1Mit seiner Einführung „Politische Theorie und Herrschaft in der Frühen Neuzeit“ greift Cornel Zwierlein, wie von den Herausgebern der neuen Reihe „Einführungen in die Geschichtswissenschaft. Frühe Neuzeit“ gewünscht, ein Thema auf, das in dieser Form selten Thema von Einführungsliteratur ist. Zumindest nicht wenn es derart umfassend beleuchtet wird, wie Zwierlein es anstrebt, und es sich nicht um allgemeine Überblickswerke zu politischen Denkern handelt. Zwierleins Anspruch ist ein anderer. Er will nicht einfach verschiedene frühneuzeitliche politische Theorien vorstellen, vielmehr verbindet er dies mit einer grundlegenden Betrachtung frühneuzeitlicher Herrschaft. Insofern stehen bei ihm sowohl das Funktionieren und die Verfasstheit politischer Gemeinwesen als auch die hierzu in Wechselwirkung stehenden zeitgenössischen Theorien im Mittelpunkt.
2Zwierlein steigt direkt in die Materie ein, indem er den Fokus auf Florenz an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert legt, das für ihn „ein ‚Laboratorium‘ für Herrschaft und Politische Theorie im Europa der Frühen Neuzeit“ (S. 15) darstellt und an dem man verschiedene die Epoche prägende Entwicklungen und Problemfelder erkennen kann, wie etwa Fragen nach Souveränität, der Bedeutung von Krieg und Frieden für Theorie und Praxis frühneuzeitlicher Herrschaft, aber auch den Wandel medialer Bedingungen politischer Kommunikation. Dieser Einstieg ist durchaus anregend, aber auch herausfordernd, gerade für Leser*innen, die über wenig Vorwissen verfügen. Denn nur sehr langsam wird deutlich, wohin diese Fallstudie führt und was sie für das Gesamtkonzept des Buches bedeutet. In seinem Schlusswort erläutert Zwierlein die Konzeption seiner Einführung wie auch seine Schwerpunktsetzungen und das, was er als zentrale „rote Fäden“ (S. 274) identifiziert. Für die Lektüre wäre es deutlich leichter gewesen, diese Überlegungen an den Anfang und nicht an den Schluss des Buches zu stellen.
3Nach diesem thematischen und in die Tiefe gehenden Einstieg stellt Zwierlein verschiedene zentrale, moderne, methodische und theoretische Ansätze zur Erforschung von Theorie und Praxis frühneuzeitlicher Herrschaft vor, u.a. die Cambridge School, Koselleck, Foucault und Luhmann und zeigt in Ansätzen, wie diese Theorieangebote für die Analyse nutzbar gemacht werden können. Hier wäre ein noch stärker exemplarisches Vorgehen sicherlich gerade mit Blick auf Einsteiger*innen hilfreich gewesen.
4Im Hauptteil beleuchtet Zwierlein verschiedene Themenfelder genauer: So fragt er zunächst nach den mittelalterlichen Wurzeln frühneuzeitlicher politischer Theoriebildung, bevor er sich erst das Alte Reich in seiner Verfasstheit und dann verschiedene andere Monarchien und Republiken sowie die zeitgenössischen Diskurse über Gemeinwesen und Staatsformen anschaut. Anhand der Debatte um den Absolutismusbegriff verdeutlicht er zudem die Funktionsweise solcher Forschungsauseinandersetzungen und damit auch die Bedeutung, die derartige Einteilungen und Epochenbegriffe für die Untersuchung haben. Weitere Themenfelder sind „Wirtschaft und Gesellschaft, Staatswirtschaft“, „Französische Revolution“, „Krieg, Frieden, Sicherheit“ und „Völkerrecht, Seerecht“. Damit trifft Zwierlein eine einleuchtende und umfassende Auswahl, die sich an den aktuellen Forschungsentwicklungen orientiert, auch wenn er sie nicht näher begründet.
5Allerdings muss beanstandet werden, dass Geschlecht als ein zentraler Aspekt, der in der gegenwärtigen Forschung verstärkt Beachtung findet, vollständig fehlt: Weder thematisiert er die zeitgenössischen, gerade im 16. Jahrhundert sehr lebhaft geführten Debatten um weibliche Herrschaft (Stichwort „querelles des femmes“), noch berücksichtigt er moderne Perspektiven, die nach Formen weiblicher Macht- und Herrschaftsausübung sowie nach Weiblichkeits- und Männlichkeitsbildern im Kontext frühneuzeitlicher Herrschaft fragen. Natürlich kann eine Einführung nicht jedes Themenfeld mit der gleichen Aufmerksamkeit berücksichtigen; hier darf und muss ein Autor entsprechend seiner eigenen Schwerpunkte eine Auswahl treffen, wie Zwierlein dies in seinem Schlusswort erläutert (S. 274). Allerdings sollte ein so zentraler Aspekt in einer modernen Einführung zumindest angesprochen werden, gerade weil Zwierlein durchaus für sich beansprucht eine Perspektivenerweiterung vornehmen zu wollen.
6Dies tut er in seinem abschließenden Kapitel, das er mit „Die Herausforderung des Globalen“ überschreibt und in dem es ihm darum geht, die Debatten um frühneuzeitliche europäische Herrschaft in einen globalen Kontext zu setzen. Wieder stellt er zunächst das für eine globalhistorische Perspektive einschlägige Theorie- und Methodenangebot vor und fragt dabei auch, inwieweit die eingangs mit Blick auf Europa entworfenen Ansätze für globalhistorische Fragestellung fruchtbar gemacht werden können oder ob sie hier nicht eher an ihre Grenzen stoßen. Exemplarisch gibt er schließlich einen knappen Überblick über die Entwicklung politischer Theorie im Osmanischen Reich, in Indien und China.
7Aufbau und Schwerpunktsetzungen sind weitgehend klar und einleuchtend. Inwiefern diese Einführung jedoch als Einstieg für Studierende geeignet ist, erscheint der Rezensentin fraglich. Sprache und Argumentationsweise sind mitunter, gerade bei der Darstellung von Theorie und Methoden, unnötig komplex. Zum Teil werden Begriffe eingeführt, bevor sie etliche Seiten später erst erläutert werden (z. B. Monarchomachen, S. 120, 130); ein Glossar zusätzlich zum Personen-, Orts- und Sachregister wäre hier sicherlich hilfreich gewesen. Schwierig erweisen sich in formaler Hinsicht die Literaturhinweise. Dass diese im Buch beschränkt sind, es aber auf der Verlagsseite ein ausführlicheres Verzeichnis zum Herunterladen gibt, ist durchaus einleuchtend. Leider erwähnt Zwierlein aber mitunter Autor*innen im Text, die dann weder in den spärlichen Fußnoten oder der begrenzten Literaturauswahl im Buch noch in der umfangreicheren Liste aufgeschlüsselt werden (z. B. Verweis auf Peters im Kontext von Eheverträgen als Element frühneuzeitlicher Außenbeziehungen, S. 215; eine bibliographische Aufschlüsselung fehlt leider vollständig). Dies ist für Nutzer*innen, die die Lektüre als Einstieg in weitere Forschungen verwenden wollen, ärgerlich.
8Trotz dieser Kritikpunkt ist die Lektüre dieses Überblicks über frühneuzeitliche Theorie und Herrschaft gerade mit Blick auf die globale Perspektivierung des Themas sehr anregend und gewinnbringend.