1) Vorwort
1Bis heute wird im Rahmen der Studien zur europäischen Rechtsgeschichte die Bedeutung des byzantinischen Rechts unterschätzt. Dieser Tendenz zum Trotz haben in den letzten zwei Jahrhunderten einige Studien zum byzantinischen Recht1 die Bedeutung der Lehrmethoden byzantinischer Lehrer aufgewertet. Diese Untersuchungen galten vor allem den Lehrtechniken der byzantinischen Lehrer des 6. Jahrhunderts n. Chr., also jenen, die in derselben Zeit und im sofortigen Anschluss an die Rechtskompilation Justinians ihre Vorlesungen an den Rechtsschulen des östlichen römischen Reiches hielten.
2Nach der ersten Reform der Rechtsstudien, von der die Geschichte berichtet, die Justinian 533 n. Chr. mit der Konstitution Omnem zum Zwecke der Ausbildung hoch qualifizierter Juristen realisierte, wurde die Rechtslehre in den Schulen von Konstantinopel und Beirut fortgeführt und wandte sich somit an Juristen (sowohl Studenten als auch Praktiker), die nur die griechische Sprache beherrschten. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, den Griechisch sprechenden Schülern die Begriffe der überwiegend in Latein verfassten Kodifikation zu vermitteln, um ihnen die juristischen Probleme verständlich zu machen, die sich aus der Lektüre der in lateinischer Sprache geschriebenen Texte des Corpus Iuris ergaben.
3Die Lehrtechniken der byzantinischen Dozenten gingen aber weit über die aus der Übersetzungsarbeit entstehenden Probleme hinaus: Man gelangte tatsächlich zur Erarbeitung einer originellen Lehrmethode, sowohl hinsichtlich der Darlegung als auch der Systematisierung. Diese Methode legt in den verschiedenen Lernphasen der Institutionen ein besonderes Augenmerk auf die Lektüre der Digesten und des Codex Justinians, um die fortschreitend schwierigeren Lektionen den Bedürfnissen der Schüler der diversen Jahrgangsstufen anzupassen. Das Ziel war, eine Klasse von Juristen mit solider dogmatischer Bildung zu schaffen, die in der Lage ist, konkrete Probleme zu bewältigen, die die zukünftige forensische bzw. administrative Berufstätigkeit bereithielt. Nicht ohne Grund wurden die Mitglieder der ersten Generation byzantinischer Lehrer als antecessores bezeichnet, genauso wie die Mitglieder des byzantinischen Heeres, die zu Erkundungszwecken den Truppen vorausgingen, um die besten Wege und die besten Lagerplätze für die Truppen ausfindig zu machen2.
4Wenngleich die juristischen Lehrer des 6. Jahrhunderts ihre Lehrtätigkeit in östlichen Gebieten des Reichs ausübten, scheint das daraus resultierende Erbe über die östlichen Grenzen des Reiches hinausgegangen zu sein und sogar eine bedeutende Rolle für die Ausbildung der westlichen europäischen Rechtskultur gespielt zu haben. Diesbezüglich wurde denn auch die wenngleich noch zu überprüfende Hypothese3 aufgestellt, dass das byzantinische Lehrsystem im Westen (durch Vermittlung der im 11. Jahrhundert in Konstantinopel neubegründeten Rechtsschule) Inspirationsquelle für das Wiederaufleben der juristischen Universitätsstudien war, angefangen bei der Gründung der Schule von Bologna.
5Dem juristischen Humanismus des 16. Jahrhunderts muss sicher eine Schlüsselrolle in der Geschichte des Studiums des byzantinischen Rechts zuerkannt werden, denn er förderte unter den Rechtsgelehrten einen direkten Studienansatz, nicht nur der Texte des Corpus Iuris Civilis, sondern auch der Texte byzantinischer Gelehrter des 6. Jahrhunderts n. Chr. (dank der Vermittlung der Basiliken), insbesondere in Verbindung mit dem Wiederaufblühen des Studiums der griechischen Sprache4.
