Ob und wie Rechtsphilosophie inhaltlich wandlungsfähig ist, so
daß sie sich geschichtlichen Rechtsumwandlungen anpassen kann,
ohne darüber ihre zeitunabhängige und zeitkritische Aussagekraft
zu verlieren, ist eine bis heute umstrittene Frage. Im folgenden soll
zur Lösung derselben beigetragen werden durch die Rekonstruktion
einiger Argumente des im deutschen und englischen Sprachraum weithin
vergessenen Rechtsphilosophen Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832),
dessen Philosophie sich in Spanien, Portugal und Lateinamerika seit
150 Jahren großer Aufmerksamkeit erfreut. | 1 |
Zunächst wird (1) generell das Problem, welches Rechtsveränderungen
für die Rechtsphilosophie darstellen, erörtert, sodann (2) die
dem historischen Wandel gegenüber offene Methode Krauses skizziert
und (3) hinsichtlich der Realphilosophie des Rechts spezifiziert, so daß
schließlich (4) eine Übersicht über zentrale, sich daraus
ergebende inhaltliche Momente seiner Rechtslehre gegeben werden kann, die
(5) zu heutigen Überlegungen führen, wie eine Synthese von Dauer
und Wandel im Recht zu denken wären. | 2 |
(1) Rechtsumwandlungen
als Problem der Rechtsphilosophie |
Jede Rechtsphilosophie, die nicht bloß Philosophie
jenseits des gelebten Rechts sein will, muß Umwandlungen des historischen
Rechts in ihrer Theorie reflektieren. Will sie dabei aber nicht nur den
Verwandlungen, sondern auch dem in allem Wandel sich durchhaltenden Wesen
des Rechts entsprechen, bedarf sie einer Erklärung, welche das Recht
als unbezüglich auf historischen Wandel und zugleich doch auch als
auf ihn hin angelegt ausweist. Es stellt sich also die Frage, inwieweit
die Philosophie des Rechts sich selbst treu bleiben und gleichzeitig Veränderungen
inkorporieren kann. Jenes Problem der Wandlungsfähigkeit der rechtsphilosophischen
Theorie stellt sich nicht nur material und hinsichtlich der Frage, welche
neuen Aspekte von Recht und Gerechtigkeit wir durch politische und soziale
Veränderungen jeweils in den Blick bekommen und sukzessive in unserem
Begriff vom Recht berücksichtigen, sondern auch formal: hinsichtlich
der Methoden, mit denen wir von mal zu mal Rechtsphilosophie treiben. Der
im heutigen Theoriebewußtsein stets präsente Wandel der Zeiten
bringt es mit sich, daß der Versuch, den Begriff des Rechts bloß
induktiv von dem jeweils Vorfindlichen her zu gewinnen, zu kurz greift;
denn, was bliebe uns dann, um überhistorisch Recht von Unrecht zu unterscheiden
und den Erkenntnisanspruch der Philosophie auf Wesenserkenntnis zu realisieren?
Ebensowenig scheint es heute möglich, rein deduktiv aus höchsten
Grundsätzen die Rechtswirklichkeit abzuleiten und Details des Rechtslebens
axiomatisch herbeiphilosophieren zu wollen. Bleibt dennoch unser Interesse
an konkret gestaltenden Rechtsbegriffen bestehen, wie dann sollen wir es
befriedigen? | 3 |
In nachkantischer Philosophie ist stets zu vermitteln zwischen
eher objektivistischen Rechtstheorien, die den Gerechtigkeitsgehalt rechtlicher
Regeln gerne aus ontisch-normativen Sachgegebenheiten (z.B. der 'Natur der
Sache') herleiten wollen, und solchen, die subjektivistisch den Wertgehalt
der Rechtsregeln allein aus der axiologischen Intention der rechtsetzenden
und rechtsbefolgenden Personen herleiten. Nun ist richtig, daß ohne
unsere wertschöpfenden Setzungen die Wirklichkeit wohl kaum in der
Weise rechtlich geordnet wäre, wie wir sie erleben; und zugleich ist
nicht von der Hand zu weisen, daß die überwiegende Mehrheit unserer
Wertkonsense bemüht ist, 'sachangemessen' oder 'verhältnismäßig'
auszufallen, mit anderen Worten: wir versuchen unserer subjektiven Normierungen
gerade nicht subjektivistisch vorzunehmen, sondern an als objektiv intendierter
Normativität auszurichten. | 4 |
Wenn heute weitgehend Einigkeit besteht, daß die
hier anklingenden Differenzen zwischen objektiver und subjektiver Rechtsethik
sowie zwischen historischer und apriorischer Rechtstheorie bzw. zwischen
induktiven und deduktiven Methodenlehren weder sinnvoll in einer überrationalen
Philosophie erstickt, noch in einer postmodernen Beliebigkeit ertränkt
werden sollten, so steht die gegenwärtige Rechtsphilosophie vor der
Frage, wie das sachliche Recht der aufgeführten Einzelpositionen gewahrt
werden kann, ohne die berechtigten Einwände der jeweiligen Relate aufzugeben.
