1Der Sammelband Verfassungsdenker. Deutschland und Österreich 1870–1970 erschien 2017 als elfter Band der (zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Rezension) mittlerweile 13 Bände umfassenden Schriftenreihe zur Historischen Demokratieforschung. Die Reihe wird mit Verfassungsdenker erstmals nicht mehr vom Kölner Böhlau Verlag, sondern vom Berliner Metropol Verlag betreut, der voraussichtlich auch für die folgenden Bände als Verlag tätig sein wird. Mit Ausnahme des dritten Bands der Reihe, das als eine Monografie der Historikerin Anke John über den Weimarer Bundesstaat in der Zeit von 1918–1933 erschienen ist, übernimmt stets der Politikwissenschaftler Detlef Lehnert die Herausgeberschaft. Dieser ist in diesem Band auch mit einer ausführlichen Einführung und einem Beitrag über Leo Wittmayer vertreten. Der Band umfasst (neben der Einführung) insgesamt 12 Beiträge zu ausgewählten Verfassungsdenkern, die chronologisch folgenden Teilen/Großabschnitten zugeordnet sind: 1. Vom Kaiserreich zur Republik, 2. Von der Weimarer und Ersten Republik zur Nachkriegsperiode (jeweils fünf Beiträge), 3. Verfassungslehren der Nachkriegsdekaden mit ideen- und realhistorischen Rückblicken (zwei Beiträge).
2Mit der Überschrift der Einleitung, Deutsche und österreichische Verfassungsdenker – eine interdisziplinäre Annäherung, weist Lehnert bereits auf das Anspruchsvolle aber auch Reizvolle des Sammelbands hin; nämlich dessen durchwegs erkennbare interdisziplinäre Ausrichtung. Diese wird vor allem durch das Zusammentreffen von Autorinnen und Autoren aus den unterschiedlichsten akademischen Feldern gewährleistet, aber auch dadurch, dass viele der behandelten Verfassungsdenker – etwa Otto Hintze, Leo Wittmayer oder Wolfgang Abendroth – trotz Hauptarbeitsfeldern und einer fachspezifisch meist dominierenden akademischen Sozialisierung nur schwierig einer einzelnen Disziplin zuzuordnen sind. Trotz eines unverkennbaren Überwiegens rechtswissenschaftlicher Zugänge umfasst der Band somit insbesondere auch politikwissenschaftliche und geschichtswissenschaftliche Beiträge, wobei – korrespondierend mit den Biografien der vorgestellten Verfassungsdenker – einige der beitragenden Autorinnen und Autoren des Bands sich ebenfalls im „Übergangsbereich“ zwischen verschiedenen Disziplinen bewegen (S. 10 f.). Der Titel Verfassungsdenker wirft zunächst die Frage auf, inwieweit dieser Begriff von der in Deutschland und Österreich weiter verbreiteten Bezeichnung der „Staatsdenker“ (Staatstheoretiker) zu unterscheiden ist (S. 7). Mit der Betonung von Verfassung in Verfassungsdenker werden von der Auswahl zunächst Personen umfasst, die über eine ausgewiesene Expertise im Bereich des Verfassungsrechts verfügten. Da das Lebenswerk dieser Denker neben einer weit fortgeschrittenen Reflexion des Verhältnisses zwischen Recht und Politik meist auch durch unterschiedliche Tätigkeiten außerhalb des akademischen Felds gekennzeichnet war, wird der gegenüber Verfassungsjuristen (im engeren Sinn) offenere Begriff Verfassungsdenker gewählt. Für die Auswahl der Vertreter kommt häufig auch das Kriterium eines nachgewiesenen direkten Einflusses auf die inhaltliche Ausgestaltung der jeweiligen Verfassungen zum Tragen, wie dies etwa bei den „Verfassungsvätern“ Hans Kelsen und Hugo Preuß der Fall ist (S. 9). Als Verfassungsdenker wird somit vor allem eine zwischen dem engeren Bereich der Verfassungsjuristen und dem weiter (gedachten) Bereich der Staatsdenker zu verortende Auswahl von Personen bezeichnet, die besonders durch ihre interdisziplinäre Herangehensweise hervorstechen. Im Folgenden werden die einzelnen Beiträge vorgestellt, wobei selbstverständlich lediglich ein querschnittartiger Eindruck der verschiedenen thematischen Zugänge erfolgen kann und keine umfassende Inhaltsangabe. Eine solche findet sich im Band mit weiteren Querverweisen in der Einleitung von Lehnert.
