Zeitschrift Rezensionen

Rezensiert von: Peter Collin

Roman Michalczyk, Europäische Ursprünge der Regulierung von Wettbewerb. Eine rechtshistorische interdisziplinäre Suche nach einer europäischen Regulierungstradition am Beispiel der Entwicklung der Eisenbahn in England, Preußen und den USA.

  
Das hier zu rezensierende Buch über die Geschichte der Regulierung des Eisenbahnsektors in England, Preußen und den USA ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Zum einen wählt es einen originellen Weg zur Darstellung des Transfers von Regelungskonzepten und -instrumenten. Zum anderen greift es eine Fragestellung auf, die sich für die Rechtsgeschichte als durchaus weiterführend erweisen kann. Der Schlüsselbegriff ist der der „Regulierung“. Nun ist Regulierung ein Terminus, der verschiedene Bedeutungsgehalte aufweisen kann. Man kann von einem überaus weiten Verständnis ausgehen, in dem Regulierung gleichbedeutend mit von politischen Steuerungsintentionen getragener Regelung ist.[1] Rechtlich und auch rechtshistorisch erscheint eine derartige Begriffsverwendung nicht sehr sinnvoll; jedenfalls verspricht sie keinen weitergehenden Ertrag. Sodann lässt sich Regulierung in einer spezifisch ökonomischen Konturierung als staatlicher Eingriff in Produktions- und Distributionsprozesse der Privatwirtschaft verstehen.[2] Er lässt sich aber auch aus dem ökonomischen Bezug herauslösen und auf all jene Regelungsfelder erstrecken, in denen umfassende öffentliche Gestaltungsbedürfnisse den Ton angeben und nicht lediglich der Verkehr zwischen einzelnen Rechtssubjekten koordiniert und ein fairer bilateraler Interessenausgleich hergestellt werden soll.[3] Weiter lässt sich der Regulierungsbegriff einsetzen, um die besondere Natur von Regelungsinstrumentarien zu charakterisieren, die gesellschaftliche Selbstorganisation und staatliche Steuerung miteinander verkoppeln („regulierte Selbstregulierung“)[4] ; stärker als in anderen Bedeutungszusammenhängen steht hier ein kooperativer Gehalt im Vordergrund. Und schließlich lässt sich der Regulierungsbegriff auf ganz bestimmte Wirtschaftssektoren beschränken, die monopolmäßig betrieben werden oder betrieben wurden; Regulierungsziel ist hier entweder die Abschaffung des Monopols und die Herstellung von Wettbewerb oder die Eingrenzung von als volkswirtschaftlich negativ bewerteten Auswirkungen der monopolmäßigen Bewirtschaftung. Von diesem Regulierungsverständnis geht auch die seit den 1990er Jahren stattfindende Debatte um die rechtliche Ausgestaltung der (re-)privatisierten Kommunikations- und Verkehrsinfrastrukturen aus (wiederum andersartige Schwerpunktsetzungen ergeben sich, wenn man die jüngeren Diskussionen zur Finanzmarkt„regulierung“ mit berücksichtigt).
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1. Untersuchungsinteresse: Der Autor setzt sich mit diesen Regulierungsverständnissen auseinander und wählt für seinen Untersuchungsansatz das Letztere, ja er grenzt es noch ein, indem er es auf die Probleme eines Wirtschaftssektors fokussiert, der durch ein natürliches Monopol gegenzeichnet ist, also durch eine Konstellation, in der die gesamte Marktnachfrage am kostengünstigsten durch einen einzigen Anbieter erbracht werden kann. Die Wahl dieses Untersuchungsansatzes erweist sich für die Arbeit als überaus gewinnbringend, da sie den spezifischen ökonomischen Gegebenheiten des Eisenbahnsektors Rechnung trägt und den Autor davor bewahrt, sich in nebensächlichen Fragen zu verlieren. Und in der Tat ist die doch relativ konzentrierte Abarbeitung der Leitfragestellungen ein erster positiv hervorzuhebender Charakterzug dieser Arbeit. Sie bewahrt den Autor davor, den Versuch zu unternehmen, eine allgemeine Geschichte des Eisenbahnrechts zu schreiben, die das gesamte Problemspektrum ausleuchtet von Enteignungsregeln über Konzessionen, Zulässigkeit privatverbandlicher Regelsetzung, staatliche Überweisung bahnpolizeilicher Aufgaben, spezielles Aktienrecht der Eisenbahngesellschaften, Organisationsrechtsgeschichte der Eisenbahnverwaltung usw.