Dieses Anliegen teilt, von anderen, aber der Problemlage nach vergleichbaren
Umständen ansetzend, die Rechtsphilosophie von Karl Christian Friedrich
Krause, die dieser in Absetzung vom Jenaer Frühidealismus von 1803
an zu entfalten beginnt. | 5 |
(2) Krauses
philosophische Methodologie |
K.C.F. Krause teilt seine gesamte Philosophie zweifach
auf: Einmal unterscheidet er die Grundwissenschaft bzw. die Philosophie
als Wissenschaftslehre und Fundamentalphilosophie von den Real- bzw. Regionalphilosophien,
zum zweiten sondert er innerhalb beider Gebiete jeweils einen analytischen
von einem synthetischen Systemteil. Seine analytische Philosophie baut sich
als transzendentalphilosophisch ausmündende Phänomenologie des
lebensweltlich-alltäglichen Bewußtseins auf, seine synthetische
Philosophie ist als eidetische Noumenlogie der Denk- und Seinsbestimmungen
- oder in Krauses Sprache: als "Wesenheitenlehre"
- konzipiert. In der kategorial vertieften Selbsterkenntnis des über
sich hinausweisenden menschlichen Bewußtseins sind beide Philosophieteile
miteinander verbunden und aufeinander verwiesen. | 6 |
Um zu verdeutlichen, was sich hinter diesen Chiffren verbirgt,
schreiten wir einige zentrale Punkte dieses Wissenschaftsprogramms kurz
ab: Krause hebt beim kulturell vorgebildeten Bewußtsein seiner Zeitgenossen
an, denn mit einem gänzlich leeren Bewußtsein philosophieren
zu wollen, ist in seinen Augen, wenn es glückt, tautologisch, und wenn
es scheitert - man also mit einem uneingestanden vorgeprägten Bewußtsein
arbeitet -, ideologisch. Sobald das gewöhnliche Bewußtsein auf
die zum Einstieg in die kantischen Erkenntniskritik erforderliche Selbsteinsicht
hingeführt ist, vollzieht Krause jene Kritik mit eigenen - die menschlichen
Emotionen und Wollungen einbeziehenden - philosophischen Mitteln nach. Deutliche
Kritik sendet er in Richtung Deutscher Idealismus, dem er vorwirft, die
kantische Philosophie lediglich als Aufstieg zum Konzept des Absoluten zu
benutzen, aus dem dann um so ungenierter heraus deduziert werde, anstatt
sich den kritischen Weg auch als Methode zu den Gegenständen der Philosophie
angeraten sein zu lassen. Auf diesen Punkt wird noch zu rekurrieren sein.
- Doch ebenso scharfe Kritik trägt Krause jenen entgegen, die den kantischen
Ausgangspunkt dazu mißbrauchen, unter Hintanstellung der metaphysischen
Aufgabe des Denkens, beim kritischen Geschäft als einem bloß
skeptischen stehenzubleiben. Die Behauptung von Empirismus, Positivismus
und Historismus, Wissen könne nur induktiv gewonnen werden,
wird von Krause als eine selber durchaus nicht induktiv zu gewinnende
These dekonstruiert, um dadurch vorzuführen, daß die Frage nach
einem gewissen Wissen von etwas, das jenseits rein analytischer Begriffszergliederung
sowie jenseits bloßer Erfahrungsverallgemeinerung liegt - also die
Frage Kants nach synthetisch-aprirorischer Erkenntnis - nach wie vor offen
ist und darum offen gestellt werden muß. | 7 |
Krause selbst meint nun - nicht anders als später Husserl
- keinen anderen Ausgangspunkt für die Wissenserforschung gewinnen
zu können, als das Ich in seiner unmittelbaren Selbstwahrnehmung.
Dabei kann Krauses Phänomenologie des lebensweltlichen Bewußtseins
zeigen, daß das Ich sich nicht als Grund seiner selbst oder seiner
unaufgebbaren Weltvermeinungen begreift. Wird es von der methodischen
Skepsis bis auf die Frage nach dem letzten Grund jener das Selbst konstituierenden
Gewißheiten (Ich, der selbständige Andere, die Außenwelt)
geführt, so greift es über sich hinaus auf einen unterstellten
Grund von noumenaler und phänomenaler Welt aus, ganz so, wie es
sich in der kantischen Rede vom 'intelligiblen Substrat' von Natur-
und Geistwelt ankündigt. Doch hat der Begriff dieses Einheitsgrundes
auch extramentale Realität? Kann der transitive Gehalt dieser Idee
durch intransitives Denken bewiesen werden? Hierzu sagt Krause - gegen
jeden Versuch einer transzendentaltheologischen Restituierung des ontologischen
Gottesbeweises - Nein.
