Prolegomena zu einem Justizvergleich1)
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1. Einleitung: Das Ende und der Anfang |
Die Justiz war im Dritten Reich ein wesentlicher Faktor, der das Unrechtsregime stabilisiert hatte. Die vielfach unklaren Übergänge zwischen Terror und Justiz sind inzwischen für einen Teil der Justiz, z. B. die Sondergerichte und den Volksgerichtshof ausreichend beschrieben worden.2) Gegen Ende des Dritten Reiches konnte Justiz zum Terror werden und wurde zum Terror, wenngleich neben dieser Komponente immer noch eine weiter funktionierende "Normaljustiz" existierte.3) Beim Wiederaufbau der Justiz wurden in den Besatzungszonen unterschiedliche Wege beschritten. Während die Russen und die Kommunisten das Personal der Justiz fast vollständig auswechselten4) und zumeist durch politisch zuverlässige, im Schnellverfahren ausgebildete Volksrichter5) ersetzten, ging man im Westen einen anderen Weg. Zwar wurden alle höheren Richter und solche, deren strafrechtliche bzw. politische Belastung man erkannte, zunächst vom Dienst ausgeschlossen, doch gelang es der Justiz im Westen sich als im wesentlichen unpolitisch darzustellen. In der Folge wurden fast alle Richterinnen und Richter sowie Staatsanwälte wieder in den Justizdienst eingestellt, in der englischen Zone etwa im sog. "Huckepack-Verfahren", wo der Celler OLG-Präsident es durchsetzte, daß für jeden unbelasteten Richter ein belasteter, also ein ehemaliger PG, wieder einzustellen sei.6) | 1 |
Die Übernahme des Justizpersonals im Westen nutzte die DDR dann Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre zu einer groß angelegten Kampagne7) wo in sog. Braunbüchern, überwiegend zu Recht, die nationalsozialistische Vergangenheit eines Teils des bundesrepublikanischen Justizpersonals ausgewiesen wurde.8) Die Wiedereingliederung des NS-Justizpersonals besonders im Bundesland Schleswig-Holstein, unterstützt von den Vertriebenenverbänden, dem BHE und Teilen der FDP sowie der CDU, ist eine besondere Geschichte, die derzeit aufgearbeitet wird.9) | 2 |
2. Die Funktion der Justiz in modernen Staaten |
Es wäre nun leicht, in der Schilderung abwechselnder Fehlleistungen fortzufahren. Man müßte die Waldheimer-Prozesse, in denen die verbleibenden Insassen des Internierungslagers Buchenwald, des ehemaligen Konzentrationslagers, abgeurteilt werden, auf die Negativseite der DDR-Justiz buchen.10) Hier wurden in nicht-rechtsstaatlichen Verfahren nicht nur solche Personen abgeurteilt, die zu den schwerbelasteten im Dritten Reich gehört hatten, sondern z. T. auch minderbelastete oder gar Unschuldige in rechtsstaatswidrigen Schnellverfahren verurteilt. Diese Verfahren führten zu einem Aufschrei in der Bundesrepublik. Die DDR delegitimiere sich mit derartigen Verfahren als totalitärer Staat. Hilde Benjamin wurde nicht selten mit Roland Freisler verglichen. Daß dieser Vergleich nicht zutraf, macht sie freilich nicht zu einer unbescholtenen Person. Die jüngst erschienenen Biographien sind in diesem Punkt etwas "blauäugig".11) | 3 |
Man könnte fortfahren und die in der Bundesrepublik folgenden Kommunistenprozesse heranziehen.12) Das Bundesverfassungsgericht hatte zunächst eine rechtsradikale Partei und sodann die Kommunistische Partei als verfassungswidrig eingestuft. Man glaubte - wohl nicht zu Unrecht -, daß diese Gruppen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik umstürzen wollten und fühlte sich in einer Notwehrsituation. Tausende von Personen wurden z. T. wegen lächerlicher Delikte (Tragen des Blauhemdes) zu freilich nicht sehr gravierenden Strafen verurteilt. Überwiegend bewegte man sich im Bereich von Geldstrafen, was im Verhältnis zu den Strafen in der DDR geradezu sehr zurückhaltend war. Auch die politische Justiz der DDR glaubte sich in einer Notwehrsituation, doch waren die Strafen für tatsächliche oder zumeist eingebildete politische Delikte wesentlich gravierender. Höhepunkte waren die politischen Prozesse nach dem Aufstand von 1953 und die großen Schauprozesse etwa gegen die Harich-Janka-Gruppe, die zu drakonischen Urteilen führten. | 4 |
