Zeitschrift Aufsätze

Jörg-Detlef Kühne*

Bodenreformurteil im Widerstreit. Zum verfassungsstaatlichen Offensivpotential gegen die Junkerfronde

I.Vorbemerkung
II.Unkritische Eigentumsunterstellung
III.Folgerungen
 Anlage: Überlieferte Zahlen zur Ostelbischen Gütersituation in der Betriebsgrössenklasse ab 100 ha

I. Vorbemerkung*)

Zur Virulenz des Themas ist wenig zu sagen. Das hochstreitige1) Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1991 zur ostzonalen Bodenreform ist bekannt. Keine Rückgabe des besatzungshoheitlich entzogenen Grundbesitzes sowie entzogener Gewerbe- und Industriebetriebe. Schlüsselargument wie zugleich Hauptstreitpunkt ist dabei, daß "insbesondere auch die Aufrechterhaltung der ... Bodenreform”2)conditio sine qua non für die östliche Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands gewesen sei. Dieser Begründungskern ist seither immer wieder u. a. mit der Kronzeugenschaft Gorbatschows3) vehement angegriffen worden. Dies hat nicht nur zur Gründung der "Zeitschrift für offene Vermögensfragen" mit der - bei gebundener Lesart - bezeichnend streitbaren Abkürzung "ZOV" geführt, sondern auch in der Sache bis hin zum leidenschaftlichen Vorwurf staatlicher Lüge4). Überdies wurde das Bundesverfassungsgericht bekanntermaßen inzwischen mehrfach mit dem Ziel der Abänderung angegangen5). Bislang jedoch vergeblich, ohne daß damit freilich, verwiesen sei hinsichtlich der Rechtsfolgen nur auf den Bundesminister der Justiz6), in dieser Angelegenheit Rechtsfrieden eingekehrt wäre. 1
Kaum eine Woche, in der nicht von interessierter Seite bissige Zeitungsanzeigen gegen den Bestand der Bodenreformmaßnahmen erscheinen. Weiterungen drohen. So kam es noch unlängst im Erlaßwege zu einer Günstigerstellung der Altbesitzer, die freilich nach massivem Protest und aus Furcht vor dem Wähler kurzfristig unterblieb. Doch dürfte das urteilsmißachtende Ringen um Rückgabe damit nicht zu Ende sein. Dabei geht es im folgenden sächlich um die Befassung mit dem bodenreformbetroffenen Großgrundbesitz, der seit langem als magische Zahl ab 100 ha Grundfläche zählt7). Personell handelt es sich damit um den Kreis der nach wie vor einflußreichen über 5000 bodenreformbetroffenen Eigentümer8) oder Erben. Daß hierbei ein hoher Adelsanteil festzustellen ist, wobei der Junkerbegriff herkömmlich vor allem auf den adeligen Landbesitz Ostelbiens erstreckt wird, ist im weiteren zu zeigen. Dies wird freilich in langer Tradition und durchaus konsequent gerne kaschiert. So war die genaue statistische Erfassung während des Kaiserreiches, aber auch noch während der Weimarer Zeit bezeichnenderweise amtlich unerwünscht. Schlaglichtartig sei nur darauf verwiesen, daß es 1912 wie 1932 - indessen erst nach dem sog. Preußenschlag - zur amtlichen Suspendierung bzw. Dienstentlassung zweier Autoren kam, die einschlägige Adelszahlen öffentlich gemacht hatten9)2
Die hier vertretene Entlastungsthese zu Gunsten des strittigen Urteils und seiner Bestätigungen ist, daß das Bundesverfassungsgericht bei tieferem Eindringen in die Verfassungshistorie für seinen Spruch noch eine Alternativbegründung hätte nachschieben können und künftig könnte. 3