| 8 |
Jedoch geht es hier auch gar nicht um den 'Beweis' eines
extramentalen Einheitsgrundes mittels mentaler Operationen, sondern im 'Aufweis'
des Gedankens vom unvordenklichen Einheitsgrund um die Selbstdurchsichtigkeit
des menschlichen Denkens als solchen. Die Legitimität regulativen Ideengebrauchs
in dieser Hinsicht hatte auch Kant verfochten, doch weitergehend meint Krause
unter bestimmten Bedingungen zudem einen konstitutiven Gebrauch jener Gedanken
in die neuzeitliche Philosophie wieder einführen zu können. Möglichkeitsbedingung
desselben wäre, den ins Extrem getriebenen Zweifel zu ihrer Fundierung
zu nutzen; konkret: Krause zeigt, daß die im radikalen Zweifel in
Frage gestellten, aber dennoch nicht durch das lebendige Bewußtsein
aufzugebenden Weltthesen (Ich, der selbständige Andere, die Außenwelt)
weder durch sich, noch durch das reine Ich, noch durch bloße Objektivität
erzeugt, sondern als bestehend und zugleich als subjektiv hinterfragbar
(Möglichkeitsbedingung des methodischen Zweifels) gedacht nur werden
können unter der Voraussetzung eines übersubjektiven wie überobjektiven
Grundes. | 9 |
Insofern kommt der intellektuellen Vergegenwärtigung
des Gedankens vom letzen aller Gründe eine Schlüsselrolle im fundamentalphilosophischen
Denken zu; nicht deshalb, weil das Ich sich ohne ihn nicht im eigentlichen
Sinne erfaßt (transzendentale Dimension), sondern vielmehr deshalb:
Das Ich kann sich und die Welt durch die Idee des letzten Grundes allein
darum adäquat begreifen, weil und sofern diese Idee eine von der individuellen
Kognition unabhängige Realität hat bzw. ist (fundamentalontologische
Dimension). Demnach ist es für Krause nicht das Ich, von dem her der
letzte Grund gerechtfertigt wird, sondern rechtverstanden liefert der letzte
Grund das Fundament, von dem her das Ich sich selbst versteht. Das ist Letztbegründungsmetaphysik,
selbstverständlich, jedoch in durchaus unproblematischer Form:
sie restringiert sich erstens darauf, nur für den zu gelten, der sie
im eigenen Bewußtseinsvollzug mitgeht, und zweitens konstituiert sich
so lediglich eine vorläufige Letztbegründung, da nämlich
die durch den so ermöglichten Begriffshorizont zu gewinnenden Erkenntnisse
nur insoweit gelten, wie sie zum einen rational unbestritten bleiben und
zum anderen analytisch widerspruchsfrei rekonstruiert werden können.
| 10 |
Ist es nämlich möglich, eine vom letzten Grund
aus geführt Argumentation mit vernünftigen Gründen zu bestreiten,
so ist - weil der letzte Grund der Vernunft natürlich auch der letzte
Grund aller Logizität ist - der jeweilige Anspruch auf Letztbegründung
bereits außer Kraft gesetzt. Die nämliche Argumentation muß
entweder falsch sein oder doch zumindest unvollständig und entsprechend,
die aufgekommenen Antinomien produktiv verarbeitend, modifiziert werden.
(Hier liegt der metaphysische Grund für die Fähigkeit von Krauses
philosophischem System, geschichtliche Entwicklung zu verarbeiten: sie ist
für ihn stets die Probe aufs Exempel der Integrationsfähigkeit
der philosophischen Gedankenbasis.) Der letzte Grund, wie Krause ihn denkt,
ist also nicht letztbegründendes Prinzip im Sinne einer diktatorischen
Beendigung noch offener Debatten, sondern gibt im Gegenteil die Kriterien
zur kritischen Überprüfung all solcher Argumente her, die sich
als historisch unbestreitbar ausgeben, ohne es zu sein. | 11 |
Damit stellt Krauses - nach Abschluß der phänomenologischen
Reinigung und der transzendentalenphilosophischen Interpretation des Selbst
- dieses in einen es und die gesamte Welt umgreifenden Horizont, von dem
absteigend die Reformulierung des Subjekt- und Weltbewußtseins begonnen
wird. Dementsprechend befleißigt sich das Bewußtsein, im synthetischen
Abstieg die Dinge zuerst sub specie aeternitatis - nach ihrer überzeitlichen
Wesenheit - und sodann nach ihrer zeitlichen Erscheinungsform zu
bestimmen. Das heißt nun also gerade nicht, das Ich erstrebe mit der
Metaphysik eine unhistorische Welterkenntnis; vielmehr liegt darin der Versuch,
Historisches anders als nur historisierend zu erkennen. Mit anderen Worten:
Diejenigen Fundamentalentitäten, die das Ich ontisch immer schon
als gegeben hinnimmt - bei Krause in die Gruppen: Natur, Vernunft, Menschheit
geordnet -, werden nun ontologisch reformuliert und gedeutet. Was
zuvor funktionalistisch-intensionaler Begriffsgebrauch zur Beschreibung
von Bewußtseinsgehalten war, wird nun versuchshalber - das heißt,
auf die ausdrücklich eingeforderte Probe der Phänomengerechtigkeit
hin - zu essentialistisch-extensionaler Wirklichkeitsbeschreibung im Dienste
einer regulativen Lebensweltontologie. Den als extramental intendierten
Gegenständen des Subjektbewußtseins werden ontische und axiologische
Eigenschaften anhand des über sie empirisch verfügbaren Wissens
beigemessen: realistischer Idealismus. | 12 |
(3) Die rechtsphilosophische
Methode |
Auch Krauses Philosophie des Rechts kennt jenes Doppelverfahren
aus analytischem und synthetischem Teil. Zunächst sucht Krause das
seinerzeitige Vorverständnis vom Recht auf und untersucht es konsistenzlogisch.
