1Die urkundliche Ersterwähnung des Namens Habsburg im Jahre 1108 bot 2008 im Kanton Aargau auf Schloss Lenzberg den Anlass für eine Historikertagung zum Gedenkjahr. In der Folge entstand der vorliegende Tagungsband mit seinen fünfzehn Beiträgen, welche überwiegend aus dem Bereich der Geschichtswissenschaft stammen und durch Arbeiten einer Kunsthistorikerin sowie eines Forschers der Sozial- und Politikwissenschaften ergänzt wurden.
2Das Thema der Habsburgerherrschaft erfreut sich in der wissenschaftlichen Aufarbeitung großer Beliebtheit. Die Partikularität spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher habsburgischer Herrschaftspraxis bietet ein breites Feld für neue Forschungen. Dem Erkenntnisinteresse, wie für die Untertanen die Größe des Habsburgerreiches und seine Herrschaftsstrukturen erfahrbar waren, widmet sich der vorliegende Band. Es wird der Zeitraum zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert, einer Zeit der größten Ausdehnung des „habsburgischen Imperiums“, in den Blick genommen. Der Schwerpunkt der meisten Beiträge liegt dabei auf dem verwaltungsgeschichtlichem Segment der Administration dieses Großreiches.
3Der Anspruch der Herausgeber war eine mikrohistorische Betrachtung des Habsburger-Imperiums. Die Autoren liefern in ihren Ausführungen Untersuchungen über die „kleine“ Verwaltungsebene, und vollführen anhand dieser Rückschlüsse auf größere Verwaltungszustände und zeigen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Herrschaftsbereichen auf. Bei der Annäherung an die Praxis der Herrschaftsausübung wird der Frage nachgegangen, ob es wechselseitige regionale Einflüssen gab, die dann bei der Erschließung bzw. Eingliederung neuer Herrschaften in die vorhandene Verwaltungsorganisation des neuen Gebiets implementiert wurden. Diese Frage ist deshalb von zentraler Bedeutung, da die Habsburger beim Erschließen neuer Territorien eher dem Fortbestand der vorgefundenen Verwaltungsstrukturen den Vorzug gaben. Die Beiträge beziehen auch das Drängen der Beherrschten von „unten hinauf“ als theoretisch wertvollen Impuls an der Herrschaftsbildung, -konsolidierung und -vereinheitlichung mit ein. Gerade die Kontrastierung zwischen Mikrogeschichte und den „großen“ Narrativen machen den Reiz dieses Tagungsbandes aus. Die Einleitung des Tagungsbandes wirft dazu gleich die zentralen Fragen auf: Gab es einen Transfer von Herrschaftstechniken oder die Übertragung von Verwaltungsmustern auf andere Herrschaftsgebiete, und fand damit auch ein Kulturtransfer zwischen den Gebieten statt, der einen Weg hinab auf die lokale Administrationsebene fand. Die Artikel folgen in ihren Ausführungen dieser Fragentrias und liefern jeweils unterschiedlich akzentuierte Antworten.
4Den Anfang markiert der Beitrag des Mitherausgebers Thomas Zotz mit seinem Artikel über „Zentren und Peripherien des habsburgischen Imperiums im Mittelalter“, der die Genese des habsburgischen Herrschaftskomplexes – und damit auch den geographischen Raum der folgenden Beiträge absteckt. Von den Stammlanden im Aargau und Elsass (1108) aus erweitert sich die Herrschaft der Habsburger um das Kyburger Erbe und es traten nach der Schlacht auf dem Lechfeld die Herzogtümer Österreich und Steiermark (1282) dazu, wobei die Schweizer Gebiete nach der Schlacht bei Sempach (1386) endgültig verloren gingen. Dieser Status quo wurde in der Ewigen Richtung (1474) nach weiteren erfolglosen Bemühungen um Erweiterung des Herrschaftsgebietes von den Habsburgern anerkannt. Hinzu kamen die Grafschaft Pfirt (1324), das Herzogtum Kärnten und Krain (1335), der Erwerb Tirols (1363) und schließlich die Eingliederung des Herzogtums Burgund und der dazugehörenden Herrschaften in den Niederlanden (1477) sowie die Herrschaftsübernahme in Spanien und den dazugehörigen Kolonien in der neuen Welt (1504). Dies führte zur größten Ausdehnung des Hauses Österreich unter Kaiser Karl V, die nach der Schlacht von Mohacs noch um Böhmen und Ungarn ergänzt wurde.