II. Unkritische Eigentumsunterstellung

Nunmehr sei zur Sache in aller Deutlichkeit die rechtliche These aufgestellt, daß der 1945 entzogene, vornehmlich ostelbische Großgrundbesitz zu erheblichen Teilen nicht bzw. noch nicht als bürgerliches Eigentum gelten konnte. Das ist jedenfalls, soweit auf die Ursprünge abgestellt wird, unbestritten10). Schutzpflichten zugunsten der Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG - wie von den Gegnern des Bodenreformurteils nachdrücklich vertreten11) - lassen sich deshalb bei materieller Vertiefung der Vorkonstitutionalität der Bodenreformmaßnahmen nur sehr bedingt anführen. Die verfassungshistorische Dimension, die hinter dieser Aussage steht, sei nun nicht länger hintangestellt. Sie findet sich 1946 in einem Wort des nachmaligen britischen Zonenbefehlshabers Sir Brian Robertson12) zu Gunsten der damals auch in den Westzonen stattfindenden Bodenreform: "Die Frage der Landreform in Deutschland wird schon seit langer Zeit von allen jenen untersucht, denen die wahren Interessen des deutschen Volkes am Herzen liegen, die jedoch bisher nie die Möglichkeit besaßen, ihre Gedanken praktisch durchzuführen”. Das war richtig und falsch zugleich, denn zur praktischen Durchführung war es durchaus gekommen, freilich im Ergebnis mit nicht unerheblichen Abstrichen. Dies galt insbesondere durch das ostelbische Hin und Her von Reformansage und Reformunterlaufung, d.h. im speziellen Raum des Bodenreformurteils. 4
Dazu im folgenden einige Hinweise. So hatte bereits die liberal-demokratische Revolution von 1848/49 in ihren Verfassungen13) durchweg die Freiteilbarkeit sowie die Aufhebung des spezifischen Großgrundbesitzes der Fideikommisse und Lehnsgüter d.h. den Abbau spezifischen Adelsgüterschutzes vorgesehen. Angesichts der bekannten hohen Güterverschuldung im 19. Jh.14) wäre es dadurch zu einem zwanglosen Größenabbau gekommen. Diese Intentionen eines liberalen Umbaus der Agrarverfassung werden in der Reaktionszeit jedoch vor allem im ostelbischen Bereich nicht nur rückgängig gemacht15). Vielmehr wird der strittige Güterschutz auf vielfältige Weise gestützt und de facto noch ausgeweitet16). Wenngleich die Frage der Aufhebung erneut bei Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs virulent wurde, scheute man letztlich davor zurück. Zur Begründung des fideikommißwahrenden Art. 59 EGBGB, d.h. zum harten Kern des Adelsgüterschutzes hieß es beredt: "Das Institut steht ... in den Staaten, in denen es gilt, mit der besonderen Gestaltung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Zustände in engem Zusammenhang”17). 5
An dem dadurch bewirkten Erhalt großgrundbesitzerlicher Strukturen bis 1918 vermochte auch die spätere Reichssiedlungsgesetzgebung nur wenig zu ändern18). Angesichts ihrer Entschädigungsverpflichtung ließ sie sich nämlich wegen der Armut der Weimarer Republik und des Rüstungsvorrangs ab 1933 nicht nachhaltig nutzen. Der summierte Erfolg aller Hemmungen zeigte sich noch 1939 in folgenden Zahlen: Der Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Betriebsgrößenklasse über 100 ha lag, bezogen auf das spätere Gebiet der Ostzone, bei 28,2 % gegenüber 4,8 % in den drei Westzonen19). Und als weitere signifikante Besonderheit zeigte sich der Anteil adeliger Grundeigentümer in den späteren Westzonen bei 6,6 %, für die Ostzone hingegen bei 30,2 % - eine Zahl, die eine bemerkenswerte Konstanz mit den ca. 30 % für denselben Bereich ab 1879/85 aufweist20). 6
Geht man mit der einschlägigen agrarstatistischen Literatur21) davon aus, daß sich daran bis 1945 nichts Wesentliches geändert hat, kann die hier in Rede stehende Bodenreform also im Ansatz durchaus in eine gewisse Kontinuität mit dem sozialstaatlichen Umbau der Bodenordnung in Weimar und insbesondere mit früheren einschlägigen Reformschritten im 19. Jahrhundert wie namentlich schon den von 1848/49 gesetzt werden22). Daß durch deren weitgehende Verhinderung hinsichtlich des Großgrundbesitzes bis 1945 noch nicht in vollem Umfang bürgerliches Agrareigentum hergestellt war, ist im folgenden zu belegen. 7
Bürgerliches Grundeigentum, so wie es seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auf dem europäischen Kontinent gegen das voraufgehende meist adelige Obereigentum gebildet worden ist, ist durch größtmögliche Verfügbarkeit, einschließlich Freiteilbarkeit, Vererblichkeit sowie Vollstreckungsunterworfenheit bestimmt. Justus Wilhelm Hedemann23) hat die Entwicklung im einzelnen nachgezeichnet. Es kann für unsere Zwecke und in diesem Rahmen genügen, nur wenige Stationen dieser Entwicklung ins Gedächtnis zu rufen. In Frankreich findet ab 1789 die entschädigungslose Bodenbefreiung mit teilweiser Gütereinziehung und Neuvergabe durch den Staat statt, eine Lösung, der die ostzonale Bodenreform von 1945 zumindest faktisch am nächsten steht. Die Bodenbefreiung der preußischen Reformzeit geschieht anschließend im Wege sog. Regulierung, ein Begriff, der vornehm die Landentschädigungspflicht der bisherigen Untereigentümer umschreibt. Diese Lösung erweist sich indessen bekanntermaßen als soziale Katastrophe. Denn der Großgrundbesitz wird sich in Preußen durch diese Landentschädigungen zu Lasten der bäuerlichen Mittel- und Unterschichten im 19. Jahrhundert mit den bekannten Verarmungsfolgen auf dem Lande verdreifachen. Das beruht vor allem auch darauf, daß die Kreisausschüsse Ostelbiens, die die Landentschädigung nach Qualität und Größe festzusetzen hatten, aufgrund der altständischen Kreisverfassung dort vom landentschädigungsberechtigten Grundadel beherrscht werden24). Auf diese Weise bestehen z.B. in Preußen 1895 über 500 Betriebe mit mehr als 1.000 ha, d.h. insgesamt 5000 qkm25), was, um die plastische Vorstellung zu erleichtern, heute der sechsmaligen Landesfläche Berlins entspricht. Dabei besteht die wichtige und verschärfende Eigentümlichkeit darin, daß im Osten die Betriebe mit 200 bis 1000 ha etwa drei Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche aller Großbetriebe ausmachen, während im Westen die Betriebe mit 100 bis 200 ha dominierten26). - Die Antwort auf die kraß Oberschichten begünstigende Regulierung war das Modell der Ablösung, d.h. Entschädigung durch Geld. Mit ihr tut sich unter Federführung des niedersächsischen Politikers Carl Bertram Stüve Hannover hervor, das mit dieser Lösung seinen älteren Bauernschutz fortschreibt und auch anderswo Furore macht27). Der Verpflichtete hat niedrige Jahresrenten an staatliche Ablösekassen zu zahlen, die ihrerseits Geld bzw. zunächst Schuldverschreibungen an die Entschädigungsberechtigten ausgeben. 8
