Zeitschrift Aufsätze

Benedikt Forschner

Das Schiff des Saufeius* Anmerkungen zu D.19.2.31

I. D.19.2.31: Übersetzung und Analyse

1Alfenus libro quinto digestorum a Paulo epitomatorum

2In navem Saufeii cum complures frumentum confuderant, Saufeius uni ex his frumentum reddiderat de communi et navis perierat. Quaesitum est, an ceteri pro sua parte frumenti cum nauta agere possunt oneris aversi actione.

3Respondit rerum locatarum duo genera esse, ut aut idem redderetur, sicuti cum vestimenta fulloni curanda locarentur, aut eiusdem generis redderetur, veluti cum argentum pusulatum fabro daretur, ut vasa fierent, aut aurum, ut anuli. Ex superiore causa rem domini manere; ex posteriore in creditum iri.

4Idem iuris esse in deposito; nam si quis pecuniam numeratam ita deposuisset, ut neque clusam neque obsignatam traderet, sed adnumeraret, nihil aliud eum debere apud quem deposita esset, nisi tantundem pecuniae solveret.

5Secundum quae videri triticum factum Saufeii et recte datum.

6Quod si separatim tabulis aut heronibus aut in alia cupa clusum uniuscuiusque triticum fuisset, ita ut internosci posset quid cuiusque esset, non potuisse nos permutationem facere, sed tum posse eum, cuius fuisset triticum quod nauta solvisset, vindicare. Et ideo se improbare actiones oneris aversi, quia, sive eius generis essent merces, quae nautae traderentur, ut continuo eius fierent et mercator in creditum iret, non videretur onus esse aversum, quippe quod nautae fuisset; sive eadem res, quae tradita esset, reddi deberet, furti esse actionem locatori et ideo supervacuum esse iudicium oneris aversi.

7Sed si ita datum esset, ut in simili re solvi possit, conductorem culpam dumtaxat debere (nam in re, quae utriusque causa contraheretur, culpam deberi) neque omnimodo culpam esse, quod uni reddidisset ex frumento, quoniam alicui primum reddere eum necesse fuisset, tametsi meliorem eius condicionem faceret quam ceterorum.

8Alfenus, im fünften Buch der von Paulus epitomierten Digesten

9Als mehrere in das Schiff des Saufeius Getreide zusammengeschüttet hatten, hatte Saufeius einem von ihnen aus dieser gemeinsamen Ladung das seinige zurückgegeben und das Schiff war untergegangen. Gefragt ist nun, ob von den übrigen jeder für seinen Teil des Getreides mit der actio oneris aversi, der Klage wegen beiseite geschaffter Ladung, gegen den Reeder vorgehen kann.

10Der Jurist antwortete, es gebe zwei Arten von Werkverträgen: Bei dem einen werde dasselbe wieder zurückgegeben, wie wenn Kleider einem Walker zur Pflege gestellt würden, bei dem anderen werde eine Sache gleicher Art und Güte zurückgegeben, wie wenn Rohsilber einem Goldschmied gegeben werde, damit der daraus Gefäße mache, oder Gold, damit er einen Ring anfertige. Im ersten Fall bleibe die Sache im Eigentum ihres Herrn, im zweiten Fall werde sie kreditiert.

11Ebenso sei die Rechtslage bei der Verwahrung: Wenn jemand eine bestimmte Geldsumme so in Verwahrung gegeben hatte, dass sie weder verschlossen noch versiegelt übergeben wurde, sondern dass er sie hinzuzählte, dann schulde ihm der, dem er das Geld zur Verwahrung gegeben hatte, allein eine solche Menge.

12Entsprechend ist es als richtig anzusehen, dass das Getreide Eigentum des Saufeius geworden und rechtmäßig übergeben worden ist.

13Wäre das Getreide eines jeden aber durch Bretterverschläge oder Körbe getrennt oder in einer anderen Art Kufe eingeschlossen, so dass man erkennen kann, wem es gehöre, dann könne man keinen Austausch machen, vielmehr könne der, in dessen Eigentum das Getreide stand, das der Reeder herausgegeben hatte, vindizieren. Und deshalb missbillige er die Klagen wegen beiseite geschaffter Ladung, weil einerseits, so die Sachen, die dem Reeder übergeben werden, von der Art seien, dass sie sofort in sein Eigentum übergehen und der Befrachter ihm diese kreditiert, offenkundig keine Ladung beiseite geschafft werde, da sie dem Reeder gehört, oder aber, so dieselbe Sache, die übergeben wurde, zurückzugeben geschuldet wird, dem Befrachter die Diebstahlsklage zusteht, und deshalb die Klage wegen unterschlagener Ladung überflüssig sei.

14So aber die Sache in der Weise gegeben wurde, dass sie in gleicher Art und Güte zurückerstattet werden kann, so haftet der Unternehmer nur für culpa (denn bei einem Vertrag, der in beiderseitigem Interesse geschlossen wurde, hafte man für Verschulden), und es sei in keinem Maße schuldhaft, dass er einem von dem Getreide zurückgegeben hatte, da er notwendigerweise einem zuerst zurückerstatten müsse, auch wenn diesem dadurch eine bessere Lage geschaffen wurde als den anderen.

15Mehrere hatten Getreide in ein dem Saufeius gehörendes1 Schiff geladen2. Zwischen Beladern und dem Reeder ist offensichtlich ein als locatio conductio rerum vehendarum zu klassifizierender3 entgeltlicher Transportvertrag über die Getreideladung geschlossen worden. Nach Ankunft in dem gemeinsamen4 Zielhafen wurde einem von ihnen sein Getreide ausgehändigt, bevor das Schiff – wohl unmittelbar, worauf der parataktische Satzbau hindeutet – mitsamt der restlichen Ware aufgrund höherer Gewalt5 unterging. Die nunmehr um ihre Lieferung gebrachten anderen Belader fragen an, ob ihnen gegen den Reeder die actio oneris aversi, die Klage wegen beiseite geschaffter Ladung, zustehe.

16Der Jurist antwortet allgemein: Es gebe zwei Arten von Werkverträgen; bei einem müsse genau die übergebene Sache, an der das Werk auszuführen sei, wieder zurückgegeben werden, bei dem anderen genüge die Erstattung einer Sache gleicher Art und Güte. In erstem Fall bleibe der locator Eigentümer, im zweiten finde ein Eigentumsübergang statt. Ebenso sei die Rechtslage bei der Verwahrung: Einzeln hinzugezähltes, also unverschlossen übergebenes Geld müsse zwar in gleicher Menge, aber nicht mit denselben Münzen zurückerstattet werden, da hier ein Eigentumsübergang stattgefunden habe.