3Ewald Grothe behandelt mit Otto Hintze im ersten Beitrag des Teils – Vom Kaiserreich zur Republik – die bezüglich des (primären) akademischen Hintergrunds größte Ausnahme der vorgestellten Verfassungsdenker (vgl. S. 10). Hintze, der im Anschluss an die Geschichtswissenschaft als Zweitstudium Rechts- und Staatswissenschaften und aufgrund des damals vorgesehenen Studienplans auch Nationalökonomie studierte, wird als ein Beispiel dafür präsentiert, wie manche Personen zwischen ‚verschiedenen (disziplinären) Stühlen sitzend‘ das Verfassungsdenken ihrer Zeit zu prägen vermochten (vgl. S. 48, 357). Hintze wurde um 1900 seine unterschiedlichen Perspektiven beruflich vereinend die Lehrbefugnis am neugeschaffenen und einzigartigen Lehrstuhl mit dem Namen „Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“ eingeräumt (S. 50). Grothe beschreibt unter anderem, wie Hintze schon früh die Bedeutung der damals noch jungen Disziplin der Soziologie für die Geschichtswissenschaft betonte (vgl. S. 61), und auch, dass die berühmte Webersche „Definition des Idealtyps“ (die auch bei Georg Jellinek auftaucht) bemerkenswerterweise bereits bei Hintze in einer frühen Fassung in Form von „realen Typen“ 1897 vorzufinden war (S. 53).1
4Yasuhiro Endos Studie Die Bundesstaatslehre von Otto von Giercke behandelt unter anderem, inwieweit sich Gierckes (Verfassungs-)Denken mit der Bundesstaatslehre von Paul Laband vergleichen lässt, wobei Endo viele Gemeinsamkeiten entdeckt. Zudem wird Gierkes an klassische Kontrakttheorien angelehntes Konzept der „Verfassung als Gesamtüberzeugung“ vorgestellt (S. 74). In einem Querverweis beschreibt Endo dabei die seitens Carl Schmitt geäußerte Kritik gegenüber Giercke und klassischen Kontrakttheorien, nämlich, dass die „Frage nach dem Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt“ offengelassen wird (S. 64).
5Christoph Müllers folgender Beitrag mit dem Titel Otto Gierke und Hugo Preuß – Aspekte von Nähe und Ferne schließt thematisch direkt an Endos Studie an. Mit „[n]irgends mehr, als wo ich ihn bekämpfe, fühle ich mich als Gierke’s Schüler“ wird Preuß zitiert (S. 85),2 der u. a. auf die problematische Übertragung privatrechtlichen Denkens auf das Staatsrecht bei seinem Lehrer hinweist. Müllers Beitrag stellt insofern eine Besonderheit dar, da – wie in Sammelbänden nicht selbstverständlich – ein direkter Bezug zum voranstehenden Beitrag hergestellt wird. Müller teilt nicht die Ansicht von Endo, dass Gierke eine „‚Bundesstaats‘-Theorie“ entwickelt habe und verweist zur Untermauerung unter anderem auf ein Zitat von Georg Jellinek: „Die eigentliche Entstehung des Norddeutschen Bundes lässt sich nicht juristisch ableiten.“ (S. 93).3 Neben einer ausführlichen Begründung der Kritik an Endo fasst Müller am Ende seines Beitrags schließlich das komplizierte Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Gierke und Preuß zusammen, womit auch die nicht zu unterschätzende persönliche Ebene akademischer Werdegänge thematisiert wird.