Dieses Ablösungsmodell, freilich mit niedrigerer Rentenvorstellung und teilweiser Entschädigungslosigkeit, ist auch das Modell der Paulskirche28). Dabei machen die Grundrechte ihrer Reichsverfassung die systematische Trennung zwischen der bürgerlichen Eigentumsgarantie samt entschädigungspflichtiger Enteignung in § 164 einerseits und dem Abbau feudaler Restbestände in den §§ 166 ff. andererseits deutlich. Soweit Ablösungszahlungen vorgesehen sind, wurde, wie die Debatten dazu zeigen, konsequenterweise nicht an eine Enteignungs-, sondern lediglich an eine Billigkeitsentschädigung bzw. -pauschale gedacht29), d.h. eine klare Abweichung vom Enteignungsfall bürgerlichen Eigentums, für die seit dem berühmten Verwaltungswissenschaftler Lorenz von Stein auch der Begriff der sozialen Entwährung verwandt wird30). Hintergrund der bloßen Billigkeitsentschädigung war dabei die Erkenntnis, beim bisherigen Obereigentum einer letztlich unaufklärbaren Mischlage von spezifisch feudalen, entschädigungslos einziehbaren Anteilen und eigenem Arbeitsanteil als bürgerlichem Eigentumselement gegenüberzustehen. Die französische Revolution hatte in derselben Frage die feudalen Anteile als so übermäßig ausgenutzt angesehen, daß sie damit gleichsam aufrechnend den entschädigungslosen Entzug auch der bürgerlichen Eigentumsanteile rechtfertigte. In Deutschland ist man während der Zeit des liberal-demokratischen Hochkonstitutionalismus von 1848/49 mit der normativen Anerkennung einer Ablösungsverpflichtung statt gänzlicher Entschädigungslosigkeit moderater. Dabei zeigte wertmäßige Entschädigungspauschalierung, daß man entsprechend der uralten Unterscheidung zwischen Lehen und Allod grundsätzlich zwischen Feudalrechten und bürgerlichen Eigentumsanteilen zu trennen und nur letztere auszugleichen suchte. Dazu höre man nur kurz in die einschlägige Debatte der Paulskirche hinein, in der der zu dieser Frage hochkompetente und maßgebliche Rechtsliberale Wilhelm Adolf Lette31) u.a. ausführte: 9
"Endlich will ich auf den Hauptgegensatz zurückkommen, der zwischen der einen Seite besteht, welche für die Feudal-Rechte, gleichviel aus welchem Titel sie hervorgehen, und welcher Natur dieselben sind, eine Entschädigung verlangt, und der anderen Seite, welche Alles, was sie Feudallast heißt, ohne alle Entschädigung aufgehoben wissen will. Auch ich würde eine solche unbedingte Aufhebung der eigentlichen Grundlasten ohne Entschädigung für einen Eingriff in das Eigenthum halten, für ein Erzeugnis des Communismus. Man muß unterscheiden zwischen den aus dem Mittelalter ererbten Verhältnissen und Berechtigungen, welche, mit der Regeneration der politischen Verfassung unvereinbar, ein Theil dieser früheren politischen Verfassung sind und daher mit der ganzen Reform unserer politischen und socialen Verhältnisse im unmittelbaren und inneren Zusammenhange stehen, denen, welche wir als Hoheitsrechte oder Privilegien bezeichnet haben... und andererseits zwischen denjenigen Rechten, welche... privatrechtlichen Charakter an sich tragen”.10
Freilich ist spätestens an dieser Stelle der Einwand zu gewärtigen, daß die deutsche Bodenbefreiung 1945 längst abgeschlossen und damit jedenfalls bis zur fraglichen Bodenreform allseits bürgerliches Eigentum entstanden gewesen sei. Indessen ist das zu bestreiten. Denn die schon erwähnten Lehnsgüter und Fideikommisse, die von der Paulskirche aufgehoben werden sollten, bestanden bis 1918 bzw. Ende 1938 weiter32). Ihre Abwicklung dauerte bis in den Lastenausgleich der 50er Jahre. Diese Verzögerung gelingt durch ein Füllhorn einschlägiger staatlicher Schutzmaßnahmen, die seit der Zeit des Spätkonstitutionalismus schon liberalen rechtsstaatlichen Abbauintentionen diametral entgegengesetzt werden. Die Mißachtung bürgerlich-liberaler Bodenrechtsvorstellungen durch offenen Verfassungsbruch, Freiteilbarkeitssperren, massive Steuerbegünstigungen, Schutzzoll und Ostlandhilfe noch in Weimar sei nur stichwortartig in Erinnerung gebracht33) und zwar ebenso wie die Nichtrückgängigmachung der sozial verheerenden Regulierungsschäden, die das Reichssiedlungsgesetz ab 1919 nicht nennenswert zu korrigieren vermochte34). Darüber hinaus sei noch deutlich gesagt, daß die lange Bewahrung von Lehnsgütern und Fideikommissen qualitativ und quantitativ keine Petitessen waren. Ihre Aufrechterhaltung diente mit dem Clou von Unteilbarkeit und absoluter Sperre gegenüber Substanzpfändungen dem Erhalt der spätständischen Adelsverfassung auf dem Lande. Neben spezifischem Familienschutz ging es dabei meist auch um die Trägerschaft gutsherrschaftlicher Verwaltungs- und Polizeibefugnisse, die in Preußen erst 1928 verschwanden35). 11
Quantitativ sind die Folgen unübersehbar. Knapp ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche Preußens ist vor 100 Jahren Großgrundbesitz von 100 ha an. Dabei liegen diese Anteile im mitteldeutschen Bereich auch 1945 noch deutlich höher. In Brandenburg über 50 %, und in Vorpommern wenig unter, in Mecklenburg klar über 60 %; daß dabei ca. 40 % dieser Flächen vormaliges Fideikommißland waren36), unterstreicht diese Strukturen ebenso wie ein Flächenanteil des Adels von zwei Dritteln bei den bodenreformbetroffenen Grundflächen37). 12
Diese Besitzstruktur zeigte sich bei einem Bevölkerungsanteil des Adels, der seit langem bei nicht mehr als 1 % liegt, sachlich wie personell in deutlicher Weise vorbürgerlich geprägt38). Daß die Abwicklung dieser Strukturen seit 1918 bzw. nach 1938 noch nicht beendet war, belegte nicht zuletzt das Kontrollratsgesetz Nr. 45: Es hob 1947, wie schon die Paulskirche, die Weimarer Reichsverfassung, das durch übersteigerte Quoren wirkungslos gemachte Volksbegehren zur Fürstenenteignung von 1926, das Reichsgesetz von 1938 und die partikulare ostzonale Bodenreform, erneut die Fideikommisse auf39). 13