Er lehnt es ab, zunächst ein leeres Bewußtsein zu fingieren,
um sodann die nötigen Bestimmungen desselben nachträglich in die
Theorie einzuschleusen. Sinnvoller erscheint es ihm, sich die Vorprägungen
historischer und kultureller Art einzugestehen, die unser Denken über
das Recht immer schon hat, bevor es auf die Stufe der Reflexion gehoben
wird. Eingestandene Vorurteile können kritisch gesichtet und gebilligt
oder verworfen werden; uneingestandene Vorurteile dagegen entziehen sich
der argumentativen Relativierung und desavouieren auf diese Weise den Anspruch
der Philosophie, überparteilich zu sein, grundlegend. | 13 |
Es zeigt sich, daß wir Recht immer schon in unseren Lebensverhältnissen
vorfinden: wir schreiben es Personen zu und lokalisieren es im Rahmen
derjenigen Personalverhältnisse, die durch Freiheit gestaltet werden.
Daher ist es kaum zufällig, wenn die philosophische Tradition in
ihren Rechtsdefinitionen immer wieder das Recht in Zusammenhang mit
den Begriffen Leben, Freiheit und Person gebracht hat. In der Tat regt
sich immer dann, wenn freiheitsbestimmte Handlungen des einen gegen
Freiheit und Leben des anderen verstoßen in unserem Bewußtsein
ein Unrechtsempfinden. Während wir nämlich naturbedingte und
unwillkürliche Beeinträchtigungen unserer Selbstverwirklichung
lediglich als un-angenehm empfinden, werten wir willkürliche
Beeinträchtigung als un-recht. Wir haben, so scheint es,
von Geburt an zumindest einen negativen Begriff von unseren Rechten
auf ein Leben in Freiheit. Die Aufgabe analytischen Rechtsdenkens ist
es nun, dieses Vorverständnis mit den Definitionsangeboten der
philosophischen Tradition soweit abzugleichen, bis ein integrativer
Begriff desselben unsere Rechtsintuition abdeckt, um sodann im System
der sonstigen analytisch gewonnenen Begriffe unserer praktischen Vernunft
seinen systematischen Ort zu finden. Die Durchführung dieses Programms
hier überspringend lautet ihr Ergebnis: Die analytische Bestimmung
des Rechts ist das System derjenigen durch zeitlich-freies Handeln gestaltbaren
konkreten Bedingungsverhältnisse, die es distributiv einem jeden
ermöglicht, im Rahmen allseitig-wechselseitiger Freiheitsgewähr
ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
| 14 |
Krause glaubt, die Tradition damit in puncto Genauigkeit zu übertreffen.
Einerseits stellt er sich mit Kant auf den Standpunkt, daß das
Recht nicht aus kontingenten Zweckbestimmungen hergeleitet werden könne
oder lediglich als Gewaltordnung bzw. als funktional zur individuellen
Nutzenoptimierung angesehen werden dürfe, womit weite Teile der
klassischen Rechtsphilosophie in ihre Schranken gewiesen werden. Andererseits
aber betont Krause, daß seine Rechtsbestimmung über Kant
hinausgehe, indem sie nicht nur die Negation der Negation von Freiheit
gebiete, sondern eigens positiv zur Setzung der konkreten Ermöglichungsbedingungen
distributiv-allgemeiner Freiheitspraxis aufrufe. Demnach gehört
es nämlich auch zu den Aufgaben des Staates, die Subjekte allererst
zum Freiheits- und Rechtsgebrauch zu befähigen: Krause spricht
von einem "Rechtsbefähigungsrecht" als Grundrecht, das
auch Kindern, Unmündigen und Behinderten zu weitestgehender rechtlicher
Selbständigkeit verhelfen soll.
| 15 |
Nun steht dieser Rechtsbegriff aber zunächst noch unter der durch
ihn selbst nicht sicherzustellenden Voraussetzung, daß die ihn
konzipierende menschliche Vernunft in ihrer analytisch-autokritischen
Reflexion zutreffende Wesensbestimmungen über extramentale Sachverhalte
vornehmen kann. Daß aber unser (inter-)subjektiver Begriff
vom Recht mit seinem Wesen schlechthin und mit den jeweiligen konkreten
rechtlichen Regelungsgegenständen objektiv zusammentrifft,
hängt von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit gültiger
transitiver Aussagen durch menschliche Vernunft ab und kann daher im
Rahmen bloß analytischer Rechtsphilosophie lediglich postuliert
bzw. genauer: gehofft werden. Erst innerhalb synthetischer Rechtsphilosophie
läßt sich zeigen, daß diese Hoffnung nicht trügt.
