1Die 2009 als Dissertation eingereichte Arbeit beschäftigt sich mit dem Institut des Vergleichs im Kontext des Insolvenzrechts, nämlich dem Vergleich zwischen Schuldner und Gläubigern, durch den schon die Einleitung eines Konkursverfahrens verhindert werden soll. Nach einer Einleitung und einer kurzen Darstellung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung vom Kaiserreich bis zum Ende der Weimarer Republik (S. 25-31) folgt ein erster Hauptteil zur Zeit vor der Vergleichsordnung von 1927 (S. 33-166). Der zweite Hauptteil (S. 167-252) beschäftigt sich mit der Entstehung der Vergleichsordnung von 1927. Im Anschluss wird die Kritik an ihr und das Gesetzgebungsverfahren der Vergleichsordnung von 1935 betrachtet (S. 253-272), einschließlich einer kurzen Betrachtung zur Frage, ob letztgenannte nationalsozialistisches Gedankengut enthält (S. 272). Daran schließen sich knappe biographische Skizzen zu Wilhelm Kiesow und Werner Vogels, den entscheidenden Redakteuren der Vergleichsordnungen, an (S. 273f.). Der mit „Insolvenzrechtsreform 1994“ überschriebene letzte Abschnitt enthält eine knappe Zusammenfassung der Diskussionslage zum Vergleichsverfahren von 1935 bis 1977, die in eine Kurzdarstellung der Vorgeschichte der Insolvenzordnung von 1994 übergeht (S. 275-277 und S. 277-281). Es folgt eine Darstellung der darin vorgesehenen sanierenden Verfahren sowie ein Ausblick (S. 281-287). Nach einer Zusammenfassung (S. 289-302) folgt neben Quellen- und Literaturverzeichnis ein Anhang, der neben statistischen Daten den Abdruck mehrerer Gesetzesentwürfe enthält (S. 329-405).
2Ziel der Arbeit ist es, die „Entwicklung der [!] gerichtlichen Zwangsvergleichs zur Abwendung des Konkurses“ (S. 21) darzustellen. Irritierend ist dabei, dass der Untersuchungsgegenstand immer wieder einfach als „Zwangsvergleich“ benannt wird, ohne dass dieser Begriff, den der Autor wohl aus der Literatur zwischen dem Beginn des 20. Jh. und der Vergleichsordnung von 1927 übernommen hat,1 in irgendeiner Weise erklärt wird. Wer hier gezwungen wird (nämlich diejenigen Gläubiger, die dem Vergleich über einen teilweisen Nachlass der Forderungen mit dem Schuldner nicht zustimmen, aber in der Minderheit sind), wozu gezwungen wird (nämlich die Geltung des Vergleichs zu akzeptieren, durch den sie einen Teil ihrer Forderungen verlieren) und unter welchen Voraussetzungen dies möglich war, wird auch im Folgenden nicht weiter erläutert (S. 22, 23, 27, 37: „Einrichtungen, die einem Zwangsvergleich ähnlich sind“). Daneben kompliziert der Umstand, dass die Reichskonkursordnung von 1877 in § 160 einen „Zwangsvergleich“ enthält, der aber gerade keinen konkursabwendenden, sondern einen konkursbeendenden Vergleich darstellt, die Begrifflichkeit.
3Zusätzlich wirkt sich problematisch aus, dass die historische Einleitung versucht, die Entwicklung des Insolvenzrechts schlechthin, also einschließlich Konkurs und Vergleich, vom römischen Recht bis zum Ende des 19. Jh. auf knapp 30 Seiten (S. 33-60) darzustellen, anstatt (vergleichend) herauszuarbeiten, was Vorläufer des „Zwangsvergleichs“ sein könnten.2 Abgesehen von der generellen Unmöglichkeit, in dieser Kürze verschiedenartige insolvenzrechtliche Institute (z.B. S. 38: „Generalmoratorien (litterae quinquennales)“, S. 40: Arrestprozess, S. 41: „salvus conductus“, S. 42: „Arrest“, „Moratorium“; S. 43: „Quinquinelles (fünfjährige[n] Moratorien)“) in verschiedenartigen Quellen aus einem solchen Zeitraum auf eine für den Leser nachvollziehbare Weise darstellen zu können, sieht sich dieser nun immer wieder mit der Aussage konfrontiert, dass ein bestimmtes Recht keinen „Zwangsvergleich“ enthalte, ohne zu erfahren, was ein solcher sei. Erst bei den Zitaten aus der Nürnberger Reformation von 1564, die einen Zwangsvergleich eben nicht vorsah (S. 42), aus Kreittmayers Anmerkungen zum Codex Juris Bavaricus Judiciarii (S. 47 mit Schreibfehlern „Judiciari“ in der Überschrift und „Judiciarri” im Text) und insbesondere aus der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten von 1795 (S. 49) wird es möglich, sich den Tatbestand des „Zwangsvergleichs“ zu erschließen.