Die Justiz der Bundesrepublik hatte in politicis natürlich ihre Schwächen, vor allem die aus praktischen Gesichtspunkten mühselige Abarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen.13) Nachdem man zunächst geglaubt hatte, unmittelbar nach dem Krieg habe man die Täter im wesentlichen ermittelt und zu einer grandiosen Verdrängungsleistung schritt,14) stellte man aufgrund der Beharrlichkeit einiger Politiker und Juristen fest, daß eine ganze Anzahl von Tätern noch "unter uns" lebten.15) Über die Notwendigkeit dieser Verdrängung gibt es heute erneut Diskussionen, Erst die Einrichtung der Ludwigsburger Zentralstelle 1958, der übrigens später die von der DDR stark bekämpfte Zentralstelle für die DDR-Taten in Salzgitter16) folgen sollte, machte die Ermittlung von schwersten Straftaten im Dritten Reich möglich. Der Einsatzgruppenprozeß, die Prozesse um Maidaneck und Auschwitz prägen z. B. auch mein Bild von der Justiz.17) Hier wurde gleichzeitig Aufklärung geleistet und der Schleier weggezogen, von dem, was man verhüllen wollte, und dennoch extrem skrupelhaft und extrem rechtsstaatlich bedacht mit den Tätern umgegangen. | 5 |
Meine Nachkriegs-Generation, die diese Dinge beobachtet hat, ist gerade dadurch motiviert, diejenigen Personen in der DDR, die ihren Mitbürgern strafrechtlich relevant geschadet haben, vor ordentliche Gerichte zu ziehen; wohl wissend, daß der Arm einer rechtsstaatlichen Justiz schwach ist, wenn es um systemnahe Taten geht. | 6 |
Die Liste rechtsstaatswidriger Aktionen in der DDR ließe sich umfangreich fortsetzen: | 7 |
Die Abschaffung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der DDR18) gehört ohne Zweifel zu den politisch gewollten, negativen Aspekten der Justiz. Das Eingabenwesen, das später in gewissem Umfang verrechtlicht wurde, trat an die Stelle und gewährte "Gnade" statt Recht.19) Für die Bundesrepublik gehören die rigide Kontrolle von Verwaltungshandeln und die Verfassungsgerichtsbarkeit zu den Justiz-Ruhmesblättern, mit der Möglichkeit, daß jedermann sich mit der Behauptung an das Gericht wenden kann, er oder sie sei in ihren Grundrechten verletzt. | 8 |
Doch gebietet der geringe Raum eine etwas andere Annäherung an das Problem und nicht eine listenartige Gegenüberstellung.20) | 9 |
2.1. Justizfunktion(en) |
Wenn man für einen Moment inne hält, muß man sich klar machen, welche Bedeutung, welche Rolle oder Funktion die Justiz in modernen Staaten spielt. Die Bundesrepublik und die DDR, ob schon unterschiedlichen politischen Lagern angehörig und obgleich mit einer unterschiedlichen politischen Kultur ausgestattet, waren moderne Staaten, die sich über Normen zu steuern suchten. Diese Steuerungsfunktion lag zunächst bei den Alliierten, die sie dann an die Regierenden in Ost und West übertrugen. Entgegen der Montesquieuschen Theorie, der Richter sei nur der Mund des Gesetzes, wendet er nicht nur Recht an, sondern setzt permanent neues Recht. Damit ist nicht nur die verfassungsmäßig garantierte Rechtssetzungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts gemeint, sondern die Tatsache, daß Obergerichte, z. B. das Oberste Gericht der DDR und der BGH, in einer Vielzahl von Fällen Normen "erfanden", die in den Gesetzen nicht enthalten waren oder solche Normen nicht anwandten, die sie nicht anwenden wollten. Die DDR schützte über ihre Gerichte das Volkseigentum in einer rigiden Weise, obwohl das Oberste Gericht damit Verstöße gegen das BGB vornahm, weil die aus dem 19. Jh. herrührenden BGB-Normen nicht mit den neuen politischen Prinzipien übereinstimmten.21) | 10 |
