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Reviewed by: Michael Kleensang

Milan Kuhli, Carl Gottlieb Svarez und das Verhältnis von Herrschaft und Recht im aufgeklärten Absolutismus Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 272,Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2012, 304 S., ISBN 978-3-465-04153-5.

1Seit dem 1885 erschienenen Buch von Stölzel hat sich über 120 Jahre keine Monographie mehr dem bedeutenden preußischen Rechtsreformer Carl Gottlieb Svarez gewidmet. Die nun vorliegende Studie von Kuhli füllt daher wahrlich eine Lücke. Nach einem biographischen Überblick(S. 5-23) widmet sich der Autor den theoretischen Anschauungen von Svarez zum Verhältnis von Herrschaft und Recht (S. 23-114) und sodann der praktischen Umsetzung seiner Reflexionen in Gestalt des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 (S. 115-236). In seiner Schlussbetrachtung kommt der Verfasser zu dem Schluss, gemessen an seinen Zielen habe Svarez alles erreicht, was er erreichen wollte, wobei er seinen Protagonisten zwar herrschaftstheoretisch sehr stark im Gedankengebäude Friedrichs des Großen verwurzelt sieht, ihm aber doch weitergehende Intentionen zumisst. So sei nicht Effizienzsteigerung der preußischen Staatsmaschine, sondern die Glückseligkeit der Untertanen sein Ziel gewesen und in den immer wiederkehrenden Reflexionen, wie im absolutistischen Staat die Herrschaft des Gesetzes gesichert werden könne, sei Svarez, gegenüber anderslautenden Einordnungen der Geschichtswissenschaft, gegenüber dem absolutistischen Staat durchaus kritisch eingestellt gewesen. Das ALR habe immerhin, auch nach Streichung der §§ 6, 12 und 79 Einl. AGB öffentlich sichtbar die Selbstdisziplinierung der monarchischen Gewalt dokumentiert. Kuhli, sowohl Rechts- als auch Allgemeinhistoriker, dürfte damit aus Svarez´ umfangreichen Oevre die entscheidenden Fragen herauspräpariert haben. Auch kommt seine Fokussierung auf das ALR der Stringenz der Darstellung zugute. Die von Svarez entworfene Prozessordnung von 1781, die 1795 dann zur Allgemeinen Gerichtsordnung umgearbeitet wurde (Kuhli, S. 17), hätte allerdings ebenfalls interessante Rückschlüsse auf das Verhältnis von Herrschaft und Recht bei Kuhlis Protagonisten ermöglicht, und möglicherweise wären dem Bild, das der Autor von Svarez zeichnet, nämlich das eines Denkers und Praktikers, der im System des Aufgeklärten Absolutismus zwar verwurzelt bleibt, aber gleichwohl auf die individuellen Rechte des (Staats-)Bürgers fixiert ist, noch einige zusätzliche Facetten hinzuzufügen gewesen. Blickt man beispielsweise auf die in der Prozessordnung von 1781 vorgesehene Abschaffung der Advokatur und seine Ersetzung durch als verlängerter Arm des Gerichts agierende Assistenzräte, so liegt hier ein Kulminationspunkt aufgeklärt-absolutistischer Gesetzgebung vor, für den in erster Linie das reibungslose Funktionieren der Staatsmaschine im Vordergrund stand. Dieser Befund erscheint schwer mit dem von Kuhli gezogenen Resumee vereinbar, zumindest hätte sich die Frage gestellt, ob sich Ansichten und Einstellungen von Svarez nicht auch geändert und weiterentwickelt haben.