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Die übergeordnete Leitfragestellung, die sich aus dem Befund ableitet, dass sich die Reform des Eisenbahnsektors in den 1990er Jahren vor allem an amerikanischen Vorbildern orientiert hat, lautet: Kann Europa auf eine eigene Regulierungstradition des Eisenbahnwesens zurückblicken? Dem schließt sich die These an, dass im 19. Jahrhundert in Preußen und England Regulierungskonzeptionen und Regulierungsinstrumente entwickelt worden waren, die sich dort nicht durchsetzten, aber der US-amerikanischen Regulierungspolitik als Vorbild dienten. Die europäische Bezugnahme auf das amerikanische Modell wäre damit eine (amerikanisch vermittelte) Rückkehr zu den eigenen Wurzeln.[5]
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Die Arbeit verfolgt damit drei Ziele: 1. Darstellung der Regulierung in England, Preußen und den USA, 2. Vergleich der Regulierungsmodelle (Englands und Preußens), 3. Darstellung der Transferprozesse – von England nach Preußen und von Preußen und England nach Amerika. Die zeitliche Eingrenzung der Untersuchung richtet sich nach länderspezifischen Periodisierungskriterien. Den Untersuchungsbeginn markiert für England und Preußen jeweils die Entstehung eines Eisenbahnnetzes (bzw. der ersten Strecken) und damit der Beginn der Regulierungsbemühungen: in England in den 1820er, in Preußen in den 1830er Jahren. Abweichend davon setzt für die USA die Untersuchung in den 1880er Jahren an; dort existierte in jener Zeit natürlich schon ein breit ausgebautes Eisenbahnnetz, dessen Aufbau und Betrieb erfolgte bis dahin aber weitgehend frei von – jedenfalls bundesstaatlicher – staatlicher Intervention. Das Ende des Untersuchungszeitraums fällt bei England in die 1850er Jahre, jene Zeit, in der der Autor das dortige Regulierungsmodelle (endgültig) scheitern sieht, bei Preußen in die 1870er Jahre, als mit der Verstaatlichung der (gleichfalls vom Autor als gescheitert angesehenen) Regulierung die Geschäftsgrundlage entzogen war, und in den USA auf die 1920er Jahre, die Zeit der endgültigen Etablierung des amerikanischen Regulierungsmodells.
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2. Regulierung in England: Die Untersuchung setzt mit der Darstellung der englischen Verhältnisse ein. Sofort mit der Einrichtung der ersten Strecken offenbarte sich das Regulierungsproblem – und zugleich dessen Vielschichtigkeit. Ein Zentralbegriff ist dabei der des „Wettbewerbs“ – so auch im Titel der Arbeit deutlich ausgewiesen. Gleich zwei Fragen stellen sich für die historische Betrachtung. Erstens: Was beschreibt der Begriff „Wettbewerb“ – ein anthropologisch verankertes universales Prinzip, quasi ein natürliches Grundgesetz des Wirtschaftens, oder eine normative Konzeption? Und zweitens: Was sollte und vor allem konnte Regulierungsziel sein: Wettbewerbsermöglichung oder Wettbewerbseinschränkung oder Regelung für den Fall ausbleibenden Wettbewerbs, gegebenenfalls gerichtet auf die Hervorbringung von Effekten, von denen man annahm, dass sie bei stattfindendem Wettbewerb „natürlicherweise“ erzielt worden wären?
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Zu 1.: Der Autor begeht nicht den Fehler, Wettbewerb als dem menschlichen Streben innewohnendes Bewegungselement der Gestaltung wirtschaftlicher Abläufe, quasi als anthropologische Konstante, anzusehen.[6] Daher verfällt er auch nicht dem Trugschluss, die Rechtsentwicklung unter der Prämisse zu begreifen, diese gestalte sich als ein Prozess (jedenfalls seit Beginn des 19. Jahrhunderts) der Befreiung aus „unnatürlichen“ Zwängen. Vielmehr legt der Autor plausibel und in aller Deutlichkeit dar, dass die Zeit der Entstehung des englischen Eisenbahnsystems zugleich auch die Zeit der Durchsetzung des Smithschen Denkens und einer dezidiert wirtschaftsliberalen Politik war.