Der BGH erfand den Schutz des Persönlichkeitsrechts und stützte diesen auf die Art. 1 und 2 GG. In Parenthese sei die Bemerkung erlaubt, daß der BGH mit diesem Persönlichkeitsrecht, das man allgemein als eine sehr positive Entwicklung empfindet, in den ersten acht Entscheidungen zunächst alte Nationalsozialisten vor der Publikation ihrer Vitae schützte.22) Daß sich dieses Recht, contra legem entwickelt, freilich zu einem der wichtigsten Rechte in der Bundesrepublik entwickelt hat, steht auf einem anderen Blatt. | 11 |
Während diese Systemsteuerungsfunktion in der Bundesrepublik mit der Autonomie der Gerichte, also ihrer selbständigen Entscheidung einhergeht, war das oberste Gericht der DDR als Rechtsetzungsorgan in recht großem Umfang anerkannt. Es erließ Richtlinien und veröffentlichte Entscheidungshilfen welche die unteren Gerichte wie Gesetze banden. Diese Materialien und Richtlinien entwickelte das Gericht freilich nicht aus eigenem wohlabgewogenen Juristenurteil, sondern in engster Fühlungnahme mit den staatlichen Organen und denen der Partei, die nicht selten - z. B. im Bereich des Volkseigentums - über die Abteilung 6 des ZK präzise Vorgaben machten. In der nicht unabhängigen Justiz der DDR wurde gelenkt und angeleitet und die Justiz wurde ihrerseits von der Partei kontrolliert.23) Die Justiz war entsprechend der marxistischen Rechtstheorie24) nichts anderes als der Handlanger des politischen Willens der SED und nicht Kontrolleur staatlicher und privater Handlungen. | 12 |
2.2. Streitentscheidungen |
Die zentrale Aufgabe der Justiz ist die Entscheidung aufgetretener Rechtsstreitigkeiten. Solche Rechtsstreitigkeiten können der Eierdiebstahl ebensogut sein wie der Streit zwischen zwei Privatpersonen um die Bezahlung einer Kaufpreisforderung. Diese Fälle können in jedem politischen System auftreten, sie haben keinen politischen oder sonstigen Systembezug. Ihre Entscheidung gehört zur systemneutralen Funktion von Justiz. Das retrospektiv so stark divergierende Urteil über die Justiz in der DDR und den Staat der DDR ("Unrechtsstaat") rührt daher, daß die Justizangehörigen, viele der systemnahen Personen, aber auch normale Bürger betonen, sie hätten bei der Justiz der DDR ohne weiteres ihr Recht gefunden. So, wie es auch in der Bundesrepublik der Fall ist. Mit allen Stärken und Schwächen der Urteilsfindung, die von den menschlichen und intellektuellen Schwächen von Richterinnen und Richtern ebenso abhängt wie von der Klugheit der Parteien bzw. bei ihrer Vertretung. Diese Funktion der Justiz kann man - mit einem nicht sehr glücklichen, aber dennoch verständlichen Ausdruck - "Normalfunktion" nennen. | 13 |
Zu den erstaunlichsten Ergebnissen der Forschungen über das Dritte Reich und der DDR gehört es, daß in diesen Normalbereichen die Justiz gewissermaßen systemunabhängig pragmatisch und relativ gesetzestreu weiterfunktionierte.25) Für die DDR ergeben sich sogar Anzeichen, daß hier eine gewisse Bürgerfreundlichkeit existierte, daß sich jedenfalls die Richter anders als in der Bundesrepublik intensiv mit dem Einzelfall befaßten.26) Es galt nicht nur im Straf, sondern auch im Zivilrecht der Ermittlungsgrundsatz, und bei einer Belastung der Richter mit ca. der Hälfte der Verfahren, mit denen ihre westdeutschen Kollegen zu tun hatten, konnten sie sich auch intensiver mit dem Einzelfall in schlichtender Weise auseinandersetzen. | 14 |