2Die klar und sorgfältig argumentierende Arbeit setzt sich eingehend mit den herangezogenen Quellen zu Svarez´ Wirken auseinander, so im theoretischen Teil mit seinen Kronprinzenvorträgen und seinen Vorträgen vor der Berliner Mittwochsgesellschaft, im praktischen Teil auch mit den Materialien zum Allgemeinen Landrecht, insbesondere bei der Erörterung zum Stellenwert der in der Schlussrevision gestrichenen §§ 6, 12 und 79 Einl. AGB (Machtsprüche, Beteiligung der Gesetzeskommission, Staatszweck). Bei Einordnung des § 6 Einl. AGB folgt Kuhli der neueren Forschung, wonach in dieser Vorschrift mangels entsprechender Sanktionen gegenüber dem Monarchen kein Machtspruchverbot gesehen werden könne. Aber hier waren eben die Grenzen der Gesetzgebung im absolutistischen Staat erreicht, ebenso bei § 12 Einl. AGB, wonach Gesetze, die ohne Mitwirkung der Gesetzeskommission erlassen wurden, keine Wirksamkeit haben sollten. Diese auf Vorschlag Ernst Ferdinand Kleins in das Gesetzbuch aufgenommene Vorschrift entsprach zwar weitgehend § 14 des königlichen Patents über die Gesetzkommission von 1781 und wohl auch den theoretischen Auffassungen von Svarez, der im Einklang mit Carmer vor allem einen möglichen Ministerialdespotismus verhindert wissen wollte. Einer Aufnahme der Vorschrift in das Gesetzbuch trat Svarez aber entgegen, da er, auch schon in Gestalt eines möglichen Verwerfungsrechts der Gerichte, eine Beeinträchtigung der monarchischen Souveränität und die Legitimation eines Widerstandsrechtes fürchtete. Hier trat Svarez´ (relativ) konservatives politisches Temperament deutlich zu Tage, aber auch taktische Rücksichten, die sich angesichts der Suspension des Gesetzbuchs später als allzu berechtigt erweisen sollten. Eine Verfassung im nachrevolutionären Sinne konnte das ALR mangels rechtlicher Bindung des Monarchen somit nicht darstellen, wie der Autor zu Recht betont, aber immerhin wurde die Selbstdisziplinierung der monarchischen Gewalt in öffentlich zugänglicher Weise dokumentiert, und Kuhli zitiert hierzu Toqueville, der in diesem Sinne davon sprach, dass das ALR über seinen zivil- und strafrechtlichen Inhalt hinaus eine "charte" dargestellt habe. Der Diskussion zum Verfassungs(ersatz)charakter des ALR nimmt Kuhli daher eine vermittelnde Haltung ein, nachdem die jüngere rechtshistorische Forschung eher den konservativen Charakter des ALR in den Vordergrund gestellt hatte.

3Kuhli zieht durchaus auch Quellen aus dem Umfeld von Svarez heran. Kleins Schrift "Freyheit und Eigenthum" (1790) wird an zwei Stellen zitiert und hätte vielleicht noch intensiver ausgewertet werden können, zumal Kuhli im Ergebnis zu Recht, allerdings unter Anführung nur der älteren Literatur, die dieses nicht belegt, davon ausgeht, dass die in dem Dialog zitierten Ansichten des Dialogpartners Kriton denen von Svarez gleichzustellen sind. Dies lässt sich im Übrigen auch durch einen Quellenvergleich im Einzelnen zeigen, etwa in der Haltung von Svarez zu der Aufhebung der Feudalrechte in der Französischen Revolution, die er auch nach naturrechtlichen Maßstäben als rechtswidrig ansah. Klein selbst hatte 1791 in einem Schreiben an Wieland die Authentizität der Quelle bestätigt. Bei Einbeziehung dieses Materials wäre das geistige Profil von Svarez noch deutlicher geworden und es hätte wenigstens teilweise dem Mangel politisch auswertbarer Quellen zu Svarez abgeholfen werden können.

