1 Autoren und Apparate: Kontext, Methode und Ziel
1Die Digitalisierung hinterlässt schon seit einigen Jahrzehnten deutliche Spuren in der Art wie Menschen von ihren Freiheiten Gebrauch machen. Technische Möglichkeiten erweitern die Bandbreite der Handlungsoptionen enorm, sie lassen damit aber auch wechselseitige Beeinträchtigungen zu, von denen vor Jahren noch nicht zu träumen war.1 Wo es Optionen gibt, ist der Konflikt nicht fern. Freiheitsräume müssen zusammenstimmen oder zusammenstimmend gemacht werden. Dies ist die prä-digitale, von der allerorts ausgerufenen digitalen Revolution unabhängige und zeitlose Agenda des Rechts. Andererseits fordern technische Entwicklungen die Konfliktlösungsstrategien und –mechanismen natürlich gehörig heraus, so dass in Übergangsphasen gerne von Krisen die Rede ist. Das ist nicht neu. Das Problem des Funkenflugs der aufkommenden Eisenbahn unterscheidet sich insofern nicht kategorial von „illegalen“ Downloads, File-Sharings oder von der Störerhaftung bei offenem WLAN.2
2Auch Monika Dommann hält nichts von Revolutions- und Krisenrhetorik, die manche mit den Symptomen eines durchaus geforderten Immaterialgüter- und Urheberrechts (S. 13 f., 285) verbinden. Sie erkennt schon keine zeitlose und kontinuierliche Grundlage der – wie sie sie nennt – „Copyrights“ an. Und ein Fundament, das es nicht gibt, kann man schlecht erschüttern. Dommann gründet diese zentrale These aber nicht – wie man hätte erwarten können – auf einen eigentumsethischen Nihilismus, sondern unternimmt zur Beweisführung eine medienhistorische Untersuchung.
3Diese kommt in einer von vielen als Wendepunkt empfundene Phase zur rechten Zeit. Denn der Rede vom gegenwärtigen Bruch (S. 14) hält sie die vielen Brüche entgegen, die die Vervielfältigungsmedien und daran anschließende Aushandlungsprozesse immer schon zeitigten. Die Probleme des heutigen Urheberrechts werden von der Verfasserin damit keineswegs in Abrede gestellt, wohl aber medientheoretisch historisiert. Dies über eine Spanne von etwa 1850 bis 1980 – vom politischen Nachmärz bis zum Vormärz der digitalen Revolution – entlang der Entwicklung der Vervielfältigungstechniken von Musik und Schrift nachzuzeichnen, ist die beachtliche Leistung der lesenswerten Züricher Habilitationsschrift Dommanns.
4Im Stile McLuhans vollzieht sie zu diesem Zweck einen medienhistorischen turn hin zu einer Geschichte des Copyrights als Rechtsgeschichte von Medien und als Mediengeschichte von Rechtsnormen (S. 16). Es geht dabei um die Konfrontation des Rechts mit immer neuen technischen Möglichkeiten seit dem 19. Jahrhundert und um die gegenläufige Prägung des Gebrauchs dieser Medien durch das Recht (S. 16). Dommann rückt damit die Materialität der Kommunikation analytisch ins Zentrum (S. 17) und nicht Rechtssätze, Urteile, Dogmen oder Ideen.
5Aus juristischer Sicht vielleicht noch brisanter als die medientheoretische Geschichtsschreibung ist die damit eher mittelbar verbundene Dekonstruktion eines zeitlosen und kontinuierlichen Urheberrechts quasi-naturrechtlicher Provenienz zu Gunsten eines historisch kontingenten Begriffs (S. 20). Sollte es noch Juristen geben, die im Bereich des geistigen Eigentums eine solche apriorische Normativität am Werke sehen, so sollten sie dringend zu Dommanns Buch greifen.
6Sie werden dann von einem gut fundierten historischen Gegenwartsverständnis (S. 285) darüber aufgeklärt, dass Immaterialgüterrechte immer schon nur als bereits ausgehandelt begriffen werden können und nicht in objektiver, sich stets perfektionierender Kontinuität.3 Aktuelle Phänomene belegen für die Verfasserin damit nicht – wie etwa Lawrence Lessig im Blick auf den digitalen Code insinuiert – das Ende eines bestimmten Urheberrechtsparadigmas, sondern sind nur Ausdruck einer weiteren wechselseitigen Herausforderung zwischen Technologie und Recht, nicht anders als schon beim Aufkommen des Phonographen im 19. Jahrhundert (S. 66 ff.) oder beim Kopierverfahren der Xerographie im 20. Jahrhundert (S. 241 ff.).