III. Folgerungen

Gerade im Hinblick auf die bis 1945 nur teilweise Bewältigung der zählebigen Nachwirkungen der vorbürgerlichen Besitzstruktur auf dem Lande hätte das Bundesverfassungsgericht sich folgende zentrale Frage stellen müssen: 14
Kann die durch das Demokratie- und Sozialstaatsgebot (Art. 20 I GG) geprägte Bundesrepublik zur Wiederherstellung von Besitzverhältnissen verpflichtet sein, deren Zuschnitt sich ganz maßgeblich durch über hundertjährigen Widerstand gegen partizipatorische Verfassungsbestrebungen liberaler und demokratischer Provenienz erhalten hat? 15
Bei zutreffender Antwort darauf hätte es die volle Einschlägigkeit der bürgerlichen Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG und im folgenden eine restitutio ad integrum abzulehnen gehabt. In Übereinstimmung mit seinen Entschädigungsausführungen40) hätte es den Gesetzgeber dabei zugleich auf eine entschädigungsmäßige Pauschalierung verweisen können und zwar im Hinblick auf mitbetroffene Eigentumsanteile unter Berücksichtigung bis 1945 geschehener Umwandlungsansätze. - Wenn dies unterblieben ist, so vermutlich nicht zuletzt aufgrund tendenzieller Überforderung durch den häufigeren Verfassungswechsel hierzulande. Denn so sehr der Vorteil solchen Wechsels auch aufräumende Zäsuierung sein mag, der Nachteil ist das Vergessen des Altrechts und genauer der durchaus revolutionären Ursprünge des modernen Verfassungsstaats. Dazu gehört auch der Kampf um die Herausarbeitung des bürgerlichen Eigentums; er ist in den Debatten um das Grundgesetz nicht mehr geführt worden, sondern fand mindestens 100 Jahre früher statt. 16
Übrigens zeigte sich entsprechendes Vergessen trotz der damals auch über den deutschen Raum hinaus verbreiteten sog. Adelsgesetzgebung41) bereits zur Weimarer Zeit und offenbarte zugleich eine gewisse Renitenz des damaligen Reichsgerichts. In den Adelsgesetzgebungsfällen der lippischen Rente und thüringischen Fürstenabfindung wurde nämlich der bürgerliche und speziell durch Art. 153 III WRV sozial ausgerichtete Eigentumsbegriff zunächst ganz bewußt ohne Rücksicht auf Erwerbsgrund und Funktion42) der überkommenen Vermögenswerte für anwendbar erklärt. Dies, obwohl die systematisch eigenständige Fideikommißaufhebung in Art. 155 II S. 2 WRV insoweit beredter hätte sein müssen. Das Bewußtsein für die verfassungsrechtliche Ausgliederung feudaler Besitzstände aus dem bürgerlichen Eigentumsbegriff des liberalen und inzwischen demokratischen und sozialen Verfassungsstaats wurde damit verdrängt - freilich zunächst noch unter deutlichem Widerspruch von seiten der Lehre43). Es bedeutet den Höhepunkt dieser Verdrängung, daß in historisch totaler Verkehrung ein damaliger Interessenverband mit Namen Reichsbürgerrat in einem Protest an den Reichspräsidenten das Volksbegehren zur Fürstenenteignung als Angriff auf "die Rechtsgrundlage des bürgerlichen Staates”44) beklagte. 17
Bleibt noch in kurzen Zügen stichwortartig abzurunden. Einmal im Hinblick darauf, daß die ostzonale Bodenreform anders als in den Westzonen den Grundbesitzern keinerlei Restbesitz unterhalb der 100 ha Grenze ließ45). Indessen war dies keine bodenreformerische Maßnahme, sondern eine Strafaktion, hinsichtlich deren auf die vom Bundesverfassungsgericht angeordneten Ausgleichsleistungen hingewiesen werden kann. Im übrigen hätte sich die Gesamtentscheidung für Nichtrückgabe ohne volle Ausgleichsleistung über die gleichheitlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts46) hinaus auch im Blick auf die Bodenentwährungsmöglichkeit des Art. 15 GG sowie deswegen halten lassen, weil Lastenausgleich gezahlt worden ist47) und ebenso Aufwand wie Schwierigkeiten einer doppelten Rückabwicklung - von Land und Geld - eher dafür als dagegen sprechen. 18
Freilich kann man weiter die grundsätzliche Frage nach dem Parameter dafür stellen, wann der Umbau zur bürgerlichen Eigentumsordnung angesichts der hiesigen Gegebenheiten als abgeschlossen zu erachten ist. So ließe sich vortragen, daß trotz des hohen Flächenanteils des Adels und der damit einhergehenden Vermutung ursprünglich feudaler Herkunft und Funktion, diese etwa durch aufteilende Rechtsübertragung widerlegbar bzw. beendbar sein müsse. Dies ist grundsätzlich richtig. Angesichts der bis 1945 bemerkenswerten Konstanz der Betriebsgrößen fehlt es indessen an einer signifikanten Veränderung. Insoweit läßt sich die abschließende Umwandlung durch die pauschale Nichtrückgabe halten. Dabei erscheint diese pauschale Lösung auch deswegen geboten, weil sie die jeweilige Einzelfallprüfung hinsichtlich ursprünglicher Feudal- bzw. Eigentumsanteile samt den damit verbundenen Beweisschwierigkeiten über lange zurückliegende Sachverhalte, d.h. unvertretbaren Aufwand vermeidet. 19
Zwar läßt sich nach der hier vertretenen Auffassung zumindestens ein Teil der enteigneten Flächen als bürgerliches Eigentum ansehen, doch entzieht sich dieser quotale Anteil48) einem unmittelbaren Rückgabeanspruch. Denn aufgrund der Quotierung gilt es zunächst noch, das Problem der genauen flächenmäßigen Umsetzung zu bewältigen, was weitere administrative Aufwände erforderlich macht. Da obendrein der Staat keineswegs stets Besitzer dieser Flächen ist49) und es auch um Kriegsfolgenbeseitigung geht, erscheint unter Anrechnung des Lastenausgleichs - auch aus gleichheitlichen Gründen - der generelle Weg über die Entschädigung sachangemessen. Über sie ist dann zumindest auch der teilweise Rückkauf möglich. 20
Weiter hätte sich der 1945 mit der Bodenreform einhergehende Entzug von Gewerbe- und Industriebesitz50), auch soweit er nicht als kriegsvölkerrechtlicher Reparationsvorab zu werten ist, vor dem Hintergrund der industriellen Entwährungsvariante des Art. 15 GG im Sinne der Aufrechterhaltung erörtern lassen. In ähnlicher Weise schließlich wäre hinsichtlich des gleichzeitigen strafweisen Besitzentzugs von sogenannten Kriegs- und Naziverbrechern die Chiffre des Art. 139 GG mit seinem Vorrang für Besatzungsvorschriften zur "Befreiung ... vom Nationalsozialismus und Militarismus” aktivierbar gewesen51). 21
Zusammenfassend läßt sich das Ergebnis der Alternativbegründung, selbst wenn der Bodenreformerhalt nicht Bedingung für die Wiedervereinigung gewesen sein sollte, im Blick auf die über 100 Jahre gehemmten liberalen wie demokratischen Bodenreformmaßnahmen52) leitsatzmäßig wie folgt fassen: 22
Das Grundgesetz zwingt nicht zur Restitution einer spezifisch vorverfassungsstaatlich geprägten Bodenverteilung, die sich bis 1945 nur durch vielfältige Mißachtung und massive Verzögerungen liberaler wie demokratischer Abbauintentionen erhalten hat. 23
Um dem Bundesverfassungsgericht die entsprechende Erkenntnis zu erleichtern, sei auf die bislang so nicht vorhandene nachstehende Übersichtstafel53) verwiesen. Sie ist ein Arsenal zur Offensivverteidigung seines Bodenreformurteils gegen die Junkerfronde. Die besonderen Schwierigkeiten der Datenermittlung, die eine gewisse Entschuldigung dafür sein mögen, warum das Urteil auf einschlägige Verfassungsfragen nicht eingegangen ist, sollten damit jedenfalls künftig behoben sein. 24