6Allerdings erfolgte der nächste wesentliche Schritt im Studium der byzantinischen juristischen Texte erst im 19. Jahrhundert, was in großem Maße auf die Edition und das Studium ihrer hauptsächlichen Quellen zurückzuführen ist. Damit wurde die Grundlage für ein vertieftes Studium der Lehrmethoden der byzantinischen Lehrer des 6. Jahrhunderts geschaffen, welches in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr wichtige Entwicklungen verzeichnete, ganz besonders dank der Arbeit der Forschungsgruppe der Universität in Groningen und des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main.
2) Die Paraphrase des Theophilos. Art und Merkmale des Werkes.
7Die von der o.g. Forschungsgruppe begonnene wissenschaftliche Tätigkeit wurde bis heute fortgesetzt und führte zu weiteren Studien über die Entwicklung des byzantinischen Rechts und zur Veröffentlichung von zuverlässigen kritischen Editionen der Quellen, worunter das jüngst erschienene und peinlich genaue Werk Theophili Antecessoris Paraphrasis Institutionum5 von Lokin, Meijering, Stolte und Van der Wal mit englischer Übersetzung von Murison herausragt, das im Jahr 2010 veröffentlicht wurde. Das Werk ist Ergebnis einer über 30 Jahre andauernden Arbeit.
8Die Paraphrase des Theophilos ist bekanntermaßen ein Werk, dass die griechische Übersetzung der Institutiones sive elementa von Justinian beinhaltet, denen 533 Gesetzeskraft verliehen wurde. Außer der genannten Übersetzung finden wir hier eine Erläuterung der Institutionen in griechischer Sprache, die von Mal zu Mal im Unterricht für die Griechisch sprechenden Studenten, die im Anschluss an die von Justinian gewollte Reform der juristischen Studien das erste Jahr der Rechtsschule von Konstantinopel besuchten, abgehandelt wurden6.
9Der Text der Paraphrase wird mittlerweile im Allgemeinen – wenngleich es Hypothesen gibt, die dies in Frage stellen7 - dem antecessor Theophilos zugeschrieben. Von diesem bekannten Professor für römisches Recht in Konstantinopel und Mitglied der von Justinian beauftragten Kommissionen für die Kompilation des ersten Codex und der Digesten, ist nach 534 keine Information mehr zu finden, zumal er in der Konstitution Cordi vom 16. November 534, die die Revision des vorherigen justinianischen Codex in Auftrag gab, nicht genannt wird8.
10Aus den zahlreichen bisher durchgeführten Studien über die Paraphrase geht hervor, dass es sich um einen Text handelt, der der Didaktik diente: die Erläuterungen des Dozenten sowie weitere von den Studenten geforderte Klärungen zeigen nämlich, dass der Text der Paraphrase mit höchster Wahrscheinlichkeit aus der täglichen Arbeit des Unterrichts stammt. In verschiedenen Punkten wird die Absicht des Dozenten klar, so wie bereits in der Doktrin in den Vordergrund gestellt wurde, den Studenten das Erlernen der Rechtsprinzipien der geltenden Gesetze zu ermöglichen, unter Berücksichtigung ihrer Ausarbeitung seitens der römischen Juristen des klassischen Zeitalters9. Ein solcher Ansatz veranlasste den Dozenten, Texte und Zusammenhänge eingehend und gewissenhaft zu behandeln und diese mit Definitionen, Beispielen und Verbindungen zu bereits behandelten Teilen anzureichern bzw. sie, falls notwendig, zusammenzufassen.
11Die Institutionenparaphrase des Theophilos ist uns außerdem, anders als alle anderen didaktischen Texte der antecessores, in vollständigem Umfang erhalten geblieben. Daher stellt sie ein Zeugnis von überaus bedeutender Wichtigkeit in Bezug auf die daraus zu entnehmende Lehrmethode dar, die vielfach untersucht wurde, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der genannten Methode und der von anderen antecessores, die Vorlesungen zu Digesten und Codex hielten, hervorzuheben10.