7Der besondere mediengeschichtliche Fokus ist zweifellos innovativ und die Untersuchung hält was sie verspricht: es ist höchst aufschlussreich zu sehen, wie die Aushandlungsprozesse in unterschiedlichen Kontexten ihre je eigenen Ergebnisse zeitigen. Man vergleiche nur den Unterschied zwischen dem schon im 19. Jahrhundert ökonomisch geführten Autorrechtsdiskurs im Rahmen der Verwertung von Musik mittels Grammophon mit dem ausgesprochen positiven Standing von Mikrofilmen als „Medien des Fortschritts“ vor allem in der amerikanischen, noch auf den Import ausgerichteten Wissenschaftslandschaft (S. 50 ff.). Zum Kontext, den Dommann skizziert gehört also auch, wie sich im Zeitverlauf das transatlantische Gefälle zwischen wissenschaftlichen Nehmer- und Geberländern verschiebt (S. 286, 303).
8Dabei darf man die gewählte Methode nicht mit dem Inhalt verwechseln. Der Tenor der Untersuchung besteht nicht etwa in einem simplen „alles-schon-da-gewesen“-Ansatz. Es geht vielmehr gerade um den Beleg der historischen Kontingenz an Hand des immer wieder nachweisbaren Aushandelns in Reaktion auf die mediengeschichtliche Veränderung.
9Freilich ist auch der originär juristischen Forschung, namentlich der rechtshistorischen, die Bedeutung der ökonomischen, wissenschaftspolitischen oder kulturellen Umwelt nicht entgangen. Rein normhistorische Arbeiten wird man selten finden – rein dogmatische bisweilen schon noch. Insofern dürfte die sehr zugespitzte Abgrenzung zur Rechtswissenschaft und zur Rechtsgeschichte (S. 17 ff.) auch mit der eigenen raison-d’être zu tun haben und ist zum Zwecke der Erkennbarkeit inmitten der Vielfalt wissenschaftlicher Zugriffe auf das geistige Eigentum verständlich.
2 Fotokopie und Musikaufnahme von 1850-1980: Vervielfältigungen und Aushandlungen
10Die Untersuchung geht folgendermaßen vor: Sie behandelt zwei Felder, die sich durch die Arbeit ziehen, nämlich die Geschichte der Bibliothekskopie und jene der Musikaufnahme (S. 24). Diese beiden Bereiche sind klug gewählt, denn sie zeigen wie die Technisierung sich – typologisch – in unterschiedlicher Weise auf Wissen (tendenziell eher bei der Bibliothekskopie) und Verwertung (eher bei der Musikaufnahme) auswirken. Und sie korrespondieren mit Gegenwartsproblemen, bzw. mit Problemen, die zur Zeit der Abfassung der Untersuchung, also etwa in den Nullerjahren, aktuell waren, nämlich das Projekt einer Google Library und das allfällige File Sharing. Dommann führt den Leser sodann durch drei Zeiträume (S. 26 f.), nämlich jener von 1850-1915, der geprägt sei von Vervielfältigungsnormen, jener von 1915-1945 der zwei grundverschiedene Nutzungsformen von Vervielfältigungen aufkommen lasse und schließlich jener von 1945-1980, der von der Genese des Konflikts zwischen Autorrechtskollektiven, Konsumenten und sich wandelnden Autorrechtsvorstellungen handele.
11Dommann nimmt den Leser sodann mit auf eine medien- und rechtshistorische Reise, die Urheberrechtskonflikte in sozialer, wirtschaftlicher, medialer und rechtlicher Hinsicht kontextualisiert (S. 285). Sie zeigt zunächst, wie das Konzept der Autorschaft bzw. der Werkherrschaft die Nachdruckprivilegien ablöst (S. 29 ff.) und wie dies im Zeichen der Liberalisierung steht. Die nunmehr zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten und das Entstehen einer Phonoindustrie können mit dem Begriff des Nachdrucks nicht mehr gefasst werden; an deren Stelle tritt der weite Verwertungsbegriff. Anders als bei der Musik schien dagegen für die „Mechanisierung der Geisteswissenschaften“ (S. 58 ff.) die Copyright-Frage keine besondere Rolle gespielt zu haben. Sie tritt an die Stelle der Transkription und führt so zu einer ganz neuen Funktion der Bibliotheken, was sich vor allem an Hand der USA zeigen lässt (S. 60 ff.).