17Analog betrachtet der Jurist vorliegenden Fall: Das Korn, nunmehr Eigentum des Saufeius, sei dem ersten Belader korrekt zurückerstattet worden. Hätte Saufeius das Getreide eines jeden abgetrennt von dem Getreide des jeweils anderen erhalten, wäre er nicht Eigentümer geworden, und hätte folglich nur das Getreide zurückgeben dürfen, das im Eigentum des jeweiligen Beladers stand. Andernfalls hätte jeder andere Eigentümer vindizieren, und, wie Alfenus später feststellt, daneben mit der actio furti gegen den Reeder vorgehen können. Die actiones oneris aversi werden vor diesem Hintergrund von Alfenus als überflüssig verworfen: So ein Eigentumsübergang stattgefunden hat, konnte der Reeder das Getreide nicht beiseiteschaffen; andernfalls wären vindicatio und actio furti nebeneinander zur Verfügung gestanden. Auch mit culpa habe der zwischenzeitlich zum Eigentümer des Getreides gewordene Reeder nicht gehandelt, als er einem der Belader die Ladung vor den anderen zurückerstattete.

II. Problemstellungen in D.19.2.31

18D.19.2.31 wirft zwei zentrale Problemkreise auf, die – trotz wechselseitiger Bezüge – voneinander abzugrenzen sind: Einerseits die actio oneris aversi, andererseits die Problematik des Eigentumsübergangs im Rahmen der locatio conductio.

19Die actio oneris aversi ist singulär in D.19.2.31 überliefert;6 weitere direkte Nachweise für ihre Existenz und ausdrückliche Erklärungen ihrer Struktur finden sich nicht. Die insoweit beschränkten Textgrundlagen erhöhen – wie zu zeigen sein wird – methodisch die Gefahr von Fehlschlüssen, die mit der trügerischen Übernahme unreflektierter Prämissen und jeder Form von Hypothesenbildung verbunden sind.7 Die weitere Problemstellung in D.19.2.31 liegt in der Frage des Eigentumsübergangs im Rahmen der locatio conductio.8 Die Rechtswissenschaft hat etwa seit Beginn des 18. Jahrhunderts9 Fälle der locatio conductio, in denen das Eigentum an der zu bearbeitenden Sache auf den conductor übergeht, unter dem Begriff der locatio conductio irregularis als Ausnahmen zu dem spätklassischen ulpianischen Grundsatz10non solet locatio dominium mutare11 zusammengefasst.

20Besondere Aufmerksamkeit verdient dieser Eigentumsübergang vorliegend mit Blick auf den Haftungsmaßstab des nunmehr zum Eigentümer gewordenen conductor: Obgleich der Eigentumsübergang grundsätzlich eine unbeschränkte Haftung des conductor bewirkt – casum sentit dominus –,12 möchte Alfenus in D.19.2.31 den Reeder lediglich für culpa haften lassen.

21Die Studie versucht, die genannten Problemkreise in ein in sich schlüssiges System zu integrieren, ohne weitergehende Eingriffe in die textuale Grundlage vornehmen zu müssen. Insbesondere in Auseinandersetzung mit Exegesen aus dem Bereich der Interpolationenkritik dient sie dem Nachweis einer tatsächlich widerspruchsfrei erfolgten Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch den Juristen in D.19.2.31.

III. Zur Autorenschaft des Alfenus

A) Alfenus, Servius und Paulus

22D.19.2.31 stammt aus dem fünften Buch der von Paulus epitomierten Digesten des Alfenus, die dieser primär dem furtum sowie furtum-ähnlichen Delikten widmete.13 An der Entstehung des Textes haben mehrere Juristen auf verschiedene Weise mitgewirkt; für Alfenus und Paulus kann dies durch die Überlieferung selbst als gesichert gelten, auch Alfenus Lehrer Servius könnte in Frage kommen.14

23Bearbeitungen durch Paulus erscheinen insoweit möglich, als in Epitome-Werken erklärende Einfügungen und Erweiterungen bis hin zu Eigenwilligkeiten durchaus als zulässig betrachtet wurden.15 Die Problematik der Autorenschaft des Servius im Rahmen der alfenischen Digesten sei mit dem Hinweis versehen, dass Servius als herausragende Autorität der späten Republik in den justinianischen Pandekten überdurchschnittlich oft erwähnt wird, und also eine häufige Nennung in den Digesten des Alfenus allein noch kein ausreichendes Indiz für eine überwiegende Sammlung servianischer Responsen sein kann.16 Eine Beeinflussung des Alfenus durch seinen Lehrer bis hin zur Übernahme einzelner Positionen scheint nicht ungewöhnlich; dass allerdings die Digesta des Alfenus lediglich Veröffentlichungen servianischer responsa darstellen sollen,17 lässt sich abschließend ebenso wenig feststellen wie eine genaue Abgrenzung der responsa des Alfenus von denen des Servius.18

24Für D.19.2.31 im Speziellen können vor diesem Hintergrund abschließende Aussagen über die Urheberschaft nicht getroffen werden. Die Darstellung, die neben der Antwort auf die gestellte Frage Ausführungen zu weiteren, nicht betroffenen Randgebieten der aufgeworfenen Rechtsfrage bereithält und gegen Ende zum Ausgangsfall19 zurückkehrt, ist jedenfalls mit Blick auf eine mögliche didaktische Zielsetzung der Ausführungen typisch für die Digesta des Alfenus.20

25Ein Teil der Literatur ordnet zumindest den Abschnitt respondit rerum locatarum duo genera esse - in creditum iri inhaltlich der Urheberschaft des Servius zu.21 Begründet wird dies mit dem dialektischen Ansatz als methodologischem Verfahren des Servius, das sich in der Gegenüberstellung der duo genera rerum locatarum als zu unterscheidende Sachkonzepte äußere.22 Freilich erscheint ebenso möglich, dass sich Alfenus methodisch an seinem Lehrer orientierte, den konkreten Abschnitt jedoch selbst formulierte. Dies kann auch der Hinweis auf ähnliche Klassifikationen der Institute tutela23und furtum24nach genera durch Servius nicht ausreichend entkräften.25 Die Vermutung der servianischen Urheberschaft des Abschnitts bleibt eine, wenn auch nicht unplausible, Hypothese.