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Zu 2.: Regulierung mit dem Ziel der Wettbewerbsermöglichung ist nur dort sinnvoll, wo Wettbewerb möglich ist. Im Eisenbahnsektor ist zu unterscheiden. Bau und Vorhaltung von Schienenwegen ist dem Wettbewerbsmodus kaum zugänglich. Parallelstrecken von A nach B zu bauen, ist ökonomisch sinnwidrig (etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn es sich um die Überwindung großer Distanzen mit ökonomisch zu rechtfertigenden alternativen Streckenführungen geht, was jedoch in den kleinräumigen europäischen Gebieten weniger der Fall ist und angesichts der Kürze der ersten Eisenbahnlinien auch kaum relevant war). Anders bei der Erbringung der Transportleistungen: Dass verschiedene Anbieter auf derselben Strecke miteinander konkurrieren, ist möglich und vom Ansatz her auch ökonomisch sinnvoll – wenn auch mit Einschränkungen, die aus der spezifischen Konstellation ökonomischer Interessenlagen und Machtverhältnisse beim Eisenbahnbetrieb herrühren und die eben auch auf der Ebene des Transportbetriebs Regulierung mit dem Ziel der Wettbewerbsermöglichung zum Problem machten.
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Die Frühphase der Eisenbahnentwicklung in England stellte sich unübersichtlich dar. Nicht ganz deutlich wird erstens, inwiefern die streckenbauenden Unternehmen auch ein Betriebsmonopol anstrebten oder gar davon ausgingen, überhaupt nicht als Transportanbieter aufzutreten (das war wohl bei einigen der Fall). Zweitens ist man mit einem uneinheitlichen Regelungszustand konfrontiert, was daran lag, dass es kein Eisenbahnrecht mit allgemeiner Geltung gab. Vielmehr erließ das Parlament für jede Strecke gesonderte Private Acts. Auf jeden Fall wird sichtbar, dass die Anfangsphase noch von dem rechtspolitischen Bestreben dominiert war, mehrere Transportanbieter pro Strecke, also Wettbewerb auf der Schiene, zuzulassen; einige Private Acts gingen sogar soweit, den bahnbauenden Gesellschaften die Erbringung eigener Transportleistungen zu untersagen. Dies setzte sich allerdings nicht durch. Ein zweites Instrument, die Verpflichtung der Bahngesellschaften, Transportdienstleister auf ihren Strecken gegen Errichtung eines Bahngeldes zuzulassen, erwies sich ebenfalls nicht als wirksam – jedenfalls dann, wenn den Gesellschaften die Möglichkeit gegeben war, das Bahngeld zu hoch anzusetzen oder notwendige Versorgungsleistungen zu verweigern. Schließlich verlagerte sich das Schwergewicht auf die staatliche Regulierung von Transporttarifen. Diese Regelung ging schon von der Voraussetzung aus, dass es die Bahngesellschaft war, die allein Transportleistungen anbot, allerdings sollte sie ihr Angebotsmonopol nicht missbrauchen können. Somit haben wir es mit einer Verlagerung des Regulierungsziels zu tun: von der Herstellung von Wettbewerb zur Verminderung der von einem nichtwettbewerblichen Zustands ausgehenden negativen Effekte – also nicht Monopolverhinderung, sondern Verhinderung von Monopolmissbrauch. Dabei blieb es im Prinzip bis zur Verstaatlichung.
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Der Autor konstatiert ein „Scheitern“ der englischen Regulierungsbemühungen. Aber was scheiterte? Das Regulierungskonzept der Wettbewerbsermöglichung? Das Regulierungskonzept der Verhinderung des Monopolmissbrauchs? Einzelne Regulierungsinstrumente? Ist Scheitern i.S. einer ex-post-Bewertung zu verstehen oder geht man von der Sichtweise der Zeitgenossen aus? All diese Fragen werden im Text behandelt und letztlich auch beantwortet, wünschenswert gewesen wäre – diese Kritik soll allerdings keinesfalls den Wert der Ausarbeitungen herabsetzen, sondern lediglich ex post auf Optimierungsmöglichkeiten aufmerksam machen – eine klarere Abschichtung der Fragestellung, die sich auch in der Textstruktur wiederfindet. Denn gerade diese Fragestellung – erfolgreiche oder erfolglose Regulierung – ist ja untersuchungsleitend. – Und das Erfordernis klarer Kriterien wird spätestens dann deutlich, wenn der amerikanischen Regulierung Erfolg attestiert wird, obwohl diese nicht Wettbewerb ermöglichte, sondern sich gegen Monopolmissbrauch wandte und zudem noch weitere Regulierungsziele integrierte – darauf wird noch zurückzukommen sein.
