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Joachim Krämer

Der Streit um die Sonntagsruhe - gestern und heute

I.Gründe für den Schutz von Sonn- und Feiertagen
1. Religiöse Aspekte
2. Soziale Aspekte
3. Tage der Gemeinschaft
II. Staatliches Interesse am Schutz der Sonn- und Feiertage
III. Staatskirchenrechtliche Gesichtspunkte
IV. Rechtliche Regelungen
V. Gründe für die Sonn- und Feiertagsarbeit

Die aktuelle Diskussion über die Ladenöffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen1) und die weniger aktuelle - gleichwohl nach wie vor vorhandene2) - über die Arbeit an Sonn- und Feiertagen sind keineswegs nur Erscheinungen unserer Zeit. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat es eine ähnliche Auseinandersetzung auf höchster gesellschaftlicher und politischer Ebene gegeben.3) Aus verschiedenen Gründen stand dabei unter anderem die preußische Rheinprovinz im Mittelpunkt. 1
Diese Region war eine der am frühesten und am stärksten industrialisierten in Deutschland,4) was naturgemäß Auswirkungen auf die Feiertagsarbeit hatte. Die hohen Investitionskosten für die neuen Produktionsmaschinen weckten das Interesse der Unternehmer an möglichst langen Maschinenlaufzeiten. Außerdem standen sie im Wettbewerb mit dem benachbarten, ebenfalls bereits anfänglich industrialisierten Ausland - vor allem England, Frankreich und den heutigen Beneluxstaaten - wo es teilweise weniger strenge Feiertagsvorschriften gab. Nicht zuletzt machte die durch die einsetzende Industrialisierung gestiegene Produktivität die Sonn- und Feiertagsarbeit finanziell lukrativ. 2
Auch der Umstand, daß die Rheinprovinz erst 1815 zu Preußen gekommen war, hatte Einfluß auf die dortige Auseinandersetzung um die Arbeit an Sonn- und Feiertagen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zur Zeit der französischen Besatzung waren nämlich nicht nur nahezu alle kirchlichen Feiertage abgeschafft, sondern auch die Arbeit an den Sonntagen in der Regel erlaubt worden.5) Deswegen wehrten sich die an möglichst langen Arbeitszeiten interessierten Kreise - insbesondere Unternehmer und an der Wirtschaftsförderung Interessierte - gegen die Bestrebungen der Kirchen und eines Teils der preußischen Regierung zur Wiedereinführung einiger der abgeschafften Feiertage und eines allgemeinen Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit. 3
Die Tatsache, daß es gut 150 Jahre später zu einer Auseinandersetzung um die - mehr oder weniger - gleiche Problematik kommt, wirft die Frage nach Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen Auseinandersetzung auf. 4
Obwohl die Diskussionen grundsätzlich vergleichbar sind, dürfen zwei wesentliche Unterschiede nicht übersehen werden. Zum einen geht es heute - wenigstens in der ganz aktuellen Diskussion - nicht primär um die allgemeine Arbeit an Sonn- und Feiertagen, sondern „lediglich“ um die Öffnung der Läden an diesen Tagen, wohingegen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts die generelle Arbeit an Sonn- und Feiertagen zur Diskussion stand. Daß auch die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen - wenigstens für einige - zu Arbeit an diesen Tagen führt und welche Auswirkungen das auf die aktuelle Diskussion hat, wird unten näher ausgeführt. 5
Hinsichtlich der heutigen Auseinandersetzung muss weiter zwischen den Ladenöffnungszeiten an Werktagen, also von montags bis samstags, und an Sonn- und Feiertagen unterschieden werden. Nur hinsichtlich der letztgenannten Tage ist die Auseinandersetzung mit der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleichbar und daher hier von Interesse. 6
Nachfolgend soll anhand von fünf verschiedenen Gesichtspunkten, die sowohl in der historischen als auch in der aktuellen Auseinandersetzung eine Rolle spielen, untersucht werden, ob und inwieweit beide vergleichbar sind. 7

I. Gründe für den Schutz von Sonn- und Feiertagen

Befasst man sich mit dem Streit um die Feiertagsruhe, muss man sich zuallererst die Frage stellen, wieso man diese überhaupt schützen will. 8

1. Religiöse Aspekte

Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es vor allem in der Rheinprovinz nahezu ausschließlich die katholische Kirche, die sich für den Schutz der Feiertage eingesetzt hat. Sie tat dies - naturgemäß - zunächst aus religiösen Gründen, um den Menschen den Besuch der Messe zu ermöglichen und ihnen Zeiten zum Gebet und zur Besinnung zu verschaffen.6) Auch heute ist dies das hauptsächliche Anliegen der Kirchen.7)9
In diesem Punkt muß jedoch zwischen der heutigen und der historischen Diskussion unterschieden werden. Ging es - wie bereits dargetan - zu Beginn des letzten Jahrhunderts in der Rheinprovinz um die Arbeit an Sonn- und Feiertagen allgemein, geht es in der aktuellen Auseinandersetzung um die Ladenöffnungszeiten „lediglich“ um die Öffnung der Läden an diesen Tagen. Hinsichtlich des hier als religiösen Aspekt der Feiertagsruhe bezeichneten Gesichtspunkts macht das den Unterschied, daß durch die Öffnung der Läden ein erheblich kleinerer Teil der Beschäftigten in seiner Religionsausübung beeinträchtigt wird als durch die allgemeine Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Auf die Religionsausübung der Konsumenten hätte die Geschäftstätigkeit auch an Feiertagen keinen Einfluß. Ihnen steht es schließlich frei, von den Einkaufsmöglichkeiten Gebrauch zu machen oder nicht.8)10
Dem wird in der heutigen Diskussion oft entgegengehalten, daß durch die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen der allgemeine Charakter dieser Tage als Ruhetage verloren gehe und die Abschaffung des Ladenschlußgesetzes „das Einfallstor für Sonntagsarbeit im großen Stil“ sei.9) Doch muss man sich die Frage stellen, ob wirklich schon die - gegebenenfalls zeitlich eingeschränkte - Öffnung von Geschäften an Sonn- und Feiertagen hierzu führt. Schaut man nämlich in andere Länder, bemerkt man, daß auch wenn es keinerlei diesbezügliche Regelungen gibt, der Sonn- und Feiertagscharakter nicht wesentlich beeinträchtigt wird. So haben die Sonntage selbst in den U.S.A. immer noch einen ganz eigenen Stil. Ohne staatlichen Zwang haben, abgesehen von einigen Lebensmittelläden, die meisten Geschäfte nur sehr eingeschränkt geöffnet und ruhen nach wie vor überwiegend die Arbeiten sowohl im Dienstleistungs- als auch im produzierenden Bereich. Damit haben diese Tage, trotz der teilweise geöffneten Läden, einen unvergleichlichen „Feiertagscharakter“ und werden nicht, wie in Deutschland so oft befürchtet, zu Werktagen wie alle anderen. 11