4Auch im Vergleich zu den Ansichten des um zwei Jahre älteren Ernst Ferdinand Klein wäre manches vielleicht noch deutlicher zu machen gewesen. Anders als dieser verfügte Svarez nicht über ein geschlossenes naturrechtliches Konzept, welches der Kantianer Klein in seinen "Grundsätzen der natürlichen Rechtswissenschaft" (1797) entwickelt hatte und das - mit der natürlichen Freiheit als Ausgangspunkt des Naturrechts – in mehrfacher Hinsicht deutlich über das Allgemeine Landrecht hinauswies. Klein reflektierte die Aporien des Rechtsstaats unter den Bedingenen des aufgeklärten Absolutismus daher noch deutlicher als Svarez und nahm auch zu dem gesellschaftlichen Konzept des Allgemeinen Landrechts, nämlich der Festschreibung der Ständegesellschaft, eine deutlich kritischere Haltung ein. Gleiches gilt für den Staatszweck, den Svarez im Einklang mit dem Naturrecht Christian Wolffs und seiner Schüler auch auf die Beförderung der Glückseligkeit ausdehnte, während Klein diesen rein individualrechtlich fundierte. Diese Auffassungsunterschiede spiegeln sich auch in weiteren Gesetzesmaterialien zum Allgemeinen Landrecht wieder, die der Autor nicht erwähnt. Kritische Betrachtungen zur Funktion der Gesetzgebung im Verhältnis zur gesellschaftlichen Entwicklung wurden von Svarez, anders als von Klein, nicht angestellt, was vielleicht auch Svarez´ frühem Tod im Jahr 1798 geschuldet war, während Klein nach 1804 das preußische Gesetzbuch einem systematischen Vergleich mit dem revolutionären Code civil unterziehen konnte. Die Einstellung zur Französischen Revolution ist bei Svarez ablehnend, während Klein sie, selbstverständlich nur vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Frankreich, befürwortete, dieses im Übrigen durchaus im Einklang mit der insoweit von staatlichen Eingriffen unbehelligten zeitgenössischen Presse in Berlin.

5Die Stärke des Buchs liegt in seiner Quellennähe und seiner abgewogenen Interpretation. Auch wird deutlich, dass man von einem hohen Staatsbeamten im preußischen Ancièn Regime keine revolutionären Forderungen erwarten darf. Solche stellte für das Preußen seiner Gegenwart auch Kant nicht. Und wenn Svarez im Meinungsspektrum der Berliner Mittwochsgesellschaft im Allgemeinen und etwa im Verhältnis zu Ernst Ferdinand Klein im Besonderen als relativ konservativ erscheint, so war er doch kein Konservativer im materiellen Sinne. Vielmehr, und das war wohl auch Svarez bewusst, war die Suche nach einer Herrschaft des Gesetzes unter den Bedingungen des aufgeklärten Absolutismus mit Svarez´ Reflexionen und seiner praktischen Umsetzung durch das ALR zu einem vorläufigen Endpunkt gelangt, der ohne Revolution nur "von oben" und das auch nur unter dem Problemdruck nach 1806 überwunden werden konnte. Die Konsequenz, dass naturrechtswidrige Akte des Herrschers, z. B. Machtsprüche, ein Widerstandsrecht der Untertanen auslöse, zog Svarez nirgends, vielmehr argumentierte er insoweit auf zwei Ebenen: Machtsprüche oder auch zu Unrecht erteilte Privilegien seien rechtswidrig -also nicht nur naturrechtswidrig !- und könnten "keine Rechte und Verbindlichkeiten bewirken" bzw., so Svarez bündig in den Materialien zum ALR, sie seien "ungültig". So hatte es auch der später entfernte § 6 Einl. AGB zum Ausdruck gebracht, und entgegen der neueren Literatur kann man das durchaus als Machtspruchverbot werten, auch wenn es dem Richter verwehrt war, gegen Entscheidungen des Landesherrn zu "resistiren". Zu Recht verfolgt daher Kuhli die Überlegung, ob ohne Streichung der besprochenen Vorschriften in der Einleitung des AGB die preußische Geschichte anders verlaufen wäre, nicht weiter. Und wenn Kuhli abschließend feststellt, Svarez habe seine Ziele erreicht, so erscheint vor dem Hintergrund des klar herausgearbeiteten naturrechtlich-rechtsstaatlichen Profils seines Protagonisten auch das Allgemeine Landrecht, trotz Streichung der erwähnten Vorschriften aus dem Entwurf, wieder stärker in jener sprichwörtlichen Janusköpfigkeit, die seit Treitschke, Koselleck und Clarke immer wieder betont wurde und der neueren rechtsgeschichtlichen Forschung vielleicht etwas aus dem Blick geraten war.

Review by Oct. 31, 2014
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ISSN: 1860-5605
First publication
Oct. 31, 2014

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