Frankfurt am Main / Mannheim
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I. Folter und Hexenprozeß |
Die Hexenverfolgung bildet das schwärzeste Kapitel der europäischen
und namentlich der deutschen Justizgeschichte. Wie man spätestens
seit den berühmten Schriften von Friedrich von Spee und Christian
Thomasius weiß, wäre die massenhafte Aburteilung der Opfer
von Hexereibeschuldigungen ohne das Instrument der strafprozessualen Folter
praktisch undenkbar gewesen. | 1 |
Der Hexenprozeß war kein Phänomen eines, wie man meinen könnte,
finsteren Mittelalters. Es handelt sich vielmehr um
ein spezifisches Phänomen der frühen Neuzeit. Für Deutschland
ist dies offenkundig durch den charakteristischen Verlauf der Verfolgung
in mehreren Prozeßwellen, deren Höhepunkte in den Jahren um
1562, 1590, 1626 und 1650 lagen.2 | 2 |
Die europäische Hexenverfolgung avancierte in den letzten Jahrzehnten
zu einem zentralen Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Im unüberschaubar
gewordenen Schrifttum trifft man auf eine Fülle konkurrierender Deutungsansätze,
teils monokausalen, überwiegend multikausalen Zuschnitts.3
Von einer annäherend konsentierten Erklärung für die Katastrophe
der justizförmigen Hinrichtung unzähliger unschuldiger Opfer
- mögen es nun Millionen oder nur Hunderttausende
gewesen sein4
- kann noch keine Rede sein. Weitgehende Übereinstimmung herrscht
immerhin über die Einsicht, daß man die Verfolgung nicht losgelöst
von den komplexen gesamtgesellschaftlichen Strukturen der frühen
Neuzeit interpretieren kann, insbesondere von sozialen, geschlechtsspezifischen,
mentalitätsmäßigen, wirtschaftlichen, religiösen,
politischen und justiziell-juridischen Faktoren. | 3 |
Das gilt selbstverständlich auch für die strafprozessuale
Folter als unverzichtbarem Element der Verfolgungen. Die Frage nach der
generellen Rolle und Funktion der Folter weist über das spezifische
Phänomen der Hexenprozesse hinaus, gehörte sie doch ganz allgemein
zu den strukturbildenden Merkmalen des frühneuzeitlichen Strafverfahrens.5 | 4 |
II. Carpzovs Bedeutung für die deutsche Rechtspraxis |
Wenn man nach den Grundlagen des deutschen Strafprozeßrechts in
jener Epoche fragt, so fällt der Blick unvermeidlich auf Sachsen.
Die sächsische Jurisprudenz entfaltete seit der Mitte des 16. Jahrhunderts
einen starken Einfluß auf die Rechtsentwicklung und Gerichtspraxis
im Alten Reich. Diese Wirkung hielt mindestens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts
an, zum Teil reichte sie noch darüber hinaus.6
In jenem Zeitraum erfuhr auch die strafprozessuale Folter im deutschen
Strafprozeß ihre volle normative Ausgestaltung und den Höhepunkt
ihrer Anwendung. | 5 |
Die gedruckten Entscheidungssammlungen jener Zeit bieten einen guten
Indikator für den Stellenwert Sachsens. Diese Gattung der juristischen
Literatur war damals von zentraler Bedeutung, wie schon die Zahl der einschlägigen
Werke und ihrer Auflagen vor Augen führt.7
In Deutschland erschienen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ausgang
des 18. Jahrhunderts mindestens 340 Sammlungen mit Urteilen (decisiones,
sententiae) und Rechtsgutachten (consilia, responsa).
Die Gutachten stammen zum Großteil von den Kollegien der juristischen
Fakultäten bzw. der sogenannten Schöffenstühle. In beiden
Gruppen - Dezisionen wie Konsilien - ist das Übergewicht der Sammlungen
aus dem sächsischen Raum offenkundig.8
Ihre Verfasser und Herausgeber waren Professoren und Rechtspraktiker im
Umfeld der Universitäten bzw. Schöffenstühle Leipzig, Wittenberg,
Jena und Helmstedt. | 6 |
Viele der Juristen, die zur Führungsrolle Sachsens beitrugen, sind
heute weitgehend in Vergessenheit geraten.9
Einen gewissen Grad an Bekanntheit besitzen Matthaeus Wesenbeck (1531-1586),
Dominicus Arumaeus (1579-1637) und Georg Adam Struve (1619-1692). An erster
Stelle steht aber zweifellos Benedict Carpzov (1595-1666). Er war Richter
am Appellationsgericht Dresden, dem obersten Gericht Sachsens, primus
ordinarius am renommierten Leipziger Schöffenstuhl10
sowie Richter am Oberhofgericht und am Kirchengericht in Leipzig. Einige
Jahre amtierte er zudem als primus ordinarius an der Universität
Leipzig und als geheimer Rat des Kurfürsten in Dresden.11
Daneben publizierte er umfangreiche Werke zum Zivil-, Straf-, Kirchen-
und Prozeßrecht, die allesamt neun bis zehn Auflagen erreichten.12
Berühmt wurde vor allem seine Practica nova Imperialis saxonica
rerum criminalium (erste Auflage 1635, letzte Auflage 1752). | 7 |
Carpzov ist nicht nur als eine herausragende Einzelperson zu sehen.
Ohne die Urteile und Konsilien des Leipziger Schöffenstuhls und der
sächsischen Obergerichte wäre sein Werk in dieser Form undenkbar
gewesen. Die Auswahl, die er in seinen Stellungnahmen zu den unzähligen
Streitfragen des ius commune und bei der Interpretation deutscher
Gesetze traf, war fast immer durch die Präjudizien aus der sächsischen
Praxis vorgezeichnet.13
Zu diesem Zweck hatte er unter anderem 400 handschriftliche Foliobände
mit zahllosen Entscheidungen des Leipziger Schöffenstuhls aus der
Zeit von etwa 1575-1635 ausgewertet.14
Auf diese Präjudizien wies er in allen einschlägigen Einzelfragen
hin und zitierte in kurzen Textauszügen häufig auch wörtlich.
| 8 |
Der Begriff Schöffenstuhl ist mißverständlich,
weil er an Rechtspflege durch Laienrichter erinnert. In der damaligen
Fachterminologie benutzte man die Bezeichnung scabinatus (lipsiensis).
Spätestens seit dem 16. Jahrhundert bestand der Leipziger Schöffenstuhl
im wesentlichen aus professionellen Juristen, die gegen Zahlung von Gebühren
bzw. Honoraren Rechtsgutachten für Gerichte und Privatpersonen ausarbeiteten.
Die sächsischen Kurfürsten hatten dem ehemals städtischen
Kollegium seit dem Jahr 1574 eine zentrale Stellung in der Gerichtsverfassung
zugewiesen.15
Mindestens drei der sieben ordentlichen Assessoren mußten den höchsten
juristischen Qualifikationsgrad (doctor utrisque iuris) besitzen.
Sie entschieden nicht nur nach sächsischen Rechtsquellen,sondern
auch nach ius commune. Carpzovs Werke dokumentieren, daß
das gemeine Recht im ganzen deutlich überwog. | 9 |
Wenn sich Carpzov in allen praxisrelevanten Fragen an den Vorgaben der
sächsischen Praxis orientiert hatte, so kehrte sich dieses Verhältnis
nach dem Erscheinen seiner Schriften um. Diese wurden ihrerseits zum richtungweisenden
Maßstab der sächsischen Urteils- und Konsilienpraxis; Carpzov
wurde dadurch zum Sinnbild der sächsischen Jurisprudenz. Heute wird
er als der praktisch wie wissenschaftlich vielleicht einflußreichste
deutsche Jurist überhaupt bezeichnet.16
Angesichts der komplexen Lage im Alten Reich, das in zahllose Territorien
zersplittert war, muß man sich freilich vor allzu pauschalen Aussagen
hüten. Andererseits lassen zeitgenössische Quellen durchaus
eine einzigartige Stellung vermuten. | 10 |
So nahm Carpzov in den strafrechtlichen Konsilien der Juristenfakultät
Basel bis ins 18. Jahrhundert eine fast gesetzesähnliche
Stellung ein.17
In manchen Konsiliensammlungen aus dem deutschen Raum wurde er im 17.
und 18. Jahrhundert beinahe ausschliesslich zitiert.18
Das entspricht der These von Augustin Leyser (1683-1752), einem der großen
Juristen des 18. Jahrhunderts, daß Carpzov faktisch legislatoriam
potestam besessen habe, die sich auf den Gerichtsgebrauch in
ganz Deutschland (usus fori in tota Germania) gegründet
habe.19
Ein Anwaltslehrbuch aus dem Jahr 1751 läßt vermuten, daß
Carpzovs Einfluß auch in jener Zeit noch spürbar war. Das Buch
enthält eine Liste mit Werken, die für einen Practico
im Zivilprozeß unentbehrlich seien.20
An vorderer Stelle in dieser Aufzählung trifft man auf Carpzovs Jurisprudentia
forensis.21
In der entsprechenden Aufzählung der vornehmsten und besten
Bücher für den Strafprozeß stößt
man ebenfalls sogleich auf Carpzov.22 | 11 |
Gleichwohl bewertet ein großer Teil der älteren Sekundärliteratur
sein Werk auffallend kritisch. Die wichtigste Ursache dieser demonstrativen
Geringschätzung liegt paradoxerweise in seiner außerordentlichen
Bedeutung. Seine herausragende Stellung machte Carpzov zu einer Symbolfigur,
der man ungeprüft die stellvertretende Verantwortung für alle
Mißstände des vormodernen Strafrechts zuschrieb. Zum Beispiel
zählt man ihn zu den entschiedensten Anhängernder Folter. Er habe ihre Zulässigkeit völlig in die Willkür
des Richters gestellt und obendrein in der Leichtfertigkeit und
Grausamkeit seines Denkens allein in Hexenprozessen zwanzigtausend
Todesurteile unterschrieben.23 | 12 |
Bei dieser Zahlenangabe handelt es sich nicht nur um eine überhöhte
Schätzung, sondern um eine absurde Behauptung, die ihren Ursprung
im späten 17. Jahrhundert hat.24
Ausweislich der archivalischen Quellen war Carpzov lediglich an zwei Hexenprozessen
persönlich beteiligt, die beide mit der Freilassung der Angeklagten
endeten.25
Vor diesem Hintergrund folgerte der Historiker Otto Ulbricht im Jahr 1992,
daß die tradierte Vorstellung von Carpzov als Blutrichter
jeder rationalen Grundlage entbehre. | 13 |
Diese Ansicht blieb jedoch keineswegs unwidersprochen. Der Historiker
Sönke Lorenz - ebenfalls ein ausgewiesener Kenner der Strafrechtsgeschichte
- vertritt die These, daß Carpzov die Lehrsätze der maßgebenden
Theoretiker der Hexenverfolgung fortgeschrieben und juristisch dogmatisiert
habe. Dadurch habe er in seiner PracticaNova ein
verhängnisvolles System errichtet, das in der Gerichtspraxis
zum Tod zahlloser Opfer beitrug.26 | 14 |
Lorenz verweist unter anderem auf einen Prozeß im Jahr 1660, in
dem eine Frau in Leipzig der Hexerei angeklagt war. Nach wiederholter
Folterung schärfsten Grades und unbeschreiblichem Martyrium kam sie
zu Tode, ohne daß ihr ein Geständnis abgepreßt worden
wäre.27
Soweit aus den Gerichtsakten ersichtlich, war Carpzov an dem Verfahren
nicht beteiligt. Über eine mittelbare Wirkung seiner einflußreichen
Schriften besagt das aber nichts. Sie waren - so jedenfalls die Diagnose
von Lorenz - nicht dazu angetan, Unschuldige vor der Folter und
dem Scheiterhaufen zu bewahren.28 | 15 |
Blicken wir also zum Thema Folter in Carpzovs Practica Nova,
die wichtigste Grundlage des deutschen Strafprozeßrechts im 17.
