Zeitschrift Rezensionen

Rezensiert von: Saskia Lettmaier*

Barbara J Shapiro, Law Reform in Early Modern England. Crown, Parliament and the Press Hart Publishing, Oxford 2019, 266 S., ISBN 9781509934218

1„Law reform“ verbindet man in der englischen Rechtsgeschichte vor allem mit den zwei Dekaden zwischen 1640 und 1660. Insbesondere Donald Veall hat für diesen Zeitraum ein erstes, von einer breiten Masse der Bevölkerung getragenes Bemühen um Rechtsreform beschrieben.1 Deswegen überrascht es, dass Barbara Shapiro, eine Professorin Emerita für Rhetorik an der University of California, Berkeley, ihr jüngstes Buch dem Thema Rechtsreform im gesamten frühneuzeitlichen England, vom Amtsantritt Heinrich VIII. im Jahr 1509 bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, widmet. In dieser deutlich größeren zeitlichen Spannweite setzt sich Shapiro bewusst von früheren Forschungsarbeiten wie der von Veall ab. Ihr zentrales Anliegen ist es, die hinlänglich bekannten Reformbestrebungen der Bürgerkriegszeit und des Interregnums in Beziehung zu setzen zu früheren und späteren Bemühungen um Rechtsreform. Zu diesem Zweck legt sie ein weites Verständnis von Rechtsreform zugrunde – „to include not only what contemporaries wished to change in the common law and the statutes, but also their efforts to reduce the cost of litigation and improve the courts, the legal profession and the literature of the law“ (S. 2). Die Grundaussage von Shapiros Buch ist, dass sich im England der frühen Neuzeit zwei Reformbewegungen unterscheiden lassen: Eine essentiell konservative („moderate movement“), die darauf abzielte, das bestehende Rechtssystem lediglich zu verbessern, aber in seinen Grundfesten unangetastet zu lassen; und eine radikale Variante, „which sought to overthrow existing law and courts and replace them with alternatives based in different visions of law and policy“ (S. 3). Während die radikale Reformbewegung auf die Revolutionsära beschränkt blieb, lässt sich eine gemäßigte Reformbewegung nach Shapiro nicht nur für die Zeit von 1640 bis 1660 nachweisen, sondern bis in das frühe 16. Jahrhundert zurück- und bis in das 18. Jahrhundert hinein weiterverfolgen.

2Die sieben Kapitel des Buches (nebst Einleitung und Schluss) stehen in einer chronologischen Reihenfolge: Sie beleuchten Reformen unter den frühen Tudors (Kapitel 2), Elizabeth I. (Kapitel 3), den frühen Stuarts (Kapitel 4), während des Bürgerkriegs und Interregnums (Kapitel 5 und 6), im Restaurationszeitalter (Kapitel 7) sowie nach 1688 (Kapitel 8). Auch inhaltlich folgen sie einem ähnlichen Aufbau: Für jeden Zeitabschnitt werden die zentralen Reformanliegen der Krone und des Parlaments herausgearbeitet und mit den jeweiligen Reformergebnissen abgeglichen. Dabei zeigt sich, dass die Reformanliegen häufig die gleichen waren: Das Ziel war in erster Linie eine verbesserte Administration des geltenden Rechts durch klarere Zuständigkeitsabgrenzungen, verbesserte Verfahren und das Abstellen von Missständen im Richter- und Anwaltsstand. Mit dem materiellen Recht dagegen zeigte man sich in jeder Epoche im Großen und Ganzen zufrieden. Das Bemühen blieb hier – abgesehen von einigen wenigen Teilbereichen, wie insbesondere dem Strafrecht – auf eine Verbesserung des Zugangs zu juristischem Wissen (durch law reports, abridgements und systematische Darstellungen) beschränkt.

3Die Epochen ähneln sich nicht nur in ihren Reformanliegen, sondern auch in ihren – jeweils mageren – Reformergebnissen. „Corruption, Grievances, Abuses, Delays, Vexations, Exactions und unnecessary expenses in the Law of Correction of Public Justice“ (S. 164) stehen schon unter Heinrich VIII. auf der Reformagenda – unter den Restaurationsmonarchen tun sie das immer noch. Erfolg lässt sich den Reformbemühungen noch am ehesten bei der verbesserten Erfassung des geltenden Rechts bescheinigen. Immerhin steht am Ende des Betrachtungszeitraums, in der Mitte des 18. Jahrhunderts, ein für den (angehenden) Juristen verfasstes Gesamtwerk zum geltenden englischen Recht wie Blackstones Commentaries. Dieser Teilerfolg mag damit zusammenhängen, dass diese „Reform“ nicht auf parlamentarische Mitwirkung angewiesen war. Denn in allen Epochen galt: „Completing parliamentary legislation [… was] difficult and time-consuming, and few bills of any kind became statutes“ (S. 163).

4Abschließend sei noch auf zwei Schönheitsfehler des Buchs hingewiesen. Bei Shapiros Auflistung der von ihr betrachteten Reformträger im Untertitel des Buchs „Crown, Parliament and the Press“ – fällt eine Auslassung ins Auge: Rechtsfortbildung durch die Gerichte spielt in ihrem Werk keine Rolle. Diese Auslassung ist gerade für ein common-law System wie England bedenklich. Zwar ist Shapiro zuzugeben, dass „[j]udges rarely admitted that they were agents of legal change“ (S. 8). Andererseits aber teilt sie selbst die Ansicht von Matthew Hale mit, dass Rechtsreform nach Möglichkeit nur durch Richter und Gerichte stattfinden solle, „without troubling a Parliament“ (S. 178). Bekanntermaßen waren die englischen Gerichte im 18. Jahrhundert die wohl wichtigsten Schrittmacher für die Ausbildung eines modernen Handels-, Vertrags- und Deliktsrechts.2 Gerade angesichts des von Shapiro zugrunde gelegten weiten Verständnisses von Rechtsreform, das auch gemäßigte und nicht sogleich sichtbare Rechtsverbesserungen und -verbesserungsbemühungen erfassen soll, ist das gänzliche Übergehen der Gerichte nur schwer nachzuvollziehen. Fortentwicklungen im Bereich des materiellen Rechts, die wohl vor allem durch die englischen Gerichte vorangetrieben wurden, nach Shapiros Schilderung jedenfalls in den Reformdebatten, die im Parlament und in der Presse ausgetragen wurden, nur eine marginale Rolle spielten, drohen so aus dem Blickfeld zu geraten. Profitiert hätte das Buch zudem – und das ist ein zweiter, wenngleich kleinerer Kritikpunkt – von einem Literaturverzeichnis.

Rezension vom 17. September 2020
© 2020 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
17. September 2020

DOI: https://doi.org/10.26032/fhi-2020-009

  • Zitiervorschlag Rezensiert von: Saskia Lettmaier, Barbara J Shapiro, Law Reform in Early Modern England. Crown, Parliament and the Press (17. September 2020), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net/2020-09-lettmaier/