Die Entwicklung der Prozeßtheorie, die im Grunde jeden Rechtsstreit, jede Form von Kleinkriminalität als einen Systemwiderspruch ansah, als Kennzeichen rückschrittlicher Einstellung, muß hier dahinstehen. Friedliches Zusammenleben war in der DDR das Ideal, während in der Bundesrepublik der an Märkten ausgetragene Kampf das Leitbild abgibt. Trotz aller politischer Justiz, trotz der Vorgaben in staatsnahen Bereichen muß man konstatieren, daß in der DDR - wie in der Bundesrepublik und auch im Dritten Reich - eine Vielzahl von "Normal"-Streitigkeiten "vernünftig" erledigt wurden. | 15 |
Wenn es in heutigen politischen Diskussionen über die Justiz in der DDR im Verhältnis zu der bundesrepublikanischen zu erbitterten Kontroversen kommt, so rühren sie nicht selten daher, daß die eine Seite diese Normalitätsfunktion der Justiz betont, während die andere Seite deren politische Aspekte hervorhebt. | 16 |
2.3 Politische Justiz |
Natürlich besitzt jeder moderne Staat eine politische Justiz, so auch die Bundesrepublik. Natürlich besitzt ein solcher Staat gleichfalls eine - unterschiedlich genannte - politische Polizei, einen Verfassungsschutz, der die Aufgabe hat, das jeweilige politische System zu stabilisieren. Ist freilich - wie in der DDR - das politische System ein unfreiheitliches, so gerät die politische Justiz und so geraten alle Mechanismen zum Schutz des Staates zu Unterdrückungsmechanismen. | 17 |
So beschämend es ist, daß in der jungen Bundesrepublik unter Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Meinungsfreiheit Kommunisten wegen ihrer Meinungsäußerungen verfolgt wurden, so muß man doch die gravierenden Unterschiede sehen, die es zur politischen Justiz der DDR gab, nicht nur was ihr Ausmaß und die Intensität der Strafen anging. Die Justiz der DDR empfand sich - anders als die in der Bundesrepublik zumindest von den 60er Jahren an - nicht als ein Instrument zur Kontrolle von Macht, sondern stets als eines zur Durchsetzung von Macht. Als beispielhaft kann hier die Aktion Rose genannt werden, die nur stellvertretend für die vielfältigen Enteignungsaktionen in der DDR genannt werden soll.27) Staat und Partei wollten sich in die Nutzungsrechte, z. T. in das Eigentum von ehemals privaten Ferienheimen an der Ostsee setzen, um die ihnen nahestehenden Werktätigen zu einem preiswerten Urlaub kommen zu lassen. Hier verwendete, besser instrumentalisierte, man politisches und Wirtschaftsstrafrecht. Der Wirt, der sich auf einen Sommer mit Gästen vorbereitete, mußte notwendig Vorräte anlegen. Diese Vorratsbildung verstieß gegen Wirtschaftsstrafrecht und wurde z. T. als gegen die strafrechtliche Generalklausel des Art. 6 der Verfassung der DDR von 1949 verstoßend angesehen. Die Androhung und z. T. Durchführung drakonischer Strafen war die Folge, so daß die Pensionsinhaber, wenn sie nicht in den Westen flohen, ihre Pensionen freiwillig zur Verfügung stellten. Beispiele dieser Art, die sich gegen die "Erzfeinde" der DDR, die verbliebenen Kapitalisten richteten, lassen sich beliebig vermehren. Denn nach den Enteignungswellen des Sowjets vor 1949 kollektivierte man die Landwirtschaft und später z. B. das Handwerk, wogegen die Opfer nie gerichtlich wehren konnten. | 18 |
Während in der Bundesrepublik als politisch empfundene Verfahren z. B. wegen der sog. Berufsverbote mit großer Skrupelhaftigkeit durchgeführt wurden, mit Einzelfallabwägungen und mit extremem Rechtsschutz in bis zu vier Instanzen, gab es derartigen Rechtsschutz in der DDR nicht. Politische Gegner waren nicht nur die Renegaten in den 50er Jahren, sondern auch viele Personen, die sich nicht als systemtreu erwiesen. Ihnen versuchte man mit der für Diktaturen typischen Mischung aus illegalem Terror und rechtsförmiger politischer Justiz beizukommen.28) Die Strafen, die hier ausgesprochen wurden, nachdem die Staatssicherheit ermittelt hatte, waren drakonisch. Die Vollstreckung von einer Härte, die sich nicht sehr von der