journal Debates Römische Rechtsgeschichten

Marco Duss*

H.H. Jakobs, Come per cagione di femine si rovina uno stato

So betitelt H.H. Jakobs ("Rez.") seine Rezension von Marie Theres Fögens ("Verf.") Römischen Rechtsgeschichten in ZRG Bd. 120/2003, Romanistische Abteilung, S. 200 ff. (Abkürzungen im Originaltext).

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Dies konnte kein Leserbrief werden, einerseits der Aktualität wegen - die ZRG erscheint lediglich einmal jährlich - und anderseits, weil der Wahrheit zuliebe bekannt zu machen ist, dass der Schreibende (der Abkürzungsübung von "Rez." folgend hiernach "Sch.") zeit Lebens ohne sich zu schämen noch keine Ausgabe der ZRG in Händen gehalten hat. Obwohl er das Pflichtfach Rechtsgeschichte nach den ersten (über alle Massen enttäuschenden) Vorlesungen in Mommsen'scher Tradition ad acta gelegt hatte und statt dessen mit seiner Freundin, einer Psychologiestudentin (sic!), unter Berufung auf die akademische Freiheit (das gab es damals noch) ins "Dolder-Wellenbad" gegangen war, schaffte er sein Rechtsstudium an der Universität Zürich schliesslich doch noch. Dass sich Sch. beruflich schon früh - weitab vom Hort der Rechtskultur - auf Steuerrecht spezialisierte und in seiner Freizeit aus purem Vergnügen mit Rechtstheoretischem befasste, zeigt zur Genüge, wes Geistes Kind er ist: Den Lesern einer rechtshistorischen Fachzeitschrift - schonend ausgedrückt - ein unbeschriebenes Blatt (deshalb der Hinweis auf seine Homepage im Titel). Zu besagter Rezension kam Sch. nur, weil er seine Sommerferien 2002 zu einem guten Teil zufällig, vom Titel vereinnahmt, mit der Lektüre der Römischen Rechtsgeschichten verbracht und erfreut festgestellt hatte, dass sich da jemand in ähnlicher Weise an einem "ptolemäischen" Weltbild der Rechtsgeschichte zu schaffen macht, wie er selber dies in seinen Publikationen an demjenigen des Steuerrechts immer wieder tut - Anlass genug für Diskussionen mit Freunden!

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Dem besonders sachverständigen Diskussionspartner, der die Rezension ins Gespräch brachte - etwas kleinlaut übrigens und mit der Bemerkung, Rez. habe vielleicht ein Frauenproblem - schuldet Sch. grossen Dank: Er kam in den Genuss einer der brilliantesten Rezensionen (in der Tradition von Karl Kraus), die ihm je vor Augen gekommen sind, und wird sich deswegen gelegentlich erwartungsvoll auch einer anderen Publikation des Rez. zuwenden, obwohl ihm klar ist, dass Rez. dies als jenen Boulevard-Zeitungs-Effekt werten wird, den er den Römischen Rechtsgeschichten (immerhin) zugesteht. Da Sch. auch zu denjenigen gehört, die sich gelegentlich um die Beschaffung privater Mittel für Forschungszwecke bemühen, bestätigt sich überdies die Annahme des Rez., dass die Römischen Rechtsgeschichten solch weltlicher Betätigung durchaus förderlich sein könnten.

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Allein schon der Umfang der Rezension, der hierzulande nicht einmal dem dickleibigsten Kommentar zu einem Steuergesetz zuteil würde, ist bewundernswert, weckt aber den Verdacht, dass die Römischen Rechtsgeschichten nicht bloss ein interessantes Puzzleteilchen in archäologischen Reproduktionsversuchen darstellen (wie Sch. als naiver Leser eigentlich annahm), sondern von die Gilde der Rechtshistoriker aufwühlender Bedeutung sein könnten. Es ist deswegen erst recht bedauerlich, dass sich die Rezension ihres Umfanges wegens nicht einfach zur Gänze zitieren lässt und hier mit ein paar Brosamen Vorlieb genommen werden muss.

