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Organe der Rechtspflege – Organe der Revolution? "Linksanwälte" im Lichte von APO und sozialrevolutionärem Terrorismus der späten 1960er- und 1970er-Jahre in der Bundesrepublik
22. November 2021
Veranstaltungsort : Mannheim
Vom - Bis : 01.06.2022 - 03.06.2022
Deadline für Einreichungen : 15.12.2021
Das Symposium möchte sich dem Konstrukt des "Linksanwalts" der 1960er-
und 1970er-Jahre multiperspektivisch nähern. Dabei wird der Begriff
"Linksanwälte" als defizitär-pragmatische Sammelbezeichnung für eine
Gruppe von Anwälten verstanden, die ab Mitte der 1960er-Jahre Mandate
für Angeklagte des linken Spektrums übernahmen und dadurch mitunter
zweifelhafte Bekanntheit erlangten.
Die Berufsordnung für Rechtsanwälte in der Fassung vom 01. Januar 2020 zählt es unter Paragraph 1 Freiheit der Advokatur wie selbstverständlich zu den Aufgaben des Anwaltes, „seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen“, „vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren“ sowie „gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung und staatliche Machtüberschreitung zu sichern“.
Auch die Rolle des Strafverteidigers im deutschen Rechtssystem scheint damit klar umrissen. Keineswegs herrschte über die Ausgestaltung bundesrepublikanischer Anwaltstätigkeit indes immer die Einigkeit, die der zitierte Passus suggerieren könnte. Augenfällig wurde dies vor allem während der 60er- und 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Mit der Hochphase der außerparlamentarischen Protestbewegung und der sich anschließenden Phase des sozialrevolutionären Terrorismus gelangte die potenziell konfliktbehaftete Stellung des Verteidigers in Strafprozessen in ein breiteres öffentliches Bewusstsein.
Dies war zuvorderst die Folge einer Reihe von Verfahren, in denen die jeweils Beschuldigten ihr Handeln politisch zu rechtfertigen suchten. Die Absicht der Angeklagten, eine „politische“ Verteidigung zu führen, fand dabei die Unterstützung mehrerer zumeist jüngerer Rechtsanwälte, die ihr anwaltliches Selbstverständnis in bewusster Abgrenzung zu den vorherrschenden Usancen der Strafverteidigung definierten. Im Auftreten der „Neuen“ mischten sich Generationenfragen mit der nur unzureichend aufgearbeiteten (Justiz-)Geschichte des „Dritten Reiches“ und der sich an den Universitäten formierenden „68er“-Bewegung bzw. Außerparlamentarischen Opposition (APO).
Indem die Anwälte ihre Mandate politisch zu führen bereit waren, eröffneten sie sich und ihren Mandanten vor Gericht einen auch auf „Publicity“ abzielenden argumentativen Raum, der nicht nur von Vertretern des Berufsstandes mit Befremden zur Kenntnis genommen wurde. In den Prozessen gegen Angehörige der APO und später des sozialrevolutionären Terrorismus war der Gerichtssaal nicht mehr allein Ort der Rechtsprechung, sondern zugleich eine Verlängerung des Protestraums Straße sowie Forum zur Erzeugung einer größtmöglichen, medial vermittelten (Gegen-)Öffentlichkeit.
So nimmt es nicht wunder, dass neben den eigentlich Beschuldigten auch die sogenannten „Linksanwälte“ ins Zentrum der Verfahren wie medialen Aufmerksamkeit rückten. Ihre Stellung als Verteidiger von Angeklagten des linken Spektrums wurde von der Öffentlichkeit zumeist mit Misstrauen und Unverständnis quittiert: Nicht selten wurde ihnen pauschal unangemessene Sympathie für ihre Mandanten, in manchen Fällen gar Komplizenschaft vorgeworfen, sodass Forderungen nach Reaktionen auf vermeintlich gegen den Rechtsstaat gerichtete Kampagnen der Verteidiger nicht ausblieben.