5Christian Lackners Aufsatz, „Zwischen herrschaftlicher Gestaltung und regionaler Anpassung. Pfandschaften, Ämterkauf und Formen der Kapitalisierung in der Verwaltung der spätmittelalterlichen habsburgischen Länder Österreich und Steiermark“, spricht ein zentrales Thema der Habsburger im Mittelalter an - den Geldmangel: Das ausgeprägte Pfandschaftswesen, bevorzugt als Geldbeschaffungsmittel gegenüber dem Adel eingesetzt, stellte primär die Finanzierung von Soldaten oder die Zahlung ausständiger Soldgelder sicher.
6Die erste Lokalbetrachtung widmet sich dem Land Tirol und ist eine der letzten Schriften des kürzlich verstorbenen Kollegen Klaus Brandstätters mit dem Titel „Lokale Verwaltung und habsburgische Kirchenpolitik in Tirol (14.-16. Jahrhundert)“. Seine pointierte Ausarbeitung behandelt die spätmittelalterliche Tiroler Verwaltung und ihre verschiedenartigen Beziehungen zur Geistlichkeit und dem lokalen Adel im Spannungsfeld der drei Tiroler Bistümer und bietet in so manchen Details aufschlussreiche Einzelheiten.
7Gefolgt wird diese Lokalbetrachtung von Alois Niederstätter mit „Habsburgische Herrschaftspraxis zwischen Bodensee und Alpen im ausgehenden Mittelalter“. Zuerst werden dort in der Tradition von Benedikt Bilgeri die Besonderheiten der Landwerdung Vorarlbergs angerissen, um dann zur spezifischen Verwaltungspraxis (bspw. Ammänner) überzuleiten und den spezielleren Wirkungskreis der Vögte im Vorarlberger Verwaltungssystem zu beschreiben, wobei hier das Festhalten an vorgefundenen Verwaltungsstruktur besonders hervortritt.
8Simon Teuscher schreibt in „Böse Vögte? Narrative, Normen und Praktiken der Herrschaftsdelegation im Spätmittelalter“ beginnend mit der allgemein bekannten Tell’schen Geschichte, eine Abhandlung zur aktenbelegten Wirklichkeit und erzählerischen Erinnerungskultur der hoch- und spätmittelalterlichen Amtmänner, welche im Nachhall oft als „böse“ adjektiviert wurden. Andreas Bihrer rundet diese Betrachtung durch „Zwischen Wien und Königsfelden. Die Kirchenpolitik der Habsburger in den vorderen Landen im 14. Jahrhundert“ mit einem Blick auf die geistliche Seite der Herrschaftsausübung ab und zeigt die begrenzten Einflussmöglichkeiten der habsburgischen Herrschaftsausübung vor Ort auf, da zwar der Einzug von Abgaben gelang, die Eigenständigkeit der Herrschaften sie aber gerade nicht zu „Außenstellen“ der Habsburger machten.
9Aus kunsthistorischer Perspektive geht Brigitte Kuhrmann-Schwarz in ihrem Beitrag ebenfalls von der Abtei Königsfelden aus. Sie stellt mit „Zeichen der Frömmigkeit oder Bilder der Herrschaft? Die Habsburger in den Glasmalereien der ehemaligen Klosterkirche Königsfelden“ die Bedeutung des Kirchenbaues, insbesondere des Glasmalereizyklus von König Albrecht I., Herzog Albrecht II. Herzog Heinrich, Herzog Otto und Herzog Leopold I. und ihren Gemahlinnen heraus. Die damit verbundene, dem enthoben Heiligen nahestehenden herrschaftsrepräsentativen Darstellungen der Habsburger öffnet vor allem den Blick auf ihre dadurch manifestierte Selbstwahrnehmung.