12Dommann führt uns weiter. Selbstaufzeichnende Apparate fordern schließlich das Autorkonzept im Blick auf die Originalität der Stimme heraus (S. 66 ff.). Die Verfasserin zeigt, wie sich als Folge der unübersehbaren Medien und Autorenrechte Verwertungskollektive bilden und wie nun die Verwertungsfragen auch zum arbeitsrechtlichen Problem werden (S. 108 ff.). Dagegen dominiert bei der Fotokopie die Funktion des und die Hoffnung auf Kultur- und Wissenstransfer: das Studierzimmer als Lesesaal und der Mikrofilm als Medium amerikanischer Wissenschaftspolitik (S. 136 ff.).
13Der letzte Abschnitt behandelt die Nachkriegszeit (S. 203 ff.). Diese ist unter anderem davon geprägt, dass wir es nun mit Techniken zu tun haben, die immer weitere Kreise adressieren. Jedem Privathaushalt ist es nun möglich Musik zu vervielfältigen. Dank des Xerox Kopierverfahrens findet auch die Bibliothekskopie eine enorme Verbreitung. Die alte Strategie, darauf mit Verwertungsrechten zu reagieren, verfängt nicht wo Massenphänomene Ausdruck privaten Freiheitsgebrauches sind. Dommann lokalisiert – meines Erachtens überzeugend – hier und nicht erst heute den eigentlichen Bruch des jüngeren Urheberrechts, auf den man in den 1960er Jahren mit den Apparateabgaben reagiert (S. 293). Wir sehen, wie sich schon in jenen Jahrzehnten technikgestützt ein dezentrales Nutzerverhalten entwickelt, das die behauptete moralische Basis des Urheberrechts, bzw. die Werkherrschaft des Schöpfers, nicht mehr akzeptiert.
3 Juristische Lesefrüchte
14Für die Rechtswissenschaft ist es immer besonders reizvoll, wenn sich Nachbardisziplinen dem Recht oder einem gemeinsamen Gegenstand zuwenden. Schon alleine deshalb lohnt die Lektüre, weil fremde Methoden viel über das Verhältnis von eigener Methode und vermeintlich gewissem Untersuchungsgegenstand zu sagen haben. Dabei dürfte die zentrale Aushandlungsthese bei Juristen auf gar nicht so viel Widerspruch stoßen. Meinem Eindruck nach liegt Konfliktstoff eher in deren Konkurrenz zur tief verankerten Vorstellung von der Werkherrschaft des Schöpfers. Diesen so wirksam und kontrafaktisch an das Werk zu heften (S. 296), wahlweise unterlegt durch eine leistungsethische oder konsequentialistische Rechtfertigung, ist doch eine Glanzleistung juristisch-metaphysischer Konstruktion – Glanzleistung deshalb, weil damit die politisch-historische Kontingenz der Zuschreibung von subjektiven Rechten als aus der Natur eines Schöpfungsverhältnisses begründet erscheint und Gegenteiligem eine Rechtfertigungslast zuschiebt. Dommanns mediengeschichtlicher Befund reibt sich mit diesem gängigen Rechtfertigungsmuster, das, wie die genannte Krisenrhetorik belegt, immer noch von bemerkenswerter Vitalität ist.
15Am Beispiel der Rechtsprechung des BVerfG lässt sich dieser Dualismus ebenso demonstrieren, wie die Art, sich ganz pragmatisch mit ihm zu arrangieren. Denn einerseits hält die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum geistigen Eigentum an einem leistungsethischen lockeanischen „Sonderweg“ fest4 und bedient so die tiefsitzende Eigentumslogik des geistigen Eigentums, wenn es die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses einer schöpferischen Leistung an den Urheber annimmt.5 Andererseits gibt es ja kaum Entscheidungen desselben Gerichts bei dem der Inhaber eines Immaterialgüterrechts einmal mithilfe der Eigentumsgarantie etwas gewönne, was er vorher nicht hatte. Im Gegenteil: das Gericht öffnet den subjektiv-rechtlichen Gehalt des geistigen Eigentums wie ein Scheunentor, zögert aber nicht, eben jenen Gehalt auf der Abwägungsebene kultur-, wirtschafts-, wissenschafts-, medien- also freiheitsadäquat zu minimieren,6 oder in Dommanns Terminologie: „auszuhandeln“.
