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Wie Justitia zurückblickt. Erinnerungskultur(en) der deutschen Justiz
June 3, 2021
Auf der 23. Jahrestagung des „Forum Justizgeschichte“ soll es um Justizielle Erinnerungskultur gehen. Sie kann anhand von Porträts und Erinnerungstafeln, durch Publikationen über „furchtbare Juristen“ und „Anwälte ohne Recht“, Gedenkstätten, Festschriften und Rechtsprechungstraditionen, an der Erschließung von Prozessmaterialen und am Wegschließen von Akten exemplifiziert werden. Wie funktioniert „juristische Geschichtspolitik zwischen Selbstkritik und Identitätsstiftung“?
Anfang dieses Jahres schlug das Bundesjustizministerium eine Änderung des Deutschen Richtergesetzes vor. „Im gesamten rechtswissenschaftlichen Studium“ solle fortan „gerade vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Unrechts die Fähigkeit zur kritischen Reflexion des Rechts einschließlich seines Missbrauchspotentials“ gefördert werden. Wenige Wochen zuvor hatten Medien über eine „Ahnengalerie“ ehemaliger Richterinnen und Richter im Bundesarbeitsgericht (BAG) berichtet und damit ein Schlaglicht auf eine andere Art der Erinnerungskultur in der deutschen Justiz geworfen: Ohne einen einordnenden Kommentar hängt im Gebäude auf dem Erfurter Petersberg das Porträt von Willy Martel, der als Mitglied des Sondergerichts Mannheim nach der „Verordnung gegen Volksschädlinge“ auch für Diebstahl die Todesstrafe verhängt hatte. Zwölf weitere Juristen sind abgebildet, die nach Recherchen von Martin Borowsky schwere NS-Belastungen aufweisen. Erst Anfang 2021 kündigte das BAG eine Historikerkommission an, um die Vergangenheit seiner ersten Richter und deren Rechtsprechung aufzuarbeiten. Auch die Vorbereitungen zur Gründung eines „Forums Recht“ in Karlsruhe gehören in diesen Kontext. Hier stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Musealisierung der bundesrepublikanischen Justizgeschichte und ihrer Vorgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert.
Wie erinnern deutsche Gerichte an ihre Geschichte? Welche Erinnerungskulturen gibt es?
Der Historiker Christoph Cornelißen definiert Erinnerungskultur „als einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse […], seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur. Der Begriff umschließt mithin neben Formen des ahistorischen oder sogar antihistorischen kollektiven Gedächtnisses alle anderen Repräsentationsmodi von Geschichte, […] jedenfalls soweit sie in der Öffentlichkeit Spuren hinterlassen haben.“
Auf der 23. Jahrestagung des „Forum Justizgeschichte“ soll es um dieses „historische“, „ahistorische“ und sogar „antihistorische“ Gedächtnis der dritten Gewalt gehen. Justizielle Erinnerungskultur kann anhand von Porträts und Erinnerungstafeln, durch Publikationen über „furchtbare Juristen“ und „Anwälte ohne Recht“, Gedenkstätten, Festschriften und Rechtsprechungstraditionen, an der Erschließung von Prozessmaterialen und am Wegschließen von Akten exemplifiziert werden. Wie hat „juristische Geschichtspolitik zwischen Selbstkritik und Identitätsstiftung“ (Hannes Püschel) funktioniert seit dem Kaiserreich – und wie funktioniert sie heute?
Darüber hinaus soll diskutiert werden, welche Bereiche der Justiz nach wie vor aus der kollektiven Erinnerung ausgeklammert werden und welche blinden Flecke die Aufarbeitung aufweist. Ein Themenfeld könnte dabei sein, warum die Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Faches und der eigenen Zunft so wenig Raum in der Ausbildung einnimmt. Es kann sich auch die Frage stellen, wie sich die Rechtsgeschichtsschreibung an der Schnittstelle von Fachwissenschaft, Erinnerungskultur und öffentlicher Geschichte positioniert.
Gerne wollen wir auch erörtern, welche Aufmerksamkeit wir heute der historischen Bedeutung des Gegenwärtigen für eine mögliche gesellschaftliche Erinnerung(skultur) der Zukunft schenken. Ganz konkret: Wie wird in der Gegenwart der mögliche historische Wert gegenwärtiger Justizhandlungen mitbedacht? In diesem Zusammenhang kann etwa über die Möglichkeiten und Notwendigkeit der Audioaufzeichnung von Strafverfahren (nicht nur von historischer, sondern auch) mit rassistischen Hintergründen diskutiert werden.
Gesucht werden Beiträge auch junger Wissenschaftler/innen, die sich mit diesem Themenfeld oder benachbarten Bereichen beschäftigen.
Geplant ist eine digitale Auftaktveranstaltung mit drei Vorträgen und anschließender Diskussion am Samstag, den 25. September 2021. Folgen sollen drei Abendveranstaltungen mit zwei Vorträgen und anschließender Diskussion im Oktober, November und Dezember 2021. Eine Darstellung des vorgeschlagenen Beitrags (ca. 500 Wörtern) und ein kurzer Lebenslauf sind erwünscht. Einsendung bitte bis zum 1. Juli 2021 an: info@forum-justizgeschichte.de