B) Lösungsansätze der Interpolationenkritik: Eine Auswahl

26Die Interpolationenkritik hat die Autorenschaft des Alfenus auf ein minimales Grundgerüst reduziert.26 Bereits Huvelin sieht den Text lediglich bis et ideo se improbare actiones oneris aversi als alfenisch an; der Rest stamme von Paulus oder einer nachklassischen Bearbeitung.27 Pflüger will den Originaltext auf die Sachverhaltsbeschreibung in navem Saufeii - oneris aversi actione sowie die Feststellung des Juristen respondit se improbare actiones oneris aversi reduzieren; in den weiteren Ausführungen sieht er einen „Kathedervortrag“ eines nachklassischen Bearbeiters.28 Weitergehende Begründungen für seine These bringt er nicht. Ebenso unbegründet bleiben die Streichungen Beselers,29 der neben kleineren Eingriffen die Abschnitte non potuissetum und et ideo se improbare - iudicium oneris aversi sowie sed si ita datum esset - culpam esse für interpoliert hält. Verbunden mit einigen Ergänzungen wird es ihm so möglich, die actio oneris aversi als actio locati wegen aversio oneris zu postulieren.30 Daube streicht von rerum locatarum duo genera esse - et recte datum. Quod und wieder von non potuisse nos, lässt seine Streichung aber nicht mit reddi deberet enden, sondern erst nach et ideo supervacuum. Als einziger Autor belässt er damit der actio oneris aversi einen Geltungsbereich. Auch seinen Eingriffen fehlen jedwede textkritischen Belege; sie scheinen allein von der Vorstellung getragen, die spätrepublikanische Jurisprudenz habe aufzeigen wollen, wie geringe Abweichungen im Handeln der Vertragspartner den Vertrag auf eine völlig andere Grundlage gestellt hätten;31 dafür musste zumindest in einem Fall die actio oneris aversi zur Anwendung kommen.

C) Zur Textstufenforschung Mayer-Malys

27Mayer-Maly stellt Servius-Alfenus – die er gleichsetzt – und Paulus nicht einen, sondern zwei nachklassische Bearbeiter gegenüber; damit will er fünf Autoren in D.19.2.31 erkannt haben.32 Neben der Sachverhaltsbeschreibung trage allein respondit furti esse actionem locatori et ideo supervacuum esse iudicium oneris aversi servianisch-alfenische Urheberschaft, da nur diese Antwort dem Mengeneigentum33 der complures adäquat sei. Das Sachkonzept der duo genera locatarum sei hypothetischer Natur, da es zu einer Veränderung der Sachentscheidung nicht beitrage – auch in dem von ihm erfassten Fällen komme eine actio oneris aversi nicht in Frage. Paulus könne es nicht zugeschrieben werden, da es sich allzu weit von der ursprünglichen Sachlage entferne. Mayer-Maly vermutet eine nachklassische Bearbeitung als Werk zweier verschiedener Autoren: Während die generelle Darlegung des Sachkonzepts der duo genera der Lehre von den Irregulärkontrakten folge und „nicht als stümperhaft abgetan werden“ könne, trügen andere, einem zweiten, weniger kompetenten Bearbeiter zuzurechnende Textstellen weder zur Lösung noch zur Erklärung des Falles bei.34

28Ob sich diese wertende Einteilung halten lässt, erscheint fraglich. Zurückhaltung35 ist dort geboten, wo Mayer-Maly den letzten Teil des Schlusssatzes quoniam – quam ceterorum als „banale(s) Prinzip“36 abtut, während etwa de Santis ihn für „elegantemente esposta“37 hält. Überhaupt kann daran gezweifelt werde, dass all die Stellen, die Mayer-Maly dem zweiten nachklassischen Bearbeiter zuschreibt, tatsächlich „zur begrifflichen Erfassung des Falles wenig beitragen“38 . Es handelt sich hierbei – wie Mayer-Maly auch feststellt – um „Beispiele für die duo genera“ oder andere Einfügungen explikativer Natur.39 Der Beleg aufgestellter Thesen durch Beispiele ist – insbesondere angesichts didaktischer Tendenzen des Alfenus – methodisch nicht ungewöhnlich, und trägt gerade dazu bei, die begriffliche Erfassung des Falles zu unterstützen.40 Schließlich müssten die nachklassischen Bearbeiter Alfenus‘ Rechtssicht vollständig in ihr Gegenteil verkehrt haben, wollte er tatsächlich den complures die actio furti gewährt haben. Zweifelhaft ist dies vor allem, als nicht ansatzweise geklärt ist, worin die Vertragswidrigkeit der Handlung des Saufeius gelegen haben soll.41 Mayer-Malys ganz in der Tradition der Textstufenforschung42 stehenden Ausführungen sind hypothetischer Natur.43 Für die nachklassische Herkunft der dem ersten Bearbeiter zugeschriebenen Partien anerkennt nicht zuletzt Mayer-Maly selbst die fehlende Beweiskraft.44

29Weder über eine mögliche Autorenschaft des Servius noch über die textualen Eingriffe des Paulus lässt sich abschließend urteilen, und im Bereich nachklassischer Bearbeitungen bleibt – wie exemplarisch erörtert wurde – vieles hypothetisch. In neuerer Zeit tritt die Literatur Interpolationsvermutungen zurückhaltender gegenüber, und versucht verstärkt, das überlieferte Textmaterial ohne weitergehende Eingriffe in einen systematisch schlüssigen Zusammenhang zu integrieren.45

IV. Zur rechtlichen Natur der actio oneris aversi

A) Die actio oneris aversi als sachverfolgende oder pönale Klage?

30Bezieht man das erste ideo im fünften Absatz auf tum posse eum (...) vindicare,46 ergibt sich folgendes Bild: Alfenus antwortet, wer Eigentümer der übergebenen Sache sei, könne vindizieren – et ideo se improbare actiones oneris aversi; ferner stünde ihm die actio furti zu – et ideo supervacuum esse iudicium oneris aversi. Unklar wäre die Natur der actio oneris aversi als sachverfolgend oder pönal: Wird sie missbilligt, weil der Eigentümer ohnehin (von den Mit-locatores) vindizieren kann, deutet dies auf einen sachverfolgenden Charakter hin, ist sie überflüssig, weil (gegen den nauta) die actio furti zur Verfügung steht, wirkt sie pönal.

B) Lösungsansätze der Interpolationenkritik

31Durch Texteingriffe konnte die Interpolationenkritik die Problematik weitgehend umgehen.47 Huvelin lässt die actio oneris aversi in Konkurrenz zur actio locati entfallen.48 Alfenus habe im Sinne der republikanischen Jurisprudenz aufgrund fehlender Spezifikation den Frachtvertrag noch nicht als locatio conductio angesehen. Die als Ersatz für die nicht anwendbare actio locati benötigte actio oneris aversi, die späterhin durch die Integration des Frachtvertrages in die locatio conductio überflüssig geworden sei, hätte allerdings aufgrund des Eigentumserwerbs des nauta auch in vorliegendem Fall nicht erhoben werden können. Stattdessen sei die vindicatio zur Verfügung gestanden.