4Der Gegensatz von konkursbeendendem Zwangsvergleich in § 160 der Reichskonkursordnung und dem „Zwangsvergleich“ im Sinn eines „Vergleichs zur Abwendung des Konkurses“ macht aber auch das Forschungsinteresse klar, das hinter vorliegender Arbeit steht. Denn ein Vergleich zwischen Gläubigern und Schuldner zur Abwendung eines Konkurses war in ihr nicht vorgesehen; eine Entscheidung des Gesetzgebers, die als der “einzige wesentliche Geburtsfehler” der Reichskonkursordnung angesehen wird (S. 21). Nochmals interessanter wird dieser Befund durch den Umstand, dass in den Entwürfen einer Gemeinschuldordnung von 1871 (S. 67) und 1873 (S. 75) eine solche Möglichkeit noch vorhanden war: 1871 lag ein „Entwurf eines Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Gemeinschuldverfahrens“ vor (S. 68, abgedruckt S. 337-342), im Entwurf von 1873 enthielten die §§ 233ff. ein solches (S. 75, abgedruckt S. 343-349). Diese – eben nicht als „Zwangsvergleich“ bezeichnete – Möglichkeit eines konkursabwendenden Vergleiches wurde in der Kommissionsberatung 1874 mit denkbar knapper Mehrheit gestrichen (S. 82, zur Begründung S. 84-86) und auch bei Beratung der Novelle von 1898 abgelehnt (S. 89-93).
5Die weitere Diskussion dokumentiert das Werk eingehend. Am 8.8.1914 wurde aufgrund § 3 des sog. Kriegs-Ermächtigungsgesetzes vom 4.8.1914 durch den Bundesrat die Verordnung über die Anordnung einer Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkursverfahrens erlassen (S. 138), die in den Kriegsjahren intensiv diskutiert wurde. Nach einer Änderung 1916 wurde sie nach 1918 aufgrund insgesamt positiver Erfahrungen in der Praxis beibehalten (S. 156f.), wobei sie am 8.2.1924 und sogleich wieder am 14.6.1924 geändert wurde (S. 159-161). Inhaltlich wie gesetzgebungstechnisch (vgl. S. 169) bildete diese Verordnung den Ansatzpunkt für die Entstehung der Vergleichsordnung, die detailreich nachgezeichnet wird (S. 167-252). Gleiches gilt für die 1935 umgesetzte Änderung der Vergleichsordnung, die auf Initiativen in der späten Weimarer Republik zu einer österreichisch-deutschen Rechtsangleichung zurückging (S. 257), andererseits in der Akademie für Deutsches Recht 1934 überarbeitet und anschließend, nach verschiedenen Stellungnahmen, nochmals modifiziert wurde (S. 263-272). Hier hätte etwas ausführlicher analysiert werden können, ob und welche Änderungen auf bestimmte der Vorschläge aus den verschiedenen Fachgruppen des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen zurückgeführt werden können (S. 267-272).
6Die Arbeit beeindruckt in den Teilen, die sich mit den Entwürfen zur Reichskonkursordnung, der Geschäftsaufsichtsverordnung und der Vergleichsordnung beschäftigen, durch intensive Auswertung der archivalischen Materialien und der (teilweise ebenfalls archivalisch überlieferten, vgl. S. 169) zeitgenössischen Stellungnahmen. Störend wirken allerdings die zahlreichen Rechtschreibfehler, die ab dem schon genannten allerersten Satz der Einleitung (S. 21) die Arbeit durchziehen, z.B. „in Rahmen der Geschäftsaufsicht“ (S. 27); „rechtsschaffende“ statt rechtschaffene (S. 55); „sollte zwischen ... Einstellungsgründe unterschieden werden“ (S. 210); „beuurlaubt“ (S. 274 Fn. 1404); „Konkurs der Konkurse“ statt Konkurs des Konkurses (S. 277, vgl. S. 320), „Anschrift“ statt Abschrift (S. 337 Fn. 1511). Dennoch bildet sie einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsrechtsgeschichte zwischen 1871 und 1935.