12Grundlegend sind diesbezüglich die Studien von Scheltema, die später von seinen Schülern Lokin und Van der Wal11 fortgeführt wurden, sowie die jüngsten Untersuchungen von Falcone12 und Russo Ruggeri13. Die genannten Studien haben zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen der Lehrtechnik des Theophilos und der der anderen antecessores deutlich gemacht. Diesbezüglich kann zunächst auf die Präsenz von ‘Thematismoí’ im Text hingewiesen werden: Scheinfälle, die besondere rechtliche Konsequenzen in Verbindung mit der zu vertiefenden Disziplin erörtern sollten und die, bei Theophilos, ebenso dazu dienen sollten, die praktischen Probleme, die zum Erlass von einigen kaiserlichen constitutiones geführt hatten, zu verstehen. Des Weiteren finden wir im Text auch sogenannte ‘Erotapokríseis’: Fragen und Einwände der Studenten während des Unterrichts, zusammen mit den Antworten des Dozenten14.
13Scheltema15 hat außerdem behauptet, man könne dem Text der Paraphrase entnehmen, dass sich die Lehrmethode von Theophilos nicht von der anderer antecessores mit Bezug auf die verschiedenen Erläuterungsphasen der juristischen Texte unterscheide. Mit anderen Worten, Theophilos hätte auch die Institutionen in zwei Kursen erklärt: in einem ersten Kurs sei die Übersetzung (der sogenannte ‘Index’) aus der lateinischen Sprache geliefert worden und in einem zweiten Kurs, auch ‘Paragraphai’ genannt, habe der antecessor den Inhalt der bereits übersetzten Disziplin vertieft. Der uns überlieferte Text der Paraphrase sei letztendlich das Resultat der Kombinierung beider Kurse.
14Zu letzterem Punkt haben die Forschungen von Falcone16 – obgleich er die Meinung von Scheltema teilt, die Paraphrase stamme aus der Rechtsschule von Konstantinopel – zu anderen Schlussfolgerungen geführt. Durch eine neuerliche Überprüfung von Scheltemas Argumenten kam Falcone zu dem Schluss, die Lehrmethode der Institutionen habe sich von der der Digesten und des Codex unterschieden, da der Unterricht nicht in zwei Kurse gegliedert worden sei, sondern aus einem einzigen Kurs bestand, so wie im Fall des Unterrichts anhand der Institutionen des Gaius, ehe die Institutionen Justinians im Jahr 533 in Kraft traten.
15Dies könne man, nach Meinung von Falcone17, aus einigen Unvollkommenheiten des Textes der Paraphrase schließen, die nahelegen, Theophilos habe vor dem Inkrafttreten der Institutionen Justinians die Institutionen von Gaius unterrichtet. Im Wesentlichen hätten, im Laufe des von Theophilos gehaltenen Kurses in den Jahren 533 bis 534, die Anpassungsversuche der Abhandlungen des vorangegangenen Kurses an die eingeführten Neuheiten der Institutionen Justinians zu einigen Ungenauigkeiten geführt, die im Text der Paraphrase wiederzufinden sind. Diese Schlussfolgerungen sind schon deshalb wichtig, weil sie die Lehrmethode des Theophilos von der der andere antecessores unterschieden, die zu Digesten und Codex unterrichteten. Außerdem regen sie, wenngleich durch die Analyse des Textes der Paraphrase bereits bisher gut begründet, weitergehende Überlegungen zum Inhalt der Paraphrase an; Überlegungen, die die zahlreichen, bis zu uns vorgedrungenen antiken Scholien in Betracht ziehen könnten und insbesondere die Vertiefungen, die in den Scholien des Codex Parisinus Graecus 1364 überliefert sind, neu bewerten könnten. Von ihnen wird gleich die Rede sein.
3) Die Scholien zur Paraphrase des Theophilos. Die Ergebnisse von Ferrini.
16Wenngleich es kein Manuskript der Paraphrase ohne Scholien gibt18, ist es möglich, unter diesen Manuskripten einige mit besonderer Bedeutung auszumachen, insbesondere betreffend die hohe Anzahl an Zeugnissen, die sie überliefern. Diesbezüglich ist sicher der Codex Parisinus Graecus 1364 bemerkenswert, nicht nur aus dem soeben betonten Grund, sondern auch, weil es sich um ein sehr gut erhaltenes Manuskript handelt. Es stammt höchstwahrscheinlich aus dem 11. Jahrhundert und enthält eine ziemlich zuverlässige Rezension der Paraphrase sowie eine Sammlung von Scholien, aus der zu erkennen ist, dass dessen Verfasser (oder deren mehrere Verfasser) solide Kenntnisse in Bezug auf justinianische Quelltexte hatte(n)19.