6Armel Le Divellec behandelt mit Robert Redslobs Theorie des Parlamentarismus einen vergleichsweise unbekannten Staatsrechtler (vgl. S. 107), dessen Einfluss – wie sich durch Verweise auf Redslob seitens Preuß’ belegen lässt – allerdings nicht zu unterschätzen ist. Le Divellecs Darstellung besteht vor allem in einer scharfen Kritik an Redslob. Sowohl sein Sprachstil (vgl. S. 127) als auch seine methodisch „fragliche vergleichende Dimension“ wird kritisiert (S. 129). Le Divellec fasst seine Einwände schließlich in einem Fazit zusammen: „Nun pointiert: Die von Redslob behauptete (angeblich) ‚echte‘ Form des Parlamentarismus ist verfassungstheoretisch und verfassungsrechtlich schlicht unhaltbar.“ (S. 133) Auch die zeitgenössische Kritik an Redslob wird dargestellt, wobei dabei auch der im folgenden Beitrag des Bands behandelte Verfassungsdenker Leo Wittmayer zitiert wird, der sogar so weit ging, Redslobs Parlamentarismustheorie als eine „Irrlehre“ zu bezeichnen (S. 131).
7In Detlef Lehnerts Beitrag Leo Wittmayer: Das Politische in den Verfassungsordnungen werden ebenfalls verschiedene Denker und deren Zugänge verglichen. Unter anderem wird erläutert, inwieweit Wittmayer zur rechtspositivistischen Schule gezählt werden kann. Er kommt zu dem Schluss, dass Wittmayer im Vergleich zu Kelsen eine weniger strikt getrennte „fachmethodisch[e]“ Ausdifferenziertheit und eine Neigung „zu einer doppelgleisigen Betrachtung und zusätzlichen Leitfragen des Politischen“ aufweist (S. 146). Lehnerts Ansicht unterscheidet sich somit von jener Michael Stolleis’, der Wittmayer zu den „betonte[n] Positivisten“ zählt (S. 147).4 Als Argument dafür, dass Wittmayers Ansicht nach „[r]echtliche Formen […] stets nur einen politischen Inhalt umrahmen“ (S. 149), geht Lehnert am Ende seines Beitrags auf einen diesbezüglich aufschlussreichen Vortrag Wittmayers zu „Österreichs Verfassungsentwicklung“ aus dem Jahr 1927 ein (S. 159f).
8Tamara Ehs und Heinrich Neisser leiten den zweiten Teil des Bands – Von der Weimarer Republik und ersten Republik zur Nachkriegsperiode – mit einer Studie zum ‚Vater der Österreichischen Verfassung‘ ein. In Staat und Recht ohne Aura: Hans Kelsen und der Verfassungsgerichtshof beleuchten die beiden Autoren insbesondere, inwieweit sich Kelsens „Demokratietheorie“ durch dessen Zeit als Richter am Verfassungsgerichtshof zu einer „Verfassungspolitologie“ (weiter)entwickelt hat (S. 172). Besonders hervorgehoben wird Kelsens realistische Haltung gegenüber dem politischen Einfluss auf den VfGH, vor allem was die Besetzung der Richter betrifft. Im Beitrag wird auch allgemeiner das Verhältnis zwischen Recht und Politik sowie die – in neueren Rechtstheorien häufig thematisierte – Vermengung von Rechtserzeugung und Rechtsanwendung thematisiert (vgl. S. 182).5 Als aktuelles Fallbeispiel wird schließlich die Anfechtung der österreichischen Bundespräsidentenwahl aus dem Jahr 2016 herangezogen, für deren juristische Beurteilung erneut Kelsens Denken eine prägende Rolle spielte (vgl. S. 192).
9Ulrike Lembke behandelt einen bekannten Schüler Kelsens. In Adolf Julius Merkls Stufenbau der Rechtsordnung. Rechtsstaat, demokratiekompatible Verrechtlichung und das Jenseits des positiven Rechts stellt sie Merkl als einen Verfassungsdenker vor, der nicht nur neben seiner im ersten Weltkrieg zensierten Kritik am Kaiserlichen Notverordnungsrecht ein verfassungsrechtliches Gespür bewiesen hat (S. 197), sondern der auch als „Pionier des Naturschutzes“ Österreich zu einer diesbezüglichen Vorbildrolle verhalf (S. 199). Insbesondere wird auf seine bekannte Stufenbaulehre eingegangen, wobei davon „ausgehend die Verrechtlichung von Staatslehre wie Verfassungswissenschaft als programmatisches (Lebens)Projekt“ betrachtet wird, womit weniger erforschte Aspekte in Merkls Verfassungsdenken beleuchtet werden sollen (S. 218).