10Martina Stercken schließt sich thematisch der Selbstdarstellung der Habsburger mit „Formen herrschaftlicher Präsenz. Die Habsburger in ihren Städten im Gebiet der heutigen Schweiz“ an. Die vorwiegend personelle Abwesenheit der Habsburger in ihren Schweizer Stammlanden führte neben der notwendigen Einbindung lokaler Eliten zu einem artefaktisch-materiellen Aspekt von Herrschaftsausübung, der in der Repräsentation durch Herrschaftssitze, Stadtsiegel, Urkunden uvm. seinen Ausdruck fand.
11Die Behandlung geographisch entlegenerer Gebiete des spätmittelalterlichen Hauses Österreich folgt mit Wim Blockmans „Wie beherrscht man eine reiche Peripherie? Integration und Widerstand in den habsburgischen Niederlanden“. Diese wird durch Jelle Haemers „Faire sonprouffit. Die Finanzpolitik Maximilians I. und die städtischen Aufstände in den Niederlanden (1477-1488)“ ergänzt, wobei die schwierige politische, geographische, besonders aber finanzielle Lage der habsburgischen Niederlande auch in Zahlen und Tabellen Ausdruck findet. Gefolgt werden diese Beiträge durch Teofilo F. Ruizs Ausführungen über die spanischen Gebiete und Peripherien in „Regierung auf Reisen. Die Herrschereinzüge Philipps II. in Aragòn und Barcelona“, einem soziologisch äußerst spannenden Beitrag, der die Inszenierung von Herrschaft als politisches Wechselspiel von „Performance“ und „Power“ aufzeigt.
12Alejandro Caneque stellt mit „In wit entfernten Ländern Das konfliktreiche System habsburgischer Herrschaft im Vizekönigreich Neuspanien“ besonders säkular-politische Loyalitätszerwürfnisse dar. Heraclio Bonilla „Der „koloniale Pakt“ der Habsburger in der Andenregion und Felix Hinz, „Eine indianische Stadt gibt sich demonstrativ kaisertreu. Habsburgerherrschaft in Tlaxcala (Mexiko) 1521-1550“ beschließen den Band mit Erläuterungen über den kolonialen Geldfluss einerseits und die Selbstwahrnehmung kulturell diversifizierter indigener Bevölkerungsgruppen und deren Herrscherpersönlichkeiten in Beziehung zu den Habsburgerherrschern andererseits.
13Den meisten Sammelbänden gelingt es aufgrund der Vielzahl von Autorinnen und Autoren nicht unbedingt, das betitelte Thema stringent darzustellen. Das vorliegende Werk stellt dahingehend eine bemerkenswerte Ausnahme dar, da sich alle Autorinnen und Autoren an die redaktionellen Vorgaben gehalten haben und jeder Artikel der einleitend zu Grunde gelegten Fragestellung folgend zuerst die lokale Betrachtung und deren Besonderheit herausarbeitet, um dann den wechselseitigen Einflüssen Raum zu geben und zuletzt auch zu einer thematischen Einbettung der Einzelerkenntnisse in einem größeren gesamtgeschichtlichen Zusammenhang zu gelangen. Der Sammelband ist interdisziplinär und präsentiert das Thema Herrschaftsvermittlung und Herrschaftsverwaltung in seinem chronologischen Aufbau auf eine nahezu schon didaktische Weise. Die Lesart und die fachliche Präzision der Autoren folgen einem hohen wissenschaftlichen und sprachlichen Können. Anekdotischen Einbettungen bspw. über böse Vögte, selbstherrliche Geistliche, misslungene Königseinzüge oder indianischen Uhrenerwerb flankieren den wissenschaftlichen Kontext gekonnt.