Anlage: Überlieferte Zahlen zur Ostelbischen Gütersituation in der Betriebsgrössenklasse ab 100 ha

 

in den preuß. Ostprovinzen insg. 1879/85

Brandenburg (1896) Prov. Sachsen (1907) u. Vorpommern, d.h. Reg.Bez. Stralsund (1910)

im Bereich des späteren SBZ ohne Vorpommern, aber mit Ostbrandenburg

SBZ-enteignet Mitte 1946; in Klammern Schlußzahl v. 1.1.1950

   

1925

1935/37

 

A. Anzahl der Güter bzw. Betriebe

16433

4428

6258

6883 (411)

6497 (7160)

davon in Adelsbesitz

7165 (43,6 %)

1748 (39,5 %)

[2203 (35,2 %)]


 

 

B. Anzahl der Eigentümer

11015

3175

[4662]

5259 (227)


 

davon adelig

3642 (33 % )

1020 (32,1 %)

1427 (30,2 %)


 

 

Eigentümer-/ Betriebsverhältnis insg.

67/100

71,7/100

[74,5/100]

76,4/100


 

C. Flächenmäßig (in ha) Gesamtfläche insg.


 

 

2514893,4

2270930 (198325)

2268598 (2517357)

davon in Adelsbesitz


 

 

1687090 (67 %)


 

 

Landw. Nutzfläche insg.


 

 

1886074,9

1374286 (75624)

1428474

davon in Adelsbesitz


 

 

913521 (48,4 %)


 

 

 

Fußnoten:

* S. auch meinen Beitrag in: FS Pieper, Hamburg 1998, S. 287 ff.

1 Vgl. nur Sendler DÖV 1994, S. 401 ff. mit Nws. sämtlicher Besprechungsaufsätze in Fn. 3 sowie abl. Felix NJW 1995, S. 2697 f.

2 So BVerfGE 84, 90/115 u. 127 f. (1991). Die normativen Grundlagen der SBZ-Bodenreform zusammengestellt bei Steinberg, NJ 1991, S. 1 Fn. 6.

3 Dazu näher: Der Spiegel 1994, Nr. 36, S. 27 u. BVerfGE 94, 12/18 ff.

4 So in allerdings moderater Form der Beschwerdevortrag in BVerfGE 94, 12/25 ff.; schärfer Felix (wie Anm. 1) S. 2698: "Trug"

5 Vgl. Kammerbeschl. BVerfG NJ 1993, 366 u. BVerfGE 94, 12 (1996)

6 Näher dazu: Der Spiegel 1997, Nr. 3, S. 36.

7 Zu dieser Großgrundbesitzfixierung bereits bei Joh. Conrad um 1880, die auch in § 12 Reichssiedlungsgesetz v. 11.8.1919 (RGBl. 1429) übernommen wurde, vgl. die 1929 in Königsberg erschienene Frankfurter Dissertation von Theodor Häbich, Deutsche Latifundien, 3. Aufl. Stuttgart 1947, S. 24 und A. Weber, Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse und der Produktionsstruktur in der Landwirtschaft der DDR, in: Materialien der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, hrsg. vom Dt. Bundestag, Bd. II, 4, Baden-Baden 1995, S. 2809/2812 Fn. 5.

8 Genau bekannt ist für die SBZ ab 1945 nur die Anzahl der enteigneten Betriebe über 100 ha; genaueste Aufstellung in zeitlicher Staffelung vom 1.10.1946 bis 1.1.1950 bei W. Bell, Enteignungen in der Landwirtschaft der DDR nach 1949 und deren politische Hintergründe, Bonn 1992 (Schriftenreihe des Bundesmin. für Ernährung, Landwirtschaft u. Forsten, Reihe A, Heft 413), S. 82; danach stieg die Zahl der enteigneten Betriebe von 6807 (1.10.1946) auf 7160 (1.1.1950); diese Schlußzahl auch bei Weber (wie Anm. 9) S. 2841. Angaben zu Mitte 1946 in: Europa-Archiv 1946 S. 292/296: 6497, für Ende 1948 siehe BVerfG 84, 90/98: 7112. Unrichtig Steinberg (wie Anm. 2) S. 1 mit Fn. 7, der die enteigneten Betriebe mit der Eigentümeranzahl gleichsetzt. Aus den landwirtschaftlichen Statistiken, die in der hiesigen Anlage s.u. zusammengestellt worden sind und insbesondere der 'Statistik des land- und forstwirtschaftlichen Grundeigentums 1937' hrsg. vom Stat. Reichsamt (Berlin 1941) ND Osnabrück 1979, läßt sich indessen errechnen, daß im fraglichen Bereich durch Mehrfachbesitz die Eigentümerquote nur bei ca. ¾ der Betriebsanzahl lag mit freilich angleichender Tendenz. Näher s. Anlage, wonach die betroffene Eigentümeranzahl auf der Basis von 1935/37 für 1946 bis 1950 eine Steigerung von 4964 bis 5470 erfahren haben könnte.

