Zeitschrift Rezensionen

Rezensiert von: Hanno Menges

Peter Kreutz Peter Kreuz, Recht im Mittelalter. Grundzüge der Älteren europäischen Rechtsgeschichte

1 Mit dem hier zu rezensierenden kompakten Lehrbuch legt der an der Universität Augsburg als Akademischer Rat tätige Verfasser Peter Kreutz, der in der Rechtsgeschichte und im Bürgerlichen Recht publiziert, eine Einführung in die mittelalterliche Rechtsgeschichte vor. Der Autor zielt darauf ab, die Rechtsgeschichte des Mittelalters in einen weiteren Zusammenhang zu rücken, als dies in vielen verbreiteten rechtshistorischen Darstellungen des Mittelalters geschieht. Das Buch soll, worauf der Verfasser im Vorwort hinweist, über die traditionelle nationale Perspektive hinausweisen und ein kontinentaleuropäisches Blickfeld eröffnen, indem insbesondere Entwicklungen im byzantinischen Reich mitberücksichtigt werden. Die Prägung der mittelalterlichen Rechtsgeschichte durch Entwicklungen der römischen Spätantike lässt den Autor auch diesen Zeitraum in die Betrachtung einbeziehen. Schliesslich soll, so der Verfasser, auch der politische, ökonomische und soziale Kontext rechtlicher Entwicklungen aufgezeichnet werden, da sich diese Bereiche im Mittelalter mit heutigen Begrifflichkeiten nicht scharf trennen lassen und weil staats- und verfassungsgeschichtlich relevante Vorgänge für das Recht regelmässig von grosser Bedeutung sind. Dem Leser sollen Verankerungen in bereits Bekanntem aufgezeigt werden, die zumindest nach persönlicher Erfahrung des Rezensenten beim Einstieg in die Rechtsgeschichte oft mangeln.

2 Ein erster Teil des Buches, der knapp einen Drittel des Textteils umfasst, befasst sich mit der römischen Spätantike. Einsetzend in der Zeit der Adoptivkaiser werden politische und ökonomische Entwicklungen bis zur Spaltung des römischen Reiches beschrieben. Die oft als Vulgarisierung des römischen Rechts bezeichnete Entwicklung sieht der Autor in Parallele zum allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Umbruch im römischen Reich ab dem Ende des zweiten Jahrhunderts. Der Verfasser geht auf die Constitutio Antoniniana ein, mit welcher im Jahr 212 allen freien Bewohnern des Reiches das römische Bürgerrecht verliehen wurde, was eine massive Ausweitung des Anwendungsbereichs des römischen Rechts bedeutete. Dem Leser wird anhand dieses Beispiels anschaulich aufgezeigt, wie sich in den Provinzen verschiedene Rechtstraditionen überlagerten. Parallel zu den politischen Entwicklungen im römischen Reich zeigt Kreutz das Entstehen des Kodex als neuen Typus der Rechtszusammenstellung, mit welchem die Rechtsmasse besser überblickbar gemacht werden sollte. Beschrieben werden sodann der Zerfall des weströmischen Reiches und die Entstehung germanischer Reiche auf dem ursprünglich römischen Gebiet. Den Codex Euricianus sowie weitere leges erläutert der Verfasser insbesondere mit Blick auf ihre Quellen und den Prozess ihrer Entstehung. Auf eine Beschreibung des spätantiken Bildungswesens folgt schliesslich eine ausführliche Schilderung der Entstehung des Corpus Iuris Civilis unter Justinian.

3Dem Frühmittelalter widmet sich der zweite Teil des Buches. Zunächst werden die Reiche der Langobarden und der Franken unter Merowingern und Pippiniden unter Darlegung der jeweils geltenden Rechte beschrieben. Die Bedeutung originär germanischen Rechts wird kenntlich gemacht und der Verfasser versteht es, durch die Beschreibung des germanischen Rechts als Gesamtheit von Rechtsgewohnheiten den Unterschied zum herrscherlich verordneten römischen Recht klarzumachen. Anschliessend blickt Kreutz auf das byzantinische Reich und zeichnet die Auseinandersetzungen mit Slawen und Arabern und den Ikonoklasmus nach. Der Autor verbindet diese Ereignisse mit den rechtlichen Entwicklungen, wenn er auf durch den Ikonoklasmus bewirkte inhaltliche Änderungen von Normen in neu entstehenden Rechtsbüchern hinweist. Sich nun endgültig Westeuropa zuwendend, geht der Verfasser auf die Herrschaft der Karolinger ein und zeichnet die karolingische Renaissance als Ergebnis verstärkten Austausches mit dem byzantinischen Reich. Bei der Rechtsentwicklung werden die Kapitularien als herrscherliche Anordnungen von den leges abgegrenzt und in Parallele zu den kaiserlichen Konstitutionen im Römischen Reich gesetzt. Das Lehnsrecht scheint am Rande auf, wenn die Herrschaft von Ottonen und Saliern und insbesondere der Einbezug der Kirche zur Herrschaftsausübung beschrieben werden, und wenn die Organisation des Gerichtswesens mittels Vergabe von Gerichtsrechten erläutert wird.