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Was aber durchaus plausibel und klar dargestellt wird, ist das Bündel an Ursachenfaktoren, die in England der erfolgreichen Durchsetzung bestimmter Regelungen im Wege standen: das anfängliche Fehlen einer behördlichen Zuständigkeit, die nur schwache Leistungskraft der dann in den 1840er Jahren eingerichteten Behörde, die Uneinheitlichkeit der Regelungen, Schlupflöcher, die die Umgehung von Bestimmungen erlaubten, der Lobbyfaktor, der beim Zustandekommen der Private Acts eine Rolle spielte, und die teils regulierungsskeptische Rechtsprechung.
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2. Regulierung in Preußen: Die Ausgangslage in Preußen wies durchaus Parallelen auf. Auch hier kann man im Großen und Ganzen von einer liberalen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik sprechen, wie der Autor auch zutreffend einschätzt. Dies zu erwähnen, scheint daher notwendig, weil man auch in der neueren Forschung noch zurückhaltend mit klaren Urteilen war; die Ergebnisse jüngerer Forschungen sprechen jedoch recht überzeugend für den Befund einer durchgehenden wirtschaftsliberalen Programmatik und Praxis.[7] Und auch hier kommen durchaus ähnliche Regulierungsinstrumente zur Steuerung des (in Preußen überwiegend privat betriebenen) Eisenbahnwesens zum Tragen: Versuche der (partiellen) Trennung von Netz und Betrieb durch Festsetzung eines Mitbenutzungsrechts für andere Gesellschaften (allerdings erst drei Jahre nach Inbetriebnahme) sowie Tarifregulierung. Dass Wettbewerb durchaus gewollt war, darauf deutet schon der Wortlaut der die Mitbenutzung einräumenden Norm (§ 26 Preußisches Eisenbahngesetz 1838) hin, der von „Konkurrenten“ spricht. Denn aus dem französischen Wort concurrence entwickelte sich im 19. Jahrhundert der Terminus „Wettbewerb“ als nationalökonomischer Schlüsselbegriff.[8] Auch kann der Autor starke Indizien dafür liefern, dass sich die preußische Ministerialverwaltung am englischen Vorbild orientierte: Berichtsreisen von Ministerialbeamten, Übersetzungen englischer Regelungen, Kenntnisnahme der Berichte englischer Untersuchungsausschüsse; auch die zeitgenössische Literatur vermittelt ein reges Interesse an der Art und Weise der englischen Regulierung.
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Zu wünschen wäre allerdings gewesen, dass der Autor die Analyse der preußischen Rechtsentwicklung zum Anlass nimmt, ein stärker länderspezifisch konturiertes Regulierungsverständnis zu entwickeln. Dass Regulierung nicht nur Wettbewerbsregulierung ist – und auch nicht sein kann, wenn man (wenn auch resigniert) Monopole akzeptiert –, darauf wurde oben schon hingewiesen und so sieht es ja letztlich auch der Autor – und davon lässt er sich auch bei der Analyse der amerikanischen Regulierungsstrukturen leiten. Für Preußen hätte es sich deshalb vielleicht auch angeboten, die weitergehenden Regulierungsziele in die Untersuchung einzubeziehen. Zum Ausdruck kommen diese in den staatlichen Zinsgarantien für private Eisenbahnunternehmen, die der Autor auch erwähnt, aber nicht weiter behandelt.[9] Gerade diese Zinsgarantien stehen für eine Regulierung durch Anreizsteuerung, mit der die Privaten zum Bau von staatlicherseits als ökonomisch und vor allem auch militärisch bedeutsam angesehenen Strecken motiviert werden sollten.[10]
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Und schließlich wäre es wünschenswert gewesen, die Rechtsnatur der Steuerungsinstrumentarien stärker zu thematisieren. Die Eisenbahn-„Konzession“ war nicht lediglich eine – wenn stärker als üblich mit weiteren Maßgaben armierte – Gewerbeerlaubnis (was der Autor so auch nicht behauptet), sondern – unabhängig davon, ob man sie zu den Privilegien, den Regalien (wie Reyscher, den der Autor auch erwähnt) oder später (wie Otto Mayer und sich eine ihm anschließende starke Meinungsströmung) zu den „Verleihungen eines öffentlichen Unternehmens“ zählt – ein Instrument, dessen Einsatz zur Voraussetzung hatte, dass sein Gegenstand generell nicht in den Bereich der Gewerbefreiheit fiel.[11] Die Verfügungsmacht lag vielmehr beim Staat. Der Unterschied zwischen Gewerbeerlaubnis und „Konzession“ (Privileg, Regal, Verleihung) markiert den Unterschied zwischen freier Wirtschaft und staatlich gebundener Wirtschaft mit staatlichem Betätigungsvorbehalt. Die allgemeine Liberalisierungstendenz der Reformzeit unterstellte weite Bereiche der Gewerbefreiheit, aber eben nicht alle. In welchem Maße in der Gründungszeit des Eisenbahnwesens der ohne Zweifel vorhandene wirtschaftsliberale Impetus mit den durch das Rechtsinstitut der „Konzession“ verkörperten merkantilistisch-staatswirtschaftlichen Ideen austariert wurde, inwiefern das in Erörterungen zur Rechtsnatur der „Konzession“ zum Ausdruck kam und wie sich hierdurch der Vergleich mit der englischen Entwicklung schärfer darstellen lässt, harrt noch künftiger Untersuchungen.
