; was zu erwarten war. Zwar bleibt der Anteil der Wohnungsmietsachen mit fast 17 % hoch, doch erreicht er nicht jene fast 30 %, die für die DDR charakteristisch zu sein scheinen und die zugleich verwundern.

2. Einzelne Verfahrensarten in der DDR

Für ein einzelnes Jahr, 1983, wird nun eine genauere Betrachtung nach einzelnen Verfahrensarten unternommen, die zugleich die Art der prozessualen Erledigung wie die Erfolgsquote berücksichtigt. Im Vorgriff auf den wertenden Schlussteil müssen schon hier Erläuterungen gegeben werden, weil die Zahlen ansonsten möglicherweise nicht verständlich sind

2.1 Kaufsachen

Die Verfahren aus Kaufvertrag lagen zwischen in den Jahren 1974 bis 1983 zwischen 7% und 9%. Hier, wenn die Verhältnisse von 1983 als repräsentativ angenomen werden können, handelte es sich nicht um die Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Privaten, sondern um die gestörten Privatkaufverträge. Aus diesen Schwankungen der Prozessraten etwa auf staatliche Einflussnahmen oder ähnliche Ursachen schliessen zu wollen, erscheint auf den ersten Blick bedenklich. Vielleicht sind solche Einflüsse dennoch gegeben, da selbst für wichtige Gebrauchtwaren (Pkw) und Grundstücke Preisvorschriften, also keine Märkte, existierten.9) Aufgrund des Mangels an Konsumgütern bis hin zu PKW lagen die tatsächlich erzielten Preise erheblich über den Vorgaben. Falls sich hier erweisen sollte, dass die für den Kläger im Zivilprozess Sanktionen anderer, zum Beispiel strafrechtlicher, Art zu erwarten ware, die in verschiedenen Epochen unterschiedlich gehandhabt wurden, liesse sich ein Schwanken in der Statistik mit solchen Ursachen deuten.


Verfahren 1983 2107
Kläger: Bürger 55 %
VEB 31 %
soz. Genossenschaft 8 %
Beklagte: Bürger 76 %
VEB 13 %

Erledigung in %
Sachurteil Versäumnisurteil Vergleich Klagerücknahme
184 31 40

Erfolg
voller ErfolgTeilerfolg kein Erfolg
2919 6

Hingegen könnte man, bei aller Vorsicht, die (wenigen) Verfahren bei Dienstleistungen mit leicht abnehmender Tendenz von 5 % Ausgangswert sinkend darauf zurückführen, dass es zunehmend schwerer gewesen sein dürfte, überhaupt Private zu legalen Dienstleistungen zu bewegen. Gegen die PGH (Produktionsgenossenschaften des Handwerks) war ein unzufriedener Kunde wohl mit einer Beschwerde oder Eingabe besser bedient als mit einer Klage. Zudem lag im Bereich der Dienstleistung ein schwer zu quantifizierender Schwerpunkt in der 'Schwarzarbeit', so dass Verfahren ohne weiteres ausgeschlossen waren.

Betrachtet man die unterschiedliche Kläger/Beklagten-Konstellation in der DDR und der Bundesrepublik, so ergibt sich etwas erstaunliches: Während in der Bundesrepublik die Kombination Kläger/Unternehmen gegen privaten Beklagten dominiert, sind in der DDR fast 100 % der Kläger und 60 % der Verklagten in Kaufgarantie-Sachen Bürger.Selbst beim Kaufpreis klagen Bürger mit 78 %, VEB mit 18 %. D.h. es handelt sich in den absolut gesehen wenigen tausend Verfahren um Privatverkäufe, während die über 250.000 Kaufsachen in der Bundesrepublik vornehmlich um Nichtzahlungen handelt, bei denen die Kläger ihre Ansprüche problemlos durch Urkunden dokumentiert können und im Prozess entsprechend Erfolg haben. Bei diesen überragenden Prozesserfolgen der institutionellen Kläger handelt es sich nicht um 'zivilrechtliche' Klassenjustiz, wie auch inder Bundesrepublik in den 70er Jahren geargwöhnt wurde, sondern um eine Standardsituation, bei der der Beklagte gegen die Forderung des Klägers i.d.R. nichts einwenden kann, so dass sein Prozesserfolg nur gering sein kann., so dass man von der Inkassofunktion der Justiz gesprochen hat.

Ein Prozess in Kaufsachen in der DDR stand vor Problemen, denn selbst die Preise für gebrauchte Güter ware/wurden festgelegt. Bei Mangelgütern wie den PKWs überschritten die Vertragsparteien regelmässig diese Preise,10) so dass sie sich nach einem Zivilprozess dem Risiko aussetzten, strafrechtlich verfolgt zu werden. Wenn es aber zum Prozess kam, so hatten die Privaten Nichtzahler gegenüber den Privatverkäufern Einwände, die schon im Kaufpreis-Prozess zu einer ungewöhnlich hohen Vergleichs- und in Garantie-Sachen zu einer nur mittleren Erfolgsquote führte, weil Ansprüche und Rechte von den Privaten oft nicht dokumentiert waren, so dass keiner Seite ein Übergewicht zukam.


Kaufvertrag:
Verfahren insgesamt
11.093
Kläger: Bürger98 %

Darin enthalten
Kaufvertrag: Garantie1.225
Bekl. Bürger59 %!
Bekl. VEB 34 %

Erledigung in %
SachurteilVersäumnisurteil Vergleich Klagerücknahme
211 36 35

Voller ErfolgTeilerfolgkein Erfolg
3021 7

Hier fällt ins Auge, dass auch die Bekl. oft Bürger waren, dass es sich folglich um Privatkäuferund -verkäufer handelte. Die Prozesse sind m.E. folgerichtig durch eine mittlere Erfolgsquote gekennzeichnet.
Kaufpreis: Verfahren2.041
Kläger: Bürger78 %
Kläger: VEB 18 %
Bekl.: Bürger 97 %

ErledigungSachurteilVergleich Klagerücknahme
in %1741 33

Voller ErfolgTeilerfolgKein Erfolg
2929 4

Auch bei den Verfahren um den Kaufpreis klagten vornehmlich Bürger gegen Bürger. Die hohe Vergleichsquote resultiert wahrscheinlich aus dieser Tatsache.

2.2 Mietsachen11)

Eine - merkwürdige - Beobachtung ist diese: Im Jahr 1972 stieg in der DDR die Zahl der Wohnungsmietklagen auf ca. 9 000 und die der Mahnverfahren von Vermietern gegen Mieter auf 22 000. Das entsprach - nach Meinung von Strasberg, die nach der obigen Tabelle als bestätigt gelten kann - einer Quote von 30 % aller Zivilsachen12). Die erheblichen Mietschulden der Bevölkerung - eine offenkundige Missachtung der 'sozialistischen Moral' - bildeten in dieser Zeit einen heftig diskutierten Gegenstand13). Für 1983 ergab sich


Wohnungssachen (allg.) 15237 Verfahren
im Jahre 1983
Kläger: Bürger 7.811 Verfahren 51 %
Kläger Betriebe VEB
43 %
soz. Genossenschaften
4%
Bekl. Bürger 14.695 Verfahren 96 %

Die allgemeinen Zahlen sind noch nicht sehr aussagekräftig, bis auf die Tatsache, dass in fast allen Verfahren Bürger als Beklagte fungierten und in der Hälfte des Sachen Bürger klagten.

Erledigung14)
SachurteilVersäumnisurteil Vergleich Klagerücknahme
17 %17 % 40 % 21 %

Dieser Erledigung korrespondierte folgender Erfolg15):
voller ErfolgTeilerfolgkein Erfolg
58 %14 % 4 %

Schon hier fallen die für die DDR hohe Vergleichsquote einerseits und die hohe Erfolgsquote andererseits auf, die aber ohne weitere Differenzierung nicht aussagekräftig sind. Zu trennen ist nämlich in Mietzahlung und Instandhaltung.

