1Zu den umfangreichen Arbeiten Mayers, welche er in all den Jahren zu den Kreuzfahrerstaaten veröffentlichte, gehören Standardwerke wie die Kanzlei der lateinischen Könige von Jerusalem und die Urkunden der lateinischen Könige von Jerusalem. Insbesondere bei der Urkundenherstellung zeigt sich, dass in der heutigen Betrachtungsweise der Kreuzfahrerstaaten die öffentlichen Notare ein unterschätzter Faktor waren. Dies wird nun durch den vorliegenden Band behoben, in dem Mayer versucht, die Forschungslücke in diesem Bereich der Kreuzfahrerstaaten des 12. und 13. Jh. zu schliessen.1 Das öffentliche Notariat setzt er dabei in Zusammenhang zur Cour des Bourgeois des Königreichs Jerusalem, an welcher die öffentlichen Notare auch tätig waren. Dieser schenkte er bereits grössere Beachtung in seinem Aufsatz Ibelin versus Ibelin2, wobei er aber nur die Verwaltungsreform von 1251 und ihre Hintergründe untersuchte. Ansonsten befasste er sich in einigen seiner Veröffentlichungen mit ihr nur am Rande.3
2Die Forschungsliteratur beschäftigte sich bisher kaum mit den öffentlichen Notaren der Kreuzfahrerstaaten des 12. und 13. Jh. Man legte das Hauptaugenmerk in diesem Zusammenhang hauptsächlich auf die Cour des Bourgeois des Königreichs Jerusalem, basierend auf den Rechtsbüchern Le Livre des Assises de la Cour des Bourgeois4 und Beugnots Abrégé du Livre des Assises de la Cour des Bourgeois5. Autoren wie Dimitri Hayek, Droit Franc en Syrie6, Gaston Dodu, Histoire des Institutions Monarchiques dans le Royaume Latin de Jérusalem7 oder Jonathan Riley-Smith, The Feudal Nobility and the Kingdom of Jerusalem, 1174-12778 versuchten die Institutionen der Cour des Bourgeois anhand beider Rechtsbücher oder der vorhandenen Urkunden nachzuzeichnen. Sie gaben aber keine Impulse, was ihre Entstehung, Entwicklung oder Niedergang betraf. Dies änderte sich mit Joshua Prawers 1980 erschienenem Werk Crusader institutions.9 Die Gründungsmythen der Cour des Bourgeois, welche bis anhin auf Gottfried von Bouillon im Jahr 1099 zurückgeführt wurden, konnte er widerlegen und wies nach, dass es ein langwieriger Prozess der Entwicklung war, welcher erst kurz vor der Eroberung Jerusalems durch Saladin im Jahr 1187 abgeschlossen wurde.
3Diesen beiden Traditionen versucht Mayers Werk zu folgen. Seine Arbeit ist zweigeteilt, die erste Hälfte widmet sich im Ersten Teil der Cour des Bourgeois und im zweiten Teil dem öffentlichen Notariat und die andere Hälfte besteht aus den Anhängen. Um die öffentlichen Notare besser in einen Zusammenhang zu den Kreuzfahrerstaaten zu setzen, erläutert er im ersten Teil seiner Arbeit die Entwicklung der Cour des Bourgeois im 12. und 13. Jh. Hierbei zeigt er anhand der Urkunden, wie diese zusammengesetzt war, ihre Tätigkeiten aussah und was seiner Meinung nach ihren Niedergang bewirkte. (S. 1ff).