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Die institutionellen Rahmenbedingungen in Preußen unterschieden sich erheblich von denen Englands, wie der Autor deutlich herausarbeitet. Eine einheitliche Rechtsgrundlage stand zur Verfügung, das Eisenbahngesetz von 1838, ebenso eine Behörde, bei der die Kompetenzen gebündelt waren, das Handelsministerium. Wenn der Autor vom Scheitern der Durchsetzung des Regulierungskonzepts spricht, ist aber zu unterscheiden: Welcher Maßstab wird angelegt? Man kann ein „ursprüngliches“ Regulierungskonzept zu Grunde legen, nämlich jenes, welches dem Regelungsgeber von 1838 vorschwebte. Dann wird man mit guten Gründen von einem Scheitern sprechen können: Ein Wettbewerb entwickelte sich nicht, die Regelungen zur Mitbenutzung der Strecken kamen kaum zum Tragen, weil sich faktisch keine Nur-Transportdienstleister fanden, die Bestimmungen zur Tarifregelung waren nicht durchsetzbar, teilweise weil sie vom Eisenbahnverband durch interne Abstimmungen unterlaufen wurden, teilweise, weil sich die Berechnungsgrundlagen nur schwer ermitteln ließen – all das arbeitet der Autor überzeugend und detailreich heraus. Berücksichtigt man jedoch, wie auch der Autor ausführt, die geänderte eisenbahnpolitische Stimmungslage, die sich schon seit dem Ende der 1840er Jahren in Verstaatlichungsbemühungen und in der Privilegierung staatseigener Bahnen, aber auch im Versuch der Indienstnahme für Zwecke der Wirtschaftsförderung bemerkbar machte, dann lässt sich eher von einer Änderung der Regulierungsziele oder von einer gewollten Abschwächung der ursprünglichen Regulierungsintentionen als von einem Scheitern – jedenfalls aus Sicht des Regulators – sprechen.
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3. Regulierung in den USA: In welchem Maße die Berücksichtigung weiterer staatlicher Gestaltungsambitionen erforderlich ist, um eine zeitgenössische Regulierungslogik zu rekonstruieren, machen die Ausführungen zu den Vereinigten Staaten deutlich. Eines muss allerdings vorweg gesagt werden: Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich der Autor nicht nur auf die bundestaatliche Ebene konzentriert hätte. Wählt man nur diese Perspektive, ist wohl tatsächlich die Aussage gerechtfertigt, die Eisenbahngesellschaften hätten sich „zwischen 1827 und 1876 […] ohne staatliches Eingreifen frei entwickeln“ können (S. 217). Fragwürdig wird dieser Befund, wenn man auch die Einzelstaaten in den Blick nimmt, die schon früher Aufsichtsbehörden geschaffen hatten, denen auch die Tarifkontrolle oblag[12] – auch wenn die auf das Gebiet eines Einzelstaates beschränkte Regulierung bei den meist grenzüberschreitenden Streckenführungen an ihre Grenzen stieß und Kompetenzkonflikte provozierte (S. 219, insb. Fn. 53).
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Wie sich dann allerdings das bundesstaatliche Modell zum Referenzmodell entwickelt hat, wird ausführlich und instruktiv geschildert. Vor allem machen die Ausführungen deutlich, dass es sich nicht um eine Regulierung handelte, die auf die Herstellung von Wettbewerb zielte, sondern um eine solche, die auf die Hervorbringung von Ergebnissen gerichtet war, die sich – vielleicht – bei einem funktionierenden Wettbewerb eingestellt hätten. Die Sicherung fairer Tarife war das vornehmliche Ziel. Instruktiv schildert der Autor, wie mühsam sich der Weg zu einer effektiven behördlichen Einflussnahme auf das Preisgefüge gestaltete, sich jedoch ab Beginn des 20. Jahrhunderts eine funktionierende Tarifregulierung konsolidierte. Die Folgejahre zeichnen sich durch eine Schwerpunktverlagerung von einer punktuellen zu einer koordinierten Steuerung aus, die auf die Etablierung eines funktionsfähigen Transportsystems gerichtet, in dem die Interessen an einem wirksamen Verbraucherschutz mit denen an einer effizienten Betriebsführung und dem öffentlichen Interessen an zuverlässigen Transportdienstleistungen und der Erhaltung des Schienennetzes verknüpft wurden.