Mietzahlung 8278 Verfahren
Kläger: Bürger 22 %
Betriebe VEB 71 %
Bekl. Bürger 99 %

Die mit 22 % klagenden Bürger waren offenbar private Vermieter, die ebenso wie die VEB von den massenhaften Nichtzahlungen betroffen waren. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass eine Wohnraumlenkung von erheblich grösserem Ausmass bestand als in der Bundesrepublik.16)

Erledigung
SachurteilVersäumnisurteil Vergleich Klagerücknahme
13 %29 % 39 % 17 %

Erfolgsquote
voller ErfolgTeilerfolgkein Erfolg
68 %12 % 1 %

Der Prozesserfolg ist bei den Zahlungsklagen ausserordentlich hoch, was wenig verwundert, weil ein Mieter eigentlich nur zwei Dinge gegen eine Zahlungsklage einwenden kann: Er habe kein Geld, sei zahlungsunfähig oder - unwillig, oder die Mietsache sei mangelhaft. Im ersten Fall musste die Klage immer erfolgreich sein, im zweiten konnte der Mieter ganz oder teilweise obsiegen, was an der folgenden Statistik, die die Kläger- und die Beklagtenrolle umdreht, gezeigt werden kann.


Instandhaltung von Mietsachen 1.298 Verfahren
Kläger: Bürger 92 %
Bekl. Bürger 82 %
Kap. Ausland 1 %
VEB 11 %

Erledigung in %
SachurteilVersäumnisurteilVergleich Kl Rücknahme
17 2 48! 28

Erfolgsquote
Voller ErfolgTeilerfolgkein Erfolg
3529 4

Bei dem schlechten Erhaltungszustand der Bausubstanz ist die Zahl der entsprechenden Instandhaltungs-Klagen mit gut 1200 Verfahren erstaunlicherweise relativ gering. Auffällig ist hingegen, dass offenbar vornehmlich Private verklagt wurden. Hier ist die Antwort für den westlichen Betrachter zunächst erstaunlich, denn die Instandsetzung war gegen die VEB/kommunalen Wohnungsunternehmen im Wege der Beschwerde bei den Unternehmen bzw. durch formelle Eingabe leichter zu erreichen. Gegen Private, deren Mieteinkünfte die Belastungen i.d.R. nicht deckten, konnte man hinfgegen nur mit der Klage erfolgreich sein. Auffällig ist weiterhin, die hohe Vergleichsquote. Offenbar bedurfte es der Einschaltung einer autoritativen Instanz, um zu einer Einigung über strittige Punkte zu kommen. Dafür spricht auch als Besonderheit und wohl auch Beleg für die Schwierigkeit oder Hartnäckigkeit der Streitigkeiten, dass in ca. 10 % der Fälle Gutachten von Sachverständigen eingeholt wurden.17) Unter dem Aspekt der Konfliktursachen werden die anstehenden Fragen unten Abschn. 3.2.4 behandelt.

2.3 Konfliktanalyse bei Wohnungsrechtsstreitigkeiten

Die - breits angesprochene - massenhafte Nichtzahlung der Mieten bildet vor allem für die SED ein ideologisches Problem, denn die Wohnungen waren an die Mieter zu Preisen verteilt worden, die bei weitem die Kosten nicht deckten. Hier sollte sich der Sozialismus gegenüber dem ausbeuterischen Mietrecht des Westens bewähren, hier sah man sich 'vorn'. In einer Vielzahl von Schriften wurden entsprechend diesem Vorverständnis moralische Vorwürfe erhoben. Sachliche Analyseversuche wurden freilich nach dem 8. Parteitag der SED durch ideologisch geprägte Artikel verdrängt.

Die Verfasser beharrten auf der erzieherischen Funktion der Gerichte. Die zumeist heftige Kritik an den säumigen Schuldnern ("Disziplinlosigkeit", "Nachlässigkeit"18))wurde in manchen Artikeln geradezu hinter der an den Gerichten zurückgedrängt. Das Oberste Gericht (OG) nahm in seiner Leitungsfunktion intensiv an der Debatte teil.19) Hurlbeck, Oberrichter dortselbst, forderte eine höhere Effektivität der Gerichte bei der Zurückdrängung der Mietschulden durch eine bessere Durchsetzung des sozialistischen Wohnungsmietrechts. Nicht die bessere Durchsetzung der Gesetze sei das Thema, sondern die konsequente Anwendung des Mietrechts "entsprechend" seiner politischen Aufgabenstellung20). Ein weiterer Richter am OG, Prüfer, betonte die Leitungsfunktion der Zivilgerichte sowie ihre Erziehungsaufgabe21). Kaul schrieb 1979 ungeschminkt vor, die Richter hätten im "Kampf für vorbildliche Ordnung und Sicherheit in Arbeitskollektiven und Brigaden" darauf hinzuwirken, dass kein Mitglied dieser Kollektve Miet-, Kredit- oder Unterhaltsschuldner würde22).

Die Veränderungen der Zahlen im zeitlichen Verlauf in den Hauptmaterien zeigt einige Schwankungen bei den Mietsachen insgesamt, wo 1976 ein Minimum mit 26% erreicht wird bei einem Maximum 1979 mit 32 %. Das Schwanken bei einem kontinuierlichen Wert um 30 % ist zwar erheblich, lässt sich momentan aber noch nicht erklären. In den 60er Jahren begann eine Kampagne in bezug auf die Bezahlung von Mietrückständen. Auf vielfältige Weise versuchte man, die 'Zahlungsmoral' zu verbessern. Zu vermuten wäre, dass diese Kampagne die Zahl der Mietprozesse gesenkt hätte. Freilich ist, ohne Kenntnis der Akten, es ebenso möglich, dass eine Steigerung der Mietprozesse in 'abschreckender Absicht' erfolgen sollte. Denn es wurde gegen die Schuldner sogar bei erweiterter Öffentlichkeit in anprangernder Absicht verhandelt. Bei Zahlungs-/Instandsetzungsklagen zeigt sich ein Anstieg von 17% (1976) auf 19,40 % (1979) und ein früheres Maximum 1974 mit 21 %, so dass den Fragen präziser nachgegangen werden muss. Denn zur Ursachenerforschung zu den Mietrückständen wurde schon Mitte der 60er Jahre in der DDR publiziert und die entsprechende Kampage lag also vor dem 1979 festgestellten hohen Wert . Eher liesse sich das jedenfalls in dieser Tabelle vorhandene Maximum für die Mietzahlungsklagen 1974 mit 21 % so erklären, was freilich mangels der Zahlen aus den Vorjahren mehr als unsicher ist.23)

Das kontinuierliche Sinken der Zahlen für Mietaufhebungsklagen von 1974 mit 7% auf 1983 mit 4,4% zeigt, dass derartige Klagen, die die Mieter aus dem Besitz gesetz hätten, in diesem Zeitraum gewiss nicht gefördert wurden, zumal sie der Ideologie des Sozialismus diametral zuwider liefen. Mietschulden und besonders Mietaufhebungen waren nach dem rechtspolitischen Selbstverständnis der DDR-Führung Erscheinungen, die zwar vorkommen 'durften', die aber, nachdem sie auf der politischen Entscheidungsebene zur Kenntnis genommen waren, keinesfalls weiter ansteigen sollten. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: In den Jahren ab 1971 wurden umfangreiche Massnahmen zur Verbesserung der Wohnverhältnisse in der DDR eingeleitet. Das 'geplante' Wunschbild der DDR-Wirklichkeit und das internationale Ansehen der DDR wären bei einem Anstieg der Mietaufhebungsklagen beschädigt worden.Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass 'eigentlich' nur die gesellschaftliche Realität in ihrer komplexen und mannigfaltigen Widersprüchlichkeit zu sehen gwesen wäre.