Jahrhundert. Vorab sei dabei betont, daß die vorliegende Abhandlung
keine Stellung zu der Frage bezieht, wie Carpzovs spezielle Beiträge
zum Thema Hexenprozeß zu deuten sind. Dabei handelt es sich um eine
offene Forschungsfrage, die noch genauerer Untersuchung bedarf. | 16 |
III. Carpzovs Legitimation der Folter |
Ein Strafprozeß ohne Folter (quaestio) scheint
für Carpzov tatsächlich undenkbar gewesen zu sein. Als quaestio
definierte er das Verhör zur Ermittlung der Wahrheit durch Qualen
und körperlichen Schmerz (Quae est inquisitio sive interrogatio
ad ereundem veritatem per tormenta & corporis dolorem).29
Ihre Legitimität begründete er mit vier Argumenten, ohne prinzipielle
Gegner der Folter auch nur zu erwähnen. | 17 |
Erstens berief er sich auf das Gemeinwohl. Es gebiete, Straftaten nicht
ungestraft zu lassen (favor commodi publici, quod delicta non
vult remanere impunita). Das öffentliche Interesse steige
mit der Schwere des jeweiligen Delikts.30
Ohne die Folter seien die Erforschung der Wahrheit und eine effiziente
Strafverfolgung geradezu unmöglich. Verbrechen würden sehr häufig
im Verborgenen begangen, so daß es an Zeugen oder anderen Beweisen
mangele.31 | 18 |
Zweitens stützte er sich auf das römische Recht. Zur Erforschung
von Verbrechen habe man, wie Ulpian bezeuge, die Folter anzuwenden gepflegt
(vgl. D. 48.1.1.pr.). Paulus habe zu einem Edikt von Kaiser Augustus hervorgehoben,
daß die quaestio nur dann benutzt werden dürfe, wenn
es sich um schwere Verbrechen handele, die nicht mit anderen Mitteln aufgedeckt
werden könnten. In diesem Fall sei sie aber - so Paulus in D. 48.8.pr.
- höchst wirksam zur Erforschung der Wahrheit und müsse angewendet
werden.32 | 19 |
Bei seinen Zitaten aus dem Digestentitel De quaestionibus (D.
48.18) überging Carpzov den Umstand, daß die meisten Fragmente
nur die Folterung von Sklaven betrafen. Nur wenige Stellen lassen sich
zumindest nach ihrem Wortlaut auch auf die quaestio gegen freie
Bürger beziehen (vgl. 48.18.15/16; 48.18.18.1-4). Für die Paulusstelle
gilt das gerade nicht. Andere Quellen, etwa D. 48.18.12, drängen
sogar zum Umkehrschluß, daß die Folter gegen Freie prinzipiell
ausgeschlossen war.33 | 20 |
In gewissem Grad war Carpzovs Berufung auf das römische Recht gleichwohl
berechtigt. Es war zwar eine der Großtaten der römischen
Zivilisation, die Folter immerhin gegen freie Bürger ausgeschlossen
zu haben. Uneingeschränkt galt dies jedoch nur für die Zeit
der Republik. Im Prinzipat und in der Kaiserzeit war die Praxis keineswegs
einheitlich.34
Dies spiegelt sich im Codextitel De quaestionibus (C. 9.41), der
in mehreren Stellen die Zulässigkeit der Folter auch gegen Freie,
insbesondere gegen Plebejer, dokumentiert (vgl. C. 9.41.8.pr., 9.41.11,
9.41.16, 9.41.17). Bezeichnenderweise ordneten manche Kaiserkonstitutionen
ausdrücklich eine Befreiung des erblichen senatorischen Adels und
der Ritterschaft an. Offenbar war dies zu jener Zeit keineswegs mehr selbstverständlich
(vgl. z.B. C. 9.41.8.1, 9.41.11). Obendrein war bei manchen Verbrechen
- insbesondere dem crimen laesae maiestatis - die Folter ohnehin
gegen jede Person zulässig (vgl. Paulus 5.29.2, C.Th. 9.5.1, 9.35.1,
9.16.6, 9.19.1). | 21 |
Drittens bezog sich Carpzov auf die Peinliche Halsgerichtsordnung
von Kaiser Karl V. (Constitutio Criminalis Carolina, CCC), und
zwar mit voller Berechtigung. Die Carolina war eine Strafprozeßordnung,
in die eine Reihe von Normen zum materiellen Strafrecht eingeflochten
waren.35
Im Zentrum ihres Beweisrechts stand die Folter. Der Reichsgesetzgeber
hatte zwar in klarer Erkenntnis der Gefährlichkeit
der Folter zahlreiche Schutzbestimmungen erlassen, wobei er sich an den
Lehren des ius commune orientierte. Diese gemeinrechtliche Grundlage
wird vordergründig verdeckt durch die sprachliche Fassung der Carolina
in altertümlichem Deutsch, das über keine elaborierten Rechtsbegriffe
verfügte. Die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers war aber eindeutig.
Die Folter war ein zentraler Bestandteil des geltenden Reichsstrafprozeßrechts.
Ihre Zulässigkeit stand im Prinzip - von allen Kautelen bei der Anwendung
abgesehen - außer Frage.36 | 22 |
Viertens gründete Carpzov sein Votum auf das ius commune,
das im Anschluß an das römische Recht ebenfalls von der Zulässigkeit
der Folter ausging. Wie in Carpzovs gesamten Schriften, so bildeten die
großen Werke des europäischen Gemeinrechts auch hier stets
den Ausgangspunkt, die Hauptgrundlage und das Gewand seiner
Darstellung.37
Besonders häufig berief er sich auf den italienischen Kriminalisten
Julius Clarus (1525-1575).38
Unter den deutschen Autoren bezog er sich im Kontext der Folter am häufigsten
auf den Tractatus de quaestionibus seu torturis (1. Auflage 1595)
von Johann Zanger, einem Wittenberger Professor, der auch Assessor am
Wittenberger Schöffenstuhl und am Hof- und Kirchengericht war.39
Dieser einflußreiche Traktat, der es bis 1730 auf elf Auflagen brachte,40
baute vollständig auf dem römisch-kanonischen Recht auf. Nur
beiläufig äußerte sich Zanger, der als überaus
tüchtiger Praktiker41
galt, zu einzelnen Abweichungen de jure Saxonico.42 | 23 |
Als fünften Punkt der Legitimationsgrundlage könnte man das
ius saxonicum erwarten. Im Rahmen der Folter bezog sich Carpzov
aber nur dann auf sächsisches Recht, wenn es um Besonderheiten der
Gesetzgebung im 16. Jahrhundert ging. Ältere Rechtsquellen sächsischer
Provinienz spielen insoweit keine erkennbare Rolle. Dieser Befund ist
nicht verwunderlich. Die mittelalterlichen Quellen, insbesondere der Sachsenspiegel
vom Anfang des 13. Jahrhunderts, thematisieren die Folter nicht. Zum Gegenstand
der sächsischen Gesetzgebung wurde sie anscheinend erst im 16. Jahrhundert,
wobei es nur um Einzelregelungen zu praktischen Streitfragen ging. Das
spricht gegen die tradierte These von Eberhard Schmidt, daß sich
die strafprozessuale Folter in Deutschland autonom das heißt
unabhängig vom römisch-gemeinen Recht - entwickelt habe. Schmidts
These muß spätestens seit der grundlegenden Abhandlung von
Winfried Trusen über Strafprozeß und Rezeption
aus dem Jahr 1984 als widerlegt gelten.43 | 24 |
Den normativen Ausgangspunkt bildete bei Carpzov regelmäßig
die Rechtslage im gemeinen Recht. Anschließend diskutierte er die
einschlägigen Regelungen der Carolina und schließlich
- an letzter Stelle und relativ kurz - spezielle Vorgaben der Sächsischen
Gesetzgebung.44
Seine Argumentation war von dem angestrengten Bemühen bestimmt, eine
widerspruchsfreie Synthese zwischen den communes opiniones des
ius commune, der Carolina und dem jüngeren sächsischen
Recht zu erzielen.45
Diese Tendenz prägt nicht nur seine Darstellung zur Folter, sondern
sein Gesamtwerk, sowohl im Straf- wie im Zivilrecht. | 25 |
Es liegt auf der Hand, daß dieses synthetische, harmonisierende
Vorgehen an zahllosen Punkten an unüberwindbare Grenzen stieß.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde Carpzov dafür kritisiert, daß
er viele Stellen des römischen Rechts, Lehrmeinungen des ius commune
und Vorschriften der Carolina verzerrt habe. Diese Kritik war -
bezogen auf den jeweiligen Einzelfall - wohl zumeist zutreffend, in ihrer
Tendenz jedoch ahistorisch. Sie ignorierte, daß Carpzovs Leistung
und historische Mission gerade in dieser synthetisierenden, rechtsvereinheitlichenden
Funktion bestand. Der Bedarf für eine Synthese der Rechtsquellen
unterschiedlichster Herkunft war im Deutschland des 17. Jahrhunderts,
nach dem Abschluß der Rezeption des römisch-kanonischen Rechts,
eminent hoch. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Unternehmen
ohne die zielstrebige - wenn man will: verzerrende - Interpretation der
einzelnen Quellen und Lehrsätze undurchführbar war. Im Ergebnis
wurde Carpzov dadurch zum Begründer des deutschen Strafrechts.46 | 26 |
IV. Carpzovs Kritik der Folter |
Carpzov verknüpfte sein Votum für die Zulässigkeit dieses
Zwangsmittels mit sehr deutlichen Warnungen. Schon im Prinzip sei die
Folter als gräßlich und hochgradig schädlich anzusehen.
Man könne nicht leugnen, daß nichts grausamer und inhumaner
sei, als einen Menschen, der nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sei,
unter der Folter zu zerreißen und gleichsam zu zerfleischen (nihilque
tam crudele & inhumanum, quam hominem ad imaginem Dei conditum tormentis
lacerare, & quasi excarnificare, negari nequit).47
Deshalb sei zu vermuten, daß die quaestio in Rom ursprünglich
von tyrannischen Herrschern wie Tarquinus Superbus eingeführt worden
sei.48
Völlig zu Recht klage man darüber, daß sie irreparable
Schäden verursache.49 | 27 |
Auf dieses Argument kam Carpzov bei der Behandlung von Einzelfragen
immer wieder zurück. Zum Beispiel referierte er zustimmend ein consilium
iudiciale des Leipziger Schöffenstuhls vom Juli 1588. Das Gutachten
betraf ein Strafverfahren wegen fortgesetzter Unterschlagung von Silber.
Ein Angestellter eines Silberbergwerks war angeklagt, im Laufe von 26
Jahren unzählige kleine Silberkörnchen unterschlagen zu haben.
Unter der Folter legte er ein Geständnis ab, das der Schöffenstuhl
jedoch nicht als Grundlage der Verurteilung genügen ließ. Es
mangele nämlich am corpus delicti, das wegen der Schädlichkeit
der Folter unverzichtbar sei, auch wenn dies zu Beweisproblemen führe.50
Ohne vorherigen Beweis des corpus delicti könne ein erfoltertes
Geständnis dem Angeklagten selbst dann nicht nachtheilig
seyn, wenn er es anschließend bestätige.51 | 28 |
Die Folter sei - so Carpzovs zweites Argument - obendrein ein trügerisches
und gefährliches Instrument. Häufig täusche es über
die Wahrheit hinweg (Quin & hoc indagandi criminis genus
res fragilis est & periculosa, quae veritatem saepius fallit).52
Auch diesen Aspekt rief er bei Einzelfragen immer wieder in Erinnerung,
wobei er sogar zum Superlativ griff. Zum Beispiel erklärte er die
nachträgliche Bestätigung eines erfolterten Geständnisses
(ratificatio)53
mit diesem Argument für unerläßlich (quia tortura
res periculosissima est, & saepius fallit).54 | 29 |
Bei diesen Warnungen knüpfte er an eine berühmte Ulpianstelle
an (D. 48.18.23), in der die quaestio nicht nur als gefährlich,
sondern sogar als höchst zweifelhaft bezeichnet wird. Man wisse -
so Carpzov - aus Erfahrung, daß mancher Straftäter jeder Folter
widerstehen könne.55
Viele Menschen seien dagegen so unfähig, Schmerzen zu ertragen, daß
sie es vorzögen, alles Beliebige zu gestehen. Das habe oft zur Folge,
daß sie nicht nur sich selbst, sondern auch andere Unschuldige denunzierten.