32Davon abgesehen, dass der dingliche Eigentumserwerb einen möglichen vertraglichen Anspruch aus der actio locati nicht, wie Huvelin meint, ersetzen kann,49 deutet der Gebrauch der juristischen Begriffe res locatae, locator sowie conductor darauf hin, dass Alfenus von dem Vorliegen eines Werkvertrags ausging. Für die Hypothese, die actio oneris aversi sei von der actio locati im Laufe der Jahre verdrängt worden, gibt D.19.2.31 keine validen Belege.

33Mayer-Maly kann den Widerspruch im Sinne der Textstufen lösen, indem er nur ideo supervacuum esse iudicium oneris aversi als servianisch-alfenisch ansieht, da nur diese Lösungsvariante dem von ihm propagierten Mengeneigentum der complures entspricht;50vindicare et ideo se improbare actiones oneris aversi stamme von Paulus. Für ihn ist die actio oneris aversi pönaler Natur.

34In jüngere Zeit fällt Cardillis Versuch, Alfenus‘ Ausführungen als Propagierung milder Rechtsmittel zu deuten:51 So vindiziert werden könne, missbillige Alfenus die actio oneris aversi und lege die Anwendung der sachverfolgenden vindicatio als das mildere Rechtsmittel nahe. Sollte der Belader nicht einsehen, mit der vindicatio lediglich gegen einen anderen Belader, nicht aber gegen den Reeder vorzugehen, könne er gegen diesen die actio furti richten: Die actio oneris aversi sei also auf jeden Fall überflüssig. Damit löst Cardilli obigen Widerspruch im Sinne der actio oneris aversi als pönaler Klage auf: Überflüssig wird sie, weil die actio furti zur Verfügung steht, missbilligt wird sie als „eccessiva“, da die vindicatio als milderes Rechtsmittel bemüht werden kann, was die rechtliche Bewertung der actio oneris aversi als angesichts der actio furtisupervacuum‘ nicht berührt. Eine actio furti ist freilich nur dann möglich, so der Reeder furandi animo gehandelt hat;52 Gleiches gilt also auch für die actio oneris aversi, so sie als Pönalklage angesehen wird.53 Unter diesem Gesichtspunkt muss sich Cardilli fragen lassen, worin die Unbilligkeit liege, wenn der Geschädigte nicht nur vindiziere, sondern gegen seinen dolosen Schädiger eine Pönalklage erhebe. Die sachverfolgende vindicatio und eine Pönalklage dienen unterschiedlichen Zwecken und können nebeneinander bestehen;54 dies erscheint weder den Geschädigten unverhältnismäßig zu begünstigen noch den Schädiger unverhältnismäßig zu benachteiligen. Eine auch aus Wertungsgesichtspunkten überzeugende Auflösung des angenommenen Widerspruches gelingt Cardilli nicht.

C) Die actio oneris aversi als pönale Klage

35Ob Alfenus tatsächlich einen derartigen Widerspruch konstruiert hat, ist zweifelhaft. Trotz sprachlicher Auffälligkeiten kann et ideo se improbare actiones oneris aversi ebenso wie et ideo supervacuum esse iudicium oneris aversi auf quia - furti esse actionem locatori zu beziehen sein. Die actio oneris aversi wäre dann widerspruchsfrei pönaler Natur.

36Verschiedene Anhaltspunkte machen diese Lösungsmöglichkeit plausibel: Alfenus schrieb das in D.19.2.31 überlieferte responsum in Zusammenhang mit den in D.12.6.36 und D.13.7.30 überlieferten Texten in einem Kapitel über den Diebstahl. Die identische inscriptio aller drei Digestenstellen zeugt von ihrer gemeinsamen Herkunft aus dem fünften Buch der von Paulus epitomierten Digesten des Alfenus und eröffnet den Bereich des furtum und ihm ähnlicher Delikte. In diesem Zusammenhang scheint mit avertere kein allgemeines Fehlgehen der Ladung, sondern ein Handeln des Reeders angesprochen zu sein. Onus aversum ist nicht die Ladung, die in irgendeiner Weise vor ihrer Auslieferung fehlgegangen ist, sondern die Ladung, die deshalb nicht im Zielhafen ankommt, weil der Reeder sie vorsätzlich beiseite geschafft hat.55 Nur dies entspricht der Sachlage in D.19.2.31: Mit onus aversum ist nicht die gesamte untergegangene, sondern allein die seitens des Reeders herausgegebene Ladung angesprochen. Jeder einzelne der ceteri will geltend machen, dass genau sein Getreide beiseite geschafft wurde, und deshalb verlangt jeder Ersatz pro sua parte. Ansonsten ließen sich die Ausführungen über den Eigentumsübergang im Rahmen der locatio conductio nicht integrieren: Insbesondere die damit verbundenen Feststellungen sed tum posse eum, cuius fuisset triticum quod nauta solvisset, vindicare und neque omnimodo culpam esse, quod uni reddidisset ex frumento [...] sowie der Hinweis auf die actio furti – die nur für einen Teilbereich eines begrifflich weit gefassten avertere überhaupt denkbar wäre – stünden ohne konkreten Zusammenhang.

37Unter diesen Gesichtspunkten ist et ideo se improbare actiones oneris aversi auf quia - furti esse actionem locatori bezogen. Die Darlegung der Vindikationsmöglichkeit sed tum posse eum, cuius fuisset triticum quod nauta solvisset, vindicare dient ebenso wie eius generis essent merces, quae nautae traderentur, ut continuo eius fierent et mercator in creditum iret, non videretur onus esse aversum, quippe quod nautae fuisset lediglich der Feststellung eigentumsrechtlicher Voraussetzungen, die zwangsläufig für die mögliche Erhebung einer actio furti und damit auch für die Erhebung einer actio oneris aversi vorliegen müssen. Alfenus formuliert folglich kein widersprüchliches Entweder-Oder, sondern sieht die actio oneris aversi als Pönalklage, die grundsätzlich neben der vindicatio bestehen kann.

38Da die actio furti dieselben Funktionen erfüllt,56 ist die actio oneris aversi überflüssig. Ihre fehlende Überlieferung in späteren Quellen lässt vermuten, dass sie etwa zu Alfenus‘ Zeit von der actio furti verdrängt worden ist. Die Verdrängung muss eingesetzt haben, als die Römer die aversio oneris in dem nunmehr im Sinne jeder contrectatio rei fraudulosa lucri faciendi gratia vel ipsius rei vel etiam usus eius possessionisve57erweiterten Geltungsbereich des furtum aufgehen sahen.58In der Zeit des Übergangs erwähnt Alfenus die actio oneris aversi noch, um diese aktuelle Entwicklung festzuhalten. Eine längst verdrängte Klage wäre wohl kaum erhoben, von Alfenus nicht diskutiert und von Paulus nicht epitomiert worden.