| 16 |
Die Rechtsphilosophie muß daher, wie jede sonstige
Regionalphilosophie auch, den Topos des letzten Grundes aufsuchen und sich
aus ihm legitimieren. Das kann nur dann glaubhaft gelingen, wenn der letzte
Grund nicht erst anläßlich unserer rechtsphilosophischen Begründungsbemühungen
rechtsspezifische Konturen annimmt - bzw. erst auf unser Begründungsbedürfnis
hin spekulativ rechtlich ausgelegt wird -, sondern bereits von sich selbst
her rechtlich verfaßt ist. Der letzte Grund muß von sich her
Rechtsqualität haben - oder in der Sprache Krauses: Recht muß
eine "Grundwesenheit" sein. Und genau das ist dann auch die Fundamentalthese
von Krauses Rechtsmetaphysik: das Sein ist an und für sich selbst rechtlich
strukturiert, weshalb eine normativ-rechtliche Spannung zum ontologischen
Fundament allen Daseienden gehört und nicht erst ontisch-extern zu
den jeweiligen Lebensverhältnissen hinzuspekuliert wird. Recht entspricht
der Wesensnatur des Daseins prinzipiell, sodaß rechtliches Sein und
Sollen sich nur als relative, nie aber als absolute Gegensätze aufspalten
können: ihre rekursive Vermittlung durch gesatztes Recht ist prinzipiell
möglich und darum stets geboten. | 17 |
Damit ist zunächst gemeint, daß des Menschen rechtliche
Strukturierung seiner Lebenswelt nicht bloß auf einer trügerischen
Fiktion beruht oder schiere soziale Konstruktion ist. Zwar ist im Rahmen
von Krauses geschichtsoffener Metaphysik keinesfalls zu bestreiten,
daß ein bedeutender Anteil an aller rechtlichen Formgebung unserer
praktischen Verhältnisse subjektiv-konstruktiver Natur ist, daraus
kann aber nicht abgeleitet werden, diese rechtliche Durchformung der
Lebenswelt sei insgesamt eine letztlich zufällig Betätigung
der menschlichen Phantasie, die ebensogut auch anders ausfallen oder
hätte gänzlich ausbleiben können. Das jedermann aus der
Alltagserfahrung offenbare Korrespondenzinteresse des Gerechtigkeitsstrebens,
unsere ständigen Versuche, nicht irgendwelches Recht zu erfinden,
sondern 'sachangemessene' Vereinbarungen zu finden, nicht irgendwelche
Verabredungen zu treffen, sondern zu 'verhältnismäßigen'
Regelungen vorzudringen, legt erkennbar ein Streben nach objektiver
Rechtmäßigkeit offen, der ein intentionales Korrelat entspricht.
Natürlich ist es unmöglich, ohne jedwede subjektiv-rationale
Vermittlungsleistung, mithin allein aus der vermeinten Wesensnatur der
jeweils regelungsbedürftigen Gegebenheiten heraus Recht zu generieren,
als sei dies bloß eine simple logische Komponente von Daseinsbestimmungen,
unter die man entsprechende normative Regelungen einfach passungsgerecht
subsumieren könnte. Dennoch wird es stets die Absicht jedes reflektierenden
Rechtssetzers sein, mit seiner Rechtssetzung der sogenannten 'Natur
der Sache' zu entsprechen - und sei es nur, damit die erdachten Regelungen
nicht wirkungslos verpuffen. Dieser Entsprechungsversuch müßte
als aberwitzig aufgegeben werden, wenn nicht die zu regelnden Sachverhalte
selbst von mindestens latent rechtlicher Struktur wären.
| 18 |
Da Krauses Rechtsphilosophie die in dieser Hinsicht zu suchenden Passungen
nicht aus dem Nichts erzeugen oder spekulativ generieren will, greift
sie in der konkreten Durchführung durchgängig auf die analytische
Rechtsphilosophie zurück, welche die historisch bereits ausgebildete
Rechtsdogmatik und deren Fragestellungen am Orte des gebildeten Rechtsbewußtseins
aufnimmt und weiterführt. Der dabei inszenierte Kontakt von apriorischer
Rechtsphilosophie und historischer Dogmatik wird von Krause in Wechselverhältnissen
durchgespielt. Die produktive Anverwandlung dogmatischer Fragestellungen
gehört für ihn zu einer jeden ernsthaft betriebenen Rechtsphilosophie
hinzu, da diese nur so ein sachangemessenes Problembewußtsein
erreicht. Umgekehrt aber - und das ist im Zusammenhang der Frage nach
der Wandlung der Rechtsphilosophie durch Veränderung des historisch
geltenden Rechts von besonderer Bedeutung - denkt Krause auch an eine
funktionale Indienstnahme tradierter Rechtsphilosophie durch juristische
Dogmatik. Heute nennt man ein solches Unterfangen 'Dogmenphilosophie'
und bezeichnet damit den Versuch, ohne eigenständige metaphysische
Grundannahmen, allein auf dem Boden der jeweiligen Rechtsordnung stehend,
die philosophische Tradition zu vergegenwärtigen, indem man ihre
an sich überhistorisch gemeinten Bestimmungen vorsätzlich
historisiert, d.h. problemlösungsorientiert auf den gegenwärtigen
Rechtskontext bezieht. | 19 |
Obschon nicht im strengen Sinne Rechtsphilosophie
wird dieses Vorgehen gleichwohl durch Krause ausdrücklich gerechtfertigt
und eingefordert, denn die historisch besondere Situation kann als solche
niemals durch eine notwendig jenseits des Einzelnen ansetzende Theorie angemessen
erfaßt werden. Um die ewige Lücke aus Theorie und Praxis zu überbrücken,
kann nicht die Gedankenbewegung reiner Philosophie auf das konkret-Allgemeine
hin genügen, sondern es muß umgekehrt aus dem jeweilig Einzelnen
heraus das historisch-Besondere entwickelt und auf den philosophisch anzueignenden
Begriff gebracht werden. Und eben diese Gedankenbewegung kann nicht der
Philosoph, sondern von Amts wegen nur der Jurist adäquat vollziehen.