Schon der Kaiser Justinian warne im 13. Kapitel seiner Novelle 134 davor,
daß viele Menschen lieber sterben würden als die Tortur zu
erdulden.56 | 30 |
Deshalb könnten die Richter mit dem unbeschränkten Einsatz
der Folter beliebige Geständnisse erzielen. Dies sei aber vollkommen
sinnwidrig und nach weltlichem wie kirchlichem Recht streng verboten.57
Einsichtigere und klügere Richter würden mit gutem Grund vor
einer derart illegitimen und grausamen Prozeßführung zurückschrecken
(sed ab hoc processu illegitimo, crudeli ac vere illegitimo saniores
ac prudentiores judices merito abstinent, eumque abhorrent).58
Leider jedoch müsse man schmerzerfüllt ausrufen (qua
in re proh dolor!),59
daß die Praxis ein ganz anderes Bild biete. Wie glaubhaft berichtet
werde, bedrohe ein höchst gefährlicher Mißbrauch fast
ganz Europa (abusum nempe omnium periculosissimum totam fere
Europeam infestare). Die Folter werde im Widerspruch zu allen
Rechtsbegriffen, bewährten Bräuchen und Gewohnheiten schrankenlos
verwendet. Es gelte als belanglos, ob der Strafprozeß rechtmäßig
geführt werde. Zahllose Menschen würden dazu gezwungen, Verbrechen
zu gestehen, die sie niemals begangen hätten. Sobald man ihnen das
erwünschte Geständnis abgepreßt habe, würden sie
abgeurteilt, verbrannt und zerfleischt (protinus condemnentur,
comburantur, secentur).60 | 31 |
Insbesondere bei der Durchführung der Folter werde in den heutigen
Tagen von den meisten Richtern gesündigt (hodie a plerisque
judicibus peccatur). Viele Richter würden nicht der gesamten
Prozedur beiwohnen, sondern den Folterkeller verlassen, um zu essen oder
zu trinken. Dabei ließen sie den Angeklagten ungeschützt in
seinen Qualen zurück, in den Händen grausamer Henkersknechte,
die zu weiteren Exzessen neigten. Nicht selten ereile die unglücklichen
Opfer auf diese Weise der Tod.61
Andere Richter verhielten sich in Wahrheit ohnehin wie Henker (carnifeces
non judices). Bleibe das gewünschte Geständnis wider
Erwarten aus, würden sie oftmals die Verdopplung der Tortur befehlen
(saepenumero tormenta duplicari jubent). An manchen
Gerichten werde dies schier endlos getrieben. Die Opfer würden solange
geschunden, bis - bildlich gesprochen - die Sonne durch ihre Körper
hindurch scheine.62 | 32 |
V. Carpzovs Kompromißstrategie |
Carpzov verfolgte eine Strategie des Kompromisses und folgte erklärtermaßen
der Leitlinie, die das späte römische Recht, die communis
opinio des ius commune und die Carolina vorzeichneten.
Einerseits erklärte er die Folter als Instrument zur strafprozessualen
Wahrheitsfindung für schlechterdings unverzichtbar (nihilominus
tamen suadente necessitate, quo veritas exquiratur, tormenta adhibenda
sunt). Andererseits wies er nachdrücklich auf ihre schweren
Folgen, ihre trügerischen Ergebnisse und die extreme Gefahr ihres
Mißbrauchs hin. Mit dieser Begründung machte er ihre Zulässigkeit
im Prinzip von strengen rechtlichen Voraussetzungen abhängig. An
vielen kritischen Einzelpunkten lockerte er diese Voraussetzungen dann
jedoch wieder auf, wenn ihm dies im Interesse einer effizienten Strafverfolgung
angeraten schien. Dieser Kompromiß durchzog seine gesamte Darstellung,
die sich in seiner Practica Nova über elf Kapitel erstreckte.
Die Hauptpunkte waren folgende: | 33 |
Ein Richter, der unrechtmäßige Folterung durchführe,
müsse nicht nur mit der Strafe Gottes rechnen. Wie die Judikatur
des Leipziger Schöffenstuhls zeige,63
treffe ihn auch eine Schadenersatzpflicht.64
Bei vorsätzlichem Handeln drohe obendrein eine peinliche Strafe,
die bis zu einem Todesurteil reichen könne.65 | 34 |
Die Folter sei nicht schon dann zulässig, wenn ein Angeklagter
tatverdächtig erschien. Diese Beschränkung sei unverzichtbar,
damit keine Unschuldigen den Torturen unterworfen würden (ne
innocentes tormentis subjiciantur).66
Vielmehr müsse der Angeklagte schon beinahe vollständig überführt
sein, so daß nur noch sein Geständnis zu fehlen scheine, wie
schon Ulpian in D. 48.18.1.1 fordere. In diesem Fall sei die Anwendung
der quaestio aber auch geboten, damit kein schuldiger Angeklagter
seiner wohlverdienten Strafe entfliehe (ne reus poenam promeritam
effugiat).67
Bekanntlich habe bereits Augustinus die Folter verabscheut, aber hinzugefügt,
daß der Richter durch die Notwendigkeit für die menschliche
Gesellschaft entschuldigt werde, sofern er die Tortur in verständigem
Maß und rechtmäßig anwende.68 | 35 |
Die Folter sei nur zur Ermittlung schwerer Straftaten zulässig,69
bei denen als ordentliche Strafe (poena ordinaria)
die Todesstrafe oder eine harte Körperstrafe drohe.70
Sie komme nicht in Betracht, wenn für das Delikt zwar generell die
Todesstrafe gelte, im konkreten Fall aber Strafmilderungsgründe vorlägen,
die eine Kapitalstrafe ausschlössen. Daher seien stets alle Umstände
des Einzelfalls sorgfältig zu erwägen (omnesque ac
singulas circumstantias criminis probe & exacte perpendere debere).71 | 36 |
Die Folter sei grundsätzlich nur zulässig, wenn zuvor
das corpus delicti mit regulären Beweismitteln festgestellt
worden sei. Notwendig sei der Beweis, daß die Straftat als solche
tatsächlich begangen worden sei (certitudine facti, ut nempe
de corpore delicti certo constet, illudque vere perpetratum fuissse apparet),
so daß nur noch die Täterschaft des Angeklagten zu ermitteln
sei.72
Anderenfalls verstoße eine Folterung gegen feststehendes Recht und
sei null und nichtig (contra jura manifesta, nulla & invalida).73 | 37 |
Allerdings würde die konsequente Befolgung dieser Regel
zu untragbaren Defiziten in der Strafverfolgung führen. Der volle
Beweis des corpus delicti sei oft unmöglich, obwohl zwingende
und unbezweifelbare Indizien74
vorlägen, die niemand mit gesundem Verstand leugnen könne (ex
praesumtionibus certis & indubitatis, nemo sane mente negaverit).
So könne eine Leiche fast nie gefunden werden, wenn sie der Mörder
in das Meer werfe. Daher müsse die corpus-delicti-Regel bei
gewissen Delikten im öffentlichen Interesse eingeschränkt werden.75 | 38 |
Das gelte namentlich bei Straftaten, die gewöhnlich im Verborgenen
geschähen und keine Spuren hinterließen (criminibus
occultis & facti transeuntis). Hier könne das corpus
delicti nur durch Vermutungen und Indizien (aliter constare
non potest, nisi per conjecturas & indicia) festgestellt
werden. Daher seien bloße Vermutungen (praesumptiones)
insoweit dem Vollbeweis gleichzustellen. Dies werde von Clarus, Farinacci
und vielen anderen gelehrt und entspreche auch Art. 6 und 8 CCC.76 | 39 |
Grundsätzlich müsse die Täterschaft des Angeklagten
durch die Indizien fast schon bewiesen sein.77
Ohne rechtmäßige und genügende Indizien dürfe die
Folter keinesfalls angeordnet werden.78
Diese Beschränkung sei wegen der rechtswidrigen, grausamen und mitunter
geradezu diabolischen Mißbräuche der Folter von besonderer
Bedeutung.79
Ein Geständnis, das dem Angeklagten unter Verstoß gegen diese
Regel abgepreßt werde, könne ihn nicht belasten und biete keine
Grundlage für eine Verurteilung (vgl. auch Art. 20 CCC).80 | 40 |
Die Indizien müßten ihrerseits mit regulären
Beweismitteln bewiesen sein, im Regelfall durch zwei Zeugen. Allerdings
gelte diese strenge Regel nur bedingt. Sofern wenigstens ein Zeuge
vorhanden sei, der die Tat mit eigenen Augen beobachtet habe, liefere
seine Aussage zumindest halben Beweis, was für die Folter bereits
genügen könne.81 | 41 |
Hierfür müßten allerdings drei Bedingungen erfüllt
sein: Der einzelne Zeuge müsse als Person über alle Einwendungen
erhaben sein (omni exceptione major), müsse aus
eigener unmittelbarer Wahrnehmung berichten und das mit unmißverständlicher
Klarheit (dilucidis & indubitatis de crimine testificetur).82 | 42 |
Bei Kapitalverbrechen dürften mehrere unvollständige
Aussagen einzelner Zeugen und andere Beweismittel, die nur einen partiellen
Beweis lieferten, zum vollen Beweis der Indizien zusammengefügt werden.
Dies entspreche der herrschenden Meinung und sei im Prinzip völlig
zutreffend (Verissimum tamen est, plures imperfectas probationes
in causis capitalibus conjungendas esse ad plenam probationem faciendam).83 | 43 |
Allerdings sei diese Regel nur anzuwenden, wenn es sich um unanfechtbare
Zeugen handele, die ihre Aussagen über tatnahe Indizien erstatteten.
Die Aussagen müßten in ihrer Gesamtwirkung dazu geeignet sein,
der Seele des Richters fast volle Sicherheit über die Täterschaft
des Angeklagten zu vermitteln (quae reddant animum judicis quasi
certum).84 | 44 |
Die Beurteilung des Beweiswerts der Indizien müsse vor allem
dem Ermessen und der Urteilskraft eines klugen Richters überlassen
bleiben (sed potissimum arbitrio ac discretioni judicis prudentis
aestimanda & judicanda relinqui debeant). Er habe alle belastenden
und entlastenden Indizien und Vermutungen zusammenzustellen und sorgsam
gegeneinander abzuwägen, um festzustellen, ob die belastenden Umstände
stärker und wahrscheinlicher seien. Zur Folter dürfe er nur
dann schreiten, wenn er zum Ergebnis gelange, daß das Belastungsmaterial
die Argumente der Verteidigung überwiege.85
Im Zweifel sei stets zugunsten der Milde (semper in mitiorem
partem), also gegen die Zulässigkeit der Folter, zu entscheiden.86 | 45 |
Ein Geständnis, das unter Verstoß gegen diese Regeln
erfoltert worden sei, tauge nicht als Grundlage einer Verurteilung. Das
gelte selbst dann, wenn der Angeklagte das erzwungene Geständnis
anschließend bestätige und obendrein Indizien ermittelt würden,
welche die Tortur nachträglich rechtfertigten. Dadurch werde der
Mangel an hinreichenden Indizien im Zeitpunkt der Folterung (defectum
indiciorum praecedentium) nicht geheilt.87 | 46 |
Auch eine nachfolgende, scheinbar freie Bestätigung (ratificatio)
des erfolterten Geständnisses sei dann unerheblich. Stets sei nämlich
zu vermuten, daß die Angst des Angeklagten vor der Tortur fortwirke.88
Deshalb sei eine Verurteilung des Angeklagten zur vollen Strafe auf dieser
unzureichenden Grundlage unwirksam.89
In Betracht komme allenfalls eine mildere, außerordentliche Strafe
(poena extraordinaria, poena arbitraria),90
das heißt eine Geldstrafe, kurze Haftstrafe oder Landesverweisung.91 | 47 |
Auch ein Befehl des Herrschers, der die Folterung anordne, entbinde
das Gericht nicht von diesen rechtlichen Voraussetzungen. Zur Befolgung
des rechtswidrigen Befehls sei der Richter nicht verpflichtet. Wenn er
ihn gleichwohl befolge, mache er sich schadenersatzpflichtig und strafbar.
Das Handeln auf fürstlichen Befehl entschuldige ihn nicht (nec
excusatur propter Principis jussum)92 | 48 |
Die Schwere der Tortur bemesse sich nach der Intensität
des Tatverdachts und dem Ermessen eines guten und vernünftigen Richters.
