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Reviewed by: Peter Collin

Matthias Kurth u. Mathias Schmoeckel (Hg.), Regulierung im Telekommunikationssektor. Chancen und Risiken im historischen Prozess Mohr Siebeck, Tübingen 2012. X, 143 S. , I SBN 978-3-16-151729.

1Die Geschichte des Rechts der Telekommunikation ist bisher nicht unbeachtet geblieben, aber sie wurde bislang eher kleinteilig bearbeitet. Mit dem hier zu rezensierenden Buch liegt nunmehr ein Werk vor, das das Thema zwar nicht in monographischer Geschlossenheit systematisch aufarbeitet, aber doch als Sammelband eine Vielzahl von Aspekten erfasst.

2Der Band wird eingeleitet durch einen kleineren Beitrag von Carl Christian von Weizsäcker, der Erinnerungen an die erste Reformperiode der Telekommunikation (1975-1996) – er gehörte zu den damals nicht ganz unmaßgeblichen Akteuren – mit verallgemeinernden Überlegungen zum Verhältnis von Wettbewerb und Regulierung verbindet.

3Dem folgt der Beitrag von Mathias Schmoeckel, der der Frage nach möglichen Gemeinsamkeiten amerikanischer und deutscher Regulierungstraditionen und deren organisationellen Ausprägungen nachgeht. Nach einer Darstellung der amerikanischen Geschichte der Telekommunikationsregulierung und der maßgeblichen Regulierungsagenturen sowie einer Skizze zur deutschen „Entsprechung“ (Bundesnetzagentur) arbeitet er, ansetzend an solchen Kriterien wie Regulierungszielen, Grad an behördlicher Autonomie, innerorganisatorischer Verfassung und Handlungsmodi, gravierende Unterschiede zwischen beiden Regulierungstraditionen und -organisationen heraus. Hiervon ausgehend tritt er auch der Annahme entgegen, dass das moderne deutsche Regulierungsrecht maßgeblich auf der Rezeption amerikanischen Regulierungsrechts beruht. Grundlegend verschiedene Freiheits- und Gemeinwohlverständnisse würden auch wesentlich voneinander abweichende Regulierungsverständnisse hervorrufen.

4Boris Gehlen schildert die Entwicklung des Telekommunikationsmarktes (Telegraphie, Telefonie) bis zum Ersten Weltkrieg aus wirtschaftshistorischer Perspektive. Telegraphie galt als staatliches Regal, Private ließ man aber partizipieren, ohne dass die Dominanz des Staates jeweils in Frage gestellt wurde. Auch bei der Telefonie wurden den Privaten Nischen eingeräumt, jedoch drängte ausgerechnet die private Wirtschaft auf flächendeckende Versorgung, was – jedenfalls unter den Bedingungen jener Zeit – auf ein Staatsmonopol hinauslief. Aus einem faktischen wurde dann auch ein gesetzliches Monopol der Reichspost, erwerbswirtschaftliche Zielsetzungen wurden durch Gemeinwohlorientierungen ersetzt. Gehlen zeigt die Wirkungszusammenhänge von Regulierungsmaßnahmen, Versorgungsniveau und Preisstrukturen.

5Dass das staatliche Telegraphen- und Telefonmonopol auch Privaten noch Gestaltungsräume beließ, verdeutlicht der Beitrag von Johannes Rüberg anhand einzelner Bereiche. Die Seetelegraphie blieb dem Engagement privater Unternehmen überlassen, der Staat regulierte hier nur die Rahmenbedingungen (wobei Rübergs Ausführungen hierzu leider recht kurz geraten sind). Auch die Technikentwicklung blieb zunächst dem Privatsektor (v. a. Siemens) überlassen. Und im Rahmen des Nebenstellenwesens entwickelte sich ein immer größer werdender Sektor für private Kleinnetze – und damit auch ein Einsatzfeld für neue Innovationsschübe. Rüberg zeigt vor allem anhand des Nebenstellenwesens, wie sich außerhalb des staatlichen Monopols (bzw. unter dessen Dach) Submärkte herausbildeten, die einem geminderten Regulierungsdruck unterlagen und neue Varianten von Wettbewerb hervorbrachten.