4Betrachtet man die Aussagen Mayers bezüglich dem Niedergang der Cour des Bourgeois und der Durchsetzung des öffentlichen Notariats, welches ja ein Zentraler Punkt seiner Arbeit ist, so zeigt er nur auf, dass sich dieses schlussendlich Durchgesetzt hat und wohl zum Niedergang bzw. „Vertrocknung“ der Cour des Bourgeois (S. 58ff.), mit Ausnahme der Strafgerichtsbarkeit, geführt hat. Er führt hier insbesondere an, dass sich das öffentliche Notariat im Mittelmeerraum endgültig durchsetzt (S. 96) und sieht unter anderem im Rückgang der Advokaten und iuris periti Anzeichen für diesen Niedergang (S. 63). Ein Faktor, welcher hier hineinspielt ist, dass keine Urkunden der Cour des Bourgeois in Akkon nach 1274 existieren, obwohl es keine Gründe gibt, weswegen die Urkundenproduktion zurückgegangen sein sollte (S. 61). Einzig in einer Urkunde vom 15. Dezember 1282 der curia laycorum (S. 64) sieht er eine mögliche Erwähnung der Cour des Bourgeois. Zwar erwähnt er, dass König Hugo III., Akkon im Oktober 1276 verliess (S. 64), geht aber auf die nachfolgende politische Situation in Akkon bis zur Eroberung der Stadt durch die Mamluken 1291 überhaupt nicht ein. Es entsteht somit kein vollständiges Bild, aus welchen Gründen sich schlussendlich das öffentliche Notariat durchgesetzt hat. Er unterlässt es auch, Parallelen zu Zypern zu ziehen. Dies ist umso überraschender, weil dort 129210 auch eine Urkunde der Cour des Bourgeois durch einen öffentlichen Notar hergestellt worden ist. Dies lässt wiederum die Vermutung zu, dass man in Zypern zu dieser Zeit wohl gleich vorging wie in Akkon, insbesondere da die Stadt seit 1285 wieder unter der Herrschaft der Lusignan stand. Hieraus kann nun abgeleitet werden, dass der Zustand der Cour des Bourgeois sich in der Zeit der angevinischen Herrschaftsperiode zu seinen Ungunsten veränderte und zugleich das öffentliche Notariat nicht nur mehr an Bedeutung gewann, sondern wahrscheinlich als Mittel verwendet wurde um den Einfluss der Cour des Bourgeois in der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu mindern, zurückzudrängen oder zu ersetzen. Insbesondere, aufgrund dessen, dass die Verwaltungsreform von 1251 nicht durch das Gericht selber, sondern von aussen initiiert wurde, muss dies nach 1274 ähnlich geschehen sein. Natürlich konzentriert sich Mayer bei seiner Darstellung auf die Tätigkeiten des Gerichts, aber es bleibt leider ein unvollständiges Bild, so dass es wiederum in der Tradition von Hayek, Dodu oder Riley-Smith bleibt. Leider eine verpasste Chance hier weitere Erklärungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
5Bei der Durchsicht der aufgezählten Geschworenen für Akkon (S. 57), als Beispiel für ihre langen Amtszeiten, hat sich ein Fehler bei der Amtszeit von Raimund Odonis eingeschlichen. Mayer listet ihn mit einer Amtszeit von 1251 bis 1273 auf. Diese erweist sich hier als nicht richtig. Der einzige Geschworene, welcher 1251 in Beugnots Abrégé11 mit Vornamen Raimund erscheint, ist Raymon, fis de sire Heude de la Tour. Im Register der Vizegrafen und öffentlichen Notare setzt Mayer die Namen Heude und Oddo gleich (S. 517). Es ist hier aber fraglich, ob ein Zusammenhang zwischen den Geschworenen Raymon de la Tour und Raymund Oddonis existiert. Daneben erscheint Raimund Oddonis in Mayers Belegen als Raimundo Odonis oder Raimont/Reimont Oede/Odde in den Urkunden von 125312, 1254/125513, 19. April 126914, 4. August 127315, 1. September 127316 und 14. Oktober 127417. Da nie ein Zusammenhang zwischen Raymon de la Tour und Raimund Oddonis hergestellt wird, kann es sich hier nur um zwei verschiedene und nicht die gleichen Personen handeln. Aus den Erwähnungen als Geschworener ist es auch ersichtlich, dass Raimund Oddonis als solcher in Akkon zwischen 1253 und 1274 und nicht zwischen 1251 und 1273 im Amt war. Es ist hier erstaunlich, dass Mayer hier Oddonis in der Urkunde vom 14. Oktober 1274 wohl einfach übersehen hat, obwohl die Urkunde in seiner Belegliste zu finden ist.
6Der zweite Teil der Arbeit legt das Augenmerk auf die direkten Konkurrenten, die Haute Cour (S. 66ff.), Kirche (S. 68ff.), Quartiersgerichte (S. 90ff.) und öffentlichen Notare (S. 93ff.). Mayer zeigt hier auf, wie einige von ihnen eine Zeitlang als direkte Konkurrenten zur Cour des Bourgeois agieren konnten. Das Kapitel über die Haute Cour ist ein wenig kurz geraten und bleibt Bruchstückhaft. Er bespricht hier vier Urkunden, welche zwischen 1206 und 1239 hergestellt worden sind. Es bleibt aber für den Leser unklar, ob es sich um die einzigen Urkunden handelt oder ob es noch weitere gibt. Somit weiss man nicht, ob es sich hier nur um eine Auswahl von Urkunden handelt oder bereits alle dargestellt sind. Ähnlich kurz ist das Kapitel über die Quartiersgerichte, welche das Bild dahingehend vervollständigen soll, als dass dort die öffentlichen Notare tätig waren. Die Kapitel über die Haute Cour, Kirche und Quartiersgerichte erscheinen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Notariat als Übergangskapitel, dementsprechend sind sie auch kurz, aber sehr informativ gehalten.