V. Zum Eigentumserwerb in D.19.2.31

A) Das Rechtsverhältnis zwischen Beladern und Reeder

39Mit ihrer Einordnung des Textes in D.19.2 locati conducti sahen die Kompilatoren die relevanten Rechtsfragen schwerpunktmäßig in dem Bereich der locatio conductio und nicht in dem der bereits verschollenen actio oneris aversi und ihrer rechtlichen Natur angesiedelt.59 Dies wird auch der Grund sein, weshalb der Text in D.19.2.31 überhaupt erhalten ist: Allein der Feststellung halber, dass eine längst von der actio furti verdrängte Klage überflüssig sei, hätten die auf Wesentlichkeit bedachten Kompilatoren das Fragment kaum in die Sammlung der Digesten aufgenommen. Daraus erklärt sich auch, weshalb nicht nur keine späteren Quellen der actio oneris aversi vorliegen, sondern auch ihre Entstehung und Geltungszeit im Dunkeln bleiben: An den früheren Quellen bestand angesichts ihrer aktuellen Bedeutungslosigkeit kein rechtspraktisches Interesse.

40Alfenus geht von einem Werkvertrag in Form einer locatio conductio rerum vehendarum aus. Die Art der Übergabe der res locata führt zu einem Eigentumsübergang von locator auf conductor und steht damit dem spätklassischen non solet locatio dominium mutare60entgegen. Diese Problematik wird ergänzt um ein zweites, nicht weniger gewichtiges Spannungsfeld: Während der Eigentumsübergang zu einer unbeschränkten Haftung des conductor führen müsste, lässt Alfenus diesen sed si – fin. lediglich für culpa haften. Aus beiden Gründen weist ein Teil der Literatur einen Eigentumsübergang im Rahmen der locatio conductio zurück;61 vielfach hat sie dieses Spannungsfeld durch textuale Eingriffe aufzuheben versucht.62

1) Mengeneigentum

41Alfenus benennt duo genera rerum locatarum: So dieselbe Sache zurückerstattet werden müsse, bliebe der locator Eigentümer, so eine Sache gleicher Art und Güte, fände ein Eigentumsübergang statt. Nicht ausdrücklich erwähnt er die mit dem Sachkonzept der duo genera durchaus zu vereinbarende63 und nahe liegende Möglichkeit des Mengeneigentums der Belader: Eine Rückerstattung desselben an jeden einzelnen wird durch das Zusammenschütten des Getreides unmöglich, ohne dass zwingend auf einen Eigentumsübergang auf den conductor geschlossen werden kann; idem müsste der conductor jedoch insoweit zurückerstatten, als er an jeden einzelnen ex communi zu leisten verpflichtet ist. Da er dies getan hat, trifft ihn keine Schuld.64

42Das Ergebnis erscheint schlüssig, und man möchte meinen, Alfenus deute diese Möglichkeit an, wenn Saufeius das Getreide an den unusde communi‘ leiste, aus dem gemeinsamen Getreide also, das entstanden ist, da es die compluresconfunderant‘.65 Abgesehen von den Worten de communi und confunderant, die unproblematisch dem geläufigen Sprachgebrauch entspringen können und keinesfalls zwingend juristisch zu deuten sind, finden sich allerdings keine weiteren Anhaltspunkte für die Annahme des Mengeneigentums der Befrachter. Beschriebe Alfenus Mengeneigentum, stünden alle weiteren von ihm angeführten Fälle – die Erläuterung des Alleineigentums des locator sowie des Eigentumsübergangs auf den conductor – als von dem eigentlichen Sachverhalt abweichende bloße Hypothesen im Raum.66

43Auch in sed si ita datum esset, ut in simili re solvi possit ist kein Mengeneigentum angesprochen.67 Zwar läge Anderes – zumindest als hypothetisches Beispiel – nahe: Weshalb hätte Alfenus diese Möglichkeit vergessen sollen?68 Allerdings deuten Alfenus‘ Subsumtionen – quod uni reddidisset ex frumento, quoniam alicui primum reddere eum necesse fuisset, tametsi meliorem eius condicionem faceret quam ceterorum – auf den Ausgangsfall hin, für den bereits festgestellt worden ist, dass Saufeius Eigentümer des Getreides geworden ist – secundum quae videri triticum factum Saufeii et recte datum. Entsprechend scheint mit solvere in simili re schlicht reddere eiusdem generis gemeint zu sein.

2) Doppelverhältnis

a) Das mutuum als causa des Eigentumsübergangs

44Der von Alfenus postulierte Eigentumsübergang und seine angebliche Unvereinbarkeit mit der locatio conductio scheinen in Richtung eines rechtlichen Doppelverhältnisses zu weisen: Neben der locatio conductio, durch die der Reeder zum Transport des Getreides verpflichtet wird, könnte ein mutuum zu einem Eigentumsübergang auf den conductor führen;69 die Annahme eines mutuum ließe sich auf Alfenus‘ zweimalige Verwendung von in creditum ire ex posteriore in creditum iri; ut continuo eius fierent et mercator in creditum iret – stützen. Dies hieße, dass der Darlehensschuldner Eigentümer des Getreides würde und seine Verpflichtung auf die Rückgabe irgendeiner gattungsmäßig bestimmten Leistung beschränkt sei.70

45Der Schluss von in creditum iri auf ein mutuum und damit auf ein weiteres Rechtsverhältnis zwischen Beladern und Reeder ist freilich bereits nach Paulus nicht zwingend – creditum ergo a mutuo differt qua genus a specie71 - und verschiedenen anderen Einwänden ausgesetzt: In creditum iri dient der Abgrenzung zu rem domini manere.72 Diese Abgrenzung ist vor dem Hintergrund der Ausführungen zum furtum zu lesen: Eine actio furti, die die actio onerisaversi verdrängt, ist schließlich nur unter der Voraussetzung einer Eigentumsverletzung denkbar. Es liegt zumindest nahe, dass es Alfenus allein73 darum ging, einen Übergang des Eigentums an den res locatae von locator auf conductor und damit die Dispositionsbefugnis des nauta bezüglich der Ladung zu beschreiben.74 Gerade auch die durchgehende Beibehaltung dieser Begrifflichkeiten – res locatae sind Gegenstände einer locatio conductio, nicht eines mutuum – weist darauf hin, dass Alfenus neben der locatio conductio kein weiteres Rechtsverhältnis voraussetzt, das als causa des Eigentumsübergangs wirkt.75 Und insbesondere ist auch die umfassende Sachnutzung als genuiner Zweck eines mutuum nicht erfasst.76