Anfang bis Mitte der 80er Jahre wurde in Berlin durch die Kommunalen Wohnungsverwaltungen24) im Zusammenwirken mit staatlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Organisationen komplex und nach Möglichkeit unterhalb der Schwelle der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit gegen Mietschuldner vorgegangen. Ein Mitglied der SED konnte stattdessen oder darüberhinaus bei Mietschulden mit parteiinternen Sanktionen wegen der Schädigung des Ansehens der SED in der Öffentlichkeit konfrontiert werden.25) Daher ist nach wie vor nicht sicher, wie der Anstieg der Zahlungsklagen zu erklären war. Denn war es zum Anwachsen der Mietschulden auch durch eklatante Mängel in der administrativen Verwaltung des Wohnraums in den Kommunalen Wohnungsverwaltungen (stadtbezirksweise gegliedert) gekommen, die zum Teil erst Anfang der 80er Jahre eine Übersicht über die Mietschuldner hatten und erst auf dieser Grundlage rechtlich oder anderweitig tätig werden konnten.

2.4 Konflikttheorie

In der Bundesrepublik stand die konflikttheoretische Forschung zu Zivilprozessen unter zwei Fragestellungen:
- zum einen ging es besondes in den 70er Jahren um die Gleichheit des Zugangs zu den Gerichten und die des Erfolges in Prozessen26)
- zum anderen erkannte man Justiz als eine knappe Ressource und beklagte die hohe Zahl von Prozessen (Prozessflut).27)

In der DDR ging man selbstverständlich davon aus, dass alle Bürger einen durch die unterschiedlichen Formen der Rechtsberatung erleichterten Zugang zum Zivilgericht hatten. Die angesprochenen 'westlichen' Probleme existierten nicht. Weniges macht die andere Stellung der Gerichte in der DDR so deutlich, wie die Kampagne zur Erforschung der Ursachen von Konflikten durch die Gerichte. Das war nicht nur neutral-soziologisch gemeint, sondern so: Die Verfasser der m.E. wissenschaftlich ernsthaften Schrift28) stellten die Zivilrechtspflege in den Dienst des Kampfes gegen Rechtsverletzungen, die in letzter Konsequenz zurückzudrängen seien. Man hat Zweifel, ob es sich um eine sozialistische Entsprechung zur ökonomischen Analyse des Rechts handelt oder um mehr. Die Zitate weisen vor allem auf die erzieherische Funktion der Gerichte und des Rechts hin.29) Mit dem Ausgangspunkt "strikte Wahrung und Realisierung der Rechte und rechtlich geschützten Interessen der Bürger und Betriebe"30) war eine Weiche in Richtung auf Optimierung des Zivilrechts für die Wirtschaft gestellt. Das war einerseits eine sinnvolle Streitvorbeugung. Zudem offenbarte sich darin zugleich ein Verständnis von Recht, das die Legitimität von Rechtswahrnehmung in Frage stellte und die Lösung der Konflikte zumindest teilweise im Zusammenwirken mit anderen gesellschaftlichen Kräften sah,31)auch in dogmatischer Hinsicht, zum Beispiel in bezug auf die Theorie der subjektiven Rechte und die Bedeutung des 'Anspruchs'32). Zugleich wird die erzieherische Aufgabe des Rechts den Gerichten auferlegt33). Wenn oft zwischen legitimen gesellschaftlichen Interessen und (vielfach als illegitim verstandenen) Individualinteressen unterschieden wird, so zeigt das ein prinzipiell anderes Verständnis von Rechtskonflikten34). Es geht in den entsprechenden Schriften eben nicht nur um eine soziologische Methode, eine besondere Art der Empirie, sondern um mehr; zum Beispiel um das Abweichen der Lebensführung von Ideologie35). Wenn daneben durchaus sinnvolle Ursachen für mietrechliche, eheliche und andere Konflikte diskutiert werden, so bleiben doch Fragen offen, weil der Ansatz durchaus emanzipatorische Schritte erlauben konnte.

Auch die Literatur kritisierte - verstärkt etwa 1963 wie oben zitiert - die Zivilrechtsprechung. Man warf ihr vor, eine "zu formale Arbeit, die die Probleme nicht an der Wurzel anpackt",36) mangelnde Rechtskenntnis sowie falsche Gesetzesauslegung.37) Bürokratismus, Schematismus und neutrales Schiedsrichtertum sind die weiteren Vorwürfe.38) Die Zivilrichter verfehlten Staatsratsbeschlüsse und Vorgaben der Partei,39) übrigens auch solche der KPDSU, die gleichfalls in der DDR gelten würden.40) Den Zivilgerichten wurde mehrfach die beispielhafte Haltung und Gangart der Strafgerichte vorgehalten.41) Ob diese Kritik eine 'Spätwirkung' von Babelsberg war42) oder ob hier konkrete Zusammenhänge zur Ursachenforschung bei Prozessen zu erkennen sind, muss die im Projekt erfolgende spätere Aktenanalyse zeigen.

Die insoweit interessanteste Rubrik der amtlichen Statistik bildet die Konfliktanalyse. Seit am Ende der 60er Jahre die massenhafte Nichtzahlung der Wohnungsmieten zum Problem wurde, weil die Sanktion der Räumung nicht angewandt wurde, suchten amtliche Stellen nach den Ursachen solcher Rechtsverstösse. Eine wissenschaftliche Diskussion entstand, bei der für den heutigen Betrachter unsicher ist, wie offen sie geführt werden durfte. Es liegt auf der Hand, dass das Regime und der Sozialismus nicht in Frage gestellt werden durften. Auch die Formulierungen der Antworten in der Rubrik: Umstände und Bedingungen des Konflikts deuten darauf hin: Die Verfasser der Statistik konnten sich folgende Ursachen vorstellen:

  • Nachlässigkeit
  • Rechtsunkenntnis oder fehlerhafte Rechtsauffassung
  • Ungen.(ügendend/au?) ausgest.(altete?) Rechtverhältnisse
  • Missachtung des sozialistischen Rechts
  • Mangelhafte Beschaffenheit der Wohnräume
  • sonstige

Teilweise enthaltendie Rubriken einen moralisierenden Ansatz, denn die Kategorie der 'berechtigten Wahrnehmung von Rechten' o.ä. fehlt.

In diesen Rubriken liegen hohe Raten bei der 'Nachlässigkeit' vor im Bereich der Wohnungssachen, die bei einem Durchschnitt von 34 % aller Zivilprosesse ihr Maximum bei 53 % aller Mietzahlungsverfahren haben mit 61 % 'Rück. (stand) künf (tige) Miete' (?). Auch die Mietzahlungen, die in der Rubrik 'Mietaufhebung/ Räumung' erfasst wurden zeigten mit 40 % einen wesentlich erhöhten Wert als der Durchschnitt aller Verfahren. Überdurchschnittlich hohe Werte zeigen gleichfalls die Prozesse im Zusammenhang mit Gas-, Energie- und Wasserleistungen, die dem Mietkomplex zuzurechnen sind.

Die Rubrik 'Missachtung des sozialistischen Rechts' wirkt auf den ersten Blick sehr moralisierend. Die bei einem Durchschnitt von 21 % aller Zivilverfahren relativ hohen Werte bei 'Rück./künft Miete' (24 %), bei Mietaufhebung/Räumung in der Unterrubrik 'gröbliche Rechtsverletzungen' 43% und Mietrückstand 47 %. Das Erreichen der höchsten Werte bei der materiellen Verantwortlichkeit im Bereich Schadenszufügung mit durchschnittlich 70 % und einem Maximum bei 'Gesund-/Sachsch. SE' mit 87 % deuten darauf hin, dass eher viele gewissermassen 'normale' Verletzungen des Rechts als Missachtung sozialisten Rechts angesehen wurden, so dass man sehr genau prüfen muss, ob es sich bei der 'Missachtung sozialistischen Rechts' um eine so moralische Kategorie handelt wie man vermuten könnte.