7Mayers Hauptaugenmerk liegt auf der Entwicklung des öffentlichen Notariats mit seinem Notariatsinstrument und wie sich dieses schlussendlich gegen die Cour des Bourgeois durchsetzen konnte. Bei seiner Einführung zu den öffentlichen Notaren, im Unterkapitel Der Aufstieg des Notariats in den Kreuzfahrerstaaten erläutert Mayer kurz, wo die Vorteile des Notariatsinstruments lagen und wie die Cour des Bourgeois hierauf reagierte. Er konzentriert sich auf die Zeit um und nach 1269 und führt an, dass sich das Notariatsinstrument im ganzen Mittelmeerraum durchsetzt und es Vorteile gegenüber dem Verfahren an der Cour des Bourgeois brachte, weswegen es ihr langsam den Tod brachte (S. 94ff.). Somit war es für ihn ein langsamer Prozess. Wie weiter oben dargestellt, kann dem nur bedingt zugestimmt werden. Schlussendlich lässt er die brisante politische Situation der Kreuzfahrerstaaten zwischen 1277 und 1291 weg, was insbesondere am Beginn dieser Periode wohl das auslösende Moment (Angevinische Herrschaft) der Durchsetzung des öffentlichen Notariats gegenüber der Cour des Bourgeois war.
8Mayer stellt den Einfluss des Abendlandes auf die Kreuzfahrerstaaten durch Schiffsnotare und Quartiersnotare sowie die Herkunft aus Italien ausreichend dar. Danach legt er in kurzen Abschnitten die ganze Tätigkeitspalette der öffentlichen Notare dar, welche vom Arbeitspensum, Ernennung bis zum Sozialstatus reicht (S. 111ff.). Diese Abschnitte sind kompakt gehalten und enthalten viele nützliche Informationen. Es handelt sich eindeutig um das Glanzstück der Arbeit.
9Den Abschluss bilden die Biographien von zwölf Notaren, welche im 12. und 13. Jh. tätig waren (S. 174ff.). In diesem Zusammenhang revidiert er seine Meinung zum öffentlichen Notar Aliotto Uguccio (S. 197ff.) über seine Tätigkeit am Gericht, indem er ihn nun nicht mehr wie bisher als Gerichtsschreiber der Cour des Bourgeois, sondern nur als deren Schreiber sieht (S. 22f., 23 Fn. 88) und bestätigt somit auch die Ansicht von Riley-Smith, dass 1260 das Gericht noch öffentliche Notare beschäftigte18.
10Betrachtet man das gesamte Werk, so belegt Mayer seine einzelnen Aussagen oder Beobachtungen zumeist mit Erläuterungen zu gefundenen Urkunden oder Nachforschungen zum Königreich Jerusalem. Die Urkunden werden auch häufig erläutert und in einen Zusammenhang gestellt, was grösstenteils Positiv ist, wie im Abschnitt Der Verfall der Cour des Bourgeois (S. 58ff). Negativ fällt manchmal auf, dass die Aneinanderreihung der Erklärung von Urkunden den Fokus vermissen lässt. Wo aber Beispiele und Beweise anhand der klammen Urkundenlage fehlen oder nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, zieht er Analogien zum damaligen Abendland. Wie beim Abschnitt über das Einkommen der Notare (S. 166ff.), bei welchem er auf die Statuten der Gebühren von Marseille verweist. Dies ist positiv zu bewerten, als dass er eindeutig versucht diese Lücken zu schliessen, damit hier ein vollständiges Bild entstehen kann.
11Die andere Hälfte des Buches besteht aus den Anhängen. Diesen muss hier besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Es enthält zwei ausserordentlich wichtige Listen für die Erforschung der Cour des Bourgeois und des öffentlichen Notariats. Beide stellen die kompletteste zurzeit verfügbare Gesamtübersicht der Vizegrafen (Appendix II) und öffentlichen Notare (Appendix IV) der Kreuzfahrerstaaten des 12. und 13. Jh. dar. Die Liste der Vizegrafen ist nach den Ortschaften aufgelistet mit Quellenangaben, was die Suche eindeutig vereinfacht. Die Liste der öffentlichen Notare hingegen ist nach Jahren gegliedert, wobei alle Urkunden, welche der betreffende Notar geschrieben hat bei dem aufgelisteten Namen aufgezählt werden. Dies macht zwar die Suche nach bestimmten Notaren im Apparat selber nicht immer einfach, insbesondere wenn sie wie Aliotto Uguccio (Appendix IV, Nr. 78, S. 409ff.) über einen längeren Zeitraum Urkunden herstellten, aber in den ausführlichen Registern zu den verwendeten Urkunden (S. 487) und Register der Vizegrafen und öffentlichen Notaren (S. 514) wird dies gut aufgefangen. Im Zusammenhang mit der Liste der öffentlichen Notare fällt negativ auf, dass Mayer Raynerius (Appendix IV, Nr. 89, S. 436) den öffentlichen Notar aus der Urkunde vom 14. März 1264 mit Renier dem festbesoldeten Gerichtsschreiber der Cour des Bourgeois, welcher in der Urkunde vom 19. April 1269 genannt wird gleichsetzt. Hierzu liefert er aber keine Beweise, sondern nimmt es nur an. Anhand nur des Namens die gleiche Person zu sehen ist hier gewagt. Beide hatten zwar mit der Urkundenherstellung zu tun, da aber auch der andere bekannte festbesoldete Gerichtsschreiber der Cour des Bourgeois in Akkon, Bienvenu19, keine weitere Bezeichnung in den Urkunden der Cour des Bourgeois hatte, muss davon ausgegangen werden, dass es sich hier um zwei verschiedene Personen handelt. Aus diesem Grund kann es anhand der heutigen Urkundenlage nur um eine Spekulation von Mayer handeln, dass beide gleichzusetzen sind.