6Klaus Gärditz befasst sich mit den staatsrechtlichen und staatstheoretischen Problemen, welche durch die Einrichtung unabhängiger Regulierungsbehörden hervorgerufen werden. Er konstatiert folgende Tendenzen: Machtverlust des parlamentarischen Gesetzgebers; wachsende Komplexität der rechtlichen Materie, was mit einem Verlust an Steuerungsfähigkeit einhergeht; prozedurale Europäisierung; Entformalisierung und Verschwimmen der Grenzen zwischen Normsetzung und Normvollzug. Auf europäischer Ebene sieht er die Gefahr, dass vermeintlich apolitische „expertokratische“ Expertise den – über die nationalen Parlamente ablaufenden – demokratischen Prozess der Entscheidungsfindung überspielt; in staatsrechtlicher Perspektive konstatiert er einen Verstoß gegen das Wesentlichkeitsgebot, also die verfassungsrechtliche Vorgabe, dass wesentliche Fragen durch den Gesetzgeber zu entscheiden sind, und eine Unterhöhlung des Prinzips der demokratischen Gleichheit, denn die Beteiligung „interessierter Kreise“ kann nicht die Entscheidung eines aus Wahlen hervorgegangenen Parlaments ersetzen.

7Christian Maurer macht auf die Pluralität von Regulierungszielen im europäischen Recht aufmerksam. Vereinfacht gesagt, kann man zwei Zielkomplexe unterscheiden: solche ökonomischer und solche nichtökonomischer Natur. Wie sich diese Zielpluralität auswirken kann, versucht er anhand eines speziellen Regulierungsinstrumentariums zu verdeutlichen: der funktionellen Trennung. Funktionelle Trennung bedeutet, dass die Bereitstellung bestimmter Leistungen bzw. Produkte in unabhängig voneinander agierenden Geschäftsbereichen angeordnet werden kann. Dabei handelt es sich um eine Maßnahme, die als ultima ratio dann zulässig ist, wenn vom wirtschaftlichen Gebaren eines Marktakteurs erhebliche Gefahren für einen funktionierenden Wettbewerb ausgehen. Dies ist ein gravierender Eingriff in den Binnenbereich von Unternehmen. Vordergründig ist das Regulierungsziel der Ermöglichung von Wettbewerb maßgeblich. Da jedoch auch andere außerhalb des Tatbestandes angesiedelte (nichtökonomische) Regulierungsziele zum Tragen kommen müssen, besteht die Gefahr von Zielkonflikten, was nach Maurer erhebliche Rechtsunsicherheiten zur Folge haben kann.

8Matthias Kurth macht in seinem Beitrag zunächst auf die Notwendigkeit der Unterscheidung verschiedener Regulierungsbezüge aufmerksam: Bei Netzindustrien kann Regulierung ansetzen an vorgelagerten Leistungen (Energieerzeugung, Trinkwasseraufbereitung etc.), an den eigentlichen Netzleistungen (Erstellung, Instandhaltung und Betrieb der Infrastruktur) und an nachgelagerten Leistungen (Vertrieb, Versorgung, Entsorgung). Wo Regulierung dann zum Einsatz kommt, hängt davon ab, in welchem Sektor Marktverzerrungen durch natürliche Monopole oder übermächtige Marktakteure drohen. Im Falle der Telekommunikation sind es vor allem der Zugang zu den Netzen und die Bedingungen dieses Zugangs, die der Regulierung bedürfen. Daran anschließend skizziert Kurth die Mannigfaltigkeit der Regulierungsoptionen, schildert die für den deutschen Telekommunikationsmarkt letztlich durchgesetzte Hauptform der Regulierung, nämlich die Regelung der Teilnehmeranschlussleitung (TAL), und zeigt, welch komplexes Instrumentarium hierfür geschaffen wurde und welch ausdifferenziertes Regelwerk die Handhabung dieser Instrumente steuert.