2. Soziale Aspekte

Neben diese religiösen Aspekte trat im Laufe der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, zwar nur sehr langsam aber doch schon in allerersten Ansätzen ein sozialer Aspekt beim Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit. Man erkannte allmählich, daß diese Tage der erzwungenen Arbeitsruhe den Beschäftigten gleichzeitig Zeiten der Ruhe und körperlichen Erholung verschafften.10) Das war besonders wichtig in einer Zeit, in der im Vergleich zu heute die Arbeitszeiten allgemein viel länger und die Arbeitsbedingungen unverhältnismäßig viel härter waren. Auch an Urlaubsregelungen im heutigen Sinne war noch nicht zu denken.11) Diese Arbeitsbedingungen galten insbesondere für die sich bereits im ersten industriellen Aufschwung befindliche Rheinprovinz. 12
Unter dem Aspekt der Verschaffung von Ruhe- und Erholungszeiten hatte das - ursprünglich - religiös motivierte Verbot der Feiertagsarbeit unmittelbare, im heutigen Sinne soziale Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse, indem es die unerträglich langen Arbeitszeiten wenigstens etwas verkürzte. 13
Auch die Frage der Zahl der jährlichen Feiertage12) bekommt vor diesem Hintergrund ein größeres Gewicht. Hält man sich vor Augen, daß die meisten Arbeiter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keinerlei Jahresurlaub hatten, stellen die am Ende nicht zuletzt von der Kirche durchgesetzten sieben jährlichen Feiertage, die seit den Polizeiverordnungen von 1853 zumindest grundsätzlich arbeitsfrei bleiben sollten,13) für die geistige und körperliche Erholung der Arbeiter einen erheblichen Wert dar. 14
Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß weder Staat noch Kirche beim gesetzlichen Verbot der Feiertagsarbeit in der Mitte des letzten Jahrhunderts primär solche sozialen Aspekte im Auge hatten. Sie spielten vielmehr nur eine untergeordnete, jedoch im Laufe der Zeit zunehmende Rolle.14) Gleichzeitig ist aber zu beachten, daß dieser Umstand der tatsächlichen sozialen Wirkung der arbeitsfreien Sonn- und Feiertage keinen Abbruch tat. Das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit hatte vielmehr, wenn auch in manchen Fällen zu dieser Zeit noch völlig unbeabsichtigt, die Wirkung der Verschaffung von Ruhe- und Erholungszeiten für die Arbeitnehmer. 15
Heute spielen derartige soziale Aspekte bei der Frage der Sonn- und Feiertagsruhe kaum noch eine Rolle. Durch die umfangreiche soziale Arbeitsrechtsgesetzgebung wird eine übermäßige Belastung der Arbeitnehmer ausgeschlossen.15)16
Dennoch zeigt sich eine interessante Parallele zu der Diskussion im letzten Jahrhundert. Gerade das heute so umstrittene Ladenschlussgesetz, das ursprünglich aus dem Jahr 1900 stammt, war nämlich wenigstens auch ein soziales Gesetz. Durch die vorgeschriebenen Schließungszeiten der Läden sollte erreicht werden, daß die Angestellten nicht übermäßig lange arbeiten mußten.16) Wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie oben dargelegt zum Teil noch unbeabsichtigt, wurde also der soziale Schutz der Arbeiter über einen Umweg, nämlich zum einen über die Festlegung der Ladenöffnungszeiten und zum anderen über die Wiedereinführung von Feiertagen und das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit, bewirkt bzw. wenigstens faktisch erreicht. 17
Daraus ergibt sich seit dem letzten Jahrhundert bis heute eine interessante Entwicklung. 18
Bei den ersten Regelungen der Sonn- und Feiertagsarbeit im Industriezeitalter haben soziale Aspekte - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Einsicht, daß die uneingeschränkte Vertragsfreiheit zu einer Ausnutzung der Arbeiter führte,17) der durch soziale Arbeitsrechtsgesetzgebung begegnet werden mußte, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch kaum vorhanden. Gleichwohl haben die entsprechenden Regelungen, wenn auch unbeabsichtigt, tatsächlich in dieser Weise auf die Arbeitsverhältnisse eingewirkt. 19
Zur Zeit der Entstehung des Ladenschlussgesetzes, das unter anderem auch den Verkauf an Sonn- und Feiertagen verbietet, hatte man zwar schon die Notwendigkeit sozialer Arbeitsrechtsgesetzgebung erkannt, regelte diese aber gleichwohl noch nicht direkt über eine allgemeine gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeiten, sondern über den Umweg der Einschränkung der Ladenöffnungszeiten. 20
Heutzutage existiert mit dem Arbeitszeitgesetz von 1994 eine umfassende Regelung und Beschränkung auch der Sonn- und Feiertagsarbeit. Insofern bedarf es keiner Regelung der Ladenöffnungszeiten mehr, um die Arbeitnehmer vor unzumutbar langen Arbeitszeiten zu schützen und ihre Ruhe- und Erholungszeiten zu sichern.18) Diese werden nämlich durch die im Arbeitszeitgesetz vorgesehenen Maximalarbeitszeiten und Ausgleichszeiten in ausreichendem Maße garantiert. 21
Etwas anderes mag hinsichtlich nächtlicher Öffnungszeiten gelten, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß es grundsätzlich widernatürlich und ungesund sei, nachts zu arbeiten. Um diese Einstellung durchzusetzen bedürfte es dann tatsächlich einer allgemeinen Einstellung aller nächtlichen Tätigkeit.19) Doch ist dies nicht Gegenstand der vorliegenden Abhandlung. 22
Stellt man somit fest, daß heute im Gegensatz zu früher das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit zumindest aus sozialen Gründen nicht mehr erforderlich ist, drängt sich um so mehr die Frage auf, ob und wenn ja, warum man es gleichwohl aufrechterhalten soll. 23

3. Tage der Gemeinschaft

An der Diskussion um die Sonn- und Feiertagsarbeit in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts waren die Beschäftigten selbst nahezu überhaupt nicht beteiligt. Das hatte seine Ursache darin, daß es zu dieser Zeit weder einen Zusammenschluss der Arbeitnehmer noch irgendwelche Mitbestimmungsrechte gab. So war es neben dem Staat vor allem die Kirche, die sich für den Schutz der Sonn- und Feiertage einsetzte. 24
Heutzutage sind bei der Forderung nach arbeitsfreien Sonn- und Feiertagen neben die Kirchen in starkem Umfang die Beschäftigten - oft vertreten durch die Gewerkschaften - getreten.20) Angesichts des Umstandes, daß soziale Gesichtspunkte kaum noch eine Rolle spielen, stellt sich jedoch verstärkt die Frage, warum - außer aus religiösen Motiven - diese Tage arbeitsfrei bleiben sollen. 25
In den letzten Jahren ist dabei immer mehr auf den Gesichtspunkt sog. gemeinsamer freier Tage abgestellt worden. Sowohl Gewerkschaften als auch Kirchen sind zunehmend der Ansicht, daß allein die Sicherstellung von genügend Freizeit nicht ausreiche. Vielmehr müssten diese Zeiten für alle Menschen gleichzeitig sein, um ein gemeinschaftliches Erleben zu ermöglichen. Deswegen müssten die Sonn- und Feiertage als einheitliche Ruhetage erhalten bleiben.21)26
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß es bei der Frage der Ladenöffnungszeiten, anders als bei der Frage der grundsätzlichen Arbeit an Sonn- und Feiertagen, lediglich um die Arbeit eines Teils der Beschäftigten geht.22)27
Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß dieser Gedanke in der Diskussion während der ersten Hälft des letzten Jahrhunderts noch keine Rolle gespielt hat. Wie oben mehrfach dargelegt, brauchte man zu dieser Zeit solche Tag noch, um den Beschäftigten auch nur ein Mindestmaß an Ruhe- und Erholungszeiten zu gewähren. 28
Bezüglich der aktuellen Diskussion um die Ladenöffnungszeiten stellt sich jedoch die Frage, ob der Gedanke der gemeinschaftlichen Freizeit - unabhängig davon, ob man ihn überhaupt für überzeugend hält - tatsächlich auch gegen die Öffnung der Läden an diesen Tagen spricht. 29
Sowohl Kirchen als auch Gewerkschaften vertreten nämlich die Meinung, diese Tage müssten zwar grundsätzlich zum gemeinschaftlichen Erlebnis von Freizeit arbeitsfrei bleiben, jedoch müssten Tätigkeiten im sog. „freizeitorientierten Dienstleistungssektor“23), die zum gemeinsamen Freizeiterlebnis beitrügen, erlaubt bleiben.24) Dann stellt sich jedoch die Frage, ob heutzutage nicht auch das Einkaufen zur gemeinschaftlichen Freizeitgestaltung gehört und deswegen durch die Erlaubnis zur Öffnung der Geschäfte an diesen Tagen ermöglicht werden muss.25)30
Hinsichtlich der Gründe für den Schutz der Sonn- und Feiertage kann somit zusammenfassend festgehalten werden, daß heute im Gegensatz zu früher soziale Gesichtspunkte in der Form von Verschaffung von Ruhe- und Erholungszeiten keine Rolle mehr spielen. Somit bleiben die oben genannten religiösen Gründe und der Aspekt der gemeinsamen Freizeit als Gründe für den Schutz der Sonn- und Feiertage übrig. Bedenkt man, daß der Aspekt der gemeinsamen Freizeitgestaltung zumindest im Zusammenhang mit den Ladenöffnungszeiten nicht unbedingt als Argument gegen den Sonn- und Feiertagsverkauf angeführt werden kann, kommt es nahezu allein auf die religiösen Gründe an. Insofern wird heutzutage eine erheblich bewusstere Entscheidung als früher verlangt. 31