b) Das depositum irregulare als causa des Eigentumsübergangs

46Ob das ferner in Form eines Gelddepositum zum Vergleich herangezogene depositum irregulare als Sonderform des depositum oder als mutuum77 aufzufassen ist, sei hier nicht näher diskutiert;78 dass Alfenus es als Sonderform des depositum gekannt hat, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden.79 Problematisch wäre in jedem Fall, diesem Beispiel für das Rechtsverhältnis zwischen Beladern und Reeder eine Funktion zuzumessen, die über die bloße (nunmehr wiederholte und – in Bezug auf den zu klärenden Fall – verdichtete) Illustration der für die res locatae gemachten Unterscheidung hinausgeht:80 Die Abgrenzung des hinzugezählten Geldes von dem verschlossen und versiegelt übergebenen Geldsack verbildlicht die möglichen faktischen Transportkonstellationen des Getreides weitaus stärker als die Unterscheidung der zu reinigenden vestimenta von dem zur Bearbeitung übergebenen Silber und Gold;81 das verwahrte Geld dient Alfenus als assoziatives Bindeglied zwischen dem generellen Sachkonzept der dua genera und dem Ausgangsfall des transportierten Getreides. Ein weiteres Rechtsverhältnis neben der locatio conductio ist damit nicht angedeutet. Fasst man das depositum irregulare als Sonderfall des mutuum auf, ergibt sich dies aus obiger Argumentation; andernfalls wird man zumindest eingestehen müssen, dass das depositum irregulare – unbeschadet starker assoziativer Bezüge – mit dem Ausgangsfall des auf dem Schiff transportierten Getreides nach seinem rechtlichen Sinn und Zweck zu gering ist.82Idem iuris esse bezieht sich lediglich auf den Teilbereich des Eigentumsübergangs und damit auf einen Einzelaspekt der Materie.

47Ein mutuum oder ein depositum irregulare, das zu einem obligatorisch nicht gebundenen Eigentum des conductor an dem übergebenen Getreide führt, hätte neben der locatio conductio den Frachtvertrag sinnlos gemacht:83 Durch die locatio conductio hätte der nauta in seiner Funktion als conductor Waren transportieren müssen, zu deren Rückleistung der Darlehensschuldner im Zielhafen lediglich nach gleicher Art und Güte verpflichtet gewesen wäre. Der aufgrund der locatio conductio geschuldete Transport würde damit zu einem überflüssigen Selbstzweck: Dem conductor entstünden dadurch Kosten, die der locator ohne einen Anspruch auf die konkret transportierten Waren auszugleichen hätte. Weder locator noch conductor hätten sich in Anbetracht der Möglichkeit eines schlichten Kaufes auf einen derartig unsinnigen Vertragsschluss eingelassen.

3) Der Eigentumsübergang im Rahmen der locatio conductio

48Die Möglichkeit eines Eigentumsübergang auf den conductor im Rahmen der locatio conductio ist für die vorklassische Zeit nicht allein in D.19.2.31 anerkannt:

49Pomponius libro nono ad Quintum Mucium. Scribit Quintus Mucius: si aurum suum omne pater familias uxori suae legasset, id aurum, quod aurifici faciundum dedisset aut quod ei deberetur, si ab aurifice ei repensum non esset, mulieri non debetur (...).84

50Quintus Mucius berichtet von einem Ehemann, der seiner Frau sein gesamtes Gold vermacht hatte. Ein Teil des Goldes ist noch in Händen eines Goldschmiedes: Zum einen das Gold, das der Ehemann ihm gegeben hatte, damit er etwas herstellt, zum anderen das Gold, das der Goldschmied dem Ehemann schuldet und bisher noch nicht geleistet hat. In beiden Fällen steht nach Meinung des Quintus Mucius der Ehefrau das Gold nicht zu.

51Benke sieht in dem zweiten Fall das übergebene Gold ununterscheidbar in den Goldvorräten des aurifex aufgehen, sei es generell durch – von Benke nicht näher spezifizierte – Vermengung mit dem Gold des aurifex, sei es durch den Abfall von Restgold nach Verfertigung eines Werkstücks.85 Mag insbesondere letztere Variante aus praktischer Sicht von hoher Plausibilität sein,86 fehlen ihr doch valide Textbelege. […] aut quod ei deberetur, si ab aurifice ei repensum non esset lässt sich nicht mehr entnehmen als eine noch nicht erfüllte schuldrechtliche Verpflichtung des aurifex, Gold an den pater familias zu leisten; wie das Gold in den Vorrat des aurifex gelangt ist, insbesondere ob es ihm überhaupt zuvor durch den pater familias überbracht wurde, ist nicht angesprochen. Ebenso gut hätte sich der Ehemann einzelne Werke87 des Goldschmieds versprechen lassen können, ohne ihm das hierfür notwendige Gold selbst zu übertragen. Auch der – für den juristischen Bereich in D.34.2.34 pr. singuläre88 – Gebrauch des Verbs rependere verlangt nicht zwingend ein Zurück-wägen, sondern kann auch als Zuwägen im Rahmen eines Austauschverhältnisses als Gegenleistung zu verstehen sein.89 Dass das geschuldete Gold, das nicht – noch nicht wieder oder noch nie – in das Eigentum des Ehemannes fiel, von seiner Frau auf Grundlage des Legats nicht zurückverlangt werden konnte, ist unmittelbar einsichtig. Nicht zuletzt Pomponius’ bereitwilliges Beipflichten90sine dubio – zeigt, dass damit offensichtlich keine weiteren rechtlichen Schwierigkeiten verknüpft waren. In Hinblick auf die Vereinbarkeit der locatio conductio mit dem Eigentumsübergang ist die zweite Variante von D.34.2.34 pr. folglich kaum aufschlussreich.

52Eigentumsrechtlich relevant ist dagegen in dem ersten Fall die Zurückweisung eines etwaigen Begehrens der Witwe auf dieses Gold, das ihr Ehemann dem Goldschmied faciundum gegeben hatte. Sowohl Sachverhalt als auch Wortgebrauch deuten an, dass der pater familias in der ersten Variante vor seinem Tode mit dem aurifex einen Werkvertrag geschlossen hat; dabei gab er ihm Gold, das umfänglich in das Eigentum des Goldschmieds übergegangen ist.