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Weiter zeigen die Ausführungen, wie sich dieses amerikanische Konzept z.T. aus Argumentations- und Instrumentenbausteinen englischer und preußischer Provenienz speiste. Zu diesem Schluss konnte der Autor durch den Nachweis der oft wortwörtlichen Übernahme englischer Bestimmungen, der Bezugnahme auf englische Gerichtsentscheidungen und der in Kongressdebatten und Senatsberichten sichtbar werdenden Auseinandersetzung mit der englischen und deutschen Rechtsentwicklung kommen. Während das englische Recht in erster Linie Vorlagen für Regelungen gegen Monopolmissbrauch lieferte, setzte man sich mit den preußischen Verhältnissen in Erörterungen zur organisatorischen Gestaltung der Regulierungsadministration auseinander. Inwiefern dabei von einer „Übernahme des Konzepts aus England und Preußen“ (S. 267) die Rede sein kann, muss hier offen bleiben. Der Autor selbst spricht von „Indizien“, seine Ausführungen zeigen vor allem, dass man die ausländischen Modelle zur Kenntnis nahm, sich (teilweise) kritisch mit ihnen auseinandersetzte und einzelne Regelungen in das eigene Modell einspeiste. Von einer Eins-zu-Eins-Übernahme kann somit nicht die Rede sein, aber dies wird auch nicht vom Autor behauptet. Auf jeden Fall gelingt es ihm zu zeigen, wie sich auf den verschiedenen Debatten- und Regelungsebenen das Anregungspotential dieser fremden Modelle entfaltet. Allerdings wäre es auch hier zu wünschen gewesen, wenn der Autor die einzelstaatlichen Regelungen und deren mögliche Vorbildwirkung berücksichtigt hätte. In diesem Zusammenhang hätte sich eine Auseinandersetzung mit der an anderer Stelle geäußerten Auffassung empfohlen, wonach sich der maßgebliche Interstate Commerce Act von 1887 am Modell der Illinois Railroad and Warehause Commission orientiert hatte.[13] Die stärkere Einbeziehung der Rezeption inneramerikanischer Vorbildregelungen hätte vielleicht das Bild abgerundet und es ermöglicht, die Relevanz außeramerikanischer Impulse präziser zu erfassen. Auch wäre es hilfreich gewesen, die grundlegenden Differenzen zwischen der preußischen und der amerikanischen administrativen Organisation der Regulierung herauszustellen. Denn die preußischen Überwachungsbehörden waren in eine bürokratisch-hierarchische Ministerialverwaltung integriert. Das amerikanische Modell war das der agency, also einer weitgehend unabhängigen Sonderbehörde. Die Funktionsweisen unterschieden sich erheblich. Jedenfalls in dieser Hinsicht fällt es schwer, von einer europäischen Vorbildwirkung zu sprechen.
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All diese Bemerkungen dienen nicht dem Zweck, den Wert der Arbeit zu schmälern. Vielmehr entspringen sie dem Interesse des Rezensenten am Forschungsgegenstand und sollen deutlich machen, welche Impulse die Arbeit in Bezug auf weitergehende Sondierungen zu setzen vermag. Das Buch von Michalczyk leistet mit der Darstellung verschiedener Regulierungsregimes, mit der Veranschaulichung ihrer wechselseitigen Wahrnehmung und mit dem auf einzelne Begründungs- und Steuerungselemente heruntergebrochenen Vergleich einen gewichtigen Beitrag zu einer Rechtsgeschichte, die sich nicht auf die Bestandsaufnahme nationaler rechtsdogmatischer Figuren, Lehren und Organisationsmodelle beschränkt, sondern von spezifischen Gestaltungsproblemen ausgeht und deren rechtliche Bewältigung analysiert. Zu wünschen ist, dass es ein weiter Leserkreis zur Kenntnis nimmt.
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[1] Siehe dazu Martin Eifert, Regulierungsstrategien, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, München 2006, § 19 Rn. 2.