Strafvollstreckung im Dritten Reich unterschied. Zwar gab es bei der Staatssicherheit strikte Anweisung, die zumeist illegal gewonnenen Beweismittel im Prozeß zu legalisieren, doch bestand für die Oppositionellen in der DDR und für die Kritiker aus der Bundesrepublik kein Zweifel, daß die Prozesse, die nicht selten nach einem Drehbuch der Staatssicherheit durchgeführt wurden, nichts anderes waren als die endlichen Rechtstage im Alten Reich. Die Urteile standen vorher fest. Es gab keine juristischen Verteidigungsmöglichkeiten derjenigen, die in die Maschinerie geraten waren. | 19 |
Die Zahl der auf diese Weise Verurteilten war extrem groß. Die Richter, juristisch oft nicht sehr gebildet, vollzogen die Anordnungen der Staatsicherheit und der Partei in striktem Kadavergehorsam. Die mangelnde juristische Bildung - und dies kritisch an die Adresse aller Juristen - ist freilich nicht das Kriterium, hatten doch juristisch hochgebildete Richter im Dritten Reich sich gleichfalls nicht an das gehalten, was sich - wie Radbruch später formulierte - jedermann in einem solchen Fall aufdrängen muß.29) | 20 |
Die politische Justiz beschränkte sich dabei nicht nur auf das Strafrecht. Der Rechtsschutz für die Oppositionellen wurde auch auf anderen Rechtsgebieten vollständig abgeschnitten. So wurde der Rechtsschutz für Ausreisende, denen - wie anderen Oppositionellen - im Rahmen von Zersetzungsmaßnahmen die Wohnung oder Arbeitsplatz gekündigt worden waren, nicht zugelassen.30) Ein Prozeß über diese Fragen fand in der DDR nicht statt. | 21 |
3. Schluß |
Die DDR war mit Sicherheit kein Rechtsstaat. Die Bundesrepublik ist ohne jeden Zweifel einer. Ob man die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet, ist keine juristische, wissenschaftliche, analytische Frage, sondern eine des politischen Tagesgeschäfts, der persönlichen Moralvorstellung. Derlei Bezeichnungen führen weder für Historiker noch für Juristen weiter. Klar ist, daß die Justiz der DDR in zwei Bereichen "ordentlich" funktionierte, nämlich einerseits bei der Entscheidung unpolitischer Fälle. Und andererseits hatte sich die Justiz der DDR "bewährt" bei der Durchsetzung von politischen Vorgaben. Diese bedurfte bei dem willfährigen Justizpersonal nur selten konkreten Eingriffe der Partei. Hier waren die politischen Vorgaben des Systems entscheidend und nicht die Frage wie diese umgesetzt wurden. "Justiz" war nur das Instrument des Parteiwillens. | 22 |
Übel und unangenehm wird es folglich bei den politischen Prozessen. Die Unterdrückung von anderen Meinungen mit Mitteln, die bis an die Grenze der Zerstörung von Personen gingen, sind inzwischen ausreichend beschrieben und bedürfen hier keiner neuen Dokumentation. Für die Wertung der Leistung "der" Justiz ist es so schwierig, daß diese Verfahren - wie im Dritten Reich - statistisch gesehen nur einen geringen Prozentsatz aller justizförmig abgewickelter Verfahren ausmachten. Wie man in bezug auf die Justiz des Dritten Reiches jedoch gesagt hat, gelten für die Justiz - und hier muß man wieder einschränken: im westlichen Verständnis - andere Maßstäbe. Die Justiz ist im rechtsstaatlichen Verständnis nicht eine Form der Durchsetzung politischer Ideen, sondern Justiz hat daneben im westlichen materiell-rechtsstaatlichen Verständnis eine autonome Funktion, nämlich die, die Ausübung öffentlicher und privater Macht zum Nachteil von einzelnen Personen zu kontrollieren. In diesem Punkt hat die Justiz der DDR durchgängig versagt. Sie beruhte auf einem völlig anderen Verständnis. Zu Recht sind die Personen, die hier an Unrechtsentscheidungen teilgenommen hatten, nicht in den Justizdienst der Bundesrepublik übernommen worden.31) Zu Recht muß man grob fahrlässige Äußerungen, als um die Wahl der