Bei der Durchführung der Folter müsse sich der Richter vor Übertreibungen
hüten. Keinesfalls dürfe er die Torturen unter dem Vorwand der
Wahrheitserforschung auf horrende Weise erweitern (sub veritatis
ereundae praetextu horrendis modis dilanient). Jeder Exzeß
von Richterseite führe zur Unverwertbarkeit eines Geständnisses.93 | 49 |
Bei mehreren Angeklagten sei im Prinzip zunächst der Tatverdächtigste
zu foltern. Der Leipziger Schöffenstuhl ordne aber - dies in Übereinstimmung
mit D. 48.18.18.pr. (Paulus) - häufig an, daß mit
dem Schwächsten der Anfang gemacht werde.94
Dann sei zum Beispiel der Sohn vor seinem Vater zu foltern. Es sei wahrscheinlich,
daß ein Vater, der seinen Sohn leiden sehe (qui videt cruciari
filium), ein spontanes Geständnis ablegen werde.95 | 50 |
Viele altertümliche Foltertechniken seien wegen ihrer übergroßen
Brutalität außer Gebrauch geraten. Aber auch in der heutigen
Gerichtspraxis herrsche eine große Vielfalt an Methoden, von denen
viele äußerst scharf seien.96
Die Richter sollten jedoch auf neue und unerhörte Formen verzichten
und den Scharfrichtern ihre Benutzung verbieten. Anderenfalls seien sie,
wie Clarus schreibe, eher mit Henkern als mit Richtern zu vergleichen
(carnificibus potius, quam judicibus sunt comparandi).97 | 51 |
Geboten sei die Beschränkung auf gebräuchliche und
weniger gesundheitsschädliche Methoden. Schon mit konventionellen
Mitteln könne man den Angeklagten unerträglichen Schmerz zufügen
und die Wahrheit entreißen (sed quae usitata sunt, &
minus periculi habent, veritas tamen per ea extorqueri potest).98 | 52 |
An sächsischen Gerichten
unterscheide man drei Foltergrade. Hinzu kämen zwei Vorstufen, die
keine Folter im eigentlichen Sinne (tortura ipsa) darstellten
und daher minder strengen Voraussetzungen unterlägen.
| 53 |
Die territio verbalis sei noch keine eigentliche
Folter. Gleichwohl zeige die Erfahrung, daß oft schon die verbale
Drohung mit der Folter zur Entwindung der Wahrheit (veritas saepius
extorquertur) führe. Deshalb werde sie vom Schöffenstuhl
angeordnet, wenn nur leichte Indizien gegen den Angeklagten vorlägen,
die keine eigentliche Folter rechtfertigten.99 | 54 |
Die territio realis bestehe in der Entkleidung
des Angeklagten, seiner Fesselung und dem Vorzeigen der Instrumente. Darüber
hinaus dürfe man ihm mit den Daumenschrauben leichten Schmerz zufügen.
Die Realterrition werde vom Schöffenstuhl gegen minderjährige
Angeklagte zugelassen, die wegen ihrer Jugend von der eigentlichen Folter
befreit seien.100 | 55 |
Außerdem komme die Realterrition bei leichteren Delikten
zum Einsatz, die nicht mit einer Todes- oder Körperstrafe geahndet
werden könnten. Das gleiche gelte, wenn gegen den Angeklagten zwar
erhebliche Indizien vorlägen, diese aber nicht vollständig bewiesen
oder glaubhaft seien.101
Schließlich werde sie zugelassen, wenn nach einer erfolglosen Folterung
neue, aber nur schwache Indizien gegen den Angeklagten gefunden würden
oder wenn die Höchstzahl an zulässigen Wiederholungen der Folter
erreicht sei.102 | 56 |
Der erste Grad der eigentlichen Tortur bestehe in Sachsen im
Zudrehen der Daumenschrauben. Erfahrungsgemäß werde schon dies
von manchen Angeklagten als unerträglich empfunden.103
Der zweite Grad bestehe im Aufziehen auf der Folterleiter (scala).
Ihre Verwendung sei so üblich, daß sie nicht selten mit der
Folter als solcher gleichgesetzt werde.104
Der dritte Grad verbinde das Aufziehen mit verschärfenden Prozeduren,
insbesondere dem Anhängen von Gewichten an den Beinen. Der Leipziger
Schöffenstuhl verfahre sehr zurückhaltend bei der Anordnung
dieses Grades.105 | 57 |
Denkbar sei auch der zusätzliche Gebrauch von Hitze und
die Zufügung leichterer Verbrennungen durch offenes Feuer. Weil ein
solches Vorgehen atrocissimus & horribilissimus
sei, dürfe es nur in besonders schweren Fällen verwendet werden,
namentlich bei Ausnahmeverbrechen (crimina excepta, atrocissima),
und selbst dann nur beim Vorliegen besonders schwerer Indizien.106 | 58 |
Zum Schutz des Angeklagten müsse die gesamte Prozedur der
Folterung, insbesondere die angewendeten Mittel, die Dauer und die Intensität,
durch einen erfahrenen Schreiber (Notar) protokolliert werden. Keinesfalls
genüge ein Bericht des Scharfrichters, der die Folterung durchführe.107 | 59 |
Die Stellung von Suggestivfragen sei untersagt.108
Was die Aussage des Angeklagten angehe, seien nur seine Äußerungen
nach der eigentlichen Folterung zu protokollieren. Es sei nämlich
unwahrscheinlich, daß er auf dem Höhepunkt seiner Schmerzen
eine wahrheitsgemäße Aussage machen könne.109 | 60 |
Ein erfoltertes Geständnis tauge nur unter bestimmten Voraussetzungen
als Grundlage der Verurteilung. Vor allem sei notwendig, daß die
Anwendung der Folter zulässig war, daß das Geständnis
der Wahrheit entspreche (veritati quoque consentanea confessio
esse debet)110
und daß es von dem Angeklagten zu einem späteren Zeitpunkt
ohne Einwirkung der Folter bestätigt wurde.111 | 61 |
Unverzichtbar sei deshalb die Überprüfung des abgelegten
Geständnisses durch das Gericht, was große Gewandtheit und
reifliche Klugheit erfordere (magna dexteritas, & matura
prudentia requiritur).112
Wie Art. 56 und 60 CCC zeigten, müsse sich die Nachprüfung auf
die Einzelheiten der Tatausführung erstrecken. Wegen der Gefährlichkeit
der Folter und ihrer trügerischen Ergebnisse sei diese verificatio
unerläßlich, bevor man dem Geständnis glauben dürfen.113
Bei Delikten, die kein dauerhaftes corpus delicti zurückließen,
bestehe hierin fast die einzige Möglichkeit, die Wahrheit zu erforschen
(unicum fere remedium explorandum veritatis).114 | 62 |
Wenn die Verifikation zu keinem eindeutigen Ergebnis führe,
sei es angeraten, von der poena ordinaria abzusehen. An ihrer Stelle
sei eine mildere poena extraordinaria zu verhängen. Dieser
teilweise Strafverzicht sei der Gefahr vorzuziehen, einen Unschuldigen
zu verdammen.115 | 63 |
Zur Verhängung der poena ordinaria sei außerdem
unerläßlich, daß der Angeklagte sein Foltergeständnis
ratifiziere. Er müsse es mit seinem vollen Inhalt bestätigen,
nachdem er sich von den Schmerzen der Tortur erholt habe. Zwischen der
Folterung und der Ratifikation müsse mindestens ein voller Tag liegen.
Die Bestätigung müsse in Gegenwart der Richter erfolgen, und
zwar außerhalb des Folterkellers, vorzugsweise am regulären
Ort des Gerichts und keinesfalls unter weiterer Gewaltanwendung. All dies
sei von einem Notar sorgfältig zu protokollieren.116 | 64 |
Die gleichen Voraussetzungen seien zu erfüllen, wenn der
Angeklagte sein Geständnis schon in der Realterrition abgelegt hat.
Dies sei zwar im gemeinen Recht umstritten,117
aber wegen der Gefährlichkeit der Folter (quia tortura res
periculossissima est, & saepius fallit) unerläßlich.
Ohne gebührende Ratifikation verdiene auch das Ergebnis einer territio
realis keinen Glauben.118 | 65 |
Verweigere der Angeklagte die Ratifikation und widerrufe statt
dessen sein Geständnis, so sei die Folter grundsätzlich zu wiederholen.
Dies entspreche auch Art. 27 CCC. Zu den Einzelheiten bestünden freilich
viele Streitfragen. Dazu gelte folgendes:119 | 66 |
Erstens stehe außer Frage, daß die Folter gegen einen
Angeklagten, der die Tortur ohne Geständnis überstanden habe,
nicht wiederholt werden dürfe. Eine Ausnahme greife allerdings dann
ein, wenn nach der Folterung neue, hinreichende Indizien gefunden würden,
die sich von den früheren in ihrer Art unterschieden (nunquam
quaestio sit repetenda absque novis indiciis ad torturam sufficientibus).120
Von den alten, ursprünglichen Indizien, welche die erste Folterung
legitimierten, habe sich der Angeklagte nämlich durch das geständnislose
Überstehen der Tortur gereinigt. | 67 |
Neue Indizien müßten sich nach ihrer Art bzw. Substanz
von den ursprünglichen unterscheiden.121
Im Zweifel sei Zurückhaltung geboten (in dubio pro non repetitione,
& sic in mitiorem partem pronunciare debet).122 | 68 |
Anders liege der Fall beim Widerruf eines Geständnisses.
Dieses Geständnis bilde ein neues Indiz, das als semiplena
probatio gewertet werde.123
Obendrein habe der Angeklagte die erste Folter nicht überstanden
und damit die alten Indizien nicht purgiert. Bereits diese ursprünglichen
Indizien genügten daher immer noch zur Anordnung einer weiteren Tortur.124
Das entspreche auch der ständigen Praxis des Leipziger Schöffenstuhls.125
Würde ein einfacher Widerruf genügen, um freizukommen, würde
kaum einmal ein Angeklagter verurteilt werden und die Verbrechen blieben
ungestraft (nullus unquam puniretur reus atque ita crimina manerent
impunita).126 | 69 |
Widerrufe der Angeklagte sein Geständnis allerdings sofort
im Folterkeller, also gleichsam noch während der fortdauernden Folter,
könne man sagen, daß das Geständnis durch die Gewalt der
Folter erpreßt worden sei. Dann sei der Angeklagte eher freizusprechen
als einer neuerlichen Tortur zu unterziehen.127 | 70 |
Widerrufe der Angeklagte sein Geständnis dagegen erst unmittelbar
vor seiner Hinrichtung, so sei das unbeachtlich. Er sei nach Verlesung
seines früheren Geständnisses unverzüglich hinzurichten.
Das entspreche Art. 91 CCC und sei unvermeidlich, weil sonst nicht wenige
Verbrechen ungestraft blieben (sed etiam haud pauca delicta impunita
remanerent).128 | 71 |
Für frühere Zeiten werde von bis zu acht oder gar mehr
Wiederholungen berichtet.129
Dies sei aber keineswegs zulässig.130
Als Obergrenze seien maximal zwei Wiederholungen anzusehen. Dies entspreche
einer internen Anordnung des sächsischen Kurfürsten aus dem
Jahr 1572, die feste Obergrenzen gesetzt habe.131 | 72 |
Zwei Wiederholungen seien zudem nur bei schwersten Delikten (delicta
atrocissima) angängig. Dies seien Verbrechen, die mit verschärfter
Todesstrafe bedroht seien, etwa die absichtliche Tötung eines Menschen,
Gift- oder Raubmord, Kirchenraub, Tötung der eigenen Eltern oder
Kinder, Sodomie oder Brandstiftung.132 | 73 |
Bei bloßen delicta atrociavel atrociora,
die mit einer nicht verschärften Todesstrafe oder einer Leibesstrafe
geahndet würden,133
sei nur eine einzige Wiederholung zulässig.134
So verhalte es sich unter anderem bei Totschlag, Diebstahl, Meineid, Blasphemie,
homosexuellem Verkehr, Vergewaltigung, Ehebruch, Bigamie und Inzest.135 | 74 |
Die feste Obergrenze beseitigte nicht das Ermessen des Gerichts
zu der Frage, ob im konkreten Einzelfall überhaupt eine Wiederholung
gerechtfertigt sei.136 | 75 |
Überstehe der Angeklagte auch die zulässige Wiederholung
der Folter ohne Geständnis, sei er vom Tatverdacht gereinigt und
freizulassen.137 | 76 |
Weniger klar sei der Fall, daß nach der letzten zulässigen
Wiederholung wiederum neue Indizien ermittelt würden. Handele es
sich um starke, beweiskräftige Indizien, sei es angemessen, nunmehr
eine poena extraordinaria zu verhängen und das Strafverfahren
damit abzuschließen.138 | 77 |
Umstritten sei auch der Fall, daß der Angeklagte bei jeder
Folterung ein Geständnis ablege, dieses aber auch jeweils widerrufe.
