1„Throughout my legal studies, I continued to encounter allusions to equity, but I had no very clear idea what it was, and, at that time, I did not really think about it very searchingly.“ (S. 1) Was ist also equity? Diese Frage, die sich so oder so ähnlich den meisten Studenten des anglo-amerikanischen Rechts irgendwann stellt, bildet den Ausgangspunkt des Buches „Conscience, Equity and the Court of Chancery in Early Modern England“ von Dennis Klinck. Und auch wenn der Autor am Ende eingestehen muss, dass eine Definition des equity-Rechts wohl nur als „the sum of all the individual cases which the Chancellor decided“ (S. 273)1 möglich ist, beweist er doch wie lohnend eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage aus rechtsgeschichtlicher Perspektive sein kann.
2Klinck stellt zunächst zutreffend fest, dass der Court of Chancery in seinen Anfängen kaum jemals als Court of Equity, sondern vielmehr als Court of Conscience bezeichnet wurde. Tatsächlich prägt der Begriff des Gewissens (conscience) die gesamte Arbeit des Court of Chancery vom 14. bis jedenfalls ins 17. Jahrhundert. Er ist in den Eingaben der Kläger (bills) und zahlreichen Entscheidungen des Gerichts zu finden. Klinck verschreibt sich deshalb voll und ganz der Frage nach der Bedeutung des Gewissensbegriffs und seines Einflusses auf die Rechtsprechung des Court of Chancery. Die Arbeit erhält somit praktisch den Charakter einer etymologischen Untersuchung.
3Das Buch besteht aus insgesamt neun Kapiteln. Von Einleitung und Schluss abgesehen, befassen sich die übrigen sieben Kapitel jeweils mit bestimmten Zeiträumen, anhand derer der jeweils aktuelle Gewissensbegriff untersucht wird: Spätmittelalter, frühes 16. Jahrhundert, spätes 16. Jahrhundert sowie jeweils zwei Kapitel zum frühen und späten 17. Jahrhundert. Aus der Struktur des Buches wird bereits der starke Fokus auf das 17. Jahrhundert, in dem Klinck eine entscheidende Wandlung des Verständnisses des Gewissensbegriffs verortet, deutlich. Für jeden Zeitraum untersucht der Autor zum einen die Rechtsprechung und die juristische Literatur auf ihr Begriffsverständnis. Darüber hinaus beweist er aber auch anhand von theologischen Texten, Briefwechseln und Prosa die Allgegenwart des Gewissensbegriffs im England der frühen Neuzeit. Damit gelingt ihm eine glaubhafte Einordnung der Arbeit des Court of Chancery in die bestehende Gedankenwelt, die zu einem nachhaltigen Erkenntnisgewinn führt, und einmal mehr den Nutzen außerjuristischer Quellen für die rechtshistorische Forschung verdeutlicht. Klinck beschränkt sich jedoch bei all dem auf veröffentlichte Quellen aus dem englischen Sprachraum.
4Im Ausgangspunkt sieht Klinck den Gewissensbegriff maßgeblich von den scholastischen Ideen der spätmittelalterlichen Theologen geprägt. Dies entspricht dem Erkenntnisstand in der formativen Phase des Court of Chancery im 14. und 15. Jahrhundert und wird auch durch die bekannte Schrift „Doctor and Student“ von St. German, die sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts ausführlich mit der Rolle des Gewissens im Court of Chancery (und im common law) beschäftigt, bestätigt. Die theoretischen Überlegungen St. Germans sind, wie bereits mehrfach nachgewiesen2 und auch von Klinck bestätigt, unmittelbar von den Schriften des Pariser Universitätskanzlers Jean Gerson (1363 – 1429) geprägt. Es handelt sich zudem oftmals um eine Übernahme grundsätzlicher naturrechtlicher Erwägungen, die in ähnlicher Form bereits bei Thomas von Aquin zu finden sind. Die objektive Erkenntnis des Gewissens beruht demnach auf der von allen Menschen geteilten synderesis, der „natural power or motive force of the rational soul“ thatis always „moving and steering it to good & abhorring evil“.3 Kennzeichnend für den Begriff des Gewissens ist dementsprechend seine auf göttlichen Vorgaben beruhende und von diesen autoritativ ableitbare Objektivität, die zugleich seine Verwendung als juristisches Prinzip ermöglicht.