Im übrigen korreliert die "Missachtung des sozialistischen Rechts" mit der zwar absolut seltenen, aber hier gehäuft auftretenden sonstigen Mitwirkung der StA im Zivilverfahrenund den beiden wichtigen Spalten 'Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte' und 'Verhandlung vor organisierter Öffentlichkeit'. Gesellschaftliche Kräfte wirken selten mit, durchsschnittlich in 3 % der Fälle. Bei Mietaufhebung/Räumung liegt der Schnitt schon bei 11 %, um beim Mietrückstand ein Maximum mit 24 % zu erreichen, was exakt den gesellschaftpolitischen Zielen der SED und der DDR entsprach, die gegen diese Form des folgenlosten Staatskredits auch in der Öffentlichkeit konsequent vorgehen wollte. Wer beim Miertrückstand, vornehmlich zu lasten der Wohnungsbaugesellschaften an den Pranger gestellt werden sollte, ist klar. Daher fand hier schwerpunktmässig eine Verhandlung vor organisierter Öffentlichkeit im Gericht in 13 Fällen von 203 (6 %) und ausserhalb des Gerichts in weiteren 16 (8 %) der Fälle statt.

Wieso bei den 13 % Eigenbedarfskündigungen (mit 702 Verfahren) möglicheweise zu lasten der Vermieter/Eigentümer eine Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte stattfand, ist unsicher. Möglicheweise deshalb, um die privaten Vermieter/Eigentümer zu einem anderen Verhalten zu veranlassen.43)

Bei der Verfahrenseinleitung fällt eine überdurchschnittliche (3%) Häufung einstweiliger Anordnungen bei sonstigen Wohnungssachen 17 % (452 Vf.) und Störungsbeseitung/ Unterlassung mit 23 % (216 Vf.) auf. Der Hintergrund dieser Verfahren wird aus der Statistik nicht deutlich. Es kann sich um Störungen des Nachbarverhältnisses o.ä. handeln, wo diese Verfahrenseinleitung sozusagen in der Natur der Sache liegt.44) Der Bereich der Zahlungsaufforderungen, die in der Bundesrepublik als Mahn- und Vollstreckungsbescheide eine bedeutende Rolle spielen, war in der DDR 'unterentwickelt', weil in nur 13 % der Vf. eine solche Aufforderung dem streitgen Vf. vorausging. Eine besondere Häufung mit 45 % findet sich bei 'Rückständiger Miete' und anderen Geldforderungen im Zusammenhang mit dem Mietrecht.45) Gas-, Energie- und Wasserleistungen (1815 Vf) ragen mit 75 % heraus.46)

3. Aussergerichtliche Schlichtung

Die aussergerichtliche Schlichtung spielte in Wohnungssachen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie ist gewissermaßen typisch für die 'neue' Aufassung vom Zivilrechtsstreit in der DDR. Weil ihre Rechtsstellung im Justizsystem der DDR nicht allgemein bekannt ist, muß vorweg deren Geschichte kurz geschildert werden. In der DDR wurden 1953 Konfliktkommissionen in den Betrieben47) und 1964 Schiedskommissionen in den Wohngebieten48) als gesellschaftliche Organe der Rechtspflege gebildet. Ausgangspunkte waren der Verfassungsauftrag der Beteiligung des Laienelements an der Rechtspflege im weitesten Umfang,49) rechtspraktisch die zweckmässige aussergerichtliche Klärung von kleinen Rechtsstreitigkeiten in Anknüpfung an das Schiedsmannswesen,50) gesellschaftspolitisch die sozialistische Umgestaltung auf allen Gebieten51) und die Einbeziehung gesellschaftlicher Organe in die Erziehung zur Einhaltung der Moralgesetze52) und konflikttheoretisch die Vermeidung von gerichtlichen Konflikten im Sinne der (gewünschten) Interessenübereinstimmung von Staat - Bürger und der daraus abgeleiteten Interessenübereinstimmung zwischen den Bürgern.53) 1968 wurden die Konfliktkommissionen und die Schiedskommissionen staatsrechtlich in den Rang gesellschaftlicher Gerichte erhoben54) und in das Gerichtssystem der DDR integriert.55) Sie wurden auf der Grundlage eigenständiger Verfahrensvorschriften56) in zwei Richtungen tätig. Einmal als gesellschaftliche Vorinstanzen, die Entscheidungen57) trafen, gegen die beim zuständigen Kreisgericht Einspruch58) eingelegt bzw. die dort für vollstreckbar59) erklärt werden konnten. Zum anderen aber auch als gesellschaftliche Schlichtungsinstanzen60), die vor allem bei strafrechtlichen Verfehlungen61), einfachen zivilrechtlichen Streitigkeiten und bei Arbeitsrechtsstreitigkeiten (Konfliktkommissionen) schlichtend tätig waren.

Im Unterschied zu Arbeitsrechtsstreitigkeiten war die Behandlung einer einfachen zivilrecht-lichen Streitigkeit durch die gesellschaftlichen Gerichte freiwillig. Der antragstellende Bürger konnte jederzeit seinen Antrag an das gesellschaftliche Gericht zurückziehen und den Rechtsweg der Behandlung seiner Sache beim staatlichen Gericht einschlagen.Der Der Umfang des zivilrechtlichen Wirkens der gesellschaftlichen Gerichte am gesamten Aufkommen an Zivilrechts-konflikten62) -in der DDR erschliesst sich aus der nachfolgenden Übersicht:

Zivilrechtssachen bei den staatlichen Gerichten
und einfache zivilrechtliche Streitigkeiten
bei den gesellschaftlichen Gerichten
Jahr Staatl. und
gesellschaftl. Gerichte
gesamt (%)
Geschäftsanfall
staatl. Gerichte63)
Arbeitsanfall
gesellschaftl. Gerichte (%)
1983 57 932 52 219 (90,1) 5 713 (9,9)
1988 67 210 62 210 (92,4) 5 14464) (7,6)

Dabei repräsentieren die Schiedskommissionen das zivilrechtliche Wirken der gesellschaftlichen Gerichte der DDR, da sie 1988 mit 94 % fast alle bei den gesellschaftlichen Gerichten bean-tragten einfachen zivilrechtlichen Streitigkeiten behandelten:
Einfache zivilrechtliche Streitigkeiten65)
bei den gesellschaftlichen Gerichten
Jahr Gesellschaftl.
Gerichte gesamt
Arbeitsanfall
Schiedskommissionen (%)
Arbeitsanfall
Konfliktkommissionen (%)
1983 5 713 5 275 (92,3) 438 (7,7)
1988 5 144 4 833 (94,0) 311 (6,0)

Formell behandelte demnach jede der 5 552 Schiedskommissionen in der DDR66) 1988 weniger als eine einfache zivilrechtliche Streitigkeit pro Jahr. Praktisch differierte der Geschäftsanfall an zivilrechtlichen Streitigkeiten zwischen den Schiedskommissionen jedoch erheblich.67)

Die Verfahrensvorschriften für die Behandlung von einfachen zivilrechtlichen Streitigkeiten durch die gesellschaftlichen Gerichte der DDR waren einheitlich.68)

Im Rahmen des Forschungsprojekts liegen die Ergebnisse einer qualifizierten Stichprobe69) zum zivilrechtlichen Wirken der Schiedskommissionen in grossstädtischen Wohngebieten vor. Die Schiedskommissionen in Berlin-Treptow70) behandelten von 1982 bis 1987 insgesamt 217 einfache zivilrechtliche Streitigkeiten. Die typischsten Konfliktsachverhalte waren:

Konfliktsachverhalt Anzahl
Lärmbelästigung 71
Grenz- und Zaunziehung zwischen Grundstücken 24
Sachbeschädigung 14
Schadenersatzforderung 13
Belästigung 119
Geldforderung 8
Wasserschaden 6
Überhang 5
Herausgabeanspruch 4
Überschattung 4
Nichtrückzahlung Darlehen 3
Nichterfüllung Kaufvertrag 3
Verstoss gegen die Hausordnung 3


Unter rechtssoziologischen Gesichtspunkten zusammengefasst, stellen sich die von den Schiedskommissionen des Stadtbezirks Berlin-Treptow behandelten Konflikte in folgenden Gruppen dar:
Konfliktgruppe Anzahl
Konflikte zwischen Grundstücksnachbarn 65
Streitigkeiten nach Ehescheidung in der Wohnung 21
Streitigkeiten im Wohnhaus 63
(davon Lärmbelästigungen im Wohnhaus) 62
Streitigkeiten nach Ehescheidung in der Wohnung71) 21
(davon Lärmbelästigungen im Wohnhaus) (64)
Konflikte zwischen Mietvertragsparteien 15
Summe (grösser als 217, da teilweise mehrfach genannt) 226

Im Ergebnis der Behandlung der 217 Bürgeranträge wurde bei zwei Drittel der Zivilrechtskonflikte durch die Schiedskommissionen eine Lösung bzw. Regelung des Konflikts erreicht:
Behandlung des Konflikts /
Entwicklung der Sache
Anzahl Prozent
Lösung des Konflikts 120 55,3
Formelle Regelung des Konflikts 28 12,9
Nichtklärung des Konflikts
im Ergebnis des Tätigwerdens
der Schiedskommissionen
44 20,3
Nichtklärung des Konflikts
infolge des Nichterscheinens zu den
Beratungen der Schiedskommissionen
25 11,5
Summe 217 100

Einfache zivilrechtliche Streitigkeiten waren einerseits häufig mit strafrechtlichen Verfehlungen verbunden, während andererseits strafrechtliche Verfehlungen ihre Ursache häufig in nichtgeregelten zivilrechtlichen Beziehungen hatten:

4. Schluss

M.E. zeigen bereits diese ersten Ergebnisse, warum der Untersuchung des Zivilrechts in der DDR eine besondere Bedeutung zukommt. Die Zivilprozessrate in der DDR im Vergleich zur Bundesrepblik Deutschland zeigen die je unterschiedliche Inkassofunktion und Konjunkturabhängigkeit der unterschiedlichen Systeme, die m.E. nicht ausschliesslich durch das unterschiedliche Bruttosozialprodukt gekennzeichnet war. Schwierig ist es, aufzuzeigen wie DDR die Zivilprozessrate drückte. Dabei ergab sich:

  • Planwirtschaftliche Momente drücken die Prozessrate
  • die Entdifferenzierung von Recht und Moral, also Laienrechtsprechung und ein neues Rechtsverständnis, drücken die Prozessrate.
Dieser kleine Artikel konnte nur ein Beispiel herausgreifen. Die absoluten Zahlen der behandelten Mietstreitigkeiten bei den Schiedskommissionen sind, im Vergleich zur Zahl regulärer Zivilprozesse, beträchtlich und spiegeln eine Tendenz wieder, Konflikte eben nicht mehr als Streitigkeiten zwischen Individuen zu begreifen, sondern in der sozialistischen Gesellschaft Handlungen von 'geringer Sozialschädlichkeit' durch Bürger behandeln zu lassen und die gesetzesübertretenden Bürger "zur Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit und zur Wahrung der Grundsätze des sozialistischen Gemeinschaftslebens zu erziehen"72).

Ausblick

In anderer Hinsicht vielleicht noch problematischer erwies sich dieEntdifferenzierung von Recht und Macht:73) Weil sich die Herrschenden das Recht untertan machen, fielen deren Gegner als Prozessparteien weg. Die weiteren Schlussfolgerungen daraus betreffen den sog. Totalitarismus und das Problem der gesellschaftlichen Differenzierung. Offenkundig versuchten der Nationalsozialismus und die DDR gesellschaftliche Differenzierung rückgängig zu machen. Dazu bediente man sich einer 'Gemeinschafts'-Ideologie, welche die gesellschaftlichen wie die rechtlichen Veränderungen legitimieren sollte. Dass sich diese Legitimation im Gewande des öffiziösen Marxismus-Leninismusus anders darstellte74) und auch von den Betroffenen wohl nicht in der hier dargestellten Weise wahrgenomen wurde, steht auf einem anderen Blatt. DDR und Drittes Reich gingen so weit, eine totalitäre Vergemeinschaftung von oben mit einer Identität von Herrschern und Beherrschten zu verbinden, was sich in der Theorie wie in der Praxis des Zivilprozesses zeigte. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Fragen des Diktaturvergleichs wird an anderem Ort erfolgen.75)

Fußnoten:

1 Rainer SCHRÖDER, Zivilrechtsprechung in der DDR während der Geltung des BGB. Vorüberlegungen zu einem Forschungsprojekt mit vergleichender Betrachtung des Zivilrechts im Dritten Reich und in der Bundesrepublik,in: Vorträge zur Justizforschung, Geschichte und Theorie, Bd. 2, Hrsg. von H. Mohnhaupt und Dieter Simon, Frankfurt am Main 1993, S. 527 - 580. Die Fussnoten sind aus Gründen der Lesbarkeit bewusst sparsam gehalten.

2 Es begreift sich das Forschungsprojekt "Zivilrechtskultur der DDR" primär als rechtshistorisches, wiewohl es sich notwendig statstischer Methoden neben der archivalischen Tätigkeit bedient. Neuere Forschungsprojekte des Max-Planck-Instituts zu Rechtssprechung und Normdurchsetzung weisen in dieselbe Richtung. Bahnbrechend waren hier die Werke von Christian WOLLSCHLÄGER: Die Arbeit der europäischen Zivilgerichte im historischen und internationalen Vergleich. Zeitreihen der europäischen Zivilprozessstatistik seit dem 19.Jahrhundert, in: E. Blankenburg (Hg.), Prozessflut? Studien zur Prozesstätigkeit europäischer Gerichte in historischen Zeitreihen und im Rechtsvergleich, Köln 1989, S. 21-114; Ders.: Zivilprozessstatistik und Wirtschaftsentwicklung in Preussen im 18. und 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 1981, S. 16 ff.; Ders: Zivilprozessstatistik und Wirtschaftswachstum im Rheinland von 1822-1945, in: Das Profil der Juristen in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlass des 70. Geburtstages von Franz Wieacker, hg. von Klaus Luig und Detlef Liebs, Ebelsbach 1980, S. 371-397.

3 Joachim GÖRING, Axel DOST, Zivilrecht, in: Uwe-Jens HEUER (Hg.): Die Rechtsordnung der DDR. Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 1995, S. 475 - 516, 475. dazu Das Zivilgesetzbuch der DDR vom 19. Juni 1975, hg. von Jörn Eckert und Hans Hattenhauer, Goldbach 1995.

4 Dargestellt als Anteil von allen Zivilsachen. Diese Tabelle folgt einem Archivfund, nämlich dem Diensttagebuch eines hohen Beamten des Justizministeriums, wahrscheinlich des Ministers. Die Eintragungen sind handschriftlich. Etwaige Abweichungen zu den amtlichen Statistiken sollen hier noch keine Rolle spielen.

