Im Jahre 1939 konstatierte Carl Schmitt mit der Großraumtheorie den Anbruch einer neuen, vom überkommenen Völkerrecht abweichenden Weltordnung. So seien mehrere Großräume entstanden, in denen jeweils ein Reich als politisch führende Macht agiere. In der Hierarchie der Völkerrechtssubjekte stehe das Reich über den Staaten und habe sich damit zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt des Völkerrechts entwickelt. Nach dem Vorbild der amerikanischen Monroe-Doktrin bestehe im Einflussbereich eines jeden Reiches ein Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Die Ursachen für die Entstehung von Großräumen liegen Schmitt zufolge vor allem in den technisch-industriellen und wirtschaftlich-organisatorischen Bereichen. Um den von diesen Bereichen herrührenden Herausforderungen effektiv begegnen zu können, bedürfe es überstaatlicher Strukturen; die Wahrnehmung der einschlägigen Maßnahmen könne angesichts ihres grenzüberschreitenden Charakters nicht mehr von den Staaten gewährleistet werden.
Vor diesem Hintergrund ist in jüngerer Zeit die These aufgestellt worden, der Staatenverbund "Europäische Union" sei in seiner Entstehung ein Produkt nationalsozialistischer Ideologie und im Begriff, sich zu einem Großraum im Schmitt'schen Sinne zu entwickeln. Besonders pointiert wurde dies von dem britischen Autor John Laughland in seinem Buch "The Tainted Source" formuliert. Deutschland und Frankreich strebten unter dem Deckmantel der europäischen Integration die Ausbildung eines mitteleuropäischen Großraums an, in welchem sie die Vormachtstellung innehätten. Der Prozess der europäischen Integration selbst erinnere nicht nur mit Blick auf die Ursachen und Hintergründe für seine Entstehung, sondern auch in der Art und Weise seiner realen Umsetzung an Europaideen, wie sie in der Zeit des Dritten Reiches entwickelt worden seien. Vorliegende Untersuchung setzt sich vor dem Hintergrund der Großraumtheorie mit Laughlands Argumentation auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass das heutige europäische Gebäude - trotz verschiedener Parallelen mit den im Dritten Reich entwickelten Europaplänen - weder auf der Grundlage der Großraumtheorie Schmitts noch allgemein auf der der totalitären NS-Ideologie errichtet wurde.