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Rez. beginnt mit den Worten:

"Wenn es das 'juristische Buch des Jahres' noch gibt - hier ist eines. Es geht ihm nicht um noch eine 'Römische Rechtsgeschichte'. Sein Thema ist das römische Recht selbst - das Staats- und Privartecht in fünf seiner Geschichten. Es ist fachgelehrt und reich bebildert und will nicht weniger, als der modernen Historiographie, wie sie von Niebuhr und Mommsen begründet ist, den Kampf ansagen."

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Dem folgt dann zunächst einmal eine saftige Abqualifizierung der Verf. gemessen an der "genuin rechtshistorischen Arbeitsweise":

"Dass Verf. diese Arbeit in besonderer Weise beherrscht (geschweige denn 'richtige Jurist(in)' ist, S. 167), war dem Rez. - anders als offenbar der Max Planck-Gesellschaft - bislang nicht hinreichend deutlich, und er sieht nun: nach der Lektüre dieser fünf römischen Rechtsgeschichten, woran das gelegen hat. Er hat als Rechtshistoriker das Falsche erlernt: das Ideal in der sog. streng philologischen Methode der 'rücksichtslos ehrliche(n), im grossen wie im kleinen vor keiner Mühe scheuende(n), keinem Zweifel ausbiegende(n), keine Lücke der Ueberlieferung oder des eigenen Wissens übertünchende(n), immer sich selbst und anderen Rechenschaft legende(n) Wahrheitsforschung'; er ist zu Mommsen, der so diese Methode definiert, so gearbeitet hat, in die Schule gegangen. Er hätte stattdessen, nach aller mit der Wahrheit zumal in Deutschland gemachten Erfahrung, Luhmann studieren, dessen soziologische, systemtheoretische Methode erlernen, in 'Menschen besser psychische Systeme' (S. 26 N. 25) erkennen und vielleicht auch 'über die Mauer' blicken und sich unter den 'Künstlern, Schriftstellern, Malern und Musikern' umsehen sollen. Und er hätte aus den Quellen über den 'Ursprung und (die) Evolution' des römischen Rechts als 'eines sozialen Systems' Erkenntnisse gewonnen, die der gesamten modernen Historiographie, ihrer Spezialisierung auf 'Wahrheit' statt 'Schönheit' wegen, entgangen sind."

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Danach schreitet Rez. zur Detailanalyse unter den Titeln "I. Der Anfang der res publica - eine Frauengeschichte", "II. der Ursprung des Rechts - eine Frauengeschichte" und "III. Drei Männergeschichten". Diese Müsterchen sollten genügen, jeden davon zu überzeugen, dass er mehr als eine "juicy story" auslässt, wenn er sich die Rezension nicht besorgt.

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Rez. hat natürlich mitnichten ein grösseres Frauenproblem als andere Männer, sondern macht lediglich unverklemmt geltend, dass Verf. ein grösseres Männerproblem als andere Frauen habe, was keine hinreichende Grundlage einer wissenschaftlichen Tätigkeit sei - basta. Aber warum nur dieser "kriec" (mhd. Anstrengung, Hartnäckigkeit) oder lieber, laut Koran, "jihâd" (wörtlich Bemühung, Anstrengung)? Sch. - zu Umberto Ecos Kommunikationsmodell greifend - vermag dem in Berücksichtigung der Verhältnisse des "Senders" (Rez.) und seiner eigenen ("Empfänger") als Bedeutung der "Botschaft" (Rezension) nur abzugewinnen, dass Rez. aus den Mommsen'schen Gräben der "rücksichtslosen Wahrheitsfindung" ficht, in denen er sein wissenschaftliches Leben verbrachte und die er nicht verlassen will.