17Dennoch zeigen die Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte über die Lehrtechniken der byzantinischen Lehrmeister, bis auf ganz seltene Ausnahmen, eine unzureichende Berücksichtigung des hermeneutischen Beitrags der Scholien zur Paraphrase von Theophilos. Grund dafür ist insbesondere der Umstand, dass die bislang erschienenen Editionen dieser Scholien – und ganz besonders die letzte von Ferrini20 – als wenig zuverlässig bewertet wurden. Allerdings äußerten die niederländischen Verfasser der Paraphrase des Theophilos aus dem Jahr 2010 in den Prolegomena zur selbigen die Hoffnung, ihre Edition der Paraphrase könne ein erneutes Interesse an den Scholien seitens der Forschung wecken21.
18Um die mögliche Bedeutung der Analyse der Scholien zur Paraphrase von Theophilos und die Themen, die sich daraus ergeben könnten, nachzuvollziehen, ist ein Bezug auf jene Ergebnisse von Ferrini22 notwendig, die er im Jahr 1889 in seiner Edition veröffentlichte. Insbesondere konzentrierte sich das Interesse von Ferrini auf die älteren Scholien, die man auf das 6. Jahrhundert verortete, sei es aufgrund ihrer ausgiebigen Verwendung in den Institutionen, in den Digesten und im Codex des Justinian, sei es aufgrund der Zitiertechnik der genannten Quelltexte, die Rückschlüsse auf die Anordnung des Lehrstoffes zulassen, wie sie mit der juristischen Studienreform des Jahres 533 eingeführt wurde.
19Die vertieften Nachforschungen von Ferrini23 hatten ihn außerdem dazu bewogen, die Datierung des Werkes neu zu überdenken, da er in ihren Texten einige Indizien gefunden hatte, die weniger für eine zeitliche Verortung direkt vor der Kompilation Justinians und der Abfassung der Paraphrase sprachen, als vielmehr für einen Entstehungszeitraum gegen Ende des 6. oder gar Anfang des 7. Jahrhunderts. Diese Indizien bestünden in der Gegebenheit, dass der Autor der Scholien die Schriften der antecessores Stephanos und Kobidas zitiert, welche aus den Jahren vor bzw. direkt nach dem Tod Justinians (565) stammen sollen.
20Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass der Autor der Scholien, im Gegensatz zu Theophilos, die abgehandelten Themen mit der durch einige Novellen eingeführten Disziplin der Jahre 535 bis 565 in Beziehung setzt. Mindestens acht Hinweise auf die in den Novellen zu findende Disziplin würden nach Ansicht Ferrinis bestätigen, dass der Scholiast nicht nur über eine ziemlich detaillierte Kenntnis deren Inhalts verfügte, sondern auch, dass er die Sammlung dieser Novellen, die bis zum Jahre 568 in Gebrauch waren, kannte. Diese Erhebungen haben Ferrini24 zur Annahme gebracht, das Werk könne vom Ende des 6. Jahrhunderts oder, vielleicht noch wahrscheinlicher, vom Anfang des 7. Jahrhunderts stammen. Diese Datierung bedürfte allerdings einer weiteren Prüfung, insbesondere aufgrund der Studien der letzten Jahrzehnte über die Novellen-Studien, die zu Ergebnissen geführt haben, die für die Datierung der Novellensammlungen von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind.
4) Die jüngsten Forschungsergebnisse: neue Ansatzpunkte.
21Erlaubten bereits die Ergebnisse der Untersuchung von Ferrini die Bewertung der im Parisinus Graecus 1364 enthaltenen Scholien, so zeigten die jüngsten Forschungen noch deutlicher das Potential, welches eine vertiefte Untersuchung über die Scholien zur Paraphrase des Theophilos haben könnte. Dies gilt auch hinsichtlich der Fortschritte, die die Lehre in dem mehr als ein Jahrhundert umfassenden Zeitraum von der Untersuchung Ferrinis bis zur Veröffentlichung der neuen Ausgabe der Paraphrase des Theophilos seitens der Wissenschaftler von Groningen errungen hat.