Ihr Vollzug markiert den reflexiven Selbststand der juristischen Rechtswissenschaft,
der von der Philosophie keinesfalls substituiert werden kann; nur gemeinsam
vermögen beide Wissenschaften die Spannung von Historizität und
Lebensweltbezug einerseits und Apriorizität und Wesensgehalt des Rechts
auszugleichen. Statt eines 'Streits der Fakultäten' geht Krause also
von einer Kontrastharmonie derselben aus. | 20 |
(4) Rechtsphilosophische
Positionen |
Aus dem Bisherigen zieht Krause inhaltliche Folgerungen,
die zu seiner Zeit äußerst ungewöhnlich waren und auch heute
noch sehr modern klingen. Seine Rechtslehre baut sich von dem Begriff der
Menschenwürde auf; diese verortet Krause als gänzlich unbedingte
Personenwürde direkt im letzten Grund allen Rechts, mit der Folge,
daß sie dem historischen Menschen aufgrund von dessen Zugehörigkeit
zum nicht-empirischen metaphysischen Gesamtsubjekt "Menschheit"
zukommt. So ist die Menschenwürde von vorneherein aller Verfügbarkeit
durch positivierte Rechtsordnungen und nationale Kodizes entzogen und bringt
umgekehrt diese unter normativen Druck, dem im Konzept unbedingter Personenwürde
artikulierten Anerkennungsgehalt in gesatztem Recht gerecht zu werden. Wie
immer das historische Rechtsleben beschaffen sein mag, die in ihm realisierte
und zu realisierende Rechtswürde ist keine erst durch es geschaffene,
sondern bestenfalls eine durch bestimmte historische Rechtsordnungen erstmalig
zur zeitlichen Erscheinung gebrachte Rechtskategorie, welche darum in ihrer
Geltung nicht relativ auf ihre besondere historische Genese ist. | 21 |
Konkret: Keine Rechtskultur kann gültig den Gedanken der Menschenwürde
verweigern, keinem Individuum kann dieselbe gültig abgesprochen
werden, auch Straftäter haben ein Recht auf ein menschenwürdiges
Leben, auch behindertem und ungeborenem Leben kommt Menschenwürde
ungemindert zu; Verbrechen gegen dieselbe sind als Verbrechen nicht
nur am historischen Menschen, sondern zugleich am metaphysischen Subjekt
"Menschheit", d.h. als Verbrechen gegen die Menschheit insgesamt
zu betrachten, die darum grundsätzlich auch alle Menschen legitimieren,
gegen derartiges Tun vorzugehen. Auch in zeitlicher Hinsicht gilt dies
bzw. wird die Rechtsperson "Menschheit" entgrenzt. Die künftigen
Generationen sind genauso Rechtssubjekte im metaphysischen Sinne
wie die gegenwärtige Lebenden. Ihre Rechte liefern daher einen
das momentane Rechtshandeln ebenso restringierenden Rahmen wie die unverfügbaren
Rechte der gegenwärtig existierenden Subjekte. | 22 |
Da eine insofern un-bedingte Rechtswürde einem
jedem gleichsam angeboren ist, folgt, daß der Schutz der menschlichen
Würde und der sie artikulierenden Recht nicht erst Resultat von Vertrag
und Tausch aufgrund wechselseitig-bedingender Leistungen und Abreden
darstellt, wo etwa beim Ausbleiben der Leistung des einen das Rechtsverhältnis
durch den anderen aufgekündigt werden könnte. Der vielbesungene
Gesellschaftsvertrag mag zwar durchaus das konkrete Rechtshandeln als Orientierungsmarke
begleiten, daß aber den Subjekten überhaupt Rechtswürde
und Grundrechte zukommen, wird nicht erst durch einen empirischen oder gedachten
Vertrag konstituiert, sondern versteht sich aus dem philosophischen Personenbegriff
von selbst. Allen Subjekten, die - weshalb auch immer - außerstande
sind, den gemeinhin üblichen gesellschaftlichen Leistungs- und Rechtstausch
mitzuvollziehen, gebührt nichtsdestoweniger der ungeminderte Schutz
des Menschenrechts. | 23 |
Doch auch Tieren gegenüber anerkennt Krause Rechtsverbindlichkeiten.