Ziel des Symposiums
Der Mandanten des linken Spektrums vertretende Strafverteidiger war weder ein Novum der 1960er-Jahre noch eine auf die APO oder den sozialrevolutionären Terrorismus begrenzte Erscheinung, sondern hatte, wie Stefan Reinecke bemerkt, in den „KPD-Anwälten“ der fünfziger Jahre seine Vorläufer. Wenngleich also kein unbekanntes Phänomen, fand der bald so bezeichnete „Linksanwalt“ als Typus doch erst im Zuge von Verfahren gegen Angehörige der „68er“-Protestbewegung den Weg ins Bewusstsein der medialen Öffentlichkeit.
Das für Anfang Juni 2022 am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Mannheim geplante Symposium „Organe der Rechtspflege – Organe der Revolution?“ möchte sich den Gründen für diese Wahrnehmungsänderung ebenso annähern wie dem historischen (Nach-)Wirken der sogenannten „Linksanwälte“. Der Begriff des „Linksanwaltes“ wird hierbei als unscharfe Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Anwälten verstanden, die ab Mitte der 60er-Jahre Mandate für Angeklagte des linken Spektrums übernommen und dadurch mitunter zweifelhafte Bekanntheit erlangt hatten. Mithin nimmt es ein Thema in den Blick, das – obwohl aufgrund der besonderen Stellung des Rechtsanwaltes vor allem in (politischen) Strafverfahren von hoher analytischer Relevanz – noch immer ein Forschungsdesiderat der kultur- und sozialrevolutionär inspirierten Welle der 60er- und 70er-Jahre darstellt. Das Ziel der Tagung besteht daher in dem Versuch, das Konstrukt „Linksanwalt“ multiperspektivisch auszuleuchten und – in Anlehnung an einen Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1972 – auf einem sich zwischen den Polen „Organ der Rechtspflege“ und „Organ der Revolution“ eröffnenden Spannungsfeld zu verorten.
Inhaltliche Konzeption
Der grundsätzlich historische Ansatz ermöglicht eine Vielzahl verschiedener, gerade auch transdisziplinärer Zugriffe, die ausdrücklich willkommen sind. Nur als Anregungen zu verstehen sind organisations-, rechts- und sprachhistorische sowie biografische Perspektiven; Das Wirken einzelner Anwälte bzw. Sozietäten kann ebenso Gegenstand eines Tagungsbeitrages sein wie die medienwissenschaftliche Analyse einzelner justizgeschichtlicher Schlaglichter oder die Auseinandersetzung mit dem viel diskutierten „Organ“-Begriff bzw. der Doppelstellung des Anwalts im (politischen) Strafprozess. Es wird um Einreichung von Vorschlägen für die nachstehenden Sektionen gebeten:
SEKTION 1: Der „Linksanwalt“ - ein neuer Typus des Strafverteidigers?
SEKTION 2: Der Gerichtssaal als Bühne: Anwälte als Garanten von (Gegen-)Öffentlichkeit
SEKTION 3: Eine „Karikatur des Rechtswahrers“? Der „Linksanwalt“ in medialer Darstellung und öffentlicher Wahrnehmung
SEKTION 4: (Non) plus ultra: Anwälte als Grenzgänger
SEKTION 5: Nachwirkungen und Folgen: Der Einfluss von „Linksanwälten“ auf Justiz und politische Kultur
Die Veranstaltung richtet sich an auf dem Gebiet der historisch arbeitenden Wissenschaften Promovierende wie etablierte Forschende gleichermaßen. Da sie der Vernetzung dienen soll, wird sie in Präsenz geplant, Reise- und Unterbringungskosten werden übernommen. Die Sicherung der Tagungsbeiträge in Form eines Sammelbandes ist angedacht. Interessierte senden bitte bis zum 15.12.2022 Beitragsvorschläge für ein Referat von 25 Minuten (