22Nachdem ein auf den unus casus bezogenes Scholion – ein Fall, auf den in I. 4.6.2 Bezug genommen wird – Lokins25 Interesse dadurch geweckt hatte, dass die in den Scholien zu Theophilos 4.6.226 enthaltenen Hinweise sich sowohl von denen der Turiner Institutionenglosse als auch von denen der anderen mittelalterlichen Institutionenglossen unterschieden, eröffnete sich durch die Analyse der Scholien ein neues Forschungsfeld. Man bedenke nur den kürzlich hervorgehobenen Hinweis27, dass die klassischen Juristen in den Scholien nur äußerst selten erwähnt wurden, während die byzantinischen antecessores, wie bereits vorher unterstrichen wurde, wesentlich häufiger Erwähnung finden, unter Berücksichtigung der Schulen, die sie an Stelle der aus dem klassischen Zeitalter stammenden Institutionen ins Leben gerufen hatten. In diesem Zusammenhang ist man im sch. ad Th. 2.1.25 τῶν Sabinianon καὶ τῶν Proculianon28 auf eine merkwürdige Ausführung gestoßen, die sich zwar auf die beiden klassischen Schulen bezieht, jedoch auf die von Kobidas begründete Schule und auf eine weitere von einem antecessor namensThylakas29 begründete verweist, von dem keine weiteren Nachrichten überliefert sind.
23Außerdem machte im Zusammenhang mit Erwähnungen der byzantinischen antecessores des 6. Jahrhunderts Meijering ein Scholion aus, das sch. ad Th. 3.9pr.30, in dem sich eine Erwähnung des Stephanos fände, die von den jüngsten Studien über diesen antecessor31 nicht berücksichtigt worden sei32, aber eine Reihe von Fragen aufwerfen würde. Während sich die Paraphrase des Theophilos zu dieser Stelle bezüglich der Möglichkeit, einen alienus postumus als Erbe zu benennen, an den Text der Institutionen hält, wird in diesem Scholion präzisiert, dass die alieni postumi nur als Erben benannt werden könnten, wenn der Erblasser durch rechtmäßige Eheschließung mit der Mutter verbunden sei und nicht in dem Fall, dass diese aus einer iniustae nuptiae hervorgegangen seien. Der Scholientext fügt hinzu, dass diese Präzisierung in einem Kommentar des Stephanos untermauert sei, auf den im zwanzigsten Titel τοῦ βασιλικ(οῦ) βιβλίου de legatis verwiesen werde. Es handelt sich um einen Hinweis, der zu weiteren Nachforschungen führte: Selbst wenn darauf im Titel des Buches der Basiliken de legatis (B. 44.20) verwiesen wurde, könnte man dies nicht mehr überprüfen, da die diesbezüglichen Scholien nicht mehr erhalten sind.
24Meijering33 arbeitete deshalb die Hypothese der Berichtigung des uns überlieferten Scholientextes aus, und schlug vor, die Angabe des Titels der Basiliken in Bezug auf die Vermächtnisse mit derjenigen über den Titel der Institutionen zu selbigem Thema zu ersetzen (I. 2.20). Mit Bezug auf diesen Titel und zur Präzisierung des in I. 2.20.28 enthaltenen Passus, überliefert die Paraphrase des Theophilos eine Angabe, die inhaltlich mit der übereinstimmt, die das Scholion dem Stephanos zuschreibt. Diese diente dazu, die aus einer unehelichen Verbindung hervorgegangenen alieni postumi aus dem Kreis der postumi auszuschließen, die als Erben benannt werden konnten. Aus diesen Anmerkungen leitete die Autorin eine weitere sehr bedeutsame Hypothese ab, die man genauer untersuchen müsste. Sie folgert daraus, dass der in sch. ad Th. 3.9pr. enthaltene Verweis auf Stephanos einer Ungenauigkeit des Scholiasten geschuldet sei: Eben dieses Scholion zur Präzisierung der Anwendbarkeit der vorab ausgeführten Regel ausschließlich für die aus unehelichen Verbindungen hervorgegangenen alieni postumi hätteangeben müssen, dass dies bereits von Theophilos, und nicht etwas von Stephanos, klargestellt worden war.