II. Staatliches Interesse am Schutz der Sonn- und Feiertage

Das Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe ist ursprünglich ein kirchliches.26) Früher wie heute stellt sich aber die Frage, ob auch der Staat - abgesehen von staatskirchenrechtlichen Erwägungen27) - ein eigenes Interesse an der allgemeinen Sonn- und Feiertagsruhe hat. 32
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war zumindest in Preußen ein solches erstaunlicherweise gegeben. Dabei verfolgte der Staat jedoch nicht (mehr) das Ziel, die Religiosität seiner Bürger zu fördern. Vielmehr war der preußische Staat bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - wenigstens im Verhältnis zur katholischen Kirche - soweit säkularisiert, daß man auf dem Standpunkt stand, der Staat solle sich aus allen religiösen Angelegenheiten heraushalten.28) Auch soziale Gesichtspunkte haben den Staat zumindest zu dieser Zeit noch nicht zum Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen getrieben. 33
Vielmehr war es ein ganz anderes Motiv, das die preußische Regierung um die Mitte des letzten Jahrhunderts dazu brachte, sich nunmehr von sich aus um den Schutz der Sonn- und Feiertage zu bemühen. Vor dem Hintergrund der 1848er Unruhen hoffte man, mit einer Förderung der Religion und traditioneller Werte die Bevölkerung ruhig zu stellen.29) Man versuchte also, die Sonn- und Feiertagsruhe als Mittel zur Disziplinierung der Menschen zu gebrauchen. 34
Dem heutigen Staat sind solche Vorstellungen natürlich fremd. Auch der Gedanke der Förderung der Religiosität des Volkes spielt in einem säkularisierten, liberalen Staat wie der Bundesrepublik bei der Sonn- und Feiertagsgesetzgebung keine Rolle mehr. Wie bereits mehrfach dargelegt, bedarf es auch zur Verfolgung sozialer Motive heutzutage nicht mehr des allgemeinen Verbots der Sonn- und Feiertagsarbeit. 35
Abgesehen von - nicht zu unterschätzenden - staatskirchenrechtlichen Gesichtspunkten30) kann der Staat heute mit einer die Sonn- und Feiertagsruhe schützenden Gesetzgebung „nur“ noch das bereits oben beschriebene Ziel verfolgen, den Menschen einheitliche freie Zeiten zum gemeinschaftlichen Freizeiterlebnis zu verschaffen. Ist das nach wie vor - wofür einige Anzeichen sprechen31) - allgemeiner gesellschaftlicher Konsens, kann dies durchaus ein ausreichender Grund für ein staatliches Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit einschließlich des Verbots der Ladenöffnung sein. 36
Vor dem Hintergrund der häufigen Forderungen nach einer allgemeinen Reduzierung staatlicher Reglementierungen und dem Rückzug des Staates aus den privaten Lebensbereichen stellt sich jedoch die Frage, ob es tatsächlich die Aufgabe eines modernen Staates ist, den Bürgern Zeiten zur gemeinschaftlichen Gestaltung zu garantieren. Vielmehr könnte man sich auch auf den Standpunkt stellen, weil die meisten Menschen die Möglichkeit haben, sich solche Zeiten - so sie es wollen - selber zu schaffen, ist dies nicht Aufgabe des Staates. Dann hätte der Staat - abgesehen von den zu erörternden staatskirchenrechtlichen Gesichtspunkten - keinen eigenen Grund mehr, gesetzliche Regelungen hinsichtlich der Sonn- und Feiertage zu erlassen. 37

III. Staatskirchenrechtliche Gesichtspunkte

Wie bereits oben dargelegt, ist das Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe ursprünglich ein kirchliches.32) Mit der Trennung von staatlichem und kirchlichem Bereich haben derartige kirchliche Ge- und Verbote keinen staatlich-gesetzlichen Charakter mehr.33) Gleichwohl sind die Kirchen bei keinem religiösen Gebot so sehr auf staatliche Hilfe in Gestalt von gesetzlichen Regelungen angewiesen wie bei der Feiertagsruhe. Zwar können sie ihre Gläubigen zur Arbeitsruhe an diesen Tagen anhalten, doch wird es diesen schwerfallen, diese einzuhalten, wenn um sie herum das normale werktägliche Leben unverändert weitergeht.34) Für die Arbeiter in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts galt das in besonderem Maße. Die Arbeitgeber konnten die wegen des übergroßen Angebots an Arbeitskräften und deren Vereinzelung schwache Markt- und Machtposition der Arbeitnehmer in einer von der Privatautonomie ausgehenden Rechtsordnung ausnutzen,35) um sie zur Feiertagsarbeit zu zwingen. 38
Ob und inwieweit der Staat den Kirchen bei der Durchsetzung ihrer Gebote mittels gesetzlicher Regelungen hilft, hängt von deren im Staatskirchenrecht geregelten Verhältnis zueinander ab. 39
In der preußischen Rheinprovinz war dies während der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts einer Entwicklung unterworfen, die interessante Auswirkungen auf die gesetzlichen Regelungen der Sonn- und Feiertagsruhe hatte, aber auch umgekehrt von diesen beeinflußt wurde. Die Folgen dieser Entwicklung sind noch heute zu spüren. 40
In der Zeit vor der Eroberung des Rheinlands durch die Franzosen, als Staat und Kirche noch eine Einheit bildeten, waren die kirchlichen Regelungen immer auch unmittelbares staatliches Recht. Dies änderte sich, als mit der französischen Besatzung die aus der Revolution herrührende strikte Trennung von Staat und Kirche im Rheinland Einzug hielt.36) Sie führte zur wenigstens vorübergehenden Abschaffung jeglicher Feiertage und der Gleichstellung des Sonntags mit einem gewöhnlichen Werktag.37) Der französische Staat war weit davon entfernt, kirchliche Regelungen mittels staatlicher Gesetze durchzusetzen. 41
Mit dem Übergang der Rheinprovinz an Preußen änderte sich die staatskirchenrechtliche Situation wieder. Im Gegensatz zu Frankreich gab es in Preußen keine grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche, sondern zumindest der Form nach noch ein Staatskirchentum. Auch dieses befand sich jedoch in einer Entwicklung zur zunehmenden Trennung der beiden Bereiche.38) Auf die gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Sonn- und Feiertage hatte das verschiedene Auswirkungen. Der Staat fühlte sich nicht mehr wie im Staatskirchentum als Herr über die Kirchen, was dazu führte, daß er es zuließ, daß es zu einem Nebeneinander von kirchlichen und staatlichen Feiertagen kam.39) Gleichwohl räumte der Staat den Kirchen aber -anders als bei der französischen strikten Trennung von Staat und Kirche - eine privilegierte Stellung ein, was ihn verpflichtete, zumindest in einem gewissen Umfang deren Feiertage zu schützen.40) Deswegen mußte die preußische Regierung nachgerade wieder gesetzliche Regelungen zum Schutz der Sonn- und Feiertage einführen. Gleichzeit bot ihr das die Gelegenheit, die Überwindung der französischen Herrschaft zu demonstrieren. 42
Gleiches gilt noch heute. Nach wie vor geht das Grundgesetz von einer privilegierten Stellung der beiden großen Kirchen aus.41) Hinsichtlich der Feiertage hat das seinen Niederschlag in Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 139 Weimarer Reichsverfassung gefunden. Darin verpflichtet sich der Staat - freiwillig - die Sonn- und Feiertage jedenfalls grundsätzlich gesetzlich zu schützen. Diese staatskirchenrechtliche Regelung gibt dem Staat nicht nur ausreichend Anlass, die Sonn- und Feiertage gesetzlich zu schützen, sondern verpflichtet ihn nachgerade dazu.42)43
Das hat nichts mit einer kirchlichen oder gar staatlichen Bevormundung des Volkes zu tun, wie es in der aktuellen Diskussion fälschlicherweise häufig behauptet wird.43) Der Staat - und damit das Volk (!) - hat sich aus freien Stücken bei der Schaffung des Grundgesetzes die Verpflichtung zum Schutz der Feiertage auferlegt, weil das wenigstens zu dieser Zeit noch der Wille der Mehrheit der Bevölkerung war. Es steht ihm jederzeit frei, sein Verhältnis zu den Kirchen bzw. dem Schutz der Feiertage mittels einer Änderung des Grundgesetzes zu revidieren und damit den Weg zu einer völligen Aufhebung der gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Sonn- und Feiertage frei zu machen. Solange dies aber nicht geschieht, hat sich das Volk selber und aus freien Stücken - und nicht etwa bevormundet durch Staat oder Kirchen - die Verpflichtung zum wenigstens grundsätzlichen Schutz der Feiertagsruhe auferlegt und dies spiegelt somit den Willen der Mehrheit wieder. 44
Eine andere Frage in der aktuellen Diskussion ist, ob die oben beschriebene freiwillige Verpflichtung des Staates zum Schutz der kirchlichen Feiertage soweit reicht, daß an ihnen auch keine Läden geöffnet werden dürfen.44)45