53Dieser Eigentumsübergang vollzieht sich, wie Benke zeigen konnte, nicht im Wege der specificatio,91 sondern erfolgt derivativ durch rechtsgeschäftliche Übereignung in Form der jeweiligen datio durch den locator an den conductor, deren causa die locatio conductio ist.92 In D.34.2.34 pr. geht das Gold, quod aurifici faciundumdedisset, in das Eigentum des Goldschmieds über, ohne dass eine vorherige Verarbeitung angedeutet wäre; und auch D.19.2.31 formuliert die datio als Bedingung des Eigentumsübergangs: veluti cum argentum pusulatum fabro daretur, ut vasa fierent (...). Als causa der Unterscheidung zwischen rem domini manere und in creditum iri erscheint dabei die locatio conductio:93

54Respondit rerum locatarum duo genera esse, ut aut idem redderetur, sicuti cum vestimenta fulloni curanda locarentur, aut eiusdem generis redderetur, veluti cum argentum pusulatum fabro daretur, ut vasa fierent, aut aurum, ut anuli. Ex superiore causa rem domini manere; ex posteriore in creditum iri.

55Nicht anzunehmen ist allerdings, wie Benke meint, dass dem aurifex in D.34.2.34 pr. vertraglich eine Austauschbefugnis zukam, er also entscheiden konnte, ob er das Werk aus dem gegebenen oder anderem Gold herstellt.94 Hat ein Besteller reines Gold zur Verfügung gestellt, wäre eine solche vertragliche Befugnis für ihn angesichts der bei der Goldverarbeitung verbreiteten Verwendung von Gold mit Silberanteil95 mit erheblichen Risiken verbunden gewesen; diese Risiken würde – in Anbetracht der für Laien erschwerten Erkennbarkeit der Qualität des verwendeten Goldes – auch eine Beschränkung der Austauschbefugnis auf gleichwertiges96 Gold nicht signifikant mindern. Eine Austauschbefugnis kann vielmehr nur bei Vorliegen einer gesonderten Vereinbarung97 oder bei Sachverhalten angenommen werden, die vergleichbare Risiken nicht aufweisen und anders nicht praktikabel sind. Bei zu Transportzwecken zusammengeschüttetem Getreide ist dies der Fall, nicht aber bei Gold.98 Und auch im Rahmen des Getreidetransports ist der conductor bei dem Austausch in der Regel nicht völlig frei: Die Diskussion eines möglichen Doppelverhältnisses hat gezeigt, dass ein mit einem mutuum oder depositum irregulare verknüpfter Eigentumsübergang Sinn und Zweck eines zusätzlichen Frachtvertrages fraglich erscheinen lässt. Dieses Problem stellt sich auch bei alleiniger Annahme eines Frachtvertrages, der einen Eigentumsübergang von locator auf conductor ohne vertragliche Bindung des neuen Eigentümers begründet: Versteht man die Rückgabepflicht in genere so, dass der Reeder mit dem auf dem Schiff befindlichen Getreide nach Belieben verfahren kann und lediglich irgendein Getreide gleicher Art und Güte zu leisten hat, hätte es keines Frachtvertrages bedurft.99 Die Rückleistungspflicht – und damit seine Austauschbefugnis – wird sich vor diesem Hintergrund in genere auf das auf dem Schiff befindliche Getreide bezogen haben.

B) Eigentumsübergang und Gefahrtragung

56Da Alfenus den Eigentumsübergang im Rahmen einer locatio conductio zumindest als Ausnahme anerkannt hat – Secundum quae videri triticum factum Saufeii et recte datum – ist die deliktische Haftung des zum Eigentümer gewordenen Reeders verworfen.100 Einer möglichen Haftung des nauta wegen Vertragsverletzung wendet sich Alfenus in dem letzten Abschnitt sed si ita datum esset - fin. zu. Die Antwort, so könnte man meinen, läge nahe: casum sentit dominus101, für Zufälle hat niemand anderes als der Eigentümer einzustehen, casus a nullo praestantur102. Als Eigentümer des Getreides müsste Saufeius den übrigen Befrachtern gegenüber für den Untergang unbeschränkt haften und Getreide eiusdem generis leisten.103

57Die Übertragung des Eigentums wird für die republikanische Zeit gemeinhin als Mittel gesehen, das Risiko des zufälligen Untergangs der Sache dem conductor zuzuweisen:104 Erst die Hochklassik lasse den Werkunternehmer nach der custodia-Haftung auch für den zufälligen Untergang des zur Verfügung gestellten Gutes aufkommen; in der Republik bestehe grundsätzlich lediglich eine Vorsatz-Haftung.105 Das schuldrechtliche Problem der Gefahrtragung werde vor diesem Hintergrund von Quintus Mucius und Alfenus mit Hilfe des Sachenrechts im Wege einer Übereignung gelöst.106

58Während sich bei Quintus Mucius in D.34.2.34 pr. tatsächlich keine Einlassungen zu der Gefahrtragungsproblematik finden, weist Alfenus die Sachgefahr gerade nicht dem Reeder, sondern den Befrachtern zu. Saufeius könne allein für culpa haftbar gemacht werden - conductorem culpam dumtaxat debere; denn wenn eine Sache gleicher Art und Güte zurückgegeben werden müsse – sed si ita datum esset, ut in simili re solvi possit –, hafte der conductor ebenso lediglich für culpa – schließlich handelt es sich um einen Vertrag, der zu beider Interesse geschlossen werde – nam in re, quae utriusque causa contraheretur, culpam deberi. Der Grund dieser Ausnahme von der – durch die Eigentumsübertragung bewirkten – Ausnahme soll in der zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vereinbarung zu sehen sein.107 Kurz: Da die republikanische Jurisprudenz im Rahmen der locatio conductio lediglich eine Vorsatz-Haftung gekannt haben soll, wurde im Wege eines Eigentumsübergangs eine culpa-Haftung konstruiert, die dann wiederum im Einzelfall durch den Transportvertrag eingeschränkt wurde. Das auf sachenrechtlicher Ebene gelöste schuldrechtliche Problem der Gefahrtragung soll seine Korrektur auf schuldrechtlicher Ebene erfahren haben.

59Verhalten wird man bereits in Zweifel ziehen können, dass dem republikanischen Werkvertrag die culpa-Haftung tatsächlich völlig fremd war; immerhin berichtet Ulpian, die Haftung für custodia sei bei geliehenen Sklaven unter den veteres strittig gewesen.108 Der sachenrechtliche Lösungsansatz der Gefahrtragungsproblematik ist in jedem Fall nicht evident plausibel, wenn er stante pede auf schuldrechtlicher Ebene wieder zurückgeführt wird: Welcher Zweck soll dem Eigentumsübergang dann noch verblieben sein?