4Die Rezeption des Römischen Rechts im westlichen Kontinentaleuropa wird im dritten Teil des Buches behandelt. Der Verfasser setzt diese in einen Zusammenhang mit dem Investiturstreit und der Spezialisierung der wissenschaftlichen Ausbildung im zwölften Jahrhundert. Die wissenschaftliche Bearbeitung der römisch-rechtlichen Quellentexte wird gut verständlich auf zusammengefasst. Nur wenig Raum entfällt auf Ausführungen zur Kanonistik, die vermutlich aufgrund der ebenfalls an Universitäten erfolgenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung ebenfalls unter dem Titel der Rezeption des Römischen Rechts zu finden sind. Im Vordergrund stehen dabei eher technische Aspekte wie der Aufbau des Decretum Gratiani denn inhaltliche Fragestellungen. Insgesamt sieht Kreutz die Rezeption begründet in der Verfügbarkeit der Digesten im Bologna des elften Jahrhunderts, im Wunsch der Abgrenzung der weltlichen Herrschaft von der Kirche, und in der Konkurrenz des Heiligen Römischen Reiches zum byzantinischen Reich, wo auf Basis der Basiliken eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Recht erfolgte.

5Der vierte Teil des Buches stellt Grundlinien der weiteren Entwicklung dar. Auf zehn Seiten werden die Themen Spiegelrechte, Gottes- und Landfrieden, Stadtrecht, Gerichtsbarkeit und Urfehde behandelt und der Autor nimmt einen Ausblick auf die Rechtsentwicklung in Spätmittelalter und Früher Neuzeit vor. Es liegt in der Natur der Sache, dass die entsprechenden Erläuterungen nur sehr rudimentäre Kenntnisse vermitteln können. So wird etwa auf das Lehnsrecht nur am Rande unter dem Stichwort der Spiegelrechte eingegangen.

6Abgeschlossen wird das Buch durch ein im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Buches umfangreiches und nützliches Verzeichnis von Quelleneditionen und weiterführender Literatur.

7Insgesamt legt Kreutz eine Darstellung des mittelalterlichen Rechts vor, die sich in wesentlichen Punkten von anderen rechtshistorischen Lehrbüchern unterscheidet. Auffallend ist der Schwerpunkt in der Beschreibung der römischen Spätantike. Dieser entspricht der Konzeption des Buches, die darauf abzielt, die Wurzeln des mittelalterlichen Rechts in der Antike kenntlich zu machen. Die Verbindung der mittelalterlichen Rechtsgeschichte mit der Spätantike dient dem Leser bei der Einordnung des Stoffes und zeichnet die vorliegende Darstellung gegenüber anderen Studienbüchern aus. Angesichts der Dichte der beschriebenen Entwicklungen wäre es dem Leser allerdings dienlich, wenn ihm etwa eine Tabelle die Übersicht erleichtern würde. Auch die ausgedehnte Auseinandersetzung mit dem byzantinischen Reich ist eine klare Stärke von ‚Recht im Mittelalter‘, auch wenn die Genauigkeit, mit welcher beispielsweise auf den Arabersturm eingegangen wird, kaum der Bedeutung für die westeuropäische Rechtsgeschichte entspricht. Überzeugend vermag der Verfasser etwa die karolingische Renaissance oder die Rezeption in Beziehung mit Byzanz zu setzen. Verhältnismässig sehr wenig Raum entfällt auf das Kirchenrecht und das Lehnsrecht, was angesichts ihrer Bedeutung für die Rechts- und Gesellschaftsordnung im Mittelalter nicht ganz verständlich ist. Auch in der Bearbeitung des Spätmittelalters wäre eine inhaltlich tiefer gehende Darstellung wünschenswert. Inhaltlich erweist sich das Buch in der Schwerpunktsetzung als disproportional zur Bedeutung einzelner Themengebiete und Ereignisse für den überkomenen Diskurs der Rechtsgeschichte. Hier wird deutlich, in welcher Weise das Buch dem Studenten als potenziellem Leser hilfreich sein kann: ‚Recht im Mittelalter‘ kann Mängel verbreiteter rechtshistorischer Lehrbücher in der Einbettung rechtlicher Entwicklungen in einen zeitlichen, geografischen und sachlichen Kontext ausgleichen, vermag solche Darstellungen aber im Kern nicht zu ersetzen. Das Buch empfiehlt sich damit als Ergänzungslektüre für andere, umfassendere Lehrbücher.

Rezension vom 13. Juli 2012
© 2012 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
13. Juli 2012

  • Zitiervorschlag Rezensiert von: Hanno Menges, Peter Kreuz, Recht im Mittelalter. Grundzüge der Älteren europäischen Rechtsgeschichte (13. Juli 2012), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net/2012-07-menges/