Hier dürfe nur eine poena extraordinaria verhängt werden,
weil die Folter ein trügerisches Instrument sei, das oft die Wahrheit
verfehle. Bekanntlich würden viele Angeklagte lieber ein falsches
Geständnis ablegen, als die Folter zu erleiden.139
Deshalb sei es besser, in dieser Fallgestaltung einen Schuldigen mit einer
milderen Strafe davonkommen zu lassen, als einen Unschuldigen zum Tode
zu verurteilen.140 | 78 |
Ein kluger Richter werde versuchen, der Gefahr vorzubeugen, daß
ein Angeklagter jeweils zu Beginn der Folterung ein Geständnis ablege,
um es außerhalb des Folterkellers sogleich zu widerrufen. Dieser
sogenannten ars fatendi et revocandi141
sei dadurch vorzubeugen, daß die Angeklagten soweit wie möglich
in Einzelhaft gehalten werden. Inhaftiere man in gemeinsamen Zellen, könnten
sie sich gegenseitig über die Chancen des Widerrufs belehren (facili
unus docere potest alium).142 | 79 |
VI. Zwei besondere Komponenten dieser Kompromißstrategie |
Eine wichtige Rolle bei der Beschränkung der Gefahren der Folter
wies Carpzov der Strafverteidigung zu.143
Wenn man die einschlägigen Kapitel in Carpzovs Practica nova rerum
criminalium studiert, wird verständlich, warum es am Schöffenstuhl
Leipzig zu zahlreichen Freisprüchen und relativ milden Strafen kommen
konnte.144
Auf 15 Folioseiten145
referierte er der die Rechte der Verteidigung, die er in einem Grundprinzip
der höchsten Begünstigung der Verteidigung
(summum favor defensionis) begründet sah.146 | 80 |
Ein rechtmäßiger Inquisitionsprozeß setzte nach Carpzov
voraus, daß der Angeklagte mit seiner Defension, seiner Verteidigungsschrift
und seinen Beweismitteln gehört werde (cum defensione sua
audiatur, ejusque deductio & probatio legitima admittatur).
Sein Vorbringen sei vom Gericht sorgfältig zu erwägen, weil
die Verteidigung schon als solche vorzugswürdig sei (verum
etiam Reorum & inquisitorum firmamenta & argumenta defensionis,
quae per se favorabilis est, accurate ac diligenter intueri ac considerare
necesse est).147
Das natürliche Recht fordere, daß jeder Angeklagte gehört
werde (Hoc enim jus naturale postultat, ut quivis Reus audiatur).
Dieses Recht könne auch ein Fürst oder Imperator nicht entziehen.148 | 81 |
Nach Carpzovs Meinung bestand ein öffentliches Interesse an der
Verteidigung Unschuldiger (quia publice interest innocentium
causas defendi).149
Es stehe außer Frage, daß der Angeklagte einen Advokaten beauftragen
könne, der ihn verteidige und mit seinem Rat unterstütze.150
Zudem müsse der Richter den Angeklagten von Amts in seiner Verteidigung
unterstützen (judex ex officio pro defensione rei laborare
debet), insbesondere wenn jener zur selbständigen Verteidigung
nicht in der Lage sei. Diese Pflicht werde von den Gerichten leider häufig
mißachtet.151 | 82 |
Grundsätzlich sei die Führung der Defension in allen Phasen
des Prozesses zulässig, und zwar selbst dann noch, wenn der Angeklagte
schon ein Geständnis abgelegt habe.152
Nur dadurch werde garantiert, daß kein Unschuldiger bestraft werde
(ne innocens ad poenam trahatur). So sei es stets denkbar,
daß das Geständnis unter der Folter erpreßt worden sei,
ohne daß ihre Anwendung durch hinreichende Indizien gerechtfertigt
gewesen wäre (vel facta in tormentis absque legitimis indiciis
praecedentibus).153 | 83 |
Das gelte sogar dann, wenn das Gericht bereits ein Todesurteil gefällt
und den Hinrichtungstermin festgesetzt habe. Die rechtliche Begünstigung
der Defension überrage die Strenge des Rechts (quando de
inquisiti defensione agitur, cuius favor juris rigorem superat).154
Mache der Verurteilte neue Verteidigungsgründe geltend, so könne
die Vollstreckung des Todesurteils vorläufig ausgesetzt werden. Dann
setze ihm der Schöffenstuhl eine angemessene Frist von ein bis zwei
Monaten, in denen er seine Unschuld beweisen könne, etwa durch neue
Entlastungszeugen.155 | 84 |
Wegen des summum favor defensionis sei zum Beweis der Unschuld
vieles erlaubt, was andernfalls keineswegs gestattet sei (multa
conceduntur in probatione innocentiae, quae alias neutiquam permitterentur).156
Das betreffe namentlich das Beweisrecht, wo zugunsten des Angeklagten
vieles zulässig sei, was im Widerspruch zu allgemeinen Regeln stehe.157
So genügten zum Beweis der Unschuld auch unvollständige Beweismittel
(probationes imperfectae).158
Zum Beispiel werde bereits einem einzigen Entlastungszeugen geglaubt,
der nicht einmal vereidigt sein müsse.159 | 85 |
Besondere Bedeutung besaßen diese Regeln bei der defensio
pro avertanda tortura, die auch als Haupt-Defension
bezeichnet wurde.160
Wie bereits ausgeführt, hatte Carpzov den Beweiswert belastender
Indizien vorrangig in das richterliche Ermessen gestellt.161
Diese Indizien sollten gegen entlastende Umstände abgewogen werden.
In diese Abwägung konnte sich die Verteidigung mit ihren Argumenten
und Vermutungen einschalten, um das Belastungsmaterial zu entkräften.162
Dabei stand es - so jedenfalls Carpzov - außer Zweifel, daß
eine Vermutung, die gegen die Täterschaft des Angeklagten sprach,
eine gegenteilige Vermutung entkräftete (hoc tamen certissimum
est, quod praesumtio non delicti excludat praesumtionem delicti).
Außerdem sollten Präsumtionen im Zweifel immer zugunsten der
milderen Seite erfolgen (et quod semper in mitiorem partem sit
praesumendum).163 | 86 |
Carpzovs Folterlehre stellte auch an anderen kritischen Punkten auf
das Ermessen und die Klugheit der Richter ab. Das richterliche arbitrium
sollte aber keine ungebundene, willkürliche Entscheidungsmacht gewähren,
sondern rechtlichen Bindungen unterliegen. Dieses Postulat brachte Carpzov
mit folgenden Formeln immer wieder zum Ausdruck: Quorum tamen
arbitrium legibus conforme esse debet; hoc tamen arbitrium
judicis non absolutum & irregulatum, sed juri conforme esse debet;
judex secundum arbitrium & moderamen rectae rationis faciet,
ut ...; ex cerebro suo inducere non posse, sed ea jure
approbata esse debere; sed juri & aequitati adstrictum,
atque secundum leges regulatum.164 | 87 |
Die Richter benötigten, so Carpzov, vor allem zwei Eigenschaften,
um beim Gebrauch der Folter nicht teuflisch zu handeln (ne sint
diabolici): Rechtsgelehrtes Wissen (scientia)
und Gewissen (conscientia).165
Bezogen auf die deutsche Richterschaft des 16. und 17. Jahrhunderts wirkt
zumindest die erste dieser beiden Forderungen unrealistisch. Es war keineswegs
gewährleistet, daß die Mehrzahl der Strafsachen von Richtern
entschieden wurden, die über volle juristische Kompetenz verfügten.
Außer Zweifel stand die Fachkunde der Richter nur am Reichskammergericht,
am Reichshofrat und an den Obergerichten der größeren Territorien
des Alten Reichs. | 88 |
Carpzov hegte in dieser Hinsicht keine optimistischen Erwartungen. Er
verhehlte keineswegs, daß in der Gerichtspraxis massive Mißstände
herrschten, und zwar nicht nur was den Mißbrauch der Folter anging.166
Dies zeigt zum Beispiel sein deutschsprachiges Lehrbuch des Strafprozeßrechts,
in dem er über die Defizite von Laienrichtern klagte. Die Erfahrung
bezeuge, daß besonders die unteren Gerichte auf dem Land nur mit
inkompetenten Richtern besetzt seien, die nicht selten befangen seien
und zu ihrem eigenen Nutz und Vortheil entschieden.167
Von ihnen gehe die Gefahr aus, daß die Strafgerichtsbarkeit mit
Blutschulden und Ungerechtigkeit geradezu überhäuft
werde.168 | 89 |
In seinem lateinischen Werk über das Prozeßrecht äußerte
er sich in gleicher Weise über die Lage in den größeren
Städten. Dort liege die Gerichtsbarkeit häufig in den Händen
reicher Kaufleute und Emporkömmlinge, die sachkundigen Männern
nicht ohne schweren Schaden für das Gemeinwesen vorgezogen würden.169 | 90 |
Eine noch schärfere Kritik formulierte er in seiner Practica
Nova rerum criminalium.170
Ganz allgemein mangele es in Deutschland an gottesfürchtigen und
wahrheitsliebenden Richtern.171
Die meisten von ihnen seien zu hart, um nicht zu sagen grausam. Sie betrieben
die Strafverfahren auf rücksichtsloseste Weise. Erbarmungswürdige,
unschuldige Menschen würden im Widerspruch zu allen Rechtsbegriffen,
Rechtsbräuchen und Rechtsgewohnheiten (contra omnes juris
terminos, approbatos mores, & usus consuetudinarios) zugrunde
gerichtet. Jene Richter seien in Wahrheit Henker, die jeden Verdächtigen
sofort in den Kerker werfen, foltern und hinrichten würden, ohne
auch nur zu ermitteln, ob überhaupt ein Verbrechen geschehen sei.172
Hinzu komme schiere Ignoranz, wenn rechtsunkundige Richter auf nebulöse
Denunziationen, im Glauben an Hexenwerk (veneficiae fidentes)
sowohl Frauen wie Männer trotz ihrer Unschuld in schmutzigste Kerker
würfen (tam foeminas quam masculos, etiam innocentes in
squalidissimos carceres detrudunt) und solange folterten, bis
man ihnen alle erwünschten Geständnisse abgepreßt habe.173
Sehr oft seien die Richter zudem geldgierig (saepissime Judices
avaritiosi sunt) und ließen alle rechtliche Rücksichten
fallen, sowohl zum Nachteil Unschuldiger als auch zum Vorteil Schuldiger.174 | 91 |
Wie man sieht, warf die Hexenverfolgung durchaus einen langen und düsteren
Schatten auf Carpzovs Ausführungen zur Folter. Die Perspektive war
freilich eine andere als jene, die von der Legende von den 10.000, 20.000
oder 40.000 Todesurteilen des angeblichen Blutrichters Carpzov vorgegaukelt
wird. Damit drängt sich eine Frage auf: Wie konnte er unter diesen
Voraussetzungen die Rechtsansicht vertreten, daß es bei der Zulässigkeit
der Folter vor allem auf das richterliche Ermessen ankommen solle? | 92 |
Die Antwort ist eindeutig. Sein Regelungsmodell war vollständig
auf eine Institution zugeschnitten, die charakteristisch für die
kursächsische Rechtspflege in der frühen Neuzeit war: die sogenannte
Aktenversendung (transmissio actorum).175
Die meisten Gerichte des Alten Reichs pflegten die maßgeblichen
Entscheidungen in Straf- und Zivilsachen nicht selbst zu treffen.