Verfassungsrichter für das Land Brandenburg gestritten wurde, geißeln, die meinten, Juristen seien - und gemeint war natürlich auch die Justiz -in allen Systemen gleich. Das ist eben nicht der Fall. Rüthers Verdikt über die Justiz des Dritten Reiches gilt m. E. - bei aller Unterschiede der Systeme im Unrechtsgehalt - auch in bezug auf die Justiz der DDR: Er verglich denjenigen, der eine Suppe vergiftete, mit den Richtern. Juristen und Richter könnten sich ebensowenig wie Giftmörder darauf berufen, daß die Suppe statistisch überwiegend zu 98 % aus einwandfreien "Normal"-Zutaten bestehe und nur zu 2 % aus Arsen. | 23 |
Fußnoten: 1 Dieser Aufsatz ist der Vortrag, der gehalten wurde auf dem Geschichtsforum 1949 - 1989 - 1999 - Getrennte Vergangenheit - gemeinsame Geschichte vom 28.-30. Mai 1999 in der Humboldt-Universität zu Berlin. Es handelt sich um Überlegungen, die an einige der folgend zitierten Werke anschließen. Die Fußnoten sind der Vortragsform entsprechend bewußt knapp gehalten. 2 G. Werle, Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich, Berlin 1989; ders., Der Holocaust als Gegenstand der bundesdeutschen Strafjustiz, in: NJW, 1992, Heft 40, S. 2529-2535. 3H. Rüping, Staatsanwaltschaft und Provinzialjustizverwaltung im Dritten Reich. Aus den Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Celle als höherer Reichsjustizbehörde (Fundamenta Juridica, Bd.11) 1.Aufl. Baden-Baden 1990; ders., Staatsanwälte und Parteigenossen: Haltungen der Justiz zur nationalsozialistischen Vergangenheit zwischen 1945 und 1949 im Bezirk Celle, 1. Auflage, Baden-Baden, 1994. 4H. Amos, Kommunistische Personalpolitik in der Justizverwaltung der SBZ/DDR (1945-1953). Vom liberalen Justizfachmann Eugen Schiffer über den Parteifunktionär Max Fechner zur kommunistischen Hilde Benjamin, in: G. Bender/U. Falk (Hg.), Recht im Sozialismus, Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45-1989), Bd. 2 Justizpolitik, 1999, S. 109-146. 5H. Hattenhauer, Über Volksrichterkarrieren, 1995; H. Wentker (Hg.), Volksrichter in der SBZ/DDR 1945-1952, 1997; H.-P. Haferkamp / T. Wudtke, Richterausbildung in der DDR, http://www.rewi.hu-berlin.de/FHI/Oct 1997. 6U. Hamann, Das Oberlandesgericht Celle im Dritten Reich- Justizverwaltung und Personalwesen, in: Fs. zum 275jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle, Celle 1986, S. 143-231. 7A. Rosskopf, Strafverteidigung als ideologische Offensive. Das Leben des Rechtsanwalts Friedrich Karl Kaul (1906-1981), http://www.rewi.hu-berlin.de/FHI/August 1998. 8Braunbuch, Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Staat, Wirtschaft, Armee, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft, hg. vom Nationalrat der Demokratischen Front, 3. Aufl. Berlin (Ost) 1968. 9H. Wrobel, Verurteilt zur Demokratie. Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945-1949, Heidelberg 1990; K.-D. Godau-Schüttke, Ich habe nur dem Recht gedient. Die "Renazifizierung" der schleswig-holsteinischen Justiz, Baden-Baden 1993. 10W.Otto, Die Waldheimer Prozesse, DuR 1992, S. 396; F.Werkentin, Strafjustiz im politischen System der DDR: Fundstücke zur Steuerungs- und Eingriffspraxis des zentralen Parteiapparates der SED, in: H. Rottleuthner (Hg.), Steuerung der Justiz in der DDR. Einflußnahme der Politik auf auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, 1994, S. 93, 102; W.Eisert, Die Waldheimer Prozesse. Der Stalinistische Terror. Ein dunkles Kapitel der DDR-Justiz, 1993. 11A. Feth, Hilde Benjamin - Eine Biographie, 1996. 12A.v.Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, 1978. 13R. Schröder, Die Bewältigung des Dritten Reiches durch die Rechtsgeschichte, in: Rechtsgeschichte in den beiden deutschen Staaten (1988-1990). Beispiele, Parallelen, Positionen, hg. von Heinz Mohnhaupt, Frankfurt a.M. 1991, S. 604-647. 14A. Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967. 15N. Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996. 16A. Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, 2. überarb. Aufl. Heidelberg 1984; H.-J. Grasemann, Der Beitrag der zentralen Erfassungsstelle Salzgitter zur Strafverfolgung - Dokumentation des 3. Bautzen-Forums der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 16.-17. Juni 1992, S. 55-64. 17 G. Werle, T. Wandres, Auschwitz vor Gericht - Völkermord und bundesdeutsche Strafjustiz; mit einer Dokumentation des Auschwitz-Urteils. Orig. Ausg., München 1995. 18G. Brunner, Einführung in das Recht der DDR, München 1975 (= Schriftenreihe der Juristischen Schulung), S. 102. 19B. Theben, Eingabenarbeit. Zur Rolle der volkseigenen Betriebe bei der Schlichtung zivilrechtlicher Streitigkeiten mit dem Bürger, http://www.rewi.hu-berlin.de/FHI/August 1998; A. Kästner, Die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche im Eingabenweg auf dem Gebiet des Mietrechts, in: R. Schröder (Hg.) Zivilrechtskultur der DDR Bd. 2, erscheint 2000. 20R. Schröder, Rechtsgeschichte der Nachkriegszeit, in: Juristische Schulung 1993, S. 617-627; ders., Geschichte des DDR-Rechts (erscheint 2000 in Juristische Schulung). 21R.Schröder, Zivilrechtsprechung in der DDR während der Geltung des BGB. Vorüberlegungen zu einem Forschungsprojekt mit vergleichender Betrachtung des Zivilrechts im Dritten Reich und der Bundesrepublik, in: H. Mohnhaupt/D. Simon (Hg.), Vorträge zur Justizforschung, Geschichte und Theorie, Bd. 2, 1993, S. 527-580, 540. 22St. Gottwald, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Ein zeitgeschichtliches Erklärungsmodell. Berlin 1996 (Berliner Juristische Universitätsschriften). 23H. Rottleuthner (Hg.), Steuerung der Justiz in der DDR. Einflußnahme der Politik auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, 1994. 24R. Schröder, Marxismus und Recht am Beispiel des Zivilrechts in der DDR, in: Wirkungen europäischer Rechtskultur, FS Karl Kroeschell, 1997, S. 1155, 1161. 25R. Schröder, " aber im Zivilrecht sind die Richter standhaft geblieben." Die Urteile des OLG Celle im Dritten Reich (= Fundamenta Juridica - Hannoversche Beiträge zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 5), Baden-Baden 1988. 26R. Schröder (Hg.), Zivilrechtskultur in der DDR Bd. I, 1999; Bd. II, 2000. 27F.Werkentin, Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, 1995, S. 60; ders., Methoden und Verfahrensweise der verdeckten Enteignung selbständiger Produzenten, Gewerbetreibender, Bauern und Grundstücks-/hauseigentümer in der Geschichte der SBZ/DDR, in: http://www.rewi.hu-berlin.de/FHI/Jan. 1998. 28E. Fraenkel, The Dual state. A Contribution to the Theory of Dictatorship, London / New York / Toronto 1941. 29G. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1946, S. 105 ff., wieder abgedruckt in: ders., Rechtsphilosophie, 8.Aufl. Stuttgart 1973, S. 344 ff.; M. Walther, Hat der Positivismus die deutschen Juristen wehrlos gemacht? Zur Analyse und Kritik der Radbruch-These, in: R. Dreier / W. Sellert (Hg.)Recht und Justiz im "Dritten Reich", Frankfurt a. M. 1988, S. 323 ff. 30St. Middendorf, Das Recht auf Arbeit in der DDR und seine praktische Anwendung am Beispiel der Ausreisewilligen (eingereichte Diss. jur. Humboldt-Universität Berlin). 31H. H. v. Roenne, "Politisch untragbar ?" Die Überprüfung von Richtern und Staatsanwälten der DDR im Zuge der Vereinigung Deutschlands (Berliner Juristische Universitätsschriften), Berlin 1997; H.-C. Catenhusen, Die Stasi. Überprüfungen im öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer (Berliner Juristische Universitätsschriften) Berlin 1999. |