9Wolfgang Kopf gibt in seinem Beitrag zunächst einen Überblick über die Hauptstationen der Regulierung des Telekommunikationsmarktes seit den späten 1980er Jahren. Als Hauptcharakterzüge der Telekommunikationsregulierung stellt er deren (zunächst) transitorischen Charakter und deren Sektorspezifität heraus. D. h. an sich ist eine verstetigte besondere Regulierungsaufsicht nicht vorgesehen gewesen, die Regelungen sollten lediglich für die Zeit des Übergangs in „normale“ Marktstrukturen gelten, der Übergang zu einer allgemeinen – kartellrechtlichen – Marktaufsicht ist jedoch nicht absehbar. Mit der Schilderung des hierdurch geschaffenen regulierungsrechtlichen Status quo verknüpft er aus Sicht der Telekom kritische Befunde: Die bestehenden Regulierungsstrukturen würden nicht ausreichend Anreize für technische Innovation bieten.

10Jeder dieser Aufsätze vermittelt interessante Einsichten. Welches ist nun der über die einzelnen Beiträge hinausgehende Ertrag des Sammelbandes? Zunächst ist zu vermerken, dass sich die Beiträge durch unterschiedliche Perspektiven und Zielstellungen auszeichnen: wirtschafts- bzw. rechtshistorische (Gehlen, Rüberg), gegenwartsbezogene juristische (Gärditz, Maurer), wirtschaftspolitische (Kurth). Weiter hat man es mit auf die jüngste Geschichte bezogenen Darstellungen zu tun, die sich aber eher von aktuellen Erkenntnisinteressen leiten lassen (Weizsäcker, Kopf). Schließlich finden sich historisch weiter ausgreifende Ausführungen, die jedoch auch eher einem gegenwartsbezogenen Klärungsbedarf dienen. Das ist an sich ein interessanter Ansatz. Ein Phänomen wird in seiner Vielschichtigkeit besser erkennbar, wenn man nacheinander verschiedene Brillen aufsetzt, um es zu betrachten. Allerdings handelt es sich nicht um das gleiche Phänomen. Mal geht es um Hauptlinien der Entwicklung, mal um Teilsektoren bzw. Nebenlinien (Seetelegraphie, Nebenstellen). Mal wird die Frühphase in den Blick genommen, mal der Umbruch seit Ende des 20. Jahrhunderts. Der Wert des multiperspektivischen Ansatzes geht dadurch etwas verloren.

11Andererseits wird aber trotz der gegenständlichen Inkongruenzen deutlich, dass man es seit Herausbildung der Telekommunikationsinfrastrukturen mit in ihrer Grundstruktur weitgehend invarianten Fragestellungen zu tun hat, für die auch nur ein begrenztes Set von Antwortmöglichkeiten zur Verfügung steht – auch wenn sich natürlich die Gestaltungsoptionen in ihrer konkreten Ausprägung aufgrund neuer technologischer und organisationeller Innovationen sowie veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen gewandelt haben. Dies in aller Eindrücklichkeit vor Augen geführt zu haben, ist ein nicht zu unterschätzender Verdienst des Bandes – der damit auch seiner Zielsetzung gerecht wird, Brücken zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu schlagen, indem er die historischen Prämissen kenntlich macht, deren Wirkung bis in die Gegenwart reicht (S. VI). Insofern verspricht die Erstreckung des Gesamtprojekts1 (in dessen Rahmen dieser Sammelband erschienen ist) auf andere Regulierungssektoren (vor allem Eisenbahn) außerordentlich ertragreich zu sein für die Erschließung eines neuen rechtshistorischen Untersuchungsfeldes, dessen aktuelle Bezüge auf der Hand liegen. Aus Sicht des Rezensenten wäre es ein schöner Ertrag, wenn aus der nicht nur in diesem Band sondern im gesamten Projekt eindrucksvoll versammelten Expertise „strukturelle Überlegungen“ erwachsen, die „Regulierung“ als besonderen Typus rechtlicher Normativität konturieren. Interessant wäre es dabei zu sehen, inwiefern sich moderne Regulierungsverständnisse als analytische Folie eignen. Überlegungen finden sich ja schon in dem in dieser Zeitschrift erschienenen Aufsatz von Schmoeckel.2 Jedenfalls wäre dies ein gewichtiger Beitrag für eine moderne Rechtsgeschichtsschreibung, die über tradierte Kategorisierungsansätze hinausgeht.

Review by Jan. 29, 2015
© 2015 fhi
ISSN: 1860-5605
First publication
Jan. 29, 2015

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