- I. D.19.2.31: Übersetzung und Analyse
- II. Problemstellungen in D.19.2.31
- III. Zur Autorenschaft des Alfenus
- A) Alfenus, Servius und Paulus
- B) Lösungsansätze der Interpolationenkritik: Eine Auswahl
- C) Zur Textstufenforschung Mayer-Malys
- IV. Zur rechtlichen Natur der actio oneris aversi
- A) Die actio oneris aversi als sachverfolgende oder pönale Klage?
- B) Lösungsansätze der Interpolationenkritik
- C) Die actio oneris aversi als pönale Klage
- V. Zum Eigentumserwerb in D.19.2.31
- A) Das Rechtsverhältnis zwischen Beladern und Reeder
- 1) Mengeneigentum
- 2) Doppelverhältnis
-
a) Das
mutuum alscausa des Eigentumsübergangs -
b) Das
depositum irregulare alscausa des Eigentumsübergangs - 3) Der Eigentumsübergang im Rahmen der locatio conductio
- B) Eigentumsübergang und Gefahrtragung
I. D.19.2.31: Übersetzung und Analyse
1Alfenus libro quinto digestorum a Paulo epitomatorum
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8Alfenus, im fünften Buch der von Paulus epitomierten Digesten
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15Mehrere hatten Getreide in ein dem Saufeius gehörendes1
Schiff geladen2. Zwischen Beladern und dem Reeder ist offensichtlich ein als
16Der Jurist antwortet allgemein: Es gebe zwei Arten von Werkverträgen; bei einem müsse genau die übergebene Sache, an der das Werk auszuführen sei, wieder zurückgegeben werden, bei dem anderen genüge die Erstattung einer Sache gleicher Art und Güte. In erstem Fall bleibe der
17Analog betrachtet der Jurist vorliegenden Fall: Das Korn, nunmehr Eigentum des Saufeius, sei dem ersten Belader korrekt zurückerstattet worden. Hätte Saufeius das Getreide eines jeden abgetrennt von dem Getreide des jeweils anderen erhalten, wäre er nicht Eigentümer geworden, und hätte folglich nur das Getreide zurückgeben dürfen, das im Eigentum des jeweiligen Beladers stand. Andernfalls hätte jeder andere Eigentümer vindizieren, und, wie Alfenus später feststellt, daneben mit der
II. Problemstellungen in D.19.2.31
18D.19.2.31 wirft zwei zentrale Problemkreise auf, die – trotz wechselseitiger Bezüge – voneinander abzugrenzen sind: Einerseits die
19Die
20Besondere Aufmerksamkeit verdient dieser Eigentumsübergang vorliegend mit Blick auf den Haftungsmaßstab des nunmehr zum Eigentümer gewordenen
21Die Studie versucht, die genannten Problemkreise in ein in sich schlüssiges System zu integrieren, ohne weitergehende Eingriffe in die textuale Grundlage vornehmen zu müssen. Insbesondere in Auseinandersetzung mit Exegesen aus dem Bereich der Interpolationenkritik dient sie dem Nachweis einer tatsächlich widerspruchsfrei erfolgten Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch den Juristen in D.19.2.31.
III. Zur Autorenschaft des Alfenus
A) Alfenus, Servius und Paulus
22D.19.2.31 stammt aus dem fünften Buch der von Paulus epitomierten Digesten des Alfenus, die dieser primär dem
23Bearbeitungen durch Paulus erscheinen insoweit möglich, als in Epitome-Werken erklärende Einfügungen und Erweiterungen bis hin zu Eigenwilligkeiten durchaus als zulässig betrachtet wurden.15
Die Problematik der Autorenschaft des Servius im Rahmen der alfenischen Digesten sei mit dem Hinweis versehen, dass Servius als herausragende Autorität der späten Republik in den justinianischen Pandekten überdurchschnittlich oft erwähnt wird, und also eine häufige Nennung in den Digesten des Alfenus allein noch kein ausreichendes Indiz für eine überwiegende Sammlung servianischer Responsen sein kann.16
Eine Beeinflussung des Alfenus durch seinen Lehrer bis hin zur Übernahme einzelner Positionen scheint nicht ungewöhnlich; dass allerdings die Digesta des Alfenus lediglich Veröffentlichungen servianischer
24Für D.19.2.31 im Speziellen können vor diesem Hintergrund abschließende Aussagen über die Urheberschaft nicht getroffen werden. Die Darstellung, die neben der Antwort auf die gestellte Frage Ausführungen zu weiteren, nicht betroffenen Randgebieten der aufgeworfenen Rechtsfrage bereithält und gegen Ende zum Ausgangsfall19 zurückkehrt, ist jedenfalls mit Blick auf eine mögliche didaktische Zielsetzung der Ausführungen typisch für die Digesta des Alfenus.20