IV. Rechtliche Regelungen

Vergleichbar sind beide Auseinandersetzungen, die in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts und die heutige, hinsichtlich der Schwierigkeiten mit den rechtlichen Regelungen zum Schutz der Sonn- und Feiertage. Sowohl damals als auch heute wird versucht, die Feiertagsarbeit resp. die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen mittels Ausnutzung von Ausnahmeregelungen, aber auch Rechtsübertretungen durchzusetzen. 46
Anders als heute gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Rheinprovinz allerdings Unsicherheiten hinsichtlich der Rechtslage. 47
In der Zeit der französischen Besatzung der linksrheinischen Landesteile war der Feiertagsschutz dort - aus den bereits erwähnten Gründen - erheblich eingeschränkt. Neben den Sonntagen gab es nur noch fünf Wochenfeiertage pro Jahr, und es gab kaum Verbote der Arbeit an diesen Tagen.45) In den rechtsrheinischen, nicht französisch besetzten Landesteilen bestanden die alten, aufgrund der Zersplitterung der Herrschaftsgebiete von Ort zu Ort verschiedenen Bestimmungen mit ihren in der Regel zahlreichen Feiertagen fort.46)48
Nach dem Übergang der Rheinprovinz an Preußen war es u.a. diese Uneinheitlichkeit der Feiertagsregelungen, die die preußische Regierung und die Kirche dazu veranlassten, eine neue, einheitliche Regelung für die ganze Rheinprovinz zu schaffen.47) 1829 erließ der Papst darauf hin in Absprache und mit Genehmigung des preußischen Königs eine Festordnung, mit der die in den alten preußischen Landesteilen bereits bestehende Feiertagsordnung auf die Rheinprovinz übertragen wurde.48) Damit wurden die Feiertage auf der linken Rheinseite nahezu verdoppelt, während die auf der rechten Rheinseite leicht reduziert wurden. 49
Fraglich blieb, inwieweit es an diesen Tagen auch gesetzlich verboten war zu arbeiten. Diesbezüglich bestand u.a. Unsicherheit darüber, ob alle in der Festordnung vorgesehenen kirchlichen Feiertage auch gesetzliche sein sollten49) und ob die vier rheinischen Bezirksregierungen ausreichend vom preußischen König zum Erlass strafbewehrter Feiertagsarbeitsverbote ermächtigt waren.50)50
Letztendlich hat es einer Entwicklung bis 1853 und dreier weiterer gesetzlicher Regelungen51) bedurft, bis in der Rheinprovinz die Arbeit einheitlich an allen Sonntagen und sieben Feiertagen pro Jahr grundsätzlich gesetzlich verboten wurde.52) Dieses Verbot enthielt jedoch noch zahlreiche und weitgehende Ausnahmeregelungen, deren teilweise sehr weite Auslegung es durchaus verwässern konnte. Die Gründe für die Langwierigkeit dieser Entwicklung sind vielschichtig. Neben anderen war es der sich nur allmählich entwickelnde eindeutige Wille des Gesetzgebers zum Schutz der Sonn- und Feiertage. Zwischenzeitlich hatten die an der Feiertagsarbeit interessierten Kreise offensichtlich genug Einfluss, um die Gesetzgebung zumindest zu bremsen. 51
In der Zeit zwischen etwa 1830 und 1853 gab es hinsichtlich des gesetzlichen Verbots der Feiertagsarbeit somit eine Rechtsunsicherheit. Wenngleich es wohl kein letztendlich durchsetzbares gesetzliches Verbot gab, fühlten sich noch immer weite Kreise - auch der Wirtschaft - an die bestehenden Vorschriften gebunden. Dies führte dazu, daß es zu zahlreichen Auseinandersetzungen hinsichtlich der Auslegung der in diesen enthaltenen Ausnahmebestimmungen kam. Wie heute versuchten an Feiertagsarbeit interessierte Unternehmen Ausnahmeregelungen soweit auszudehnen, daß sie an Feiertagen nahezu wie an Werktagen arbeiten lassen konnten. 52
Weder bezüglich der Arbeitszeit noch bezüglich der Ladenöffnungszeiten gibt es heute eine der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleichbare Rechtsunsicherheit. Beide sind im Arbeitszeitgesetz von 1994 und im Ladenschlussgesetz eindeutig gesetzlich geregelt. Genau wie am Anfang des letzten Jahrhunderts wird aber auch heute versucht, diese Bestimmungen durch teilweise unzulässig weitgehende Auslegung der in ihnen enthaltenen Ausnahmeregelungen zu umgehen.53) Interessant ist dabei, daß ebenfalls wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts insbesondere regionale staatliche Stellen aus Gründen der Wirtschaftsförderung diese zu weitgehenden Auslegungen der Ausnahmebestimmungen bzw. sogar eindeutigen Rechtsbruch wenigstens dulden, wenn nicht sogar fördern.54) Damit gibt es heute zwar keine Unsicherheit hinsichtlich des anzuwendenden Rechts, aber eine Unsicherheit und Uneinheitlichkeit bezüglich der Rechtsanwendung, die ein Einschreiten der Gerichte in großem Umfang erforderlich macht.55) Wiederum vergleichbar ist, daß es im Endeffekt die Zentralgewalt ist, die die Einhaltung auch nur der geltenden Gesetze durchsetzen muss.56)53
Die Parallelen in beiden Entwicklungen machen ein den Sonn- und Feiertagsregelungen wohl allgemein zugrundeliegendes Problem deutlich. Auf der einen Seite wollte man sich früher und will man sich wohl auch heute nicht gänzlich vom generellen Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit trennen.57) Auf der anderen Seite sah und sieht man aber auch die Notwendigkeit von Ausnahmeregelungen. Gleichzeit sind die Einschränkungen durch das Verbot und damit der Reiz, es zu übertreten, so groß, daß immer wieder - und nicht nur von Seiten der Wirtschaft - versucht wird, es zu umgehen. 54