[2] So aus wirtschaftshistorischer Sicht Gerold Ambrosius, Regulativer Wettbewerb und koordinative Standardisierung zwischen Staaten, Stuttgart 2005, S. 8.

[3]Edward J. Balleisen, Regulation: Overview, in: The Oxford international encyclopedia of legal history, Bd. 5, New York u.a. 2009, S. 75-86.

[4] Dazu jetzt Peter Collin/Gerd Bender/Michael Stolleis/Stefan Ruppert/Margrit Seckelmann (Hrsg.), Selbstregulierung im 19. Jahrhundert. Zwischen Autonomie und staatlichen Steuerungsansprüchen, Frankfurt a.M. 2011.

[5]Eine Vermutung, die auch schon im Kontext der modernen Regulierungsdebatte, aufgestellt wurde; siehe André Soldner, Liberalisierung des Eisenbahnwesens. Zwischen Wettbewerb und Regulierung, Frankfurt a.M. 2008, S. 106.

[6]Hierzu mit der nötigen Klarheit Thomas Simon, Scherz und Ernst in der Ökonomie, Rechtsgeschichte 5/2004, S. 243-247 (Rezension zu: Oliver Volckart, Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung im vormodernen Deutschland 1000-1800, Tübingen 2002).

[7]Siehe jüngstens v.a. Clara Deecke, „Staatswirtschaft vom Himmel herabgeholt“. Konzeptionen liberaler Wirtschaftspolitik in Universität und Verwaltung 1785-1845 – Ausprägungen und Brechungen am Beispiel Ostpreußens und Vorpommerns, Diss. phil. Greifswald 2010 (Mskr.). Der Verf. dankt der Autorin für die Überlassung des Textes.

[8]Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Nachdruck der Erstausgabe 1854-1971, Bd. 29, 1960, Art. Wettbewerb, Sp. 663 ff., zit. nach Simon, a.a.O., S. 245.

[9]Auf S. 127 weist der Autor darauf hin, dass er nur „unabhängige“ private Bahnen, nicht dagegen staatlich unterstützte private Bahnen behandelt.

[10] Lothar Gall, Eisenbahn in Deutschland. Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg, in: Lothar Gall/Manfred Pohl (Hrsg.), Die Eisenbahn in Deutschland, München 1999, S. 13 (21), als Beispiele führte Gall an: die Rhein-Weser-Bahn sowie die Linien zwischen Frankfurt an der Oder und Breslau und zwischen Posen und Schlesien.

[11] Auf S. 131, 133 f., geht der Autor hierauf ein, ohne allerdings die Rechtsnatur der Konzession und die hinter diesem Rechtsinstitut stehenden allgemeinen staatsökonomischen und staatsrechtlichen Konzeptionen weiter zu vertiefen.

[12] Oliver Lepsius, Regulierungsrecht in den USA: Vorläufer und Modell, in: Michael Fehling/Matthias Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht, Tübingen 2010, § 1 Rn. 12.

[13] Lepsius, a.a.O., Rn. 18.

Rezension vom 23. Mai 2011
© 2011 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
23. Mai 2011

  • Zitiervorschlag Rezensiert von: Peter Collin, Roman Michalczyk, Europäische Ursprünge der Regulierung von Wettbewerb. Eine rechtshistorische interdisziplinäre Suche nach einer europäischen Regulierungstradition am Beispiel der Entwicklung der Eisenbahn in England, Preußen und den USA. (23. Mai 2011), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net/2011-05-collin/