5 Diese Anspruchsgruppe nach §§ 323 ff ZGB-DDR entspricht dem Deliktsrecht.

6 Vgl. jüngst Thomas RAISER, Das lebende Recht. Rechtssoziologie in Deutschland, Baden-Baden 1995, S. 409 ff. m.v.N.

7 Änderung auf DM 10.000 durch das Rechtspflege-VereinfachungsG vom 17.12.1990 per 1.4.1991.

8 Hier könnten sich teilweise Überschneidungen mit den Bau- und Architektesachen ergeben, die fast sämtlich Werkverträge zur Grundlage haben.

9 Anordnung [Nr.1] über den Kauf und Verkauf sowie über die Ermittlung des Preises für gebrauchte Kraftfahrzeuge vom 24. August 1981 (Gbl. I Nr. 27 S. 333)

10 § 68 Abs. II S. 2 ZGB i.V.m. Anordung Nr. Pr. 9 vom 28.06.1968 über die Rückerstattung und die Abführung von Mehrerlösen aus Preisüberschreitungen - Mehrerlös AO - Gbl. II Nr. 77 S. 562

11 Zur völlig anderen Struktut der Mietprozesse ind der Bundesrepublik vgl. Rolf SCHULZ-RACKOLL, Die Verrechtlichung von Mietkonflikten zur Durchsetzung partikularer Interessen, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 1983, S. 268 ff.

12 Werner STRASBERG: Die Aufgaben der Gerichte zur wirksameren Durchsetzung des sozialistischen Mietrechts, in: NJ 1972, S. 40-42.

13 Joachim DIETRICH: Zielgerichtete Massnahmen zur Senkung der Mietrückstände, in: NJ 1971, S. 109-110. Vgl. dazu genauer im Abschn. Konfliktanalyse.

14 Diese Zahlen addieren sich nach der Statistik nicht zu 100 %, da andere Erledingungsmöglichkeiten möglich sind, die aber zumeist nicht stark ins Gewicht fallen.

15 Diese Zahlen addieren sich gleichfalls nach der Statistik nicht zu 100 %, weil die Erfolgsquote der nicht erfassten erledingungen nicht festgestellt werden kann und zusätzlich z.B. bei Klagerücknahmen unsicher ist, ob nicht dennoch ein Erfolg gegeben ist. Das bedarf noch näherer Untersuchung. In der Bundesrepublik ist bei Klagen gegen Haftpflichtversicherungen die Klagerücknahme üblicherweise ein Erfolg, weil die Parteien sich aussergerichtlich vergleichen, die Versicherung zahlt, die Prozesskosten übernimmt und vom Kläger die Klagerücknahme aus Kostengründen verlangt.

16 VO über die Lenkung des Wohnraums v. 14.09.67 GBl II, 733, vorher: VO über die Regelung desWohnraums v. 22.11.55, GBl 55 I, 3; KontrollratsG Nr. 18 WohnungsG. Vgl. Udo WOLTER, Mietrechtlicher Bestandsschutz: Historische Entwiklung seit 1800 und geltendes Wohnraumkündigungsschutzrecht, Frankfurt a.M 1984.

17 Ein ähnliches Ergebnis für Bau- und Architektenprozesse ergibt sich bei der westdeutschen Situation.

18 Edgar PRÜFER: Zum wirksamen Einsatz gerichtlicher Massnahmen bei der Bekämpfung von Mietrückständen, in: NJ 1972, S. 44-45; Willi Neels: Enge Zusammenarbeit des Kreisgerichts Neckermünde mit örtlichen Organen auf dem Gebiet des Mietrechts, in: NJ 1971, S. 177-178; Werner HERZOG: Zurückdrängung von Mietschulden - gesamtgesellschaftliches Anliegen, in: NJ 1972, S. 45-46; Beratung des Plenums des Obersten Gerichts über Fragen des Wohnungsmietrechts, in: NJ 1972, S. 47-49; BERICHT Des Präsidiums an das Plenum des BG Neubrandenburg AM 7.1.71 BERICHT : Zu den Aufgaben der Gerichte bei der Lösung von Mietrückständen, in: NJ 1971, S.713-715; Joachim DIETRICH: Zielgerichtete Massnahmen zur Senkung der Mietrückstände, in: NJ 1971, S. 109-110; Dietrich Joachim JASCHIK: Zielgerichtete Massnahmen zur Senkung der Mietrückstände, in: NJ 1971, S.109-110; Horst KELLNER: Über den Arbeiststil der Gerichte bei der Bekämpfung von_Mietrückständen,in: NJ 1964, S.484-487;Georg RIEDEL: Aufgaben der Gerichte zur Überwindung von Mietrückständen, in: NJ 1971, S. 540-543; zur Leitungsfunktion allgemein vgl.Hubert ROTTLEUTHNER, Steuerung der Justiz in der DDR. Einflußnahme der Politik auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, Köln 1994.

19 Beratung des Plenums des Obersten Gerichts über Fragen des Wohnungsmietrechts, in: NJ 1972, S. 47-49; BERICHT Des Präsidiums an das Plenum des BG Neubrandenburg AM 7.1.71 BERICHT : Zu den Aufgaben der Gerichte bei der Lösung von Mietrückständen, in: NJ 1971, S.713-715; Joachim DIETRICH: Zielgerichtete Massnahmen zur Senkung der Mietrückstände, in: NJ 1971, S. 109-110; Dietrich Joachim JASCHIK: Zielgerichtete Massnahmen zur Senkung der Mietrückstände, in: NJ 1971, S.109-110; Horst KELLNER: Über den Arbeiststil der Gerichte bei der Bekämpfung von_Mietrückständen,in: NJ 1964, S.484-487;Georg RIEDEL: Aufgaben der Gerichte zur Überwindung von Mietrückständen, in: NJ 1971, S. 540-543; zur Leitungsfunktion allgemein vgl.Hubert ROTTLEUTHNER, Steuerung der Justiz in der DDR. Einflußnahme der Politik auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, Köln 1994.

20 Wilhelm HURLBECK: Das Mietrecht effektiv anwenden, in: NJ 1972, S. 42 f.

21 Edgar PRÜFER: Zum wirksamen Einsatz gerichtlicher Massnahmen bei der Bekämpfung von Mietrückständen, in: NJ 1972, S. 44-45.

22 Irmgard KAUL: Unser Interview zur Richterwahl, in: NJ 1979, S. 153.

23 In dieser Beziehung ist die Tabelle ab 1974 ist nicht aussagekräftig, da Erkennungs-, Entscheidungs- und Wirkungsverzögerungen zu beachten sind, müsste man, um Ursachen und Erfolge dieser Kampagne erkennen zu können, mindestens bis Mitte der 60er Jahre zurückgehen.

24 Verwalterin des volkseigenen Wohnraums; diese Eigentumsform betraf den Grossteil des Wohnraums.

25 Ob und inwieweit das der Fall war, wird noch zu untersuchen sein. Immerhin gab es 1989 ca. 2,3 Mio SED-Mitglieder bei ca. 12 Mio Wahlberechtigten.

26 Rolf BENDER, Rolf SCHUMACHER: Erfolgsbarrieren vor Gericht. Eine empirische Untersuchung zur Chancengleichheit im Zivilprozess, Tübingen 1980.

27 Erhard BLANKENBURG, Mehr Justiz, aber weniger Gerechtigkeit, in: ZRP 1986, S. 262-267.

28 Herbert KIETZ/ Manfred MÜHLMANN: Konfliktursachen und Aufgaben der Zivil- und Familiengerichte, Berlin (Ost) 1969; Manfred MÜHLMANN: Die Möglichkeiten der Rechtspflege zur Bekämpfung der Ursachen von Zivil- und Familienrechtskonflikten, in: StuR 1965, 1128.

29 Vgl. o. Fn..

30 ebda S. 11.