16Leider hat die Verfasserin in diesem juristischen Spannungsfeld nicht weiter gegraben. Es war nicht ihr Vorhaben, aber man hätte daran tatsächlich eine große Rechtskritik aufhängen können. An einzelnen Stellen zeigt sich aber die Brisanz, etwa wenn die Autorin am Beispiel der Einführung der Zwangslizenz für Tonaufnahmen vorführt, wie die zeitgenössische rechtswissenschaftliche Literatur dies als gegen die „juristische Logik“ gerichtet ablehnt und – das Entsetzen ist greifbar – rein wirtschaftlich motiviert sieht (S. 102). Dommann identifiziert zwei mögliche Ursachen einer solchen Haltung: die Vorstellung vom autonomen Recht, das sich vor allem gegenüber ökonomischen und sozialen Entwicklungen behaupten müsse, und, damit zusammenhängend, die Auffassung einer zeitlosen Statik des Rechts (S. 102). Selbstredend ist dies mit dynamischem, jeweils „ausgehandeltem“ Recht nicht vereinbar und für Juristen – wollen sie denn mitreden – kein erstrebenswertes Ideal.
17Die Verfasserin spielt damit auf nichts weniger als eine Grundfrage des Rechts an: Wie verhält sich Normativität zur Kontingenz der Umstände (S. 20)? Wenn etwa ein bestimmtes Verhalten der User im Zeitalter der Digitalisierung zum Massenphänomen wird, dann trifft man typischerweise auf folgende zwei Perspektiven: Für die einen hinkt das Recht der Entwicklung hinterher. Für die anderen droht das Internet zum rechtsfreien Raum zu werden, was es zu verhindern gelte. Wahrscheinlich ist beides irgendwie richtig. Darin liegt das Schicksal, Norm- und zugleich Anwendungswissenschaft zu sein. Auf die Frage, ob man just mit dem Konzept des „Aushandelns“ hier wirklich weiterkommt, wird noch einzugehen sein, Dommanns Beitrag zur Wissenschaft vom geistigen Eigentum warnt jedenfalls heilsam vor einer normativen Überlast bei der Erklärung des Rechts. Sie schleudert dem vielmehr die geballte medientheoretische Macht einer fast 150jährigen Geschichte entgegen. Hier kann man ihr nur beipflichten. Was schon beim Sacheigentum zu theoretischen Schwierigkeiten führt – denn Eigentum als Recht ist nun einmal ein interpersonales Mittel der Herstellung von Verbindlichkeit und kein Recht am „Ding“7 – muss das Immaterialgüterrecht tatsächlich in gefühlte Krisen stürzen wenn neue Kopiertechniken zum Massenphänomen werden. Der Ertrag der Werkherrschaft als Rechtsbegriff fällt daher in deskriptiver Hinsicht eher enttäuschend aus und als normativer Anspruch ist sie nicht mehr und nicht weniger überzeugend wie jede andere politische (oder ideologische) Rechtfertigung auch. Stellt man stattdessen auf interpersonale Verbindlichkeit ab, dann geht es nicht um Krisen, sondern um Neujustierung, nicht um metaphysische Okkupation, sondern um politische Gründe, die es „auszuhandeln“ gilt. Man führe sich nur einmal vor Augen, wie weit die Rechtsordnungen, die die Autorin im Blick hat, in anderen Bereichen Eingriffe in das Eigentum und in wohl erworbene Positionen zulassen, etwa im Felde der Umwelt-, Energie- und Industriepolitik oder in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hier käme wohl niemand auf die Idee, die rechtliche Sanktion von Eigentumsverhältnissen in einem bruchlosen Kontinuum zu sehen.
4 Offene Fragen und Rezeptionsprobleme
18An den Schnittstellen zwischen Wissenschaften bleiben bei allem Gewinn Irritationen nicht aus. Eine medienhistorische Untersuchung ist keine rechtshistorische. Methodenbedingte Verluste lassen sich daher wechselseitig kaum vermeiden, dem Rechtswissenschaftler geht es im umgekehrten Falle nicht anders. Vor diesem Hintergrund muss man es sehen, wenn der juristisch sozialisierte Leser seine Schwierigkeiten mit „Copyrights“ als des tragenden, Räume und Zeiträume überspannenden Begriffs der Untersuchung hat. Die methodologischen, institutionellen und inhaltlichen Unterschiede zwischen Common Law und kontinentalem Recht, zwischen „Copyright“ und Urheberrecht – man denke nur an persönlichkeitsrechtliche Aspekte – werfen die Frage auf, ob der Begriff geschickt gewählt wurde. Im Verlauf der Lektüre wird zwar klar, dass damit wohl ein breiter analytischer Fluchtpunkt im Sinne der denkbar weiten „property rights“ verstanden wird und dass eine Arbeit wie diese gewiss nicht ohne einen solchen auskommt. Es hätte der Untersuchung aber gut getan, wenn die Verfasserin diesen naheliegenden Einwand deutlicher antizipiert hätte, denn so setzen sich die gewonnenen Erkenntnisse dem Verdacht mangelnder Differenzierung aus.