Vielmehr delegierten sie die Urteilsfindung an die Spruchkollegien der
juristischen Fakultäten oder - dies vor allem im mittel- und
ostdeutschen Raum - an große Schöffenstühle wie in
Leipzig, Wittenberg und Halle, die spätestens seit dem 16. Jahrhundert
ebenfalls mit rechtsgelehrten Juristen besetzt waren. | 93 |
Die wichtigste Grundlage für diese Institution, die den gemeinrechtlichen
Strafprozeß prägte, bildet Art. 219 CCC.176
Die sächsische Gesetzgebung des 16. und frühen 17. Jahrhunderts
hatte alle Gerichte, die ihrer jurisdictio unterlagen, dazu verpflichtet,
ihre vollständigen Strafprozeßakten dem Schöffenstuhl
Leipzig zur Entscheidungsfindung vorzulegen.177
Das galt nicht nur für die Endurteile, in denen über die Schuld
des Angeklagten und das Strafmaß entschieden wurde. Die Versendungspflicht
erstreckte sich vielmehr auch auf verfahrensleitende Zwischenentscheidungen,178
namentlich über die Zulässigkeit der Folter und den zulässigen
Foltergrad. Ausgenommen waren im wesentlichen nur Obergericht, die mit
rechtsgelehrten Richtern besetzt waren.179
Niederen Richtern war es in foro Saxonico dagegen generell
untersagt, ohne das zustimmende Konsilium des Schöffenstuhls über
die Anwendung der Folter zu entscheiden.180 | 94 |
Die Gerichte, an welche die Sache versandt worden war, waren zur genauen
Befolgung des consilium iudiciale verpflichtet, insbesondere im
Hinblick auf den für zulässig erklärten Foltergrad (dum
judices ad praescriptam Scabinorum sententiam, ac definitum tormentorum
gradum, torturam praecise exequi tenentur).181
Jede Überschreitung des vorgegebenen Grades (torturae modum
a Scabinis praescriptum) führte zur Nichtigkeit des Geständnisses.182
Richter, die sich über diese Regeln hinwegsetzten, mußten -
wie Carpzov nachdrücklich betonte - mit ihrer zivilrechtlichen Haftung
und Bestrafung rechnen. Bei genauer Beachtung der Vorgaben der Schöffenstühle
waren sie dagegen vor jeglicher Verantwortung in zivil- und strafrechtlicher
Hinsicht geschützt.183 | 95 |
VII. Rechtshistorische Bewertung |
Dadurch unterlagen die Entscheidungen über die Folter in Sachsen
im Ergebnis einem Zuständigkeitsmonopol von zwei Schöffenstühlen.184
Das erklärt, warum Carpzov - der berühmteste aller sächsischen
iurisconsulti - die Folter als ein brauchbares Instrument rechtsgebundener
Strafrechtspflege ansah,185Herrn
professores sHerr und das in vollem Bewußtsein um die Gefahren der
Folter und ihres Mißbrauchs. Er vereinigte folterbejahende Effizienz
und folterkritische Skepsis in einem Regelungsmodell, das aus damaliger
Sicht einzuleuchten vermochte. | 96 |
Dieses Regelungsmodell war durch eine hochgradige Ambivalenz gekennzeichnet.
Aktenversendung, Strafverteidigung und die rechtliche Beschränkung
der Folter - sowohl in ihrer prinzipiellen Zulässigkeit wie in ihrer
konkreten Durchführung - gewährleisteten einen einigermaßen
brauchbaren Schutz der Angeklagten. Der Inquisitionsprozeß Carpzovscher
Prägung war keineswegs eine Vernichtungsmaschinerie, die unausweichlich
zur Folterung, Aussageerpressung und Hinrichtung aller Angeklagten führte.
| 97 |
Andererseits konnte die Zulässigkeit der Folter - bis hin zum dritten
Grad, bis hin zur zweiten Wiederholung - nahezu jedes kriminalpolitische
Bedürfnis nach kompromißloser, effizienzbetonter Strafverfolgung
befriedigen. In dieser - wenn man will: historisch fatalen - Synthese
liegt ein entscheidender Grund dafür, daß die strafprozessuale
Folter in der deutschen Jurisprudenz und Rechtspraxis bis weit ins 18.
Jahrhundert akzeptiert wurde,186
aller erfahrungsgesättigten Einsicht in ihre inhumanen Prämissen
und Folgen zum Trotz. In Kursachsen erfolgte ihre Abschaffung erst im
Jahr 1770, und zwar auf gesetzlichem Weg und gegen den erklärten
Widerstand der Schöffenstühle Leipzig und Wittenberg. An ihre
Stelle trat die Einweisung der Tatverdächtigen in Zucht- und Arbeitshäuser.187 | 98 |
Die außerordentliche Ambivalenz des Carpzovmodells trägt
auch zur Erklärung eines Phänomens bei, das in der Erforschung
der Hexenprozesse immer wieder zu Irritation führte. In unmittelbarer
Nachbarschaft zu Territorien, in denen unzählige Opfer gefoltert
und zu Tode gebracht wurden, finden sich Regionen ganz anderer Art. In
manchen Gebieten, nicht zuletzt in Kursachsen, ist eine auffallend niedrige
Quote an Hexenprozessen und vor allem an Todesurteilen zu beobachten.
Aber auch in Gegenden mit zahlreichen Todesopfern sind scharfe Zäsuren
zu unterscheiden. Selbst in den Zentren massenhafter Prozesse konnten
Verfolgungen größeren Umfangs über Jahrzehnte hin ausbleiben.188 | 99 |
Im ganzen trifft man in den vielgestaltigen Territorien des Alten Reiches
auf enorme graduelle und qualitative Varianten.189
Anderes als pauschale Thesen in der älteren Literatur glauben machen,
bildeten Freisprüche in Hexenprozessen keine singulären Ausnahmen.
Sie waren Teil der forensischen Normalität. Wenn man die normativen
Vorgaben von Benedict Carpzov betrachtet, ist dies gar nicht so verwunderlich.
| 100 |
Das Carpzovmodell läßt sich auch als Beispiel für eine
generelle Eigenart der frühen Neuzeit deuten, nämlich für
ihre Funktion als Laboratorium der Moderne. In gewissem
Sinne kann man diese Epoche als Versuchsfeld deuten, in dem divergierende
Strukturelemente der künftigen Gesellschafts- und Rechtsordnung ersten
Erprobungen unterzogen wurden. Wenn man diesen Blickwinkel einnimmt, erweckt
die Carpzovsche Synthese von brutaler Aussageerpressung, kriminalpolitischem
Zweckdenken, richterlicher Ermessensfreiheit und rechtlicher Kontrolle
eigenartige Assoziationen. Sie erinnert dann an das wechselhafte Schicksal
der Strafrechtspflege im 19. und 20. Jahrhundert, wenn man will: an die
Tragödien dieser Strafrechtspflege. Auch hier trifft man auf eine
beklemmende Mischung von skrupellosem Effizienzdenken - phasenweise gesteigert
zu monströser Barbarei -, weitreichende Bündelung der Verantwortung
in Richterhand und angestrengtem Bemühen um die Wahrung rechtlicher
Garantien zum Schutz des Angeklagten. | 101 |
Fußnoten:
1
Der Text beruht auf einem Vortrag des Verf. vom 1.2.2001 an der Humboldt-Universität
Berlin. Der Verf. ist Referent am Max-Planck-Institut für Europäische
Rechtsgeschichte in Frankfurt a.M. und vertritt einen Lehrstuhl für
Bürgerliches Recht und Europäische Rechtsgeschichte an der
Universität Mannheim.
2 Einen gerafften Gesamtüberblick
gibt Andreas Blauert, Die Epochen der europäischen Hexenverfolgung,
in: Gisela Wilbertz / Gerd Schwerhoff / Jürgen Scheffler, Hexenverfolgung
und Regionalgeschichte, Bielefeld 1994, S. 28-43.
3 Einen Überblick über
den Forschungsstand geben z.B. Jürgen Michael Schmidt, Glaube und
Skepsis. Die Kurpfalz und die abendländische Hexenverfolgung, Bielefeld
2000, S. 11-22, und Günter Jerouschek, Die Hexen und ihr Prozeß.
Die Hexenverfolgungen in der Reichsstadt Esslingen, 1992, S. 15-54.
Zu diesen Arbeiten vgl. die Rezensionen von Falk, Rechtshistorisches
Journal 12 (1993), S. 119-130, bzw. SZ Germanistische Abt., Bd. 118
(2001), S. 665-669.
4 Mit den mehr oder weniger verfolgungsfreien
Zonen und dem wellenförmigen Verlauf der Prozesse hängt es
zusammen, daß die Gesamtzahl der Opfer zumindest im Alten Reich
erheblich niedriger liegt, als häufig angenommen. Vor allem die
ältere Literatur rechnete von den Verhältnissen, die an stark
betroffenen Orten auf dem Höhepunkt von Prozeßwellen herrschten,
auf die Gesamtzahl der Verurteilten hoch. Nach Schätzung von Gerhard
Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 1981, S. 8 ff.,
ist für Deutschland allenfalls mit 100.000 Opfern zu rechnen.
5 Dazu jetzt vor allem Mathias Schmoeckel,
Humanität und Staatsräson. Die Abschaffung der Folter in Europa
und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts
seit dem hohen Mittelalter, 2000; reiches Material enthält auch
der Sammelband Droit et torture judicaire: perspectives historiques,
ed. Bernard Durand / Leah Otis-Cour, Montpellier 2001 (im Druck). 6 Vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit,
2. Auflage Göttingen 1967, § 13 II 1, S. 217; Hans Schlosser,
Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 8. Aufl. Heidelberg
1996, § 1 VII 1 b.
7 Zu dieser Thematik insb. Heinrich
Gehrke, Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands, Frankfurt
a.M. 1974, und Guido Kisch, Consilia, Basel 1970. 8 Gehrke, Entscheidungsliteratur (Anm. 7), S. 20, 57, 60
f.; ders., Konsiliensammlungen, in: Handbuch der Quellen und Literatur
der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Band II,
2. Teilband, hrsg. von Helmut Coing, München 1976, S. 1347, 1376.
9 Zu erinnern wäre unter anderem
an Modestinus Pistoris (1516-1565), Jakob Thoming (1518-1576), Emil
Schneidewein (1519-1568), Joachim von Beust (1522-1597), Matthias Coler
(1530-1587), Virgilius Pingitzer (1541-1619), Hartmann Pistoris (1543-1601),
Nikolaus von Reusner (1545-1602), Johann Zanger (1557-1607), Matthias
Berlich (1586-1634), Christoph Philipp Richter (1602-1673), Johann
Strauch (1612-1679) und Nicolaus Christoph von Lyncker (1643-1726). 10 Vgl. Ernst Böhm, Der Schöppenstuhl zu Leipzig
und der sächsische Inquisitionsprozeß im Barockzeitalter,
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) Bd.
59 (1940), S. 390-397, 370-410, 620-639; Bd. 60 (1941), S. 155-249;
Bd. 61 (1942), 300-493. 11 Roderich Stintzing / Ernst Landsberg, Geschichte
der deutschen Rechtswissenschaft, 2. Abtheilung, Leipzig 1884, S. 55-100;
Gerd Kleinheyer / Jan Schröder, Deutsche und Europäische
Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl. Heidelberg 1996, S. 53-57. 12 Gehrke, Konsiliensammlungen (Anm. 8), S. 1345 f.; ders.,
Entscheidungsliteratur (Anm. 7), S. 11 f.
13 Vgl. auch Dietrich Oehler: Vorwort
zu Benedict Carpzov, Practica nova Saxonica rerum criminalium, Ausgabe
Wittenberg 1635, Nachdruck Goldbach 1996, S. II*. 14 Vgl. Gehrke, Entscheidungsliteratur (Anm. 7), S. 132-136,
Nr. 118-122; Kleinheyer/Schröder, Juristen (Anm. 11), S. 87 f.;
Böhm, Schöppenstuhl (Anm. 10), ZStW 61, S. 310.
15 Böhm, Schöppenstuhl
(Anm. 10), ZStW 59, S. 408 f., 580. 16 Kleinheyer/Schröder, Juristen (Anm. 11), S. 87.
Zur Deutung von Carpzovs Werk vgl. zuletzt die Beiträge in dem
Sammelband von Günter Jerouschek / Wolfgang Schild / Walter Gropp
(Hrsg.), Benedict Carpzov, Neue Perspektiven zu einem umstritten sächsischen
Juristen, 2000. 17 Stefan Suter, Die Gutachten der Basler Juristenfakultät
in Straffällen, Frankfurt a.M. 1990, S. 27-30. 18 August Hegler, Die praktische Thätigkeit der Juristenfakultäten
des 17. und 18. Jahrhunderts, Freiburg im Breisgau 1899, S. 9. 19 Augustin Leyser, Meditationes ad Pandectas, vol.
1, spec. 690, cap. 13 der Ausgabe Leipzig 1748; vgl. auch Johann
Friedrich Jugler, Beyträge zur juristischen Biographie, Bd. 1,
Leipzig 1773, S. 284, 288. 20 F.A.G., Der geschickte Advocat, Jena 1751, cap. 5, §
24, p. 76. 21 Zu diesem Werk Gehrke, Entscheidungsliteratur (Anm.
7), S. 133, Nr. 118. 22 F.A.G., Advocat (Anm. 20), cap. 6, § 25, p. 95.
23 Franz Helbing, Die Tortur, neubearb.
und ergänzt von Max Bauer, Berlin 1926, S. 324.