25Ein Teil der Literatur ordnet zumindest den Abschnitt
B) Lösungsansätze der Interpolationenkritik: Eine Auswahl
26Die Interpolationenkritik hat die Autorenschaft des Alfenus auf ein minimales Grundgerüst reduziert.26
Bereits Huvelin sieht den Text lediglich bis
C) Zur Textstufenforschung Mayer-Malys
27Mayer-Maly stellt Servius-Alfenus – die er gleichsetzt – und Paulus nicht einen, sondern zwei nachklassische Bearbeiter gegenüber; damit will er fünf Autoren in D.19.2.31 erkannt haben.32 Neben der Sachverhaltsbeschreibung trage allein
28Ob sich diese wertende Einteilung halten lässt, erscheint fraglich. Zurückhaltung35 ist dort geboten, wo Mayer-Maly den letzten Teil des Schlusssatzes 36 abtut, während etwa de Santis ihn für „elegantemente esposta“37 hält. Überhaupt kann daran gezweifelt werde, dass all die Stellen, die Mayer-Maly dem zweiten nachklassischen Bearbeiter zuschreibt, tatsächlich „zur begrifflichen Erfassung des Falles wenig beitragen“38
. Es handelt sich hierbei – wie Mayer-Maly auch feststellt – um „Beispiele für die duo genera“ oder andere Einfügungen explikativer Natur.39 Der Beleg aufgestellter Thesen durch Beispiele ist – insbesondere angesichts didaktischer Tendenzen des Alfenus – methodisch nicht ungewöhnlich, und trägt gerade dazu bei, die begriffliche Erfassung des Falles zu unterstützen.40 Schließlich müssten die nachklassischen Bearbeiter Alfenus‘ Rechtssicht vollständig in ihr Gegenteil verkehrt haben, wollte er tatsächlich den
29Weder über eine mögliche Autorenschaft des Servius noch über die textualen Eingriffe des Paulus lässt sich abschließend urteilen, und im Bereich nachklassischer Bearbeitungen bleibt – wie exemplarisch erörtert wurde – vieles hypothetisch. In neuerer Zeit tritt die Literatur Interpolationsvermutungen zurückhaltender gegenüber, und versucht verstärkt, das überlieferte Textmaterial ohne weitergehende Eingriffe in einen systematisch schlüssigen Zusammenhang zu integrieren.45
IV. Zur rechtlichen Natur der actio oneris aversi
A) Die actio oneris aversi als sachverfolgende oder pönale Klage?
30Bezieht man das erste
B) Lösungsansätze der Interpolationenkritik
31Durch Texteingriffe konnte die Interpolationenkritik die Problematik weitgehend umgehen.47 Huvelin lässt die
32Davon abgesehen, dass der dingliche Eigentumserwerb einen möglichen vertraglichen Anspruch aus der
33Mayer-Maly kann den Widerspruch im Sinne der Textstufen lösen, indem er nur
34In jüngere Zeit fällt Cardillis Versuch, Alfenus‘ Ausführungen als Propagierung milder Rechtsmittel zu deuten:51 So vindiziert werden könne, missbillige Alfenus die
C) Die actio oneris aversi als pönale Klage
35Ob Alfenus tatsächlich einen derartigen Widerspruch konstruiert hat, ist zweifelhaft. Trotz sprachlicher Auffälligkeiten kann
36Verschiedene Anhaltspunkte machen diese Lösungsmöglichkeit plausibel: Alfenus schrieb das in D.19.2.31 überlieferte
37Unter diesen Gesichtspunkten ist
38Da die
V. Zum Eigentumserwerb in D.19.2.31
A) Das Rechtsverhältnis zwischen Beladern und Reeder
39Mit ihrer Einordnung des Textes in D.19.2
40Alfenus geht von einem Werkvertrag in Form einer
1) Mengeneigentum
41Alfenus benennt
42Das Ergebnis erscheint schlüssig, und man möchte meinen, Alfenus deute diese Möglichkeit an, wenn Saufeius das Getreide an den
43Auch in
2) Doppelverhältnis
a) Das mutuum als causa des Eigentumsübergangs
44Der von Alfenus postulierte Eigentumsübergang und seine angebliche Unvereinbarkeit mit der
45Der Schluss von
b) Das depositum irregulare als causa des Eigentumsübergangs
46Ob das ferner in Form eines Gelddepositum zum Vergleich herangezogene
47Ein
3) Der Eigentumsübergang im Rahmen der locatio conductio
48Die Möglichkeit eines Eigentumsübergang auf den
49Pomponius libro nono ad Quintum Mucium.