19Zwei weitere Fragen sollten daneben noch angesprochen werden. Sie verstehen sich weniger als Kritik an der Untersuchung, denn als kritische Überlegungen im Blick auf eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung oder gar Rezeption. Zunächst sollte man sich als Rechtswissenschaftler eine Meinung zum Konzept des „Aushandelns“ bilden. Aus juristischer Sicht vollbringt es eine wahre Meisterleistung. Es „sprengt“ die „übliche Unterscheidung von Rechtsnorm und Rechtsanwendung“ (S. 20) und – so ist man als Jurist geneigt erleichtert hinzuzufügen – beseitigt damit leichter Hand die mit der Krisenrhetorik verbundene Sein-Sollen-Problematik. Wenn heute jeder kopiert, kann mit der Werkherrschaft etwas nicht stimmen: entweder liegt es an der Norm oder an der Praxis. Dieses Palmström-Problem hat man nicht, wenn man rechtsrealistisch vorgeht oder den Konflikt im Aushandeln aufgehen lässt. Entsprechend kennt etwa die angloamerikanische Rechtswissenschaft die Unterscheidung von „is“ und „ought“ praktisch gar nicht. Wohl nicht zufällig steht der Verfasserin im Blick auf das „Aushandeln“ von Normen eine Arbeit über englisches Arbeitsrecht Pate.8 Denn dort hat das Aushandeln schließlich seinen Platz, anders dagegen im kontinentalen Privatrecht.9 Im Common Law schafft das Gericht tatsächlich Recht, es gibt dort ungeregelte Bereiche, während im Civil Law das theoretische Leitbild die Rechtserkenntnis innerhalb einer durchnormierten Rechtsordnung ist. Nun spricht dies nicht gegen das Konzept der Aushandlung, schließlich geht es Dommann um „soziale Aushandlung“ und nicht lediglich um gerichtliche Mechanismen. Andererseits setzt sich dieses Leitbild aber fort. Denn wenn sich kontinentale Juristen – anders als etwa amerikanische – mit Sein und Sollen, mit Norm und Praxis abmühen und dabei bisweilen nicht die beste Figur machen (z.B. wenn im dogmatischen Gebäude pragmatische Einzelfallentscheidungen nicht erklärbar sind oder – schlimmer noch – sie verhindert werden), dann kann man dies gewiss kritisieren, aber dafür gibt es schließlich Gründe, die möglicherweise nicht ganz ohne Verlust ignoriert werden können, wie etwa die Bedeutung von Kodifikationen (gegenüber Richterrecht), die Funktion des Parlamentsgesetzes, die Gesetzesbindung, die institutionelle und konstitutionelle Struktur und vieles mehr. Wenn man dies im Aushandeln bzw. im Immer-schon-ausgehandelt-sein aufgehen lässt, hat man sich des ewigen Problems der Sein-Sollens-Spannung zwar entledigt, begibt sich damit aber auch des Reizes der in dieser Spannung liegt. Und nur nebenbei sei bemerkt, dass die normative Entleerung von Rechtsbegriffen, wie etwa beim ausgehandelten, nur noch resultierenden Eigentum10 in der jüngeren amerikanischen Debatte zunehmend als Verlust empfunden wird.11 Das muss eine historische Untersuchung nicht kümmern, für die juristische Rezeption spielt dies aber durchaus eine Rolle.