Zwar schlägt er die physiozentrische Option, der natürlichen Umwelt
unmittelbar Eigenrechte zuzusprechen, aus. Dennoch ist sein synthetischer
Rechtsbegriff nicht auf menschliche Rechte allein verengt. Da Krause ja
sämtliche Rechte auf ihre Geltungsbedingungen in der Struktur von Personalität
überhaupt zurückführt, kann er problemlos ableiten, daß
eben jeder existierenden Person grundsätzlich Rechtswürde zukommt.
Nicht also, weil wir Menschen Mitglieder der Gattung homo sapiens sapiens
sind, dürfen wir uns auf der Erde rechtssetzend ausleben, sondern weil
wir Personen sind, haben wir ein Recht, unsere menschliche Form von Persönlichkeit
durch externe Selbstsetzungen zu verwirklichen. Ebenso natürlich müssen
wir dann das Selbstverwirklichungsrecht anderer Personen - etwa hochentwickelter
Tiere - anerkennen. | 24 |
Ein gerechtigkeitstheoretisches Resultat der Überlegung, alles
historische Recht als Ausfaltung eines überhistorischen Personenrechts
zu verstehen, ist ferner die Aufhebung des Begriffs selbständiger
Sachenrechte. Vermittelte Rechte an Sachen soll es nach Krause natürlich
nach wie vor geben, nicht aber einen direkten Eigentumsbezug eines Subjektes
auf ein Ding als solches. Die Gesamtheit aller Güter wird streng
genommen eben von der Gesamtheit aller Personen - und da diese nicht
auf einmal existiert: von dem metaphysischen Gesamtsubjekt "Menschheit"
- besessen. Eine Ausdifferenzierung dieses Gemeinbesitzes in individuelle
Besitzpositionen trägt von daher die prinzipielle Legitimierbarkeit
der jeweiligen Zuerkennung gegenüber der Menschheit als kritisches
Regulativ in sich. Deswegen können für Krause nicht wirklich
die Sachen selbst, sondern nur an ihnen haftende Realisierungsbedingungen
persönlichen Lebens privat angeeignet werden. Sinn und Zweck von
exklusivem Eigentum ist also nicht der Ausschluß anderer - dies
kann höchstens (und muß durchaus nicht immer) eine empirische
Rechtsfolge sein -, sondern die Nutzung von Umwelt zugunsten personaler
Lebensrechtsverwirklichung. Der Maßstab grundlegender Teilhabegerechtigkeit
aus metaphysischem Gemeinbesitz heraus liegt also jeder konkreten Allokation
bereits vorgängig zugrunde und stellt somit, von der konkreten
Gemeinschaft sozialrechtlich positiviert, keinen negativen Einspruch
in individuelle Besitzstände, sondern vielmehr deren legitimierende
Limitation dar. Die faire Chance eines jeden zur selbständigen
Weltaneignung wird zur Legitimierung einer die materielle Ungleichheit
der letztendlichen Besitzzustände anerkennenden Wirtschaftsordnung
eingefordert. | 25 |
Daß Krause mit seiner Konzeption eines überhistorischen
Personenrechts jedwede historisch verfestigte Diskriminierung aus religiösen,
rassischen oder religiösen Gründen abschleift, versteht sich
nach dem Ausgeführten von selbst. Aber auch im Hinblick auf soziale
und juristische Personen erweist sich sein Ansatz als transformativ.
Wenn nämlich alles Recht letztlich Personenrecht ist, so kann der
Staat als juristische Person den sonstigen (juristischen wie natürlichen)
Personen nicht absolut übergeordnet werden. Krause bestreitet jedweder
Sonderrechts- oder Subordinationstheorie die Legitimität, da der
Staat dem Begriffe nach Recht nur seinen rechtsfunktionalen Wesensmerkmalen
entsprechend zugesprochen erhalten kann. Als diejenige Rechtsperson,
deren durch Recht zu schützender Zweck die Rechtswahrung aller
ist, liegen Grund und Grenze dessen, daß sich der Staat den Bürgern
durch Macht überordnet, allein darin, ihnen zweckmäßig
zu ihrem Recht zu verhelfen.
| 26 |
Nicht definiert also der Staat das Recht, sondern das Recht definiert
den Staat und macht ihn dadurch zum Rechtsstaat, der den rechtlich legitimierten
Lebenszwecken der Personen zu dienen hat. Nicht der Staat setzt die
Subjekte ins Recht, sondern die Rechtssubjekte ermächtigen den
Staat, ihre allgemeine Sache - die Rechtsverwirklichung - als öffentliche,
d.h. für Krause: im Sinne republikanischer Herrschaft, zu betreiben.