10Dian Schefold fasst in Willibalt Apelt und das Weimarer Verfassungserbe zunächst gut verständlich und gegliedert das Leben und Wirken des durch die Mitarbeit an der Weimarer Verfassung bekannten Willibalt Apelt zusammen und lässt dabei auch Autobiografisches einfließen, indem er über seine Lektürearbeit für Apelt als junger Student schreibt (S. 219). Das Leben dieses „Grenzgänger[s] zwischen Universitäts- und hohen politischen Beamtenstellungen“ (S. 20) ist in fünf Lebensabschnitte gegliedert, die über einen Zeitraum von der Weimarer Republik bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reichen, wodurch im Vergleich zu anderen Beiträgen des Bands klar die Biografie ins Zentrum rückt.
11Kathrin Groh ist mit einer Studie zu Hans Nawiaskys Bundesstaatstheorie vertreten. Sie vergleicht die Bundesstaatstheorie des für die bayrische Verfassung bedeutsamen Verfassungsdenkers Nawiaskys mit jener von Kelsen. Kelsen musste – so Groh – in seiner Reinen Rechtslehre im Gegensatz zu Nawiasky „den Gesamtstaat nicht als souveränes Rechtssubjekt mit soziologischer Existenz veranschaulichen“, was in Hinblick auf die Konsistenz der Theorie als vorteilhaft betrachtet wird (S. 252). Groh beschreibt zudem anschaulich, wie sich aufgrund der unterschiedlichen Theoriegebäude auch der Begriff der Verfassung bei beiden Denkern unterscheidet (vgl. S. 254) und infolgedessen bei Nawiasky dem Verfassungsgerichtshof bei „Bund-Länder-Streitigkeiten folglich“ eine „analoge Position“ wie internationalen Gerichtshöfen zuzuschreiben ist (S. 259).
12Hans-Christoph Kraus behandelt schließlich jenen Verfassungsdenker, bei dem das Verhältnis zwischen Person und Werk nach wie vor für viel Diskussionsstoff sorgt. In Carl Schmitts „Verfassungslehre“: Systementwurf und Zeitdiagnose stellt Kraus einen der wichtigsten Kerngedanken Schmitts vor, nämlich, dass „[d]ie politische Dimension einer Verfassung […] nicht durch eine rein formale Reduktion der Verfassung [zu] verdrängen oder eliminieren“ sei (S. 267). Darauf aufbauend skizziert er die Systematik von Schmitts berühmtem Werk Verfassungslehre aus dem Jahr 1927, wobei Kraus die Stellung der Grundrechte (vgl. S. 272), die Konzeption der „verfassungsgebenden Gewalt“ und die „fünf grundlegenden politischen Entscheidungen“ besonders hervorhebt (S. 282–283).
13Robert Chr. Van Ooyens Beitrag im letzten Teil des Sammelbands – Verfassungslehren der Nachkriegsdekaden mit Ideen- und Realhistorischen Rückblicken – beinhaltet einen Theorievergleich von gleich drei Verfassungsdenkern. In Verfassungspolitologie des demokratischen „Verfassungsrealismus“. Von Lassalle über Kelsen zu Karl Loewenstein beschreibt Van Ooyen eingehend die das „‚verfassungspolitologische[.]‘ Fundament“ bei Loewenstein, Kelsen und Ernst Fraenkel verbindende realistische Auffassung des „Verhältnis[ses] von Verfassung und Gesellschaft“ (S. 294). Der viele bereits im Band thematisierten Verfassungsdenker in Verbindung setzende und gut gegliederte Beitrag widmet sich schließlich auch näher der „systemischen Relevanz“ der positivistischen Verfassungspolitologie Karl Loewensteins (S. 318).
14Peter Steinbach behandelt im letzten Beitrag des Bands Wolfang Abendroth, der bezeichnenderweise zusammen mit Kelsen und Schmitt als dritter Denker auf dem Cover des Sammelbands abgebildet ist. In Wolfgang Abendroth: Das Sozialstaatspostulat als Verfassungsauftrag wird mit Abendroth ein Verfassungsdenker vorgestellt, der trotz seines Bekenntnisses zum Marxismus und der Auffassung „der Kampf um das Streikrecht […] [sei] ein Kampf um Demokratie“ (S. 330) weit „[M]ehr als ein ‚Partisanenprofessor‘“ war (S. 324).6 Im Beitrag von Steinbach wird unter anderem aufgezeigt, warum Abendrohth stets Wachsamkeit gegenüber der Gefahr einer „[p]seudodemokratische[n] Überformung“ staatlicher Institutionen einforderte und inwieweit er dadurch das Verfassungsdenken seiner Zeit prägte (S. 348).