Scribit Quintus Mucius: si aurum suum omne pater familias uxori suae legasset, id aurum, quod aurifici faciundum dedisset aut quod ei deberetur, si ab aurifice ei repensum non esset, mulieri non debetur (...).
50Quintus Mucius berichtet von einem Ehemann, der seiner Frau sein gesamtes Gold vermacht hatte. Ein Teil des Goldes ist noch in Händen eines Goldschmiedes: Zum einen das Gold, das der Ehemann ihm gegeben hatte, damit er etwas herstellt, zum anderen das Gold, das der Goldschmied dem Ehemann schuldet und bisher noch nicht geleistet hat. In beiden Fällen steht nach Meinung des Quintus Mucius der Ehefrau das Gold nicht zu.
51Benke sieht in dem zweiten Fall das übergebene Gold ununterscheidbar in den Goldvorräten des
52Eigentumsrechtlich relevant ist dagegen in dem ersten Fall die Zurückweisung eines etwaigen Begehrens der Witwe auf dieses Gold, das ihr Ehemann dem Goldschmied
53Dieser Eigentumsübergang vollzieht sich, wie Benke zeigen konnte, nicht im Wege der
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55Nicht anzunehmen ist allerdings, wie Benke meint, dass dem
B) Eigentumsübergang und Gefahrtragung
56Da Alfenus den Eigentumsübergang im Rahmen einer
57Die Übertragung des Eigentums wird für die republikanische Zeit gemeinhin als Mittel gesehen, das Risiko des zufälligen Untergangs der Sache dem
58Während sich bei Quintus Mucius in D.34.2.34 pr. tatsächlich keine Einlassungen zu der Gefahrtragungsproblematik finden, weist Alfenus die Sachgefahr gerade nicht dem Reeder, sondern den Befrachtern zu. Saufeius könne allein für
59Verhalten wird man bereits in Zweifel ziehen können, dass dem republikanischen Werkvertrag die
60Éva Jakab hat unter Heranziehung graeco-ägyptischer Papyri diesem sachenrechtlichen Zugang ein Modell des Transportvertrages entgegengesetzt. Ihre Rekonstruktion des im Mittelmeerraum üblichen Frachtvertragsformulars sieht vor, dass der Schiffer nach Quittieren der erhaltenen Menge für die Rückgabe dieser Menge hafte; Verluste aufgrund mangelnder Sorgfalt musste er ersetzen, nur die ‚typisierten Fälle der Seegefahr’ blieben ausgeschlossen.109 Nach diesem Muster sei auch der Frachtvertrag des Saufeius geschlossen worden. Einen Eigentumsübergang will Jakab nicht erkennen; durch die Zumessung zum Transport sei dem Schiffer lediglich das Recht zugestanden worden, bei der Verteilung des Getreides am Zielort jedem einzelnen Befrachter die ihm zustehende Menge durch Zumessung auszufolgen.110
61Mit dem von ihr gezeichneten reichen Bild der Vertragsgestaltung im Mittelmeerraum, deren Einfluss auf die römische Vertragsgestaltung plausibel ist,111 zeigt Jakab eine große Flexibilität schuldrechtlicher Gestaltungsformen auf. Dies stärkt insbesondere die Vermutung, dass der republikanischen Jurisprudenz eine
62Die in D.19.2.31 und D.34.2.34 pr. postulierte Eigentumsstellung, deren obligatorische Bindung den neuen Eigentümer an der freien Verfügung über die erlangte Sache hindert, führt nicht zu einer Zufallshaftung des Erwerbers: Der vertragliche Haftungsmaßstab soll (und kann) von der Eigentumsübertragung offensichtlich unberührt bleiben. Für die Möglichkeit dieser Differenzierung von vertraglichem Haftungsmaßstab und dinglicher Eigentumszuordnung in republikanischer Zeit haben Benke117 und Bürge118 wertvolle Nachweise gegeben. Das Motiv des Eigentumsübergangs blieb dabei allerdings unklar. Während Bürge dies nicht weiter thematisiert, sieht und akzeptiert Benke den Eigentumsübergang als – zu Gunsten des
63Gerade im Bereich der Haftung für Sachbeschädigungen zu republikanischer Zeit steht diese Interpretation auf den unvermeidbar tönernen Füßen von Hypothesen, die nie mehr als einen größeren Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen in der Lage sind.125 Ihren textlichen Ausgangsimpuls findet sie in der ernsthaften Berücksichtigung der bereits von den Kompilatoren für kaum bedeutsam gehaltenen Ablehnung einer