25Als weiteres bedeutsames Beispiel für das Interesse, das die Scholien zur Paraphrase des Theophilos bezüglich der Lehrmethoden der antecessores hervorrufen können, sei das sch. ad Th. 2.20.6 genannt, das kürzlich von Lokin34 editiert, und von Meijering35 einer weiteren Untersuchung unterzogen wurde, in der im Endteil auf die Abhandlung des Dorotheos eingegangen wird. Da das Scholion auf die Basiliken verweist, wurde kürzlich befunden36, dass es der Ausführung der Regel diene, nach der man ein und dieselbe Sache nur einmal ex lucrativis causis erwerben durfte, und es darüber hinaus klarstelle, dass diese Regel auch zur Anwendung komme, wenn eines der Güter kostenlos erworben wurde. Das Scholion stellt also zuerst die Notwendigkeit klar, einen Nachweis über die konkret auftretende Situation zu liefern, und führt dann eine Ausnahme zu obiger Ausführung an, wenn der Vermächtnisnehmer nachweisen konnte, dass der Erblasser ihm sowohl die Sache als auch den Wert der Sache vermachen wollte.
26Hinsichtlich dieser Ausnahme verweist das Scholion auf B. 44.3.17.2, dessen Inhalt uns durch die Synopsis Maior überliefert wurde, und das sich hingegen aller Wahrscheinlichkeit nach auf B. 44.3.21.1 (= D.32.21.1) bezieht, und weiterhin auf die Abhandlung des Dorotheos im ‘Syntagma’ der libri singularesde probationibus. Letztere Angabe, obgleich sehr ungenau, wurde von Lokin auch dank der Analyse einer bedeutenden Anzahl von Quellen37 auf die Abhandlung des Dorotheos über den Titel de probationibus des Digesten zurückgeführt, also D. 22.3, die im sch. 2 ad B. 22.1.12 (= D. 22.3.12) enthalten ist. Besagtes Scholion scheint jedoch eine Reihe von Problemen bezüglich der Figur des Dorotheos und der von ihm vertretenen Lehrmethode aufzuwerfen, da die uns überlieferte Bearbeitung dieses byzantinischen Lehrers nur aus einer Übersetzung des Digesten und keinem Kommentar besteht38.
27Das von letzterem zitierte Scholion, das Dorotheos zugeschrieben wird, bezieht sich allerdings auf eine andere Rechtsfrage als die in I. 2.20.6 behandelte, d.h. auf den Fall, in dem der Erblasser irrtümlich zwei Mal ein Vermächtnis von 50 zugunsten desselben Begünstigten verfügt hat. Das Scholion bezieht sich dennoch auf eben diese Möglichkeit, die von den Institutionen in I. 2.20.6 in Betracht gezogen wird, bei der, nach einem zweifachen Vermächtnis desselben Gutes zugunsten desselben Subjekts, der Wille des Erblassers deutlich geworden sei, dem Vermächtnisnehmer sowohl den Besitz des Gutes, als auch den Wert desselben zu hinterlassen, ohne dass diese Wahl auf einen Fehler des Erblassers zurückzuführen sei. Das Scholion schließt mit einem Verweis auf einen ‘mysteriösen’ Kommentar des Stephanos zu den Institutionen, in dem eine bedeutsame Unterscheidung hinsichtlich der Vermächtnisse erläutert worden sein soll. Davon ist uns aber direkt keine Nachricht überliefert, auf die man eine wahrscheinliche Hypothese aufbauen könnte39.
28Die hier nur kurz skizzierten Probleme, herausgearbeitet von einigen Vertretern der jüngeren Forschung, die sich mit den Scholien zur Paraphrase des Theophilos beschäftigt haben, machen deutlich, dass diese Quellentexte zweifelsohne neue Ansatzpunkte zu einer vertieften Untersuchung insbesondere der Lehrmethoden der antecessores bieten, aber auch ein besseres Verständnis der klassischen und justinianischen Quellen ermöglichen, auf die sich die Lehre bezog.