V. Gründe für die Sonn- und Feiertagsarbeit

Parallelen zwischen der heutigen und der früheren Diskussion um die Sonn- und Feiertagsruhe zeigen sich auch bei den Gründen, die für die Öffnung der Läden resp. das Arbeiten an diesen Tagen angeführt werden. Dabei darf man jedoch wiederum nicht übersehen, daß es bei der aktuellen Diskussion ausschließlich um die Ladenöffnungszeiten geht und nicht um die generelle Arbeit an Sonn- und Feiertagen, woraus sich naturgemäß Unterschiede ergeben. 55
Früher wie heute haben sowohl der Staat als auch die Kirche Sonn- und Feiertagsarbeit immer dann zugelassen, wenn sie aus technischen und im beschränkten Umfang auch wirtschaftlichen Gründen unvermeidbar war. Aus technisch-wirtschaftlichen Gründen soll und sollte Feiertagsarbeit zulässig sein, wenn die Produktion entweder überhaupt nicht unterbrochen werden konnte oder aber bei einer Unterbrechung der Produktion an diesen Tagen ein unverhältnismäßig großer Verlust entstünde. Das konnte früher z.B. der Fall sein, wenn durch die Unterbrechung der Arbeit an Sonn- und Feiertagen die neuen, teuren Produktionsmaschinen überhaupt nicht mehr rentabel betrieben werden konnten. Auch heutzutage sind manche besonders aufwendigen Produktionen nur unter Einbeziehung der Sonn- und Feiertage rentabel zu betreiben. 56
Die staatlichen Stellen, aber auch die damals noch in die Entscheidung über Ausnahmegenehmigungen einbezogenen kirchlichen, haben schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts auf derartige Bedürfnisse Rücksicht genommen. Auffällig ist dabei, daß auch die kirchlichen Stellen sich erstaunlich schnell mit den am Anfang des letzten Jahrhunderts noch neuen technischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen vertraut gemacht haben, um qualifiziert entscheiden zu können, in welchen Fällen Feiertagsarbeit tatsächlich technisch-wirtschaftlich zwingend notwendig war und wann derartige Gründe nur vorgeschoben wurden. 57
Dabei hat sich die Kirche schon immer und lässt sich auch noch heute von dem Grundgedanken leiten, daß Ausnahmen vom Gebot der Sonn- und Feiertagsarbeitsruhe stets dann zuzulassen sind, wenn es zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der Menschen notwendig ist. Das kann u.a. auch dann der Fall sein, wenn ansonsten ein Betrieb oder ein ganzer Industriezweig unwirtschaftlich wäre und durch seinen Wegfall zahlreiche Menschen ihren Arbeitsplatz verlören. 58
Heute trägt das Arbeitszeitgesetz von 1994 derartigen technisch-wirtschaftlichen Bedürfnissen Rechnung.58)59
Im Rahmen der aktuellen Diskussion um die Ladenöffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen können solche Notwendigkeiten dagegen keine Rolle spielen. 60
Selbstverständlich spielten früher und spielen auch noch heute Gewinnmaximierungsgesichtspunkte bei dem Bestreben nach Erlaubnis von Sonn- und Feiertagsarbeit eine Hauptrolle. Dabei stellt sich jedoch die Frage, inwieweit das auch für die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten auf Sonn- und Feiertage gilt. Es ist nämlich durchaus umstritten und zweifelhaft, ob durch eine Verlängerung der Öffnungszeiten tatsächlich eine Umsatzsteigerung erzielt werden kann. Vielmehr ist wohl davon auszugehen, daß es lediglich zu einer Umverteilung des bereits existierenden Umsatzes auf die verlängerten Geschäftszeiten kommt.59)61
Wohl noch mehr als früher spielen heute Konkurrenzgesichtspunkte bei der Frage der Sonn- und Feiertagsruhe eine Rolle. Während der Anfangsphase der Industrialisierung war es vor allem die Konkurrenz mit dem benachbarten Frankreich, den heutigen Beneluxstaaten und England, wo es teilweise weniger strenge Feiertagsregelungen gab, die die Unternehmer der Rheinprovinz die Erlaubnis zur Feiertagsarbeit auch für ihre Betriebe fordern ließ. Heute ist es im Zuge der zunehmenden Globalisierung die weltweite Konkurrenz, die die ununterbrochene Produktion auch an Sonn- und Feiertagen notwendig erscheinen lässt. 62
Dabei sahen sich die Unternehmer in der Rheinprovinz zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch in einer anderen Hinsicht einer Konkurrenz ausgesetzt. Sie befürchteten nämlich, daß ihre Arbeiter zu anderen im benachbarten Ausland gelegenen Arbeitsstellen wechseln würden, wo sie durch Sonn- und Feiertagsarbeit mehr verdienen konnten. 63
Für die Frage der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen gilt dieser Konkurrenzgesichtspunkt in zweifacher Hinsicht. Zum einen stehen die Geschäfte wenigstens in grenznahen Gebieten60) in Konkurrenz mit den Geschäften in anderen Ländern mit ausgedehnteren Öffnungszeiten.61) Zum anderen tritt aber auch der Internet-Handel mit seinen zeitlich uneingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten zunehmend in Konkurrenz zu den Läden. 64
Angesichts des erheblichen Einflusses, den Konkurrenzgesichtspunkte auf Sonn- und Feiertagsregelungen haben, muss es das Ziel sein, solche Bestimmungen möglichst einheitlich für alle miteinander in Konkurrenz stehenden Orte zu treffen.62) Aufgrund des heutigen weltweiten Handels nahezu aller Produkte müßte es eine weltweite Regelung geben. Da diese natürlich nicht möglich ist, sollte wenigstens versucht werden, einheitliche Regelungen für einen möglichst großen Raum zu erlassen. Insofern wäre eine europaweite Regelung der Feiertage wünschenswert, liegt aber wohl noch in weiter Ferne. Auf jeden Fall ist der Vorschlag, die Regelung der Ladenöffnungszeiten in Deutschland den Kommunen zu überlassen, abzulehnen, da dies nur zu einem gegenseitigen Wettlauf der Gebietskörperschaften führen würde und nicht zuletzt auch zu verwirrender Uneinheitlichkeit.63)65
Der Gesichtspunkt des Einkommens der Beschäftigten spielt heute bei den Regelungen der Sonn- und Feiertagsarbeit, wenn überhaupt, eine ganz andere Rolle als während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aufgrund des zu dieser Zeit noch herrschenden Grundsatzes „ohne Arbeit kein Lohn“ stellte jeder arbeitsfreie Tag für die Beschäftigten einen Verdienstausfall dar, den viele angesichts der allgemein schlechten Bezahlung kaum verkraften konnten. Insofern war - wenigstens in Ausnahmefällen - die Arbeit an Sonn- und Feiertagen alleine zur Sicherung des Lebensunterhalts der Arbeiter erforderlich und wurde dann auch von der Kirche erlaubt. Heute spielen derartige tatsächlich existenzbedrohende Gesichtspunkte keine Rolle mehr. Vielmehr wird Sonn- und Feiertagsarbeit wegen der damit verbundenen - teilweise steuerbefreiten - Lohnzuschläge von einigen Beschäftigten gerne in Kauf genommen.64)66
Früher wie heute wird teilweise damit argumentiert, daß nur durch Sonn- und Feiertagsarbeit Unternehmen rentabel betrieben werden könnten und damit Arbeitsplätze erhalten würden. Zu beiden Zeiten haben sich weder der Staat noch die Kirche in nachweislich begründeten Fällen dieser Argumentation verschlossen. Ein ähnliches Argument ist heute im Rahmen der Auseinandersetzung über die Ladenöffnungszeiten zu hören. Hier wird gelegentlich damit argumentiert, verlängerte Öffnungszeiten schafften wegen des steigenden Bedarfs an Verkäuferinnen und Verkäufern Arbeitsplätze.65)67
Der Vergleich der früher und heute in der Diskussion um die Feiertagsfrage angeführten Argumente zeigt, daß es trotz der enormen zwischenzeitlichen technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Kern immer noch dieselben sind. 68

Heute wie vor nunmehr knapp 200 Jahren treffen bei der Frage der Sonn- und Feiertagsruhe religiöse, wirtschaftliche und soziale Interessen aufeinander.66) Dies führt dazu, daß grundsätzlich immer noch die gleichen Argumente und Überlegungen für die eine bzw. die andere Position angeführt werden. Aufgrund der Gewichtigkeit der betroffenen Interessen und ihrer grundsätzlichen Unvereinbarkeit ist fraglich, ob es überhaupt eine letztendlich alle Seiten zufriedenstellende Regelung dieser Problematik geben kann oder sie nicht vielmehr immer wieder diskutiert und gegebenenfalls auch neu entschieden werden muss. 69


Fußnoten:

1 Etwa seit Februar 1999 wird wieder heftig in der Öffentlichkeit über die Abschaffung bzw. Novellierung des Ladenschlussgesetzes diskutiert.

2 Das äußerst umstrittene Arbeitszeitgesetz von 1994 hat die Diskussion kaum verstummen lassen. Das zeigen nicht zuletzt die heftigen Reaktionen auf die Pläne der Deutsche Börse AG, den Aktienhandel an allen Feiertagen bis auf vier fortzusetzen, vgl. nur „Jepsen gegen Ausweitung der Arbeit an Feiertagen“, FAZ v. 07.12.1998, „Widerstand gegen den Feiertagshandel wächst“, FAZ v. 09.12.1998 sowie Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz v. 08.12.1998 und der Freisinger Bischofskonferenz v. 11.03.1999 sowie „EKD: Aushöhlung des Feiertagsschutzes“, FAZ v. 02.07.1999. Überblick über die Auseinandersetzung „Wenn Feiertage nicht überall Feiertage sind“, Leserbrief von Joachim Krämer, FAZ v. 04.01.1999. Hinsichtlich eines weiteren hohen rheinischen Feiertags „Aktienhandel am Rosenmontag“, FAZ v. 02.02.1999.

3 Teilweise wurde der Streit um die Feiertage in der preußischen Rheinprovinz unmittelbar zwischen dem Papst und dem preußischen König ausgetragen. Vgl. allgemein, Krämer, Joachim, Industrialisierung und Feiertage. Die katholische Kirche und die gesetzlichen Regelungen der Sonn- und Feiertagsarbeit während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der preußischen Rheinprovinz, Berlin 1999.

4 Jansen, Heiner, Bergbau und Gewerbe, in: Historische Wirtschaftskarte der Rheinlande um 1820, hg. v. Helmut Hahn und Wolfgang Zorn (= Arbeiten zur Rheinischen Landeskunde, Heft 37), Bonn 1973, S. 39-55, 54 f.