31 Ilse BECHTHOLD: Der Kampf gegen Konfliktursachen in der Zivil- und Familienrechtspflege der DDR, in: Jahrbuch für Ostrecht 1970, S. 49-82, 51; H. REINWARTH (Autorenkollektiv): Zu wesentlichen Ursachen und Bedingungen von Zivilrechtskonflikten und sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für die Vervollkommnung der staatlichen Leitung und Planung (= Aktuelle Beiträge der der Staats- und Rechtswissenschaft 139, Potsdam-Babelsberg 1976.

32 OSTMANN: Zur Überwindung des bürgerlichen Begriffs des Anspruchs, in: StuR 1960, 1807.

33 GÖRNER: Die erzieherische Aufgabe der Gerichte bei der Behandlung von Zivilsachen und Familiensachen, in: NJ 1953, 271.

34 SCHÜSSELER: Die Rechtsverletzungen im sozialistischen Staat und ihre Bekämpfung, Berlin (Ost) 1958, S. 120 f.

35 Diskrepanz zwischen ökonomischer Entwicklung und geistig-kulturellem Entwicklungsstand der Bürger BECHTHOLD (wie Anm. 31) S. 66 m.w.N.

36 Horst KELLNER, Über den Arbeiststil der Gerichte bei der Bekämpfung von Mietrückständen,in: NJ 1964, S.484-487, 485.

37 Gerhard KRÜGER, Die gesellschaftliche Wirksamkeit der Zivilrechtspflege erhöhen! Teil II, in: NJ 1963, S. 675-677.

38 Heinz PÜSCHEL: der Staatsratsschluss über die weitere Entwicklung der Rechtspflege in der DDR in seiner Bedeutung für die Rechtsprechung in Zivilsachen, in: NJ 1962, S. 45-49.

39 Herbert KLAR: Die gesellschaftliche Wirksamkeit der Zivilrechtspflege erhöhen! in: NJ 1963, S. 673-675, S. 673.

40 Heinz PÜSCHEL: der Staatsratsschluss über die weitere Entwicklung der Rechtspflege in der DDR in seiner Bedeutung für die Rechtsprechung in Zivilsachen, in: NJ 1962, S. 45-49.

41 Gerhard Krüger (wie Anm. 37).

42 R. DREIER, J. ECKERT, K.A. MOLLNAU, H. ROTTLEUTHNER (Hg.): Rechtswissenschaft in der DDR 1949 - 1971: Dokumente zur politischen Steuerung im Grundlagenbereich. 1. Aufl., Baden-Baden 1996

43 Pädagogische Intervention mit aussergerichtlicher Öffentlichkeit fanden sich weiterhin bei 14 von 687 Verfahren beim 'Nachbarrecht'..

44 Auch finden sich beiGrundstückssachen mit 7 % überdurchschnittlich häufig solche Verfahrenseinleitungen. In der Natur der Sache liegt es gleichfalls, dass im Bereich der ausservertraglichen materiellen Verantwortlichkeit 40 % der 11093 Vf. durch Verweisung aus dem Strafvf. eingeleitet wurden mit einem Maximum von 57 % (977 Vf.) bei Schäden an Leben und Gesundheit. Diese prozessuale Möglichkeit, aus einem Strafverfahren heraus den Geschädigten zivilrechtlich zu ihrem Recht zu verhelfen, ist dem bundesrepublikanischen Zivilrechtsdenken fremd. Doch ist diese Form der Rechtstätigkeit Ausdruck der von den Betroffenen als angenehm empfundenen Fürsorge, die an anderer Stelle bedrückend werden konnte.

45 Desgleichen mit 45 % (516 Vf.) bei Vergütung für Dienstleistung und Kaufpreiszahlungen mit 26 % (536 Vf.) sowie bei Teilzahlungs- (44% = 111 Vf.)) und anderen (57 % = 116 Vf.) Krediten.

46 Ähnlich hoch ist nur noch der in absoluten Zahlen kleinere Bereich der, wohl unerlaubten (?) Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit 62 % (200 Vf.).

47 Verordnung über die Bildung von Kommissionen zur Beseitigung von Arbeitsstreitfällen (Konfliktkommissionen) in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben und in den Verwaltungen vom 30. April 1953, GBl. Nr. 63 S. 693.

48 Richtlinie des Staatsrates der DDR über die Bildung und Tätigkeit von Schiedskommissionen vom 21. August 1964, Gbl. Teil I Nr. 9 S. 115. Vorausgegangen waren die Kann-Bestimmungen des Rechtspflege-Erlass des Staatsrates der DDR vom 4. April 1963, GBl. Teil I Nr. 3 S. 21, der die Bildung von Schiedskommissionen entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen vorsah und damit für die Erprobung von Schiedskommissionen in ausgewählten grossstädtischen Wohngebieten und Gemeinden die Rechtsgrundlage bildete.

49 Die Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949, GBl. Nr. 1 S. 5. Dort heisst es in Artikel 130 (1): "An der Rechtsprechung sind Laienrichter im weitesten Umfang zu beteiligen".

50 Anordnung über die Errichtung von Sühnestellen in der DDR (Schiedsmannsordnung) vom 24. April 1953, GBl. Nr. 59 S. 647; Anordnung über die Errichtung von Sühnestellen in der DDR vom 20. Mai 1954, GBl. Nr. 54 S. 555, und Verordnung über die Sühnestellen. - Schiedsmannsordnung - vom 22. September 1958, GBl. I Nr. 61 S. 690. Die erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Sühnestellen vom 22. September 1958, GBl. I Nr. 61 S. 692, regelte erstmals die Zuständigkeit des Schiedsmanns für ein Sühneverfahren in Zivilsachen im Streitwert bis 100 DM.

51 Walter ULBRICHT, "Der Weg zur Sicherung des Friedens und zur Erhöhung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen des Volkes", aus dem Referat auf der 4. Tagung des ZK der SED am 15. Januar 1959, Dietz Verlag Berlin, 1959, S. 51.

52 ilde BENJAMIN "Zum 4. Plenum des ZK der SED", Neue Justiz 4 / 1959, S. 109.

53 azu beispielhaft die Konflikttheorie der einflussreichen Justizpolitikerin Hilde BENJAMIN, Mitglied des ZK der SED in: "Zum 8. Plenum des ZK der SED", Neue Justiz 8 / 1960, S. 255. Dort geht es um die gesell-schaftliche Erziehung im vollgenossenschaftlichen Dorf und die Schaffung ähnlicher Einrichtungen wie die Konfliktkommissionen in den Betrieben. Benjamin, von 1953 bis 1967 Ministerin der Justiz der DDR (dazu ausführlich: Andrea FETH, "Hilde Benjamin - eine Biographie", Berlin , 1997), stellt in diesem Ausatz dar, dass mit der vollen Vergenossenschaftlichung die Wider-sprüche auf dem Lande beseitigt wären - zwischen sozialistischer Planwirtschaft und Hunderttausen-den Einzelbauern, zwischen Einzelbauern und Genossenschaften, zwischen den Einzelbauern unter-einander (!?). Benjamin räumt ein, dass die Entwicklung nicht konfliktlos weitergehen wird, die "Über-reste des Alten" im Bewusstsein bei manchen Genossenschaftsbauern nicht schneller verschwinden werden als bei manchen Arbeiter und auch Konflikte neuen Charakters entstehen werden.

54 Verfassung der DDR vom 6. April 1968, GBl. der DDR 1968 Teil I S. 199, Artikel 92.

55 Dazu: Frohmut MÜLLER:"Ehrenamtliche Richter in der Rechtsordnung der DDR", Neue Justiz 4 / 1989, S. 133.

56 Grundlegend: Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der DDR vom 25. März 1982, GBl. I Nr. 13 S. 269. Speziell: Beschluss des Staatsrates der DDR über die Tätigkeit der Konfliktkommissionen vom 12. März 1982, GBl. I Nr. 13 S. 274, und: Beschluss des Staatsrates der DDR über die Tätigkeit der Schiedskommissionen - Schiedskommissionsordnung - vom 12. März 1982, GBl. I Nr. 13 S. 283.