Daher ist auch überhaupt kein Grund zu sehen, Personenvereinigungen
nicht ebenso wie Einzelpersonen Rechtsfähigkeit zuzuerkennen. Auch
"Vereinwesen" haben einen legitimen Anspruch darauf, daß
ihnen ihrem Organisationscharakter entsprechende rechtliche Handlungsräume
eröffnet werden. Auch hier gilt also die Umkehr der hergebrachten
Blickrichtung: Nicht der Staat verleiht gnadenhalber sozialen Vereinigungen
Rechtsfähigkeit, wenn dafür gute Gründe vorgebracht werden
können, sondern der Staat hat, sofern nicht rechtliche Gründe
dagegen vorliegen, stets die apriorisch gegebene Rechtsfähigkeit
der Vereinpersonen positiv-rechtlich anzuerkennen.
| 27 |
(5) Historische
Rechtsentwicklung |
Daß Krauses Rechtsmetaphysik der Geschichtlichkeit des Rechts
von vorneherein einen Ort im Systemgefüge zuweist und in der Generierung
konkreter Rechtsforderungen auf die philosophische Deutung der respektiven
historischen Gegebenheiten verweist, zeitigt auch hinsichtlich der Konzeption
der Rechtsideale Konsequenzen, die aus der Krause vorangegangenen Theorietradition
ausbrechen. Die Ausgestaltung der allgemeinen Rechts- und Gerechtigkeits-Idee
zu Rechts-Idealen verläuft als symbolischer Prozeß, in dessen
bildhafter Wirklichkeit die historische Ausgangslage umgeformt und indirekt
stets enthalten ist. Das historisch zu gewinnende Rechts-Ideal ragt
über die Positivität, der es entstammt, naturgemäß
heraus und wird ihr regulativ gegenübergestellt. Dennoch aber darf
das Rechts-Ideal dabei nicht als überzeitliche Repräsentation
eines optimalen Rechts verstanden werde; es soll sich ja gerade auf
historische Entwicklungsstufen des Rechts produktiv-kritisch beziehen,
anstatt zum leblosen Götzen zu versteinern. Das kann es nur, wenn
es an sich selbst historisch-progressiv ist, d.h. sich zeitlich (fort-)bildet:
es muß daher von historischen Individuen stets aufs Neue (re-)formuliert
werden. Das Rechtsideal macht folglich, im Wesen gleichbleibend, in
der Gestalt sich fortlaufend ändern, den Wandel der Zeiten mit.
Nur so wird es anwendbar auf das jeweilige Rechtsleben in seiner unendlich
konkreten Bestimmtheit. Die historische Urteilskraft der Subjekte soll
daher von der Rechtsphilosophie nicht übersprungen werden. Statt
die Philosophie auf den Thron der historischen Rechtsbeurteilung zu
setzen und ins Amt der Ideal-Produktion zu rufen, setzt Krauses Theorie
die historischen Rechtssubjekte ins Richteramt über das Recht ihrer
Zeit ein; die Philosophie liefert ihnen lediglich die normativen Konzepte
zur geschichtsphilosophischen Beurteilung des eigenen Rechtslebens.
Im Beispiel: Ob eine aufgeklärte Monarchie ein zu stabilisierender
oder aber abzulösender Rechtszustand ist, entscheidet nicht überhistorische
Vernunft, sondern die an überhistorischen Rechtskriterien orientierte
Vernunft der beteiligten Akteure.
| 28 |
Fassen wir die Bedeutung der Verschränkung von Metaphysik und
Geschichte, von Spekulation und historische Erfahrung in Krauses Rechtsphilosophie
deshalb so zusammen: Ziel dieser Bemühungen ist es, die Rechtsphilosophie
davor zu bewahren relativistisch-nichtssagend zu werden und zugleich
einen spekulativen Dogmatismus abzuwehren. Darum setzt Krause auf eine
metaphysische Bearbeitung vorrangig solcher Rechtsbegriffe, die er in
der Analyse des historischen Rechtsbewußtseins findet und stellt,
was den überschießenden normativ-kritischen Gehalt seiner
synthetischen Rechtsphilosophie anbelangt, darauf ab, daß dessen
Ausformulierung nicht durch den unbeteiligten philosophischen Beobachter,
sondern durch die jeweiligen historischen Akteure geleistet werden kann.
Damit erdet Krause die Kategorien der Philosophie, ohne sie aber an
die wechselnden irdischen Verhältnisse auszuliefern. Die Geschichtlichkeit
der menschlichen Lebensposition verdeutlicht Forderungen, die dem Menschen
aus seiner unbedingten Rechtswürde zuwachsen, sie verdrängt
sie indes nicht.
| 29 | Fußnoten:
|
Articles June 10, 2002
© 2002 fhi
ISSN: 1860-5605
First publication June 10, 2002
-
citation suggestion
Claus Dierksmeier,
Die Geschichtlichkeit des Rechts in der Methodologie der Rechtsphilosophie K.C.F. Krauses (June 10, 2002), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net2002-06-dierksmeier
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