9 Näher Häbich (wie Anm. 7), S. 3 u. 6.

10 Vgl. z.B. Europa-Archiv 1946, 292; K. Heß, Junker u. bürgerl. Großgrundbesitzer im Kaiserreich, Stuttgart 1990, S.102 f., 131, der bis 1918 darauf verweist, daß man monarchischerseits bestrebt war, sich durch besondere Gunstzuweisungen die Anhängerschaft einflußreicher thronstützender Kreise, besonders des Adels zu sichern.

11 Grundlegend dazu Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozeß der Wiedervereinigung, Frankfurt a.M 1990; dagegen BVerfGE 84, 90/119 und zur nachgeschobenen Berufung auf Art. 153 WRV BVerfGE 94, 12/15 bzw. 48.

12 So Mitte 1946, zit. nach G.J. Trittel, Die Bodenreform in der Brit. Zone 1945-1949, Stuttgart 1975, S. 27; zu einschlägigen deutschen Forderungen nur die Arbeit von Häbich (wie Anm. 7), die 1929 in 1., 1930 in 2. und 1947 in 3. Auflage erschien.

13 Vgl. nur Art. 40 Preuß. Verf Urk 1848, §§ 170 ff. Frankfurter RV 1849. Zum ganzen auch zeitgen. die Schrift des späteren Schöpfers der Weimarer Reichsverfassung H. Preuß, Die Junkerfrage 1897.

14 Vgl nur J.W. Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX. Jahrhundert, 2. Teil 1. Halbbd. Berlin 1930 (ND Frankfurt a.M. 1968) S. 98ff., 170 ff.; differenzierend K. Heß (wie Anm. 10) S. 238 ff., wobei noch die vielfältigen Begünstigungen, niedrigen Steuersätze, Schutzzoll, Realkreditvergünstigungen u.ä. zu berücksichtigen wären.

15 Vgl. nur die Abschwächung durch Art. 40 S. 3 Preuß. VerfUrk 1850 und die Aufhebung dieser Vorschrift 1852; näher dazu Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den preuß. Staat, Band 1, Berlin 1912 (ND Aalen 1974) S. 582 ff.

16 Nach C.v. Dietze stammt die Hälfte der Fideikommißfläche aus Bindungen, die erst nach der 48er Revolution zustande gekommen sind, zit. nach J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 2. Aufl. Neuwied, Berlin 1998 S. 279, Fn. 264; s.a. Heß (wie Anm. 10) S. 143 wonach sich statistisch die Fideikommißanzahl gegenüber 1870 mit klarem Schwerpunkt in den preußischen Ostprovinzen (S. 145) nahezu verdoppelte. Zu abgabenrechtlichen Stützungen durch Steuerfreiheiten (vgl. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 3. Aufl., Stuttgart 1981, S. 531 ff.) u.ä. gehört auch der Umschwung zur Schutzzollpolitik 1879, mit der vor allem der ausl. Agrarkonkurrenz begegnet wurde.

17 So in der BGB-Kommission des Reichstages, vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, Band 1, 1899 (ND 1979) S. 24 zu Art. 35 EGBGB. S.a. Kühne (wie Anm. 16) S. 282.

18 Vgl. Reichssiedlungsgesetz (wie Anm. 7); zu seinen Auswirkungen Hedemann (wie Anm. 14) S.364 ff., Weber (wie Anm. 7) S. 2815 f. u. detaillierter Europa-Archiv 1946, 292, Ballerstedt, Deutsche Rechtszeitschrift 1947, 208: "wahrhaft bescheiden.”

19 Weber (wie Anm. 7), S. 2838; leicht abw. u. detaillierter Trittel (wie Anm. 12) S. 13 zu über 100 ha-Betrieben in der SBZ: 45,4 % der Gesamtfläche bzw. 29,8 % der landwirtschaftl. Nutzfläche, aber nur 1,5 % der Betriebe.

20 Der tiefere Ostzonenwert bei Weber (wie Anm. 7) S. 2840: 25,7 % ergibt sich daraus, daß hier anhand der Angaben bei Häbich (wie Anm. 7) die adeligen Eigentümer nicht zur Gesamteigentümerzahl, sondern zur Betriebsflächenzahl von 1935/37 ins Verhältnis gesetzt worden ist, die freilich ca. ¼ höher lag als die hier interpolierte Eigentümeranzahl. Zur Konstanz dieser Zahl s.u. Anlage. Die von dem Betroffenen-Organ 'Heimatverdrängtes Landvolk' 49 (1997) Nr. 4/6 S. 5 gen. Zahl: 14 % von 'damals Entgeigneten' ist offensichtlich aufgrund eines Kreises errechnet, der über die hier allein berücksichtigten Eigentümer ab 100 ha hinausgeht.

21 Vgl. bereits Häbich (wie Anm. 7) S. 4, dementsprechend Weber (wie Anm. 7) S. 2839 f. sowie ergänzendes Auskunftsschreiben desselben Autors vom 25.9.1997

22 Zu den Abweichungen von den liberal-rechtsstaatlichen und demokratisch-republik-anischen Reformvorstellungen der Weimarer Zeit aber unmißverständlich Weber (wie Anm. 7) S. 2836; zu weitgehend indessen Leisner DÖV 1992, 932/939, der insgesamt von Verfolgungskonfiskation spricht und damit die Geschichte der liberalen und demokratischen Reformansätze völlig übergeht. Zu spät ansetzend auch die Speyerer jur.Dissertation von G. Biehler, Die Bodenkonfiskationen in der SBZ 1945 nach Wiederherstellung der gesamtdeutschen Rechtsordnung 1990, Berlin 1994, S. 20 ff.