15Das Gesamtbild eines Sammelbands darzustellen, bei dem Beiträge von Autorinnen und Autoren verschiedener Disziplinen vereinigt sind, ist schwierig, insbesondere dann, wenn beabsichtigt wird, auch inhaltliche Eckpunkte der einzelnen Beiträge kurz zu skizzieren. Im Idealfall kann dies neben einer Rezension vor allem durch die Einleitung eines Sammelbands gelingen, indem ein Überblick über – wie in diesem Fall notwendigerweise – verschiedene Disziplinen und Zugänge hinweg, verschafft wird. Lehnert meistert diese Aufgabe mit seiner Einleitung in Verfassungsdenker durchaus gut. Darin werden die einzelnen Beiträge der Autorinnen und Autoren auch inhaltlich kurz dargestellt und bereits Entwicklungslinien nachgezeichnet. Diese Einleitung bietet somit für Leserinnen und Leser mit einem politik-, geschichtswissenschaftlichen oder juristischen Hintergrund gleichermaßen einen guten Einstieg in das komplexe Thema. Besonders zugänglich bzw. hilfreich ist dabei der letzte Teil der Einleitung, bei dem auf die verknüpfenden Aspekte der Verfassungsdenker eingegangen wird, beispielsweise sich oft überschneidende akademische, politische und religiöse Hintergründe der Denker.7
16Der Argumentationsaufbau und der generelle Schreibstil in den einzelnen Beiträgen ist – wie in einem Sammelband typisch – jeweils sehr unterschiedlich. Da viele Disziplinen vertreten sind, fallen diesbezügliche Differenzen deutlicher ins Auge als in einem Sammelband mit Vertreterinnen und Vertretern einer einzelnen Disziplin. Dies ist nicht als Kritik zu verstehen, denn gerade beim unterschiedlichen Sprachgebrauch werden Sozialisierungsprozesse hinter verschiedenen wissenschaftlichen Zugängen sichtbar, was durchaus auch für das bessere Verständnis einiger Verfassungsdenker instruktiv sein sollte. Bei der Gliederung der einzelnen Beiträge ist ebenfalls eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung auffallend. Während manchmal klar das Werk des Denkers das primäre Forschungsinteresse darstellt, ist es auch manchmal dessen Biografie oder generell dessen Einfluss auf die Wirkung- und Wissenschaftsgeschichte. Was die Leserfreundlichkeit der einzelnen Studien betrifft ist schließlich der Beitrag zu Nawiasky positiv hervorzuheben, wo Kathrin Groh zu Beginn eine Kurzbiografie des Denkers voranstellt. Ein kurzer Überblick in diesem Stil wäre auch bei den anderen Beiträgen eine gute Ergänzung gewesen, um den jeweiligen Zugang zu erleichtern. Was die Übersichtlichkeit betrifft, so ist anzumerken, dass dadurch, dass die Verfassungsdenker im Titel der einzelnen Beiträge klar bezeichnet werden, trotz fehlendem Stichwortverzeichnis bestimmte Denker/Passagen schnell wiederzufinden sind.
17Besonders lehrreich und spannend sind jene Stellen im Sammelband, bei denen konkret die verschiedenen Einflüsse auf die Verfassungsdenker im jeweils zeitgenössischen Kontext ersichtlich werden, da dadurch das Verfassungsdenken immer nachvollziehbarer als Teil der Ideengeschichte verstanden werden kann. Solche Passagen tauchen erfreulicherweise immer wieder im Band auf, insbesondere dann, wenn die verschiedenen Beiträge aufeinander verweisen oder der direkte Einfluss eines früheren Denkers hervorgehoben wird. Der Sammelband ist somit insgesamt nicht nur für Fachleute – insbesondere im Bereich des Verfassungsrechts forschende und/oder praktizierende Juristinnen und Juristen –, sondern auch allen anderen am Thema Interessierten als eine intellektuell anspruchsvolle „Galerie der Verfassungsdenker“ zu empfehlen (S. 107).