24 Vgl. Böhm, Schöppenstuhl
(Anm. 10), ZStW 59, S. 371-410 (394-397); ZStW 61, S. 300-403 (370 f.);
Wieacker, Privatrechtsgeschichte (Anm. 6), S. 217; Wolfgang Sellert,
Carpzov - Ein fanatischer Strafjurist und Hexenverfolger?,
in: Vom Unfug des Hexen-Processes, hrsg. von Hartmut Lehmann / Otto
Ulbricht (Hrsg.), Wiesbaden 1992, S. 325-340 (325-330, 339).
25 Einzelheiten bei Böhm, Schöppenstuhl
(Anm. 10), ZStW 59 (1940), S. 395 f.
26 Sönke Lorenz, Benedict Carpzov
und die Hexenverfolgung, in: Jerouschek / Schild / Gropp, Carpzov (Anm.
16), S. 91-109 (Zitat 101); vgl. auch Oehler, Vorwort (Anm. 13), S.
III*; Sellert, Carpzov (Anm. 24), S. 333, 335.
27 Lorenz, Carpzov (Anm. 26), 101-103.
28 Lorenz, Carpzov (Anm. 26), 105.
29 Benedict Carpzov, Practica
nova Imperialis Saxoniae rerum criminalium, qu. 117, n. 12-18 (16),
hier zitiert nach der Ausgabe Leipzig 1723.
30 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 52. Zu Carpzovs Strafmodell Karl Härter, Zum Verhältnis
von Policey und Strafrecht bei Carpzov, in: Jerouschek/Schild/Gropp,
Carpzov (Anm. 16), S. 181-224 (184-187)
31 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 1-2; vgl. Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht,
Leipzig 1899, S. 405 Anm. 2.
32 Vgl. Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 2; qu. 125, n. 9, 22.
33 Vgl. z.B. Carpzov, Practica nova
(Anm. 29), qu. 117, n. 10.
34 Mommsen, Strafrecht (Anm. 31),
S. 405-407.
35 Gerd Kleinheyer, Tradition und
Reform in der Constitutio Criminalis Carolina, in: Peter Landau / Friedrich-Christian
Schroeder (Hrsg.), Strafrecht, Strafprozeß und Rezeption, Frankfurt
a.M. 1984, S. 25; Friedrich Schaffstein, Die Bedeutung der Carolina
für die Entwicklung strafrechtlicher Deliktstatbestände, ebenda,
S. 145-159 (158).
36 Kleinheyer, Tradition (Anm. 35),
S. 7-27 (11, 17, 23 f.). Zu gemeinrechtlichen Grundlagen der Carolina
Winfried Trusen, Strafprozeß und Rezeption, in: Landau/Schröder
(Anm. 35), S. 92-112, insb. 104, 112. 37 Carl Georg von Wächter, Beiträge zur deutschen
Geschichte, Tübingen 1845, Neudruck Aalen 1970, S. 104. Unhaltbar
sind die Wertungen, die Wächter aus seiner Feststellung ableitete
(kein eigentlich denkender Kopf, voll Befangenheit
in der Verehrung).
38 Zum Bsp. Carpzov, Practica nova
(Anm. 29), qu. 127, n. 3; qu. 123, n. 3; vgl. auch Oehler, Vorwort (Anm.
13), S. II*.
39 Zum Bsp. Carpzov, Practica nova
(Anm. 29), qu. 117, n. 3, 5, 41, 58, 62, 65, 68, 69; qu. 126, n. 1,
2, 5, 7, 9, 10, 11, 17.
40 Angaben nach Jugler, Beyträge
(Anm. 19), S. 362-369 (362-364).
41 Ernst Landsberg, Johann Zanger,
in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 44 (1898), S. 685.
42 Zum Bsp. Johann Zanger, Tractatus
de quaestionibus seu torturis, Wittenberg 1593, cap. 2, n. 177.
43 Trusen, Strafprozeß (Anm.
36), S. 29-118; speziell zur Folter S. 33-69. Im Bereich sächsischen
Rechts wurde die Folter bis ins 15. Jh. abgelehnt. Ihre Erwähnung
in der Glosse zum sächsischen Weichbildrecht (Art. XXVII) war Folge
der Rezeption des römisch-kanonischen Rechts (S. 68).
44 Das besagt natürlich nichts
über gelegentliche Ausnahmen; z.B.. Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 19-20; qu. 127, n. 32-42.
45 Charakteristische Formulierungen,
mit denen Carpzov nach der Beantwortung einer Streitfrage des ius
commune die Konkordanz mit dem deutschen Recht behauptete: quod
sane in Imperio Romano-Germanico hodie minus dubium habet
(Practica nova, qu. 121, n. 42-43); quae sentantia in foro
Sax absque dubio verissima est(qu. 119, n. 7-8);
quod in foro Saxon. eo magis verum est (qu. 119,
n. 7-8); quae regula in foro Saxonico minorem difficultatem
habet (qu. 125, n. 74); ab hac sententia alienus
non est Imp. Carolus in Ordin. Crim. (qu. 123, n. 6); idque
certo certius est in Imperio Romano-Germanico, propter verba clara sanctionis
Carolinae crim. (qu. 121, n. 2).
46 Sellert, Carpzov (Anm. 24), S.
326; Stintzing/Landsberg, Geschichte (Anm. 7) S. 66; Lorenz, Carpzov
(Anm. 26), S. 105.
47 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 3.
48 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 3.
49 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 4.
50 Zur Lehre vom corpus delicti
zuletzt Lorenz Schulz, Normierter Verdacht, Frankfurt a.M. 2000, S.
121-127.
51 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 119, n. 58; vgl. auch qu. 119, n. 9-11, unter Hinweis auf Novelle
134, cap. 13.
52 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 5; zu Carpzovs Folterskepsis vgl. auch Sellert, Carpzov
(Anm. 24), S. 337 f.
53 Die römischen Quellen waren
an diesem Punkt indifferent; zur Entwicklung seit den Glossatoren Piero
Fiorelli, La tortura guidiziaria nel diritto commune, vol. 2, Milano
1954, S. 108-110; vgl. auch Art. 56 CCC.
54 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 19; entsprechend qu. 117, 2-3; qu. 120, n. 71-88; qu.
123, n. 43-47; qu. 124, n. 31; qu. 126, n. 5, 13.
55 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 5; ähnlich qu. 125, n. 64-66, unter Berufung auf
D. 48.18.23 (Ulpian) und D. 48.18.18.1 (Paulus). Trusen, Strafprozeß
(Anm. 36), S. 59-63 zeigt, daß die Folterbestimmungen im Digestentitel
48.18 schon die Grundlage der Argumentation im Brünner Schöffenbuch
aus dem 14. Jahrhundert bildeten.
56 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 5; vgl. auch Carpzov, Peinlicher Sächsischer Inquisition-
und Achtsprocess, Leipzig 1638, Nachdruck Goldbach 1996, Titel 10, Art.
4, Ziffer 1, p. 151.
57 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 8.
58 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 3.
59 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 21.
60 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 6-7; zu ähnlichen Klagen über eine exzessive
Folterpraxis, die im 15. Jahrhundert vorgebracht wurden, Trusen, Strafprozeß
(Anm. 36), S. 85, 86-90.
61 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 22.
62 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 21.
63 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 127, n. 18.
64 So verurteilte der Leipziger
Schöffenstuhl im Juni 1585 einen Richter zu 500 Talern Schadenersatz
wegen einer rechtswidrigen Folterung nebst 12-wöchiger Inhaftierung;
im August 1624 bemaß er die Entschädigung wegen einer zweimaligen
rechtswidrigen Folterung auf 1.000 Gulden; Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 127, n. 44 s 65 Carpzov, Practica nova (Anm. 29), qu. 127, n. 2, 13-17;
zur Haftung im ius commune Fiorelli, Tortura (Anm. 53), vol.
2, p. 175-177; vgl. auch Art. 20 CCC.
66 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 120, n. 71-88 (Zitat n. 78).
67 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 8.
68 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 8.
69 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 119, n. 6; qu. 125, n. 53. 70 Carpzov, Practica nova (Anm. 29), qu. 119, n. 6-8.
71 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 119, n. 14-15.
72 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 119, n. 54-58.
73 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 10; zum Beweisrecht des ius commune Schmoeckel,
Humanität (Anm. 5), S. 187-294.
74 Zur gemeinrechtlichen Indizienlehre
vgl. Schmoeckel, Humanität (Anm. 5), S. 216-228.
75 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 119, n. 60.
76 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 119, n. 61-63; vgl. Schmoeckel, Humanität (Anm. 5), S.
228-232.
77 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 41; qu. 121, n. 1.
78 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 1; ähnlich qu. 120 n. 1.
79 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 2-4.
80 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 9. Die Carolina rezipierte die Indizienlehre bekanntlich
aus der italienischen Doktrin des ius commune, Kleinheyer, Tradition
(Anm. 35), S. 17.
81 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 52 unter Hinweis auf Art. 30 CCC. Zu den probationes
semiplenae vgl. Schmoeckel, Humanität (Anm. 5), S. 210-216.
82 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 53; qu. 121, n. 10-19 (Zitate n. 10, 15, 19).
83 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 57.
84 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 58.
85 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 121, n. 3; qu. 123, n. 59-69, 127; vgl. auch qu. 120, n. 2,
75. Dieses Abwägungsgebot liegt auch der Carolina zugrunde, z.B.
Art. 18, 24, 27 CCC.
86 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 70.
87 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 11 s.
88 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 12-13.
89 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 14.
90 Zur poena extraordinaria
und Verdachtsstrafe Schmoeckel, Humanität (Anm. 5), S. 295-360;
vgl. auch Härter, Carpzov (Anm. 30), S. 200-206; nach der Leipziger
Gerichtspraxis bestand sie regelmäßig in einer Geldstrafe
oder einer kurzen Haftstrafe oder einer Landesverweisung, ggf. nach
vorheriger Auspeitschung.
91 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 17-20.
92 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 23-24.
93 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 65; ders., Inquisition- und Achtsprocess (Anm. 56),
Titel 10, Art. 2, Ziffer 3, p. 145, unter Berufung auf Art. 58 CCC und
D. 48.18.7.
94 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 15; ders., Inquisition- und Achtsprocess (Anm. 56),
Titel 10, Art. 2, Ziffer 2, p. 145.
95 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 13-18 (Zitat 18); zur Folterpraxis vgl. Uwe Danker,
Räuberbanden im Alten Reich um 1700, Frankfurt a.M. 1988, S. 128-130.
96 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 38.
97 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 41; zu den Verhältnissen in Sachsen um 1700 Danker,
Räuberbanden (Anm. 95), S. 137-145.
98 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 39 s.
99 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 49-51.
100 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 53.
101 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 53; vgl. auch ders., Inquisition- und Achtsprocess
(Anm. 56), Titel 10, Art. 3, Ziffer 1, p. 148.
102 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 60-63.
103 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 59-61.
104 Bei dieser Methode wurden die
Arme des Angeklagten hinter seinem Rücken zusammengebunden. Dann
wurde er mit einem Seil, das an den Handgelenken befestigt wurde, in
die Höhe gezogen, was häufig zur Ausrenkung der Schultergelenke
führte. Weil sich meistens große Blutergüsse bildeten,
war eine Wiederholung der Folter noch erheblich schmerzhafter.
105 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 65.
106 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 65 s.; zu einem Fall, in dem diese fürchterlichen
Methoden zum Tod des Folteropfers führten, vgl. Lorenz, Carpzov
(Anm. 26), S. 101-103.
107 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 68.
108 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 46 unter Berufung auf D. 48.18.1.21. und Art. 56 CCC.
109 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 57; ders., Inquisition- und Achtsprocess (Anm. 56),
Titel 10, Art.. 3, Ziffer 2, p. 148.
110 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 12.
111 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 3, 7; ders., Inquisition- und Achtsprocess (Anm. 56),
Titel 10, Art.. 3, Ziffer 3, p. 149.
112 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 13.
113 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 13. Danker, Räuberbanden (Anm. 95), S. 107-110,
zeigt, daß das Verifikationsgebot in Kursachsen um 1700 konsequent
befolgt wurde.
114 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 15.
115 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 16.
116 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, 17-32; ders., Inquisition- und Achtsprocess (Anm. 56),
Titel 10, Art. 4, Ziffer 1-4, p. 148-53. n. 20.
117 Vgl. Fiorelli, Tortura (Anm.
53), vol. 2, S. 104-106.