5Nachvollziehbar stellt der Autor dann den mit der Reformation einsetzenden schleichenden Wandel des Begriffsverständnisses dar. Dieser sei zunächst weniger von einer generellen Subjektivierung des Gewissens als vielmehr von einer Verschiebung der Beurteilung des Gewissens in das innere Forum gekennzeichnet: „While ascertaining what conscience requires is the responsibility of each person, it is not a matter of opinion, probability, or conjecture, but, again, something to be measured in so far as it is right“ (S. 114). Auch dies jedoch schränkte die Eignung des Gewissens als juristisches Prinzip im Court of Chancery bereits maßgeblich ein und führte zu zunehmender Kritik an der Unbestimmtheit der Rechtsprechung. Zu denken ist hier natürlich insbesondere an John Seldens (1584 – 1654) berühmte Polemik: „One Chancellor has a long foot, another a short foot, a third an indifferent foot. ’T is the same thing in the Chancellor’s conscience“.4 Im 17. Jahrhundert mischt sich dann, exemplarisch belegt am Beispiel von Hobbes, eine nunmehr vollumfängliche Subjektivierung des Gewissensbegriffs mit einer Tendenz zur umfassenden Positivierung des Rechts. Für das Gewissen als juristisches Prinzip bleibt somit letztlich kein Raum mehr. Klinck schließt mit der Reaktion des Lord Chancellor Nottingham im späten 17. Jahrhundert, der durch eine Trennung von conscientia civilis und conscientia interna erstere der Rechtsprechung zu erhalten versuchte.
6Tatsächlich aber begegnete der Court of Chancery der Kritik vor allem mit einer zunehmenden Systematisierung seiner Rechtssprechung anhand von Präzedenzfällen und einer damit verbundenen Annäherung an das common law. Dass dies zwingend zur Verdrängung des Gewissensbegriffs führte, wird von Klinck leider ebenso wie die Rolle der gesamtgesellschaftlichen Säkularisierungstendenzen nur angedeutet. Hier zeigt sich ausnahmsweise einmal die Problematik der Verengung der Arbeit auf den Gewissensbegriff.
7Im Ergebnis wird – auch wenn Klinck ob der vieldeutigen Quellenlage vor einer expliziten Kritik zurückscheut – schnell klar, dass er die aktuellen Forschungen Mike Macnairs („Equity and Conscience“, Oxford Journal of Legal Studies, Vol. 27, No. 4, 2007, S. 659-681) zwar zur Kenntnis genommen hat, dessen Schlussfolgerungen aber nicht teilen kann. Während Macnair dem Begriff conscience eine allein prozessuale Wirkung zuschreibt, zeigt bereits der umfassende Rückgriff auf das theologische Gewissensverständnis, dass Klinck dem Gewissen im Court of Chancery auch eine materiell-rechtliche und entscheidungsleitende Rolle beimisst. Macnair erkennt die zentrale Bedeutung des persönlichen Wissens der Prozessbeteiligten, welches durch die Möglichkeit der Vereidigung und mangels der aus dem common law bekannten prozessualen Einschränkungen die Entscheidungsfindung maßgeblich vereinfacht, sicherlich zutreffend. Dass conscience im Court of Chancery aber als konkreter Rechtsbegriff allein das persönliche Wissen des Richters und der Parteien, bezeichnet haben könnte, erscheint unter Berücksichtigung der von Klinck herausgearbeiteten vielseitigen Verwendung des Begriffs innerhalb und außerhalb des Gerichts in der Tat zweifelhaft.
8Letztlich gelingt es Klinck eindrücklich die Bedeutung des Gewissensbegriffs im England der frühen Neuzeit darzulegen und mögliche Einflüsse auf die Rechtsprechung des Court of Chancery aufzuzeigen. Dies rechtfertigt auch die weitgehende Beschränkung auf den Gewissensbegriff als Untersuchungsgegenstand. Zwar finden sich zahlreiche Andeutungen weitergehender Überlegungen, die der interessierte Leser nur allzu gern weiter ausgeführt sähe. Zu denken wäre etwa an die sich wandelnde Bedeutung der Rolle der Religion in Staat und Gesellschaft. Die Untersuchung ist dafür aber durch eine bemerkenswerte Klarheit in Ausdruck und Struktur gekennzeichnet. Sie ist deshalb bei Interesse an der englischen Rechtsgeschichte, unabhängig von bestehenden Vorkenntnissen, bedenkenlos zu empfehlen.