23 (wie Anm. 14) S. 1 ff

24 Zum ganzen: Dipper, Die Bauernbefreiung in Deutschland, Stuttgart u.a. 1980, S. 10 ff. u. passim; R. Koselleck (wie Anm. 16) insbes. S. 500 ff.; zur Flächenverdreifachung der Geometer u. Abg. A.L. Sombart im Preuß. Abgeordnetenhaus 1890, zit. nach Kühne (wie Anm. 16) S. 274 Fn 215.

25 Heß (wie Anm. 10) S. 39: genau 533 davon nur 8 in den Westprovinzen.

26 Heß (wie Anm. 10) S. 41.

27 Vgl. die für die hannoversche Gesetzgebung grundlegende Schrift von Stüve, Über die Lasten des Grundeigenthums und der Verminderung derselben in Rücksicht auf das Kgr. Hannover, 1830; zu Stüves Leistung näher Kühne, in Jeserich/Neuhaus (Hrsg.) Persönlichkeiten der Verwaltung, Stuttgart u.a. 1991, S. 159 ff.

28 Näher zu den Rentenvorstellungen der Paulskirche Kühne (wie Anm. 16) S. 275 f.; ebd. S. 276 ff. zur entschädigungslosen Aufhebung der sog. privilegierten Jagd des § 169 I FRV.

29 Zur dortigen Debatte näher Kühne (wie Anm. 16) S. 263 ff.

30 Ders., Verwaltungslehre, 7. Teil: Die Entwährung, Stuttgart 1868 (ND Aalen 1975) S. 77 ff.; krit. Verwendung für Art. 15 GG bei Ridder, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL) 10 (1952) S. 124/138 ff.

31 So in: Wigard (Hrsg.) Sten. Bericht über die Verhandlungen der dt. konstituierenden Nationalvers. zu Frankfurt a.M. Bd. 4, S. 2425 (90. Sitz., 3.10.1848); über Lette, der als preußischer Ministerialbeamter von amtswegen mit Landwirtschaftssachen befaßt war, vgl. 'Die Protokolle des Volkswirtschaftl. Ausschusses der dt. Nationalvers. 1848/49, bearb. von Moldenhauer, hrsg. von Conze/Zorn, Boppard 1992, S. 319 f.

32 Vgl. Kühne (wie Anm. 16) S. 278 ff.; ebd. zu ihrer bürgerlichen Öffnung, die 1912 freilich nur 2,2 % der einschlägigen Flächen ausmachte.

33 Zum Verfassungsbruch hinsichtlich einschlägiger Vorrechte der Standesherren R. Schier, Standesherren, Jur. Diss. Bonn 1975, S. 127 ff. Zu weitergehenden Freiteilbarkeitsbehinderungen Kühne (wie Anm. 16) S. 256 f.

34 S.o. Anm. 18.

35 In 11894 Einheiten waren bis dahin 1,5 Mill. Einwohner der kommunalen Selbstverwaltung entzogen. Näher Kühne (wie Anm. 16) S. 437 f., wobei entsprechendes in Sachsen bis 1918 galt.

36 Genaue Zahlen in der gen. Reihenfolge (51,7%); (57,5%) u. (64,3 %) in: Europa-Archiv 1946, 292, die offenbar auf die Verteilung innerhalb des Besitzes natürlicher Personen abstellen; vgl. demgegenüber die auf sämtliche Betriebsgrößenklassen abstellenden Angaben in: Weber (wie Anm. 7) S. 2838, wonach die entsprechenden Zahlen für Brandenburg und Mecklenburg 1939 29,6 bzw. 48,3 % lauten. Zum Fideikommißland vgl. Heß (wie Anm. 10) S. 28 u. 143.

37 Die Rechnung basiert mit Weber, Auskunftsschreiben (wie Anm. 21) auf der bekannten Zahl der seit 1945 enteigneten Betriebsfläche ab 100 ha und der Zahl der 1925 dem Adel gehörenden Flächen; s.u. Anlage.

38 Schlaglichtartige Beleuchtung bei Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933 (3. Aufl.), Frankfurt a.M. 1989, S. 61 f.

39 Überblick bei Heß (wie Anm. 10), S. 104 f.; Art. III Abs. 2 Kontrollratsgesetz Nr. 45 vom 20.2.1947 (Abl.KR 256). Vgl. auch den Gesetzgebungsbericht von v. Bar/Striewe in: ZNR 3 (1983) 184 ff. Zum volksunmittelbaren Reichsgesetzgebungsvorhaben umfassend: Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VII, Stuttgart u.a. 1984 S. 577 ff., 590 ff., zu Behinderungen des Volksbegehrens gerade in Gutsbezirken eindrucksvoll O. Jung, Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, 2. Aufl., Hamburg 1996, S. 968 ff.

40 Vgl. BVerfGE 84, 90/128 ff.

41 Zu Deutschland nur die ausgezeichnete Detailstudie von O. Jung, Die Fundierung der sozialen Republik mißlingt. Das Exempel des Streits um das Kammergut zwischen dem Freistaat Braunschweig und dem ehemaligen Herzog, in : Braunschw. Jb für Landeskunde 78 (1997), S. 189/193 ff. ; zum Ausland: vgl. die Staatenberichte zum Baltikum und der Tschechoslowakei in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts 11 (1922) ff.

42 RGZ 103,200/201 f. (1921) u. 111, 123/130 f. (1925); dazu krit. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, Darmstadt 1975, S. 258 ff. m.w.Nws.; richtig, aber verspätet RGZ 136, 211 (222) 1932.

43 Z.B. Koellreuther, in: DJZ 1926, 109/114 f.; Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung (1930), erneut in: ders., Funktionen des Staates und der Verfassung, Frankfurt a.M. 1972, S. 223/285 f., s.a. Rittstieg (wie Anm. 42) S. 261 u. Jung (wie Anm. 41), S. 215 ff.