20Eine andere Frage werfen die Konzepte des Autorrechts bzw. der Werkherrschaft auf. Dommann zeigt uns, wie die Nachdrucklizenz von jenen abgelöst wurde, wie an die Stelle des Nachdrucks zunehmend die Verwertung tritt und wie sich schon wenig später mit der technischen Entwicklung zahlreiche Probleme einstellen (S. 36 ff.). Es sind Probleme, die das Recht sich dadurch einhandelt, dass es immer wieder versucht, den Autor – wie Dommann treffend formuliert – an das Werk zu heften (S. 296). Der Fürst, der einst über das Instrument der Privilegien regierte, ist so also doch nicht ganz verschwunden, er steht nur eben auf der anderen Seite und wir sprechen nicht mehr vom Privileg, sondern von „Inhalts- und Schrankenbestimmungen“ (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Dommann zeigt diesen Effekt des individualistischen Konzepts sehr deutlich am Beispiel der Zwangslizenzen und wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen als Reaktion auf das subjektive Recht (S. 95 ff.). Das Wechselspiel von Vervielfältigungsform und Verrechtlichungsstrategie kehrt die Vorstellung von der Werkherrschaft in einen Sammelbegriff des je aktuellen Konglomerats an Selbst- und Fremdregulierung (S. 75 ff., 108 ff.), an rechtsförmigen, technischen (S. 303 ff.) oder sonst effektiven Regeln. Autorrecht und Nachdruckprivileg als exemplarische Vertreter der Rechtsbegründung sind dann aber nur in der Theorie kategorial verschieden, tatsächlich repräsentieren sie zwei heute parallel und komplementär eingesetzte Strategien, um Vervielfältigungsprobleme zu lösen: den Vervielfältiger mit einer „Nachdrucklizenz“ bedenken oder den „Autoren“ zum Herrn über das Recht erklären. In der Realität subjektiver Rechte moderner, demokratischer und konstitutionalisierter Provenienz verschwimmen individualistische und sozial konsentierte Geltungsgründe, hier: Autorrecht und Privileg. Die Verfasserin belegt damit zwar anhand der medienhistorischen Entwicklung eindrücklich, dass die normative Werkherrschaft und das gut-orientierte Recht keine sinnvolle Kategorie mehr sind. Aber das ist, erstens, ohnehin nichts anderes als der Stand der Diskussion in der Rechtswissenschaft, die – und darin kann man tatsächlich ein transatlantisches Phänomen sehen – in unterschiedlichen Abstufungen und wechselnder Radikalität das Eigentum einem Normprägungserfordernis unterwirft bzw. als resultierendes Bündel von Rechten und Pflichten begreift.12 Wer sich an der Werkherrschaft abarbeitet, läuft daher Gefahr gegen einen Scheintoten zu argumentieren. Es hilft daher, zweitens, auch nicht, die idealisierende Werkherrschaft gegen das andere Extrem der Materialität des Mediums einzutauschen. Während im ersten Fall normative Überschüsse drohen, bleibt man im zweiten Fall – für juristische Zwecke – unterkomplex. Lässt sich damit z.B. erklären und rechtfertigen, was Gerichte, namentlich im immer dichter werdenden europäischen Gerichtsverbund tun, wenn sie Urheberrechte judizieren und dabei zumindest mit einem Auge von normativen Großbegriffen, wie des menschenrechtlichen Eigentums, ausgehen? Wie verhält es sich mit Rechtsentwicklungen die nicht vom Medienwandel induziert werden, sondern schlichte Rechtssetzung sind, Dezision oder gewandelte Rechtserkenntnis?13 Mit der Verschmelzung von Norm und Praxis im Aushandeln droht auch der Verlust einer Ebene auf der typischerweise Fragen der Kompetenz (im doppelten Sinne) und der damit korrespondierenden Legitimation ihren Platz finden. Auch das mag ein Grund sein, warum dieser methodische Zugriff in der Rechtswissenschaft noch keine besondere Verbreitung gefunden hat – was dem mediengeschichtlichen Ansatz freilich keinen Abbruch tun muss.
21Diese Anmerkungen müsste man nicht machen, wenn die Schrift „Autoren und Apparate“ im interdisziplinären Diskurs nicht Aufmerksamkeit erzeugen und Widerspruch provozieren würde. Schon das ist eine Seltenheit. Dabei kann die bisweilen wenig methodenbewusste Rechtswissenschaft solche Impulse immer gut gebrauchen, weil sie zur Reflexion über das eigene Tun zwingen. Die Schrift Dommanns leistet dies. Ihr höchst aufschlussreiches und lesenswertes Buch, einschließlich der darin angewandten Methode, sollten daher ihren Platz in jeder künftigen geschichtswissenschaftlichen und theoretischen Beschäftigung mit dem Urheberrecht haben.