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Das versteht Sch. zwar, billigt es aber nicht, weil er im Wissen um einige mittels "wissenschaftlicher Methoden" gewonnene Erkenntnisse weder Rez. noch Mommsen zugesteht zu wissen, was "Wahrheit" ist, und deswegen nicht dulden will, dass sie unter Berufung auf eine wissenschaftliche Methode die Fähigkeit zur Erkenntnis der Wahrheit - schon gar nicht einer historischen - für sich in Anspruch nehmen: Da hat doch die Gehirnforschung schon längst zu Tage gefördert, dass wir die Welt, "alles was der Fall ist" (Wittgenstein), als ein Modell erfahren, welches sich unser Gehirn davon anfertigt, wobei dieses Organ leider ein "dynamisches Eigenleben" entwickelt; unser Gehirn bestimmt individuell, wie die Welt beschaffen ist, die wir wahrnehmen. Und darauf hatte schon Valentin Braitenberg hingewiesen (vgl. Gehirngespinste, Neuroanatomie für kybernetisch Interessierte, Springer 1973). Das erklärt (allerdings wiederum nur "wissenschaftlich"), wie das letztlich gleich lautende Ergebnis der erkenntnisphilosophischen Anstrengungen zu Stande kommt, und Anderes wird zur "Heilslehre". Paulus hatte von den "Griechen" (eben) nicht die richtige Anschauung (sondern seine eigene).

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Diese Einsichten hat Klaus Oehler auf den Punkt gebracht: "Das Reale ist das, worauf man sich schliesslich einigen wird" (in: Charles S. Pierce, Ueber die Klarheit unserer Gedanken, 3.A., Klostermann 1985, S. 141). Die Erkenntnis der Wahrheit scheitert schon an einer so simplen Aufgabe wie derjenigen der Feststellung der Küstenlinienlänge Englands (Benoit Mandelbrots bahnbrechender Aufsatz aus dem Jahr 1967) und es wird einsichtig, dass Mathematik, fraktale Geometrie, Gödels Theorem, Systemtheorie, Quantentheorie usw., und auch Kunst, im Prozess einer wirklich "rücksichtslosen Wahrheitsfindung" sehr wohl ihren Platz haben.

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Die Einsicht um die Unmöglichkeit der objektiven Tatsachenfeststellung und gleichzeitig das Eingeständnis der Unmöglichkeit des Willkürausschlusses sind in der Rechtsanwendung übrigens ein längst gesichertes Gut: Der Richter muss und darf in seiner - in Berücksichtigung aller durch die Untersuchung und Beweiserhebung zutage getretenen Umstände aufgrund der Erfahrung - frei gebildeten Ueberzeugung, ohne Bindung an formale Beweisregeln darüber befinden, ob eine Tatsache als verwirklicht zu betrachten sei. Gefragt ist der Einsatz aller verfügbaren vernünftigen (rationalen, einschlägigen, zweckmässigen, operablen) Methoden, die sich anbieten, als prinzipiell gleichwertige Hilfen unter Beschränkung auf ihre "nutzbaren Zonen", also im Bewusstsein um ihre systemtypische Mangelhaftigkeit ("Gödelscher Haken"). Man lasse jede Methode, jedes Modell, jede Theorie, jeden Begriff im Rahmen der Erfahrung (pragmatisch) "arbeiten", soweit sie fruchtbar sind und eine konkrete Funktion verrichten!

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In diesem Lichte schaffen die Römischen Rechtsgeschichten - dem Diskurs in den schönen Gärten des Wissenschaftskollegs, dem Max Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und der Verf. sei Dank - einiges mehr als bloss klare Luft (Rez. meinte natürlich: Platz für alten Wein in neuen Schläuchen). Also: Wer an solchen Themen interessiert ist, der geniesse die grossartige Rezension und - eingedenk dieser Kritik - dann die Römischen Rechtsgeschichten.

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Date added Jan. 11, 2005
© 2005 fhi
ISSN: 1860-5605
First publication
Jan. 11, 2005

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