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Forum News

Geschichte strategischer Prozessführung in Deutschland

April 25, 2025

Am 26.09.2025 - 28.09.2025 findet an der Deutschen Richterakademie in Wustrau die 27. Jahrestagung des Forum Justizgeschichte statt.

Einsendeschluss für Beitragsvorschläge: 31.05.2025

In Rechtsstaaten mobilisieren Personen und Gruppen das Recht zur Veränderung von Politik und Gesellschaft. So klagt vor dem Oberlandesgericht Hamm der Landwirt und Bergführer Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE: Er will erreichen, dass sich der Konzern anteilig an Kosten für Schutzmaßnahmen gegen eine Flutwelle durch den Gletschersee Palcacocha beteiligt. In Karlsruhe gehen Pflegekräfte gerichtlich gegen die Zustände in deutschen Heimen vor; in Straßburg wehren sich Flüchtlinge aus Mali juristisch gegen Rückschiebungen an der spanischen EU-Außengrenze; Opfer eines Fabrikbrandes in Pakistan verlangen Schadenersatz von einem deutschen Discounter; Jemeniten verklagen die Bundesregierung wegen der Beteiligung an tödlichen Drohneneinsätzen.

Strategische Prozessführung ist ein schillernder Begriff, Definitionen gibt es viele. Von traditioneller Prozessführung unterscheidet sich „strategic litigation“ (auch: „impact litigation“ oder „public interest litigation“) jedenfalls darin, dass sie jenseits des Prozesserfolgs der vertretenen Partei im jeweiligen Einzelfall auch gesellschaftliche Veränderung anstrebt. Mit strategischen Klagen in ausgewählten Fällen sollen Präzedenzentscheidungen mit Breitenwirkung erstritten werden, mit massenhaften Verfahren wird (politischer) Druck erzeugt, mit Selbstanzeigen oder Aktionen des zivilen Ungehorsams werden Prozesse zur öffentlichen Skandalisierung ungerechter Straftatbestände initiiert. Verteidigung oder Nebenklage können die Bühne eines politischen Strafprozesses nutzen, um gesellschaftliche Zustände und staatliche Praktiken zu kritisieren.

Es geht also um Aktivismus mit Mitteln des Rechts (Christian Helmrich). Zwischen dem Kaiserreich, der Weimarer Republik und der Bundesrepublik haben unterschiedliche Akteur:innen auf verschiedenen Rechtsgebieten strategische Prozesse geführt: Für Arbeits- und soziale Rechte, für die Gleichberechtigung der Geschlechter, gegen Diskriminierung und Antisemitismus, für den Mieter- oder Umweltschutz.

Für Gerichte ist strategische Prozessführung eine Herausforderung: Wie gehen deutsche Richter:innen damit um, wie reagieren die Prozessordnungen und -kulturen auf Verfahren, in denen Beteiligte übergeordnete Ziele jenseits des konkreten rechtlichen Erfolgs verfolgen? Und welche Seite der – vermeintlich so unpolitischen – Justiz zeigt sich dabei? Interdisziplinär ließe sich diskutieren, inwiefern strategische Prozessführung justizielle Expert:innen weiter ermächtigt und wie insgesamt ihre (möglichen) gesellschaftlichen Wirkungen einzuschätzen sind. Die gegenwärtige politische Entwicklung drängt schließlich zur Frage, welche strukturellen verfassungsstaatlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit strategische Prozessführung überhaupt Erfolge erzielen kann.

Die Veranstalter suchen Beiträge auch junger Wissenschaftler:innen, die sich mit diesen oder benachbarten justizhistorischen Fragen beschäftigen. Eine Darstellung des vorgeschlagenen Beitrags (max. 500 Wörter) und ein kurzer Lebenslauf sind erwünscht. Einsendungen bitte bis zum 31. Mai 2025 an: info@forum-justizgeschichte.de.

Kontakt: info@forum-justizgeschichte.de

https://www.forumjustizgeschichte.de/


Quelle: Geschichte strategischer Prozessführung in Deutschland, in: H-Soz-Kult, 23.04.2025, https://www.hsozkult.de/event/id/event-154671.