44 So der Präsident dieser Vereinigung der konservative Staatsminister a.D. F.W. von Loebell im Schreiben vom 19.5.1926 an den Reichspräsidenten, näher Huber (wie Anm. 39) S. 590 f.; s.a. Rittstieg (wie Anm. 42) S. 261

45 Allerdings sahen mecklenburgische und thüringische Ausführungsvorschriften zur Bodenreform die Möglichkeit vor, bewährten Hitlergegnern einen Resthof von 100 ha zu belassen, vgl. Ballerstedt (wie Anm. 18) S. 209, Fn 7. Zu Einzelfällen Biehler (wie Anm. 22), S. 184 ff. mit einem Fall auch aus Sachsen-Anhalt.

46 Vgl. BVerfGE 84,90/128 ff., wobei auch die Spannung zu den Bodenbesitzern aus den verlorenen deutschen Ostgebieten hinter Oder u. Neisse zu bedenken wäre, die selbst für entschiedene Hitlergegner keinerlei Ausnahme kennt. Bedauerlicherweise scheinen entsprechende Restitutionen für letztere in den Verhandlungen mit Polen nicht erörtert worden zu sein, was freilich, aus freien Stücken zu erklären, diesem europäischer werdenden Land nach wie vor möglich wäre.

47 Zu Art. 15 GG nach wie vor grundlegend und mit Erfassung der historischen Dimension Ridder (wie Anm. 30) S. 132 ff.; zur str. Frage entsprechend auch v.Münch/Kunig/Bryde, GG-Komm., Bd. I, 4. Aufl., München 1992, Art. 15, Rz. 22; ebso. R.-P. Callies, in: Zeitschrift für Evang. Ethik 35 (1991) S. 162/163 ebd. S.164 f. zum Lastenausgleich wie hier.

48 Zur Entscheidungsquote der Paulskirchenzeit von 50 - 60 % vgl. Kühne (wie Anm. 16), S. 275, wobei die Grundbesitzer damals freilich noch im Besitz ihres Bodens waren und eine Kriegsfolgenbeseitigung gänzlich außer Rede stand. Ein ähnlicher Quotierungsvorschlag von H.J. Abs vom 16.12.1992 bei Biehler (wie Anm. 22), S. 246/247.

49 Laut FAZ v. 8.12. 1997, S. 19 befanden sich 1990 ein Viertel des Bodenreformlandes im Eigentum des Neubauern, der Rest in Volkseigentum oder in den Bodenfonds.

50 Dazu nunmehr guter Überblick bei Bezzenberger, in: ZNR 19 (1997) S. 210 ff.

51 Das BVerfG übergeht diese Vorschrift bemerkenswerterweise trotz gewisser Ansätze in BVerfG 46, 268 (269 f.) und seiner Argumentation zum Kriegsfolgenrecht völlig; vgl. E 84,90/122 ff.; 94, 12/46 f. Die Zahl der einschlägig betroffenen Betriebe unter 100 ha bei Weber (wie Anm. 7) S. 2839, etwas abweichend Biehler (wie Anm. 22) S. 37 Fn.5.

52 Zu den liberalen Intentionen s.a. den linkslib. Reichstagsabg. E. Richter, bei Heß (wie Anm. 10) S. 121, sowie M. Weber, ebd., S. 129 ff.; bezeichnend auch Anschütz, Die Verf. des Dt. Reichs, 14. Aufl. 1933, Art. 155 Bem. 2 (S. 723) : "Sozialistisch i.e. Sinne sind diese Bestimmungen nicht”.

53 Da eine offizielle amtliche Statistik bis 1945 politisch unerwünscht war (s.o. Anm. 9) und deshalb nicht zustandekam, waren verschiedene sonstige Angaben zusammenzutragen, die einen Überblick zu geben geeignet sind.
Bis 1914 Angaben nach Häbich (wie Anm. 7) S. 24 u. Heß (wie Anm. 10) S. 82, 92, 94 zusammengestellt.
Zu 1925 Angaben nach Häbich, S. 87, 93, 95, 97, 111, 118; die Gesamtflächenangaben durch Subtraktion der unter 100 ha liegenden Werte von den Angaben auf S. 156 errechnet. Dabei ist hinsichtlich der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) die Hälfte vom Wert "bis unter 200 ha” (S. 87 ff.) abgerechnet worden. Der geringere Prozentanteil des Adels an der LN erklärt sich aus seinem hohen Waldbesitz - frdl. Auskunft meines agrarwiss. Kieler Koll. Ad. Weber (s.o. Anm. 21), dem ich für seine hilfreichen Hinweise zur Agrarstatistik gerne Dank sage.
Für 1935/37 Angaben nach Stat. Reichsamt (wie Anm. 8) S.91, 102, 137, 148, 151, 155 jeweils Nr. 26 u. 30 (ab 100 ha); eingeklammert: die in die Hauptzahlen eingerechneten Fideikommißanteile.
Für 1945 Angaben nach Europa-Archiv 1946, 292/296, wobei die dortigen Angaben zu Äckern, Wiesen u. Gärten als LN zusammengerechnet wurden; zur Schlußzahl Bell (wie Anm. 8). Hinsichtlich des späteren SBZ-Gebiets bis 1945 wurde Ostbrandenburg u. Sachsen östl. der Neiße einberechnet und zwar als Ausgleich für das mangels klarer Angaben unberücksichtigt gebliebene heutige Vorpommern sowie Niederschlesien westl. der Neiße.
Im übrigen sämtliche Prozentierungen vom Verf. In eckigen Klammern für 1925 das Eigentümer-Betriebs-Verhältnis aufgrund der insoweit früheren und späteren Zahlen rechnerisch interpoliert, wodurch ebd. auch die Eigentümeranzahl gewinnbar war; Hochrechnung zum Adelsbesitz 1925 - unter A. - aufgrund der vorausgehenden leicht fallenden Zahlen.

Aufsatz vom 10. Mai 1998
© 1998 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
10. Mai 1998

DOI: https://doi.org/10.26032/fhi-2022-016

  • Zitiervorschlag Jörg-Detlef Kühne, Bodenreformurteil im Widerstreit. Zum verfassungsstaatlichen Offensivpotential gegen die Junkerfronde (10. Mai 1998), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net1998-05-kuhne