5 Vgl. Krämer, Joachim, a.a.O., S. 23 f.

6 Vgl. Krämer, J., a.a.O., S. 68 f.

7 Vgl. nur „EKD für Einhaltung des Sonntagsschutzes“, FAZ v. 05.02.1999; „Die Kirchen wollen für den Sonntag kämpfen“, FAZ v. 04.08.1999; „Empörung über Sonntags-Öffnung“, Deutsche Tagespost v. 03.08.1999.

8 So meint auch der Trierer Bischof Spital, es gehe bei der Auseinandersetzung um die Sonntagsöffnung nicht um eine Glaubensfrage, denn die Gläubigen könnten auch bei geänderten Öffnungszeiten sonntags zur Kirche gehen, vgl. „Neuerliche Sonntagsöffnung heizt Streit an“, FAZ v. 16.08.1999.

9 Vgl. „EKD für Einhaltung des Sonntagsschutzes“, FAZ v. 05.02.1999. Ferner z.B. „Die Kirchen wollen für den Sonntag kämpfen“, FAZ v. 04.08.1999; „Däubler-Gmelin: Kein Verkauf am Sonntag „, FAZ v. 04.09.1999; „Die Sonntagsruhe der anderen“, Leserbrief von Dr. Helga Mosbacher, FAZ v. 22.10.1999.

10 Zur sozialen Bedeutung der Feiertagsarbeitsruhe allgemein und deren Erkenntnis in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts vgl. u.a. Plöchl, Willibald, M., Kirchliche Sonn- und Feiertagsgesetzgebung und Arbeitsruhe, in: Festschrift für Hans Schmitz zum 70. Geburtstage, hg. v. Theo Mayer-Maly, Albert Nowak, Theodor Thomandl, Bd. 1, Wien/München 1967, S. 284-287, 284, 286 f.; Schröder, Rainer, Abschaffung oder Reform des Erbrechts. Die Begründung einer Entscheidung des BGB-Gesetzgebers im Kontext sozialer, ökonomischer und philosophischer Zeitströmungen, Ebelsbach 1981, S. 246; Mattner, Andreas, Sonn- und Feiertagsrecht (= Studien zum öffentlichen Wirtschaftsrecht, Bd. 3), 2. Aufl., Köln/Berlin/München 1991, S. 11 f.

11 Vgl. statt aller Henning, Friedrich-Wilhelm, Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. Jahrhundert (= Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd. 2), Paderborn/München/Wien/Zürich 1996, S. 752.

12 Dies war einer der beiden Hauptstreitpunkte in der Diskussion während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Rheinprovinz.

13 Vgl. Krämer, J., a.a.O., S. 209 ff.

14 Vgl. Krämer, J., a.a.O., S. 241 f.

15 Vgl. z.B. die in § 11 des Arbeitszeitgesetzes von 1994 vorgesehenen Ausgleichszeiten für Beschäftigte, die an Sonn- und Feiertagen arbeiten, und die Bestimmung, daß mindestens 15 Sonntag pro Jahr arbeitsfrei bleiben müssen.

16 Vgl. Giersberg, Georg, Anton Storch gegen Ludwig Erhard und Walter Riester gegen Werner Müller, in: FAZ v. 06.08.1999. Auch der Schutz der Sonn- und Feiertage in Art. 140 Grundgesetz i.V.m. 139 Weimarer Reichsverfassung resultiert nicht nur aus religionspolitischen, sondern auch aus sozialpolitischen Überlegungen, vgl. „Das Grundgesetz schützt den Sonntag als 'Tag der Arbeitsruhe'“, FAZ v. 05.08.1999; auch Rozek, Jochen, Vorsprung durch Rechtsbruch? Zur Erosion des Ladenschlußrechts durch sogenannte „Fremdenverkehrsregelungen“, in: NJW 1999, S. 2921-2929.

17 Vgl. Richardi, Reinhard, Grenzen industrieller Sonntagsarbeit. Ein Rechtsgutachten. Mit einem Vorwort von Klaus Zwickel (= Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Reihe Arbeit, Sonderheft 14, hg. v. Werner Fricke), Bonn 1988, S. 21.

18 Die schon von Ludwig Erhard kritisierte unsystematische Vermischung von Öffnungszeiten und Arbeitszeiten ist damit überwunden, vgl. Giersberg, G., a.a.O. Auf die Schwierigkeiten der Koordinierung der Ladenöffnungszeiten mit den nach den Arbeitszeitgesetz zugelassenen Arbeitszeiten soll hier nur hingewiesen, jedoch nicht näher eingegangen werden, vgl. z.B. Zimmer, Mark, Dienstleistungen sind auch sonntags möglich, in: FAZ v. 06.08.1999; „Außer Acht gelassenes Arbeitszeit-Gesetz“, Leserbrief von Benjamin Schulz, FAZ v. 10.08.1999.

19 Fraglich ist jedoch, ob nicht jeder selbst entscheiden können sollte, ob er nachts arbeiten möchte oder nicht und der Staat nur sicherstellen sollte, daß niemand dazu gezwungen wird und grundsätzlich ausreichende Ruhe- und Erholungszeiten gewährt werden. Da dies aber alles Regelungen sind, die systematisch in das Arbeitszeitgesetz gehören, gibt es keinen Grund, die Ladenöffnungszeiten unter der Woche in irgendeiner Weise einzuschränken.

20 Vgl. z.B. „Gewerkschaft bereitet Klage gegen Halle vor“, FAZ v. 20.07.1999.

21 Vgl. nur „Kirchen und Gewerkschaften für Schutz des Sonntags“, Deutsche Tagespost v. 08.05.1999; „EKD für Einhaltung des Sonntagsschutzes“, FAZ v. 05.02.1999; „Der Streit über die Ladenöffnung spitzt sich zu“, FAZ v. 05.08.1999; „Empörung über die Sonntagsöffnung“ Deutsche Tagespost v. 03.08.1999. Grundsätzlich auch Garhammer, Manfred, Verlust von Sozialzeit durch Wochenendarbeit?, in: WSI-Mitteilungen (Wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung), 1992, S. 300-308.

22 Nach Angaben der Sprecherin der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen handelt es sich um 2,8 Mio. Beschäftigte im Einzelhandel, vgl. „Der Streit über die Ladenöffnungszeiten spitzt sich zu“, FAZ v. 05.08.1999.

23 Vgl. Häberle, Peter, Der Sonntag als Verfassungsprinzip (= Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 551), Berlin 1988, S. 12. Hierzu sollen vor allem Tätigkeiten im Gaststättengewerbe und im Kultur- und Unterhaltungswesen zählen.

24 Z.B. Zimmermann, Lothar, Zum Streit um die Sonntagsarbeit, in: tarifpolitische Informationen, hg. v. DGB-Bundesvorstand, Abteilung Tarifpolitik, 1/1989, S. 1-4, 3; Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Unsere Verantwortung für den Sonntag, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bonn/Hannover 1988, S. 10. Gesetzliche Regelungen in § 10 Abs. 1 Nr. 4-10 Arbeitszeitgesetz.

25 Als zu weitgehend hat in diesem Zusammenhang das OLG Düsseldorf eine Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf aufgehoben, nach der der Betrieb eines Waschsalons an Sonntagen deswegen erlaubt sein sollte, weil er der Pflege sozialer Kontakte unter den Kunden diene, vgl. „Wäsche muß warten“, Westfälisches Volksblatt v. 26.05.1999.

26 Erstmals kodifiziert wurde es von Papst Gregor IX. (1227-1241), der es in seine Dekretalensammlung aufnahm, vgl. Hinschius, Paul, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, Bd. 4, Berlin 1888, unveränderter Nachdruck Graz 1959, S. 293.

27 Vgl. hierzu unten III.

28 So äußerte der Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten 1851 z.B. die Auffassung, durch Feiertagsverordnungen könnten nur die „äußere[n] Störungen der Sonn- und Festtags-Feier“ verhindert werden, die „innere Überzeugung“ könne dagegen nur von den Kirchen erreicht werden, vgl. Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 403, Nr. 6686, S. 19-23, 19, Rundschreiben des Ministers für Handel, Gewerbe und öffentlich Arbeiten an die Bezirksregierungen der Rheinprovinz vom 27.05.1851.