57 Im Ergebnis ihrer Beratungen entschieden die Schiedskommissionen durch Beschluss über den Anspruch, die Bestätigung einer Einigung oder über das Vorliegen einer Rechtsverletzung und den Ausspruch von Erziehungsmassnahmen. Weiterhin, wenn die weitere Behandlung der Sache eingestellt wurde, wenn der Anspruch unbegründet war, wenn die Bestätigung einer Einigung abzulehnen war, weil sie Grundsätzen des sozialistischen Rechts widersprach, oder wenn keine Rechtsverletzung vorlag. Vgl.: Schiedskommissionsordnung, § 11, und die nachfolgende ausführliche Darstellung der Verfahrensvorschriften für eine Entscheidung bei einfachen zivilrechtlichen Streitigkeiten.

58 Zum Einspruchsrecht siehe Schiedskommissionsordnung, wie Anm. 138, §§ 48 bis 52, und Zivilprozessordnung der DDR vom 19. Juni 1975, GBl. I Nr. 29 S. 533, §§ 8, 10, 21, 77 und 78.

59 Zur Vollstreckbarkeit siehe Schiedskommissionsordnung, wie Anm. 138, §§ 54 bis 56, und Zivilprozessordnung, wie Anm. 140, §§ 78, 89 und 168.

60 Das Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der DDR, wie Anm. 138, räumte in § 17 den Mitgliedern der gesellschaftlichen Gerichte der DDR das Recht ein,"... zur Vermeidung und Beseitigung von Rechtsstreitigkeiten und Rechtsverletzungen Aussprachen durchzuführen". Die speziellen Verfahrensvorschriften beinhalteten für die Behandlung einfacher zivilrechtlicher Streitigkeiten grundsätzlich und vordergründig das Hinwirken auf das Zustandekommen einer Einigung zwischen den Parteien, siehe dazu Schiedskommissionsordnung, wie Anm. 138, § 18. In diesen Widersprüchen zwischen ideologisch fragwürdigen und konflikttheoretisch unrealistischen Positionen ("Vermeidung und Beseitigung" von Konflikten) und dem Anspruch auf Schlichtung ("Einigung") handelten die Mitglieder der gesellschaftlichen Gerichte. Praktisch führte das dazu, dass alle Möglichkeiten für die Lösung von Konflikten ausgeschöpft wurden. Das war natürlich für die Konfliktparteien und die Lösung ihres Konflikts durch Interessenausgleich nützlich.

61 Verfehlungen waren " ... Verletzungen rechtlich geschützter Interessen der Gesellschaft oder der Bürger, bei denen die Auswirkungen der Tat und die Schuld des Täters unbedeutend sind und die im Straf-gesetzbuch oder in anderen Gesetzen als solche bezeichnet werden.", in: Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968 i. d. Neufassung vom 19. Dezember 1974, GBl. I 1975 Nr. 3 S. 14, § 4 (1).

62 Ohne Arbeitsrechts- und Familienrechtsstreitigkeiten.

63 Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, S. 447, Herausgeber: Statistisches Amt der DDR, Rudolf Haufe Verlag Berlin 1990.

64 Frohmut MÜLLER: "Ehrenamtliche Richter in der Rechtsordnung der DDR", Neue Justiz 4 / 1989, S. 133.

65 Einfache zivilrechtliche Streitigkeiten wurden gesetzlich wie folgt definiert:
1. Einfache zivilrechtliche Steitigkeiten zwischen Bürgern, die im täglichen Leben der Bürger aus Verletzungen ihrer Rechte und Pflichten, insbesondere im Zusammenleben in der Haus- und Wohngemeinschaft entstehen; a.a.O., § 17 (1), erster Anstrich.
2. Einfache zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Bürgern wegen Geldforderungen bis zur Höhe von etwa 1000 Mark; a.a.O., § 17 (1), zweiter Anstrich.
3. Andere einfache vermögensrechtliche Streitigkeiten; a.a.O., § 17 (1), dritter Anstrich.

66 Siegfried WITTENBECK: "Nach den Justizwahlen: Mit dem Mandat der Wähler die Rechtssicherheit weiter festigen", Neue Justiz, 8 / 1989, S. 302. sowie ob in dem betreffenden Territorium eine qualifiziert arbeitende Schiedskom-mission vorhanden war.

67 Wesentliche Gründe hierfür waren die von den örtlichen Bedingungen abhängige Struktur der Konflikte und ihre Häufigkeit sowie vor allem, ob in dem betreffenden Territorium eine qualifiziert arbeitende Schiedskommission vorhanden war, da die Beurteilung von zivilrechtlichen Streitigkeiten und ihre Behandlung das anspruchsvollste Tätigkeitsgebiet der Schiedskommissionen darstellte.

68 Schiedskommissionsordnung vom 12. März 1982, Gbl. I Nr. 13 S. 283. Dargestellt sind nachfolgend die interessierenden Verfahrensvorschriften. "Einfache zivilrechtliche Streitigkeiten" zwischen der Produktionsgenossenschaft und Mitgliedern spielten praktisch ebenso keine Rolle, wie Streitfälle aus dem Neuererrecht und Anträge auf Durchführung einer Beratung wegen Verletzung der sozialistischen Arbeitsdisziplin durch Mitglieder von Produktionsgenossenschaften.

69 Analyse des geschlossen archivierten sowie nach Jahrgängen und Schiedskommissionen geordneten Bestandes an Protokollen über die Behandlung von 217 einfachen zivilrechtlichen Streitigkeiten durch die Schiedskommissionen des Stadtbezirks Berlin-Treptow vom 1.1.1982 bis zum 31.12.1987. Grundlage: Bürgeranträge (211) und Übergabeverfügungen der Deutschen Volkspolizei (6).

70 Ein peripher gelegener Stadtbezirk mit einer mittleren Bevölkerung von 113 893 Einwohnern (Durchschnitt von 1982 und 1987) und einer grossstädtisch geringen Bevölkerungsdichte von 2 790 Ein-wohnern je Quadratkilometer (Durchschnitt von 1982 und 1987), dessen Siedlungsstruktur von Vorortcharakter und Kleingartenanlagen geprägt war. Mit der Siedlungsstruktur kooperiert die Struktur der einfachen zivilrechtlichen Streitigkeiten, da in Treptow eine Reihe von Streitigkeiten zwischen Grundstücksnachbarn behandelt wurden, die in einem innerstädtischen Wohn-Stadtbezirk (wie Berlin-Mitte oder -Friedrichshain) keine Rolle spielten.

71 Diese Konfliktkonstellation ergab sich nach Scheidung nicht selten (auch als 'normale' Gerichtlichen Streitigkeit, da aufgrund der Wohnungssituation in der DDR geschiedenen Ehegatten oft gezwungen waren, weiter in einer Wohnung getrennt zu leben.

72 § 10 GVG.

73 Hierzu wird in bald folgenden Publikationen ausführlich Stellung genommen.

74 Rainer SCHRÖDER, Marxismus und Recht, am Beispiel des Zivilrechts der DDR, in: Festschrift für Karl Kroeschell, 1997.

75 Rainer SCHRÖDER, Das ZGB der DDR verglichen mit dem Entwurf des Volksgesetzbuchs der Nationalsozialisten von 1942, in: Das Zivilgesetzbuch der DDR vom 19. Juni 1975, hg. von Jörn Eckert und Hans Hattenhauer, Goldbach 1995, S. 31-71; zukünftig ders. (Hrsg.): Zivilrechtskultur der DDR, 1998.

Articles May 26, 1997
© 1997 fhi
ISSN: 1860-5605
First publication
May 26, 1997