118 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 19; ders., Inquisition- und Achtsprocess (Anm. 56),
Titel 10, Art. 4, Ziffer 1, p. 151 s.
119 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 37-39. D. 48.18.16.pr. erwähnt ein kaiserliches
Rescript, das die Wiederholung einer Folterung für zulässig
erklärt. D. 48.18.18.1. läßt die Wiederholung bei evidentioribus
argumentis zu.
120 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 40.
121 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 42-43.
122 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 45.
123 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 41; das entsprach der communis opinio, die bis
zur glossa ordinaria zurückreicht, vgl. Schmoeckel, Humanität
(Anm. 5), S. 264 f.
124 Anders entschied der Schöffenstuhl
Jena in einem Totschlagsprozeß um 1700. Zweifelhaft war hier nur
der Tötungsvorsatz; die Tötungshandlung stand außer
Frage. Der Angeklagte gestand eine vorsätzliche Tötung unter
der Folter, widerrief aber später. Der Schöffenstuhl lehnte
eine neuerliche Folterung ab, weil es an neuen Indizien fehle. Die bloße
revocation sei hierzu nicht genügend, weil die Folter
eine res fragilis sei. Der Zweifel, daß
solche confessio per cruciatus expressa, und non sincera sei,
könne auch durch ein neuerliches Foltergeständnis nicht beseitigt
werden. Deshalb sei eine Betrafung wegen fahrlässiger Tötung
vorzuziehen. Das Strafmaß lautete auf ewige Landesverweisung nach
vorheriger Auspeitschung; zitiert nach Nicolaus Christoph von Lyncker,
Consultationes Iuris Selectae, cons. 24, p. 89-92 der Ausg. Jena
1715.
125 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 43-47.
126 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 45.
127 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 61-72.
128 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 63-72.
129 Beispiele aus der Folterpraxis
im 15. Jahrhundert bei Trusen, Strafprozeß (Anm. 36), S. 80. Das
ältere ius commune kannte keine festen Obergrenzen. Die
Gegenmeinung, die sich im 16. Jahrhundert durchsetzte, fand ihren Niederschlag
u.a. in den Kursächsischen Konstititutionen von 1572; vgl. Fiorelli,
Tortura (Anm. 53), vol. 2, p. 153 s.
130 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 49.
131 Die Vorschrift gehört zu
den Kursächsischen Konstitutionen von 1572, wurde aber nicht öffentlich
verkündet, da man fürchtete, daß die Bekanntmachung
die Widerrufsbereitschaft der Angeklagten erhöhen werde; vgl. Carpzov,
Practica nova (Anm. 29), qu. 126, n. 51; qu. 125, n. 35-37.
132 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 55.
133 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 53 s.
134 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 47, 59.
135 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 53.
136 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 50-51.
137 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 71.
138 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 125, n. 73-74.
139 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 54-55.
140 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 54-55; vgl. auch qu. 126, n. 71.
141 Dieses Problem beschäftigte
die sächsische Gesetzgebung noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts;
vgl. eine Verfügung vom 28.8.1753, in: Fortgesetzter Codex Augusteus
oder neuvermehrtes Corpus Juris Saxonici, Leipzig 1772, Sp. 381 f.
142 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 22. 143 Die Ressourcen der Strafverteidigung im Inquisitionsprozeß
werden häufig unterschätzt; dagegen Falk, Strafverteidigung
(Anm. 24), zusammenfassend S. 433-439. 144 In 423 inquisitorischen Strafverfahren aus der Carpzov-Zeit
verhängte der Schöffenstuhl 43 Todesurteile. 65 Angeklagte
wurden freigelassen. Die anderen traf eine poena extraordinaria
in Form einer Geld- oder Gefängnisstrafe bzw. Landesverweisung;
Böhm, Schöppenstuhl (Anm. 10), ZStW 61, S. 369 f.. Danker,
Räuberbanden (Anm. 95), S. 110 f., zeigt, daß das Recht auf
Verteidigung in Sachsen auch um 1700 beachtet wurde; vgl. auch die Urteile
des Jenaer Schöffenstuhls bei Nikolai Christoph von Lyncker, Consilia
seu responsa, vol. 1, Jena 1704, responsum 39, p. 300-309; ders., Consultationes
(Anm. 124), cons. 24, p. 89-92.
145 Carpzov, Practica nova
(Anm. 29), qu. 33, p. 159-167; qu. 115, p. 119-127; qu. 121, n. 7-9;
qu. 123, n. 63-68; vgl. auch Sellert, Carpzov (Anm. 24), S. 338. 146 Insb. Carpzov, Practica nova (Anm. 29), qu. 33, n.
9-15, 40-49; qu. 115, n. 9-15, 30-38, 74-78. Vgl. auch ders., Inquisition-
und Achtsprocess (Anm. 56), tit. 8, p. 113-125. Carpzovs Lehre zur Defension
folgte z.B. Christopherus Blumblacher, Commentarius in Kayser Carl des
Fünfften und des Heiligen Römischen Reichs Peinliche Halsgerichtsordnung,
Salzburg 1670, Art. 47, p. 136-147.
147 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 115, vor n. 1.
148 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 115, n. 4-5.
149 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 115, n. 9.
150 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 115, n. 89 s., 92.
151 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 33, n. 9; qu. 115, n. 13.
152 Zu Einzelheiten Carpzov, Practica
nova (Anm. 29), qu. 115, n. 21-28.
153 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 115, n. 30-33.
154 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 33, n. 12.
155 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 33, n. 14, 16; qu. 115, n.33 s.; vgl. auch n. 85-88.
156 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 33, n. 15.
157 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 33, n. 10 s., 40-48; qu. 115, n. 75 s.
158 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 33, n. 40.
159 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 121, n. 7-9; vgl. auch qu. 115, n. 75 s. 160 F.A.G., Advocat (Anm. 20), cap. 6, §§ 18-20,
S. 89-92; vgl. auch Böhm, Schöppenstuhl (Anm. 10), ZStW 61,
S. 361; Julius Vargha, Die Vertheidigung in Strafsachen, Wien 1878,
S. 184.
161 Vgl. auch Carpzov, Practica
nova (Anm. 29), qu. 123, n. 60; qu. 120, n. 75.
162 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 62.
163 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 123, n. 69 s.
164 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 117, n. 9 s., 27, 69; qu. 123, n. 31; qu. 120, n. 4; ebenso
Blumblacher, Commentarius (Anm. 146), p. 162, im Anschluß an Carpzov.
Zur richterlichen Entscheidungsfreiheit im ius commune Schmoeckel,
Humanität (Anm. 5), S. 267-294.
165 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 127, n. 1; qu. 123, n. 67.
166 Dazu s.o. unter III.; Carpzovs
Richterkritik entspricht weitgehend den Klagen über den Mißbrauch
der Folter, die der sog. Klagspiegel schon gegen
Ende des 15. Jhs. vorgetragen hatte; dazu Trusen, Strafprozeß
(Anm. 36), S. 86-90 (Zitat 87). 167 Carpzov, Inquisition- und Achtsprocess (Anm. 56),
Titel 11, Art. 1, Ziffer 1 (3) und (4), S. 126 f. 168 Carpzov, Inquisition- und Achtsprocess (Anm. 56),
Titel 11, Artic. 1, Ziffer 1 (4), S. 126. 169 Carpzov, Processus iuris, tit. 16, cap. 1, n. 29;
ders., Practica nova (Anm. 29), pars 3, qu. 116, n. 19.
170 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 116, n. 5, 16.
171 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 116, n. 6.
172 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 116, n. 11.
173 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 116, n. 18.
174 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 116, n. 15; vgl. auch ders., Responsa juris electoralia, praefatio
ad lectorem, Ausgabe Leipzig 1709.
175 Zur Aktenversendung in Strafsachen
Carpzov, Practica Nova (Anm. 29), qu. 116, n. 1-33.
176 Kleinheyer, Tradition (Anm.
35), S. 14. 177 Vgl. Carpzov, Inquisition- und Achtsprocess (Anm.
56), Titel 11, Art. 1, Ziffer 1 (1), S. 126; ders., Practica nova (Anm.
29), qu. 116, n. 26.
178 Vgl. Fiorelli, Tortura (Anm.
53), vol. 2, S. 53 f. 179 Carpzov, Processus iuris in foro Saxonico, tit. 16,
cap. 1, n. 22-23 b, p. 559 der Ausgabe Jena und Helmstedt 1690. 180 Carpzov, Practica nova (Anm. 29), qu. 127, n. 28;
qu. 116, n. 24-28, p. 129 s.; ders., Processus iuris in foro Saxonico,
tit. 16, cap. 1, n. 22-23b, p. 559 der Ausgabe Jena/Helmstedt 1690;
zu den unteren Strafgerichten in der kursächsischen Gerichtsverfassung
Härter, Carpzov (Anm. 30); S. 207-212.
181 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 124, n. 25.
182 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 126, n. 11.
183 Carpzov, Practica nova (Anm.
29), qu. 127, n. 28. Manche Eigentümlichkeit des Strafprozeßrechts
war ganz auf die Aktenversendung zugeschnitten, u.a. das artikulierte
Verhör. Vgl. Carpzov, Practica nova, qu. 124, n. 30-50 (Zitat
30): Hoc enim observantia fori Saxonici introduxit, ut in quavis
inquisitione articulate procedatur, formatis nempe articulis inquisitionalibus,
factoque certis positionibus incluso, quo exactius veritatis delicti
indagari & exquiri possit. Vgl. auch Carpzov, Inquisition-
und Achtsprocess (Anm. 56), Titel 10, Artic. 3-4, p. 141 s.; zu den
kanonistischen Wurzeln des artikulierten Verhörs Trusen, Strafprozeß
(Anm. 36), S. 68. 184 Bezeichnend ist Carpzovs These, daß den Entscheidungen
des Leipziger Schöffenstühls gesetzesgleiche Kraft zukomme
- consuetudinem facit, ac vigorem legis habet;
Carpzov, Jurisprudentia forensis Romano-Saxonia, pars 4, const. 42,
def. 16, n. 56, p. 1464 der Ausgabe Frankfurt/Leipzig 1650.
185 Vgl. auch Sellert, Carpzov (Anm.
24), S. 338. Für ein Gegenbeispiel - die Verhältnisse in Braunschweig-Lüneburg
um 1700, wo man eine schrankenlose Folterpraxis betrieb - vgl. Danker,
Räuberbanden (Anm. 95), S. 139-144, 150 f.
186 Die Kontinuitätslinie reicht
z.B. bis Regner Engelhard, Versuch eines allgemeinen peinlichen Rechtes
aus den Grundsätzen der Weltweisheit und besonderst des Rechts
der Natur, Frankfurt und Leipzig 1756, Nachdruck Goldbach 1996, §§
451-461, S. 643-662: Nun ist zwar freylich die Folter kein
ganz sicheres Mittel die Wahrheit herauszubringen ... Da aber nun dem
gemeinen Wesen daran gelegen ist, daß besonderst große Verbrechen
nicht ungestrafet bleiben ... So ist die Folter an und für sich
für zuläßig zu halten. Unverzichtbar sei andererseits
eine große Behutsamkeit und Einschränkung
(§ 451, S. 644 f.). Vgl. auch Johannes Paul Kress, Commentatio
in Constitutionem criminalem Caroli V, Hannover 1736, Nachdruck Goldbach
1996, notae ad art. 45-47, p. 156-194; Blumblacher, Commentarius (Anm.
146), p. 131 ff.
187 Rescript des Kurfürsten
Friedrich August an die Schöffenstühle in Leipzig und Wittenberg
vom 20.2.1770 wegen Abstellung der Marter, auch der Einschränkung
des Gebrauchs der Eide; Instruktion vom 2.12.1770, in: Zweyte
Fortsetzung des Codicis Augustei oder anderweit vermehrtes Corpus Juris
Saxonici, Leipzig 1805, Sp. 329 f. (Zitat 329), 331 f.
188 Vgl. z.B. den Überblick
bei Andreas Blauert, Die Epochen der europäischen Hexenverfolgung,
in: Wilbertz/Schwerhoff/Scheffler, Hexenverfolgung (Anm. 2), S. 28-43;
s. auch Schmidt, Glaube (Anm. 3), S. 12. 189 Wolfgang Behringer, Hexenprozesse in Bayern, München
1988, S. 4; vgl. zuletzt Falk, Rezension zu Schmidt, Glaube und Skepsis
(Anm. 3). |