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„Wie Justitia zurückblickt. Erinnerungskultur(en) der deutschen Justiz“ (Forum Justizgeschichte)
30. August 2021
Datum : 25.09.2021
Anfang
dieses Jahres schlug das Bundesjustizministerium eine Änderung des
Deutschen Richtergesetzes vor. „Im gesamten rechtswissenschaftlichen
Studium“ solle fortan „gerade vor dem Hintergrund des
nationalsozialistischen Unrechts die Fähigkeit zur kritischen Reflexion
des Rechts einschließlich seines Missbrauchspotentials“ gefördert
werden. Wenige Wochen zuvor hatten Medien über eine „Ahnengalerie“
ehemaliger Richterinnen und Richter im Bundesarbeitsgericht (BAG)
berichtet und damit ein Schlaglicht auf eine andere Art der
Erinnerungskultur in der deutschen Justiz geworfen: Ohne einen
einordnenden Kommentar hängt im Gebäude auf dem Erfurter Petersberg das
Porträt von Willy Martel, der als Mitglied des Sondergerichts Mannheim
nach der „Verordnung gegen Volksschädlinge“ auch für Diebstahl die
Todesstrafe verhängt hatte. Zwölf weitere Juristen sind abgebildet, die
nach Recherchen von Martin Borowsky schwere NS-Belastungen aufweisen.
Erst Anfang 2021 kündigte das BAG eine Historikerkommission an, um die
Vergangenheit seiner ersten Richter und deren Rechtsprechung
aufzuarbeiten. Auch die Vorbereitungen zur Gründung eines „Forums Recht“
in Karlsruhe gehören in diesen Kontext. Hier stellt sich die Frage nach
den Möglichkeiten und Grenzen der Musealisierung der
bundes-republikanischen Justizgeschichte und ihrer Vorgeschichte im 19.
und 20. Jahrhundert.
Wie erinnern deutsche Gerichte an ihre Geschichte? Welche Erinnerungskulturen gibt es?
Der
Historiker Christoph Cornelißen definiert Erinnerungskultur „als einen
formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung
an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse […], seien sie
ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur. Der Begriff umschließt
mithin neben Formen des ahistorischen oder sogar antihistorischen
kollektiven Gedächtnisses alle anderen Repräsentationsmodi von
Geschichte, […] jedenfalls soweit sie in der Öffentlichkeit Spuren
hinterlassen haben.“
Auf der 23. Jahrestagung des „Forum
Justizgeschichte“ soll es um dieses „historische“, „ahistorische“ und
sogar „antihistorische“ Gedächtnis der dritten Gewalt gehen. Justizielle
Erinnerungskultur kann anhand von Porträts und Erinnerungstafeln, durch
Publikationen über „furchtbare Juristen“ und „Anwälte ohne Recht“,
Gedenkstätten, Festschriften und Rechtsprechungstraditionen, an der
Erschließung von Prozessmaterialen und am Wegschließen von Akten
exemplifiziert werden. Wie hat „juristische Geschichtspolitik zwischen
Selbstkritik und Identitätsstiftung“ (Hannes Püschel) funktioniert seit
dem Kaiserreich – und wie funktioniert sie heute?
Darüber hinaus soll
diskutiert werden, welche Bereiche der Justiz nach wie vor aus der
kollektiven Erinnerung ausgeklammert werden und welche blinden Flecke
die Aufarbeitung aufweist. Ein Themenfeld könnte dabei sein, warum die
Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Faches und der eigenen
Zunft so wenig Raum in der Ausbildung einnimmt. Es kann sich auch die
Frage stellen, wie sich die Rechtsgeschichtsschreibung an der
Schnittstelle von Fachwissenschaft, Erinnerungskultur und öffentlicher
Geschichte positioniert.
Gerne wollen wir auch erörtern, welche
Aufmerksamkeit wir heute der historischen Bedeutung des Gegenwärtigen
für eine mögliche gesellschaftliche Erinnerung(skultur) der Zukunft
schenken. Ganz konkret: Wie wird in der Gegenwart der mögliche
historische Wert gegenwärtiger Justizhandlungen mitbedacht? In diesem
Zusammenhang kann etwa über die Möglichkeiten und Notwendigkeit der
Audioaufzeichnung von Strafverfahren (nicht nur von historischer,
sondern auch) mit rassistischen Hintergründen diskutiert werden.
25. September 2021
11:00 – Begrüßung
11:15 – Annette Weinke: Thematische Einführung
11:30
– Martin Borowsky: „Mit Stolz […] auf die erste arbeitsgerichtliche
Nachkriegs-generation zurückblicken“. Überlegungen zur „Ahnengalerie“ am
Bundesarbeitsgericht“
12:15 – Georg Falk: Rückblick auf die NS-Justiz – Zur Erinnerungskultur in der hessischen Justiz
13:00 – Pause
13:30
– Christiane Wilke: Verwobene Vergangenheiten. Narrative von Umbruch
und Rechtsstaatlichkeit in juristischer Vergangenheitspolitik
Die Teilnahme ist mit einem Computer, mobilen Endgerät oder auch per Telefon möglich.
Anmeldungen senden Sie bitte an info@forum-justizgeschichte.de. Die Zugangsdaten werden im unmittelbaren Vorfeld der Veranstaltung per Mail zugesandt werden.Quelle: https://www.hsozkult.de/event/id/event-112505