12Bewertet man nun Mayers Werk Gesamthaft, so stellt er in der ersten Hälfte, beim ersten Teil die Institutionen der Cour des Bourgeois akkurat dar und gibt die ganze Palette an Tätigkeiten im 12. und 13. Jh. wieder. Bezogen auf die Entwicklung des Gerichts, zeichnet er aber ein Bild, dass die Cour des Bourgeois von Anfang an unter ihren Konkurrenten stark zu leiden hatte und schlussendlich das öffentliche Notariat zu ihrem Niedergang führte, wobei ihr wohl als letztes nur noch die Kriminalgerichtsbarkeit blieb. Mayer beschränkt sich ausschliesslich auf die Kreuzfahrerstaaten des nahöstlichen Festlands und lässt die Entwicklung der Cour des Bourgeois, ihrer Konkurrenten und damit das öffentliche Notariat auf Zypern im 13. Jh. fast gänzlich weg. Dies ist bedauerlich, als dass Zypern, insbesondere nach dem Beschluss der Verwaltungsreform von 1251 auch grösseren politischen Einfluss auf das Königreich Jerusalem ausübte, man bedenke König Hugo III. oder Heinrich II. Dies führt zur anderen Aussage Mayers, dass das öffentliche Notariat schlussendlich über die Cour des Bourgeois triumphierte, anhand ihrer Einfachheit und der Tatsache, dass es sich im ganzen Mittelmeerraum durchgesetzt hatte. Es stellt sich hier die Frage, weswegen dann die Reformen spätestens 1269 an der Cour des Bourgeois eingeführt wurden, wenn das öffentliche Notariat bereits zu diesem Zeitpunkt unaufhaltsam war. Nach ihm scheint es schlussendlich eine Art letztes Aufbäumen gewesen zu sein. Der ganze Komplex um den Niedergang besteht aus wenigen Indizien, was natürlich den fehlenden Urkunden nach 1274 zuzuschreiben ist. Trotzdem liefert er hier keine Hinweise auf äusserliche politisch motivierte auslösende Momente für den Niedergang, sondern schliesst die Lücke durch das Argument des unaufhaltsamen Aufstiegs des öffentlichen Notariats. Um diese Lücke glaubhaft schliessen zu können, bedarf es noch weiterer Forschungsarbeit.
13Der zweite Teil in der ersten Hälfte des Buches, welcher sich Hauptsächlich mit dem öffentlichen Notariat und einigen seiner Vertreter beschäftigt, ist rational aufgebaut und handelt die Tätigkeiten gründlich ab, so dass ein vollständiges Bild entsteht, dass praktisch keine Fragen offen lässt. Die Argumente sind hier klar und eindeutig gehalten, belegt durch Urkunden und eigene Analysen. Somit legt Mayer hier den Grundstein für die weitere Erforschung des öffentlichen Notariats in den nahöstlichen Festlandbesitzungen der Kreuzfahrerstaaten, an welchem man nicht vorbeikommt.
14Gesamthaft betrachtet handelt es sich hier um ein Standardwerk für die Tätigkeiten der Cour des Bourgeois und des öffentlichen Notariats in den Kreuzfahrerstaaten des 12. und 13. Jh., an dem man nicht vorbeikommt. Die umfangreichen Recherchen und Ausführungen belegen dies, trotz einiger Ungereimtheiten und Spekulationen, was dazu führt, dass man die Ergebnisse nachprüfen sollte. Daneben sind die Listen in den Anhängen unverzichtbar für die weitere Forschungsarbeit. Was aber den Niedergang der Cour des Bourgeois anbelangt und wie es zu diesem kam, muss in weiterer Forschungstätigkeit noch besser aufgeklärt werden.