60Éva Jakab hat unter Heranziehung graeco-ägyptischer Papyri diesem sachenrechtlichen Zugang ein Modell des Transportvertrages entgegengesetzt. Ihre Rekonstruktion des im Mittelmeerraum üblichen Frachtvertragsformulars sieht vor, dass der Schiffer nach Quittieren der erhaltenen Menge für die Rückgabe dieser Menge hafte; Verluste aufgrund mangelnder Sorgfalt musste er ersetzen, nur die ‚typisierten Fälle der Seegefahr’ blieben ausgeschlossen.109 Nach diesem Muster sei auch der Frachtvertrag des Saufeius geschlossen worden. Einen Eigentumsübergang will Jakab nicht erkennen; durch die Zumessung zum Transport sei dem Schiffer lediglich das Recht zugestanden worden, bei der Verteilung des Getreides am Zielort jedem einzelnen Befrachter die ihm zustehende Menge durch Zumessung auszufolgen.110

61Mit dem von ihr gezeichneten reichen Bild der Vertragsgestaltung im Mittelmeerraum, deren Einfluss auf die römische Vertragsgestaltung plausibel ist,111 zeigt Jakab eine große Flexibilität schuldrechtlicher Gestaltungsformen auf. Dies stärkt insbesondere die Vermutung, dass der republikanischen Jurisprudenz eine culpa-Haftung auch im Rahmen der locatio conductio nicht unbekannt war. Dass die von ihr beigebrachten Dokumente darüber hinaus den Schluss zulassen, die Frachtverträge hätten in der Regel lediglich eine Haftung nur für die ‚typisierten Fälle der Seegefahr’ ausgeschlossen, scheint mir allerdings zweifelhaft; schon Bürge hat zutreffend gezögert, für Griechenland eine allgemeine Regel auszumachen, die für die Gefahrübernahme durch den Verfrachter oder Schiffer spricht.112 Zu Recht weist auch Jakab darauf hin, dass die untersuchten Navigationsklauseln, die dem Reeder untersagen, bei schlechtem Wetter, in der Nacht oder im Sturm zu segeln, und von ihm verlangen, in den sichersten Häfen anzulegen,113 gegen eine grundsätzlich unbeschränkte Haftung der Schiffer sprechen;114 und die Verpflichtung zum Anlegen in sicheren Häfen rekurriert auf Gefahren, die über den Bereich der bloßen Seegefahr hinausgehen. Insbesondere aber lassen sich aus einer grundsätzlichen Beschränkung der Gattungsschuld auf den vorhandenen Vorrat und einer Verpflichtung zur Rückgabe nach Maß ebenso wenig valide Rückschlüsse auf den Haftungsmaßstab ziehen115 wie aus der Quittierung der in das Schiff eingeladenen Menge,116 die der bloßen Beweiserleichterung gedient haben mag. Dass der Reeder nicht völlig frei über das auf dem Schiff befindliche Getreide verfügen konnte, trifft zu. Dass es bei der Rückgabepflicht nach Maß darum ging, den Reeder für die Rückgabe „beinahe uneingeschränkt“ haften zu lassen, scheint mir nicht ausreichend belegt.

62Die in D.19.2.31 und D.34.2.34 pr. postulierte Eigentumsstellung, deren obligatorische Bindung den neuen Eigentümer an der freien Verfügung über die erlangte Sache hindert, führt nicht zu einer Zufallshaftung des Erwerbers: Der vertragliche Haftungsmaßstab soll (und kann) von der Eigentumsübertragung offensichtlich unberührt bleiben. Für die Möglichkeit dieser Differenzierung von vertraglichem Haftungsmaßstab und dinglicher Eigentumszuordnung in republikanischer Zeit haben Benke117 und Bürge118 wertvolle Nachweise gegeben. Das Motiv des Eigentumsübergangs blieb dabei allerdings unklar. Während Bürge dies nicht weiter thematisiert, sieht und akzeptiert Benke den Eigentumsübergang als – zu Gunsten des conductor – recht großzügige juristische Lösung zum Zweck der Erleichterung des Transports.119 Mir scheint dies im Ergebnis zutreffend; vor dem Hintergrund eines bislang nicht beachteten Aspekts sei die „Großzügigkeit“ der Lösung allerdings relativiert: D.19.2.31 und D.34.2.34 pr. zeigen, dass ein Eigentumsübergang (nur) in den Fällen angenommen wird, in denen der conductor den ihm zur Verfügung gestellten Gegenstand nicht mehr so ausliefert, wie er ihn erhalten hat. Das gilt für das Getreide, das ausgetauscht werden muss, und das Gold, das in Substanz verletzender Weise bearbeitet wird, nicht aber für Stoffe, die gereinigt werden. Der Grund des Eigentumsübergangs erschließt sich vor diesem Hintergrund in recht praktischer Weise: Die dingliche Position schützt den conductor von vornherein vor der – in diesen Fällen besonders relevanten – Gefahr, jenseits der Vertragshaftung für etwaige Fehler nach der actio furti und im Bereich des damnum iniuria datum nach der lex Aquilia120 herangezogen zu werden, insofern man den Geltungsbereich des dritten Kapitels für Beschädigungen unbeseelter Sachen bereits für die republikanische Zeit anerkennt.121 Damit entkommt er etwa in den Sachverhaltskonstellationen der actio furti nec manifesti sowie denen der aquilischen Haftung in Fällen der Litiskreszenz122 dem Risiko einer doppelten Schadensberechnung123 und der Ersatzpflicht von Schadenspositionen, die außerhalb des Vertragszwecks liegen124.

63Gerade im Bereich der Haftung für Sachbeschädigungen zu republikanischer Zeit steht diese Interpretation auf den unvermeidbar tönernen Füßen von Hypothesen, die nie mehr als einen größeren Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen in der Lage sind.125 Ihren textlichen Ausgangsimpuls findet sie in der ernsthaften Berücksichtigung der bereits von den Kompilatoren für kaum bedeutsam gehaltenen Ablehnung einer actio furti respektive actio oneris aversi in D.19.2.31, die den Blick auf den Haftungsbereich jenseits des Vertraglichen lenkt. Dabei erweist sich das Eigentum auf republikanischer Entwicklungsstufe als pragmatisches Mittel der Zuteilung rechtlicher Positionen, die auf der Ebene des Haftungsmaßstabs noch unberücksichtigt bleiben können. Die klassische Zeit präzisiert die Konturen des Eigentumsbegriffs - in der historischen Rückschau mag man insoweit von "dogmatisierung" sprechen - und stabilisiert es als verdichtete Rechtsposition,126 deren Absolutheit eine Zufallshaftung des Eigentümers bedingt und rechtfertigt. Die Pragmatik, von der die Konstruktion in D.19.2.31 noch getragen ist, wird den Konsequenzen aus dieser Dogmatik weichen: Wie die fiducia durch das pignus, bei dem kein Eigentumsübergang stattfindet, abgelöst werden wird, wird der Prozess der Eigentumsdogmatisierung für die locatio conductio durch Herausbildung des Grundsatzes non solet locatio dominium mutare ein Gleichbleiben der Eigentumslage bedeuten.127

Aufsatz vom 8. November 2011
© 2011 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
8. November 2011