29 So berichtete das preußische Staatsministerium am 27.08.1852 im Zusammenhang mit dem Erlass der Polizeiverordnungen von 1853 an den König, man habe „nach den Stürmen des Jahres 1848 besonders stark die Notwendigkeit erkannt, die Heilighaltung der Sonn- und Feiertage als einen Grundpfeiler der sittlichen Ordnung und des Volkslebens wiederaufzurichten und zu befestigen“, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 89, Nr. 23523, Blatt 36-39, Blatt 36.

30 Vgl. hierzu unten III.

31 Nach einer Umfrage des Bonner Meinungsforschungsinstituts Dimap im Auftrag der Bild-Zeitung und des Mitteldeutschen Rundfunks sind 62 Prozent der Deutschen gegen die allgemeine Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen und lediglich 35 Prozent dafür, vgl. „Schluss mit dem Ladenschluss?“, Welt am Sonntag v. 08.08.1999. Nach einem Gutachten des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung sind 46 Prozent für eine auf wenige Stunden begrenzte Öffnungszeit an den Sonntagen, wohingegen 44 Prozent gegen jegliche Öffnung der Geschäfte an Sonn- und Feiertagen sind, vgl. „Einkaufen an Werktagen und Samstagen doch bald ohne starre Ladenschlusszeiten?“, FAZ v. 13.10.1999.

32 Vgl. o. unter II.

33 So kam der katholischen Feiertagsordnung vom 07.05.1829 für die westlichen preußischen Provinzen nur aufgrund der Kabinettsorder des preußischen Königs vom 24.03.1829 auch gesetzliche Bedeutung zu, vgl. Krämer, J., a.a.O., S. 138 ff.

34 Vgl. Krämer, J., a.a.O., S. 231; Für die heutige Zeit vgl. Siemons, Mark, Sonntags nie. Leben ohne Ladenschluss, in: FAZ v. 06.08.1999.

35 Vgl. Schröder, Rainer, Arbeitslosenfürsorge und Arbeitsvermittlung im Zeitalter der Aufklärung, in: Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge in der neueren deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Hans-Peter Benöhr, Tübingen 1991, S. 7-76, S. 23, 31.

36 Vgl. zur staatskirchenrechtlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert allgemein Heckel, Martin, Die Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche im 19. Jahrhundert, in: Heckel, Martin, Gesammelte Schriften. Staat, Kirche, Recht, Geschichte, hg. von Klaus Schlaich, Bd. 3, Tübingen 1997, S. 441-470, 443 f.

37 Vgl. Krämer, J., a.a.O., S. 23 f.

38 Vgl. Heckel, M., a.a.O., S. 446 f.

39 In der ehemaligen preußischen Rheinprovinz trat diese Situation durch die Kabinettsorder von 1832 ein, vgl. Gesetzessammlung für die Königlich Preußischen Staaten, 1832, Nr. 17, Stück Nr. 1376, S. 197. Auch Lipgens sieht hierin „zum erstenmal beinahe im Sinne liberaler Trennung“ von Staat und Kirche einen Rückzug des Staates aus der Regelung innerkirchlicher Angelegenheiten, vgl. Lipgens, Walter, Ferdinand August Graf Spiegel und das Verhältnis von Kirche und Staat. Die Wende vom Staatskirchentum zur Kirchenfreiheit, 1. Teilband: Darstellung, Münster 1965, S. 499.

40 Vgl. Heckel, M., a.a.O., S. 451.

41 Vgl. Heckel, M., a.a.O., S. 465.

42 Auch die Bundesjustizministerin ist der Auffassung, daß das Grundgesetz eine „klare Grenze“ ziehe, die verhindere, daß der Sonntag zu einem Werktag wie jeder andere werde, vgl. „Kein genereller Sonntags-Verkauf“, FAZ v. 04.09.1999.

43 So fragt sich Barbier, ob „es in einer liberalen, die Religionen respektierenden, aber keine von ihnen zur allgemeinen Norm erhebenden Demokratie die Aufgabe des Staates [sei], Verhaltensregeln zu erlassen, die einem Staats- und Gesellschaftsbild der religiösen Orthodoxie angemessen sein mögen“, vgl. Barbier, Hans Dieter, Nun ein Kulturkampf, in: FAZ v. 07.08.1999.

44 So geht der Verfassungsrechtler Degenhart davon aus, der institutionellen Verfassungsgarantie könne mit einer Begrenzung der Öffnungszeiten an den Sonntagen genüge getan werden, während der Arbeitsrechtler Richardi die Ansicht vertritt, es müsse beim grundsätzlichen Verbot des Sonntagsverkaufs bleiben, vgl. Müller, Uwe, Es herrscht Rechtsunsicherheit, in: Welt am Sonntag v. 08.08.1999.

45 Vgl. Krämer, J., a.a.O., S. 23 f.

46 A.a.O., S. 26 ff.

47 So war der Kölner Erzbischof der Auffassung, die Unterschiede bei der Feier der Festtage sei en nachteilig für die Religiosität der Bevölkerung und die Bistumsverwaltung, aber auch für die weltlichen Geschäfte, vgl. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand Regierung Aachen, Nr. 2442, unpagiert, Schreiben des Erzbischofs an die Regierung Aachen vom 24.10.1826.

48 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand Regierung Köln, Nr. 2223, Blatt 53-55, Festordnung für die Erzdiözese Köln vom 07.05.1829; Historisches Archiv des Erzbistums Köln, CR 15.1,1, Blatt 158-159, Diözesanrundschreiben des Bischofs von Paderborn, betreffend der Einführung der neuen einheitlichen Festordnung vom 16.05.1829; Historisches Archiv des Erzbistums Köln, CR 15.1,1, Blatt 169-170, Diözesanrundschreiben des Bischofs von Münster, betreffend der Einführung der neuen einheitlichen Festordnung vom 20.05.1829; Historisches Archiv des Erzbistums Köln, CR 15.1,1, Blatt 176-177, Diözesanrundschreiben des Bischofs von Trier, betreffend der Einführung der neuen einheitlichen Festordnung vom 03.06.1829.

49 Entgegen der Mehrzahl seiner Kollegen war der Justizminister der Auffassung, an allen in der Festordnung genannten Tagen seien die werktäglichen Tätigkeiten einzustellen, „da es nicht konsequent sein würde, Feiertage einzuführen, wie durch die Festordnung von 1829 geschehen ist, und andererseits die Unterthanen zu zwingen, an diesen Feiertagen Geschäfte vorzunehmen, die man sonst an Sonn- und Feiertagen aussetzt“, Rescript des Justizministers v. Kamptz an den Königlichen Landgerichts-Präsidenten Herrn Wurzer Hochwohlgeboren zu Coblenz, vom 05.02.1836 abgedruckt in: Leitner, F. W. (Hg.), Sammlung der für die Königlich Preußische Rheinprovinz seit dem Jahre 1813 hinsichtlich der Rechts- und Gerichtsverfassung ergangenen Gesetze, Verordnungen, Ministerial-Rescripte etc. Im Auftrag eines hohen Ministerii der Gesetzgebung und Justizverwaltung der Rheinprovinz, 5. Bd., Berlin 1838, S. 324 f..

50 Nach einem Urteil des Königlichen Revisions- und Cassationshofes zu Berlin aus dem Jahr 1830 waren die rheinischen Bezirksregierungen nicht ausreichend ermächtigt, strafbewehrte Sonn- und Feiertagsarbeitsverbote zu erlassen. Die Abschrift eines Auszuges aus den Urschriften des Gerichts über die Sitzung vom 19.05.1830 befindet sich in der Akte: Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 403, Nr. 6684, S. 189-197.

51 Preußische Gesetzessammlung, 1832, Nr. 17, Stück Nr. 1376, S. 197, Kabinettsorder vom 05.07.1832 hinsichtlich der gesetzlichen Feiertage in der Rheinprovinz. Preußische Gesetzessammlung, 1837, Nr. 4, Stück Nr. 1776, S. 21, Allerhöchste Kabinettsorder vom 07.02.1837 wegen der gesetzlichen Feiertage der katholischen Kirche in der Rheinprovinz. Preußische Gesetzessammlung, 1837, Nr. 3, Stück Nr. 1774, S. 19, Allerhöchste Kabinettsorder vom 07.02.1837 über die Befugnis der Behörden, durch polizeiliche Bestimmungen, die äußere Heilighaltung der Sonn- und Festtage zu bewahren.

52 Gleichlautende Verordnungen der fünf rheinischen Bezirksregierungen zum Schutz der Sonn- und Feiertage. Verordnung der Regierung Koblenz vom 12.12.1853, Amtsblatt der Regierung Koblenz, 1853, Nr. 50, Stück Nr. 962, S. 402 ff.; Verordnung der Regierung Trier vom 14.12.1853, Amtsblatt der Regierung Trier, 1853, Nr. 53, S. 414 ff.; Verordnung der Regierung Düsseldorf vom 14.12.1853, Amtsblatt der Regierung Düsseldorf, 1853, Nr. 69, S. 682 ff.; Verordnung der Regierung Aachen vom 16.12.1853, Amtsblatt der Regierung Aachen, 1853, Nr. 59, Stück Nr. 632, S. 393 ff.; Verordnung der Regierung Köln vom 03.01.1854, Amtsblatt der Regierung Köln, 1854, Nr. 1, Stück Nr. 8, S. 4 ff.

53 Vgl. z.B. „Feste werden Hebel zur Sonntagsöffnung“, FAZ v. 14.08.1999. So haben die Oberverwaltungsgerichte von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin die Ausnahmegenehmigungspraxis der Behörden der jeweiligen Bundesländer größtenteils für rechtswidrig erklärt, vgl. „Richter beanstanden großzügige Auslegung des Ladenschlussgesetzes“, FAZ 27.08.1999. Die betreffenden Gerichtsentscheidungen können abgerufen werden von der Internet-Seite der TU Dresden unter der Adresse www.tu-dresden.de/jfoeffl4/OeRimWWW/OeRAktuell.html. Vgl. ferner Rozek, J., a.a.O. Die Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Magdeburg und Bautzen sowie des Verwaltungsgerichts Berlin sind veröffentlicht in: NJW 1999, S. 2982-2989.

54 Vgl. z.B. „Sachsen macht die Ausnahme zur Regel“, FAZ v. 04.06.1999; „HBV: Mehr Verstöße gegen Ladenschlußgesetz“, FAZ v. 22.07.1999; „Leipzig hält an der Sonntagsöffnung fest“, FAZ v. 11.08.1999.

55 Vgl. „Läden im Osten erstmals am Sonntag offen“, FAZ v. 02.08.1999; „Gesetzesverstöße und Ausweichversuche“, FAZ v. 03.08.1999; „Streit um die Sonntagsöffnung verschärft sich“, „Am Sonntag bleibt der Kaufhof geschlossen“ und „Berliner Gericht bestätigt Verbot der Sonntagsöffnung“, FAZ v. 06.08.1999; „Geschäfte in Halle geöffnet und in Dessau geschlossen“, FAZ v. 09.08.1999. Der Rechtsstreit hinsichtlich der Sonntagsöffnung in der Stadt Leipzig ist inzwischen vor dem Oberverwaltungsgericht Bautzen, vgl. „Neuerliche Sonntagsöffnung heizt Streit an“, FAZ v. 16.08.1999. Auch der Bundeswirtschaftsminister ist der Auffassung, die juristischen Unklarheiten und Missbrauchsmöglichkeiten hinsichtlich der Ausnahmeregelungen zur Sonntagsöffnung müssten dringend beseitigt werden, vgl. „Bundesregierung zu längerer Ladenöffnung bereit“, FAZ v. 25.10.1999.

56 So ist es die Bundesjustizministerin, die die Einhaltung geltender (!) Gesetze verlangen muss, vgl. „Kaufhof muss am Sonntag geschlossen bleiben“, FAZ v. 07.08.1999. Die Bundesjustizministerin befürchtet von den teilweise vorsätzlichen öffentlichen Rechtsverstößen negative Auswirkungen auf das Rechtsbewusstsein in Deutschland, vgl. „Kein genereller Sonntagsverkauf“, FAZ v. 04.09.1999.

57 So nehmen manche an, „aus Furcht vor dem Widerstand von Gewerkschaften und Kirchen drückten sich alle Bundesregierungen [!] um eine gründliche Entrümpelung der Vorschriften [des Ladenschlußgesetzes]“, vgl. Müller, Uwe, Ladenhüter ohne Zukunft, in: Die Welt v. 23.07.1999. Der Bundeswirtschaftsminister ist der Meinung, das Thema regele sich „von allein“, vgl. „Hessen will den Ladenschluß weiter lockern“, Die Welt v. 23.07.1999. Diese Unentschlossenheit der Politik, die zu Rechtsunsicherheit führt, kritisiert der Verfassungsrechtler Degenhart, vgl. Müller, U., a.a.O. Das Land Berlin z.B. bringt einerseits eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat ein, will aber gleichzeitig nach Aussage des Regierenden Bürgermeisters, „bei Ausnahmeregelungen bis an die Grenze des Möglichen gehen“, vgl. „Feste werden Hebel zur Sonntagsöffnung“, FAZ v. 14.08.1999.

58 Nach § 10 Abs. 1 Nr. 15 Arbeitszeitgesetz ist Sonn- und Feiertagsarbeit z.B. dann zulässig, wenn ansonsten Arbeitsergebnisse misslingen würden.

59 So geht z.B. der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister davon aus, daß sich die anfänglich an den Sonntagen erzielten Verkaufserfolge nicht dauerhaft wiederholten, „Düsseldorf kritisiert Vorpreschen“, FAZ v. 03.08.1999. Erstaunlicherweise ist in der heutigen Diskussion die Unternehmerseite nicht uneingeschränkt für die Öffnung der Läden auch an Sonn- und Feiertagen. So sind z.B. die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe im Einzelhandel und der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels gegen eine generelle Ladenöffnung an den Sonntagen, vgl. „Der Streit über die Ladenöffnung spitzt sich zu“, FAZ v. 05.08.1999. Auch der deutsche Städtetag will, daß am Sonntag, als Tag der Familie, die Geschäfte grundsätzlich geschlossen bleiben, vgl. „Städte verlangen Ladenöffnung bis 22 Uhr“, FAZ v. 01.10.1999. Nach einer Umfrage des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels ist die Mehrheit seiner Mitglieder lediglich zu einer Sonntagsöffnung an vier bis sechs Sonntagen im Jahr bereit, vgl. „Textilhandel für längere Samstagsöffnung“, FAZ v. 26.10.1999. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle geht davon aus, daß der Konsum nicht durch erweiterte Ladenöffnungszeiten wachsen werde, vgl. „Gerichte verhindern Sonntagsöffnung“, FAZ v. 21.08.1999.

60 So argumentiert z.B. die Stadtverwaltung Görlitz mit dem Fehlen jeglicher Ladenschlußregelungen in Polen, vgl. „Gewerkschaften und Kirchen kritisieren Ladenschluß in Sachsen“, FAZ v. 28.05.1999.

61 Für England vgl. z.B. Thibaut, Matthias, Die Stadt, die niemals schläft, in: Handelsblatt v. 15.02.1999. Ein Überblick über die Regelungen in Europa in: „Einkaufen in Europa“, FAZ v. 07.08.1999.

62 Vgl. Washingtoner Arbeitszeitübereinkommen.

63 Erste Anzeichen für eine solche Entwicklung sind schon zu erkennen. So hat Sachsen-Anhalt „als Reaktion auf die Liberalisierung der Ladenschlußzeiten im Nachbarland Sachsen“ längere Öffnungszeiten ermöglicht, vgl. „Sachsen-Anhalt verlängert Öffnungszeiten für Geschäfte“ und „Ladenschluß ausgeweitet“, FAZ v. 17.07.1999.

64 Der Kaufhof z.B. muß seinen Mitarbeitern an verkaufsoffenen Sonntagen nach dem dortigen Tarifvertrag 120 Prozent Zuschlag zahlen, vgl. „Der Streit über die Ladenöffnung spitzt sich zu“, FAZ v. 05.08.1999.

65 So glaubt der Geschäftsführer des Kaufhofes in Halle, durch den Sonntagsverkauf zehn neue Arbeitsplätze schaffen zu können, vgl. „Läden im Osten erstmals am Sonntag offen“, FAZ v. 02.08.1999. Dagegen befürchtet der SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller den Wegfall [!] von bis zu 40.000 Arbeitsplätzen, falls das Verkaufsverbot an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich fallen sollte, vgl. „Neuerliche Sonntagsöffnung heizt Streit an“, FAZ v. 16.08.1999.

66 So auch Giersberg, G., a.a.O.

Articles Aug. 27, 2000
© 2000 fhi
ISSN: 1860-5605
First publication
Aug. 27, 2000

DOI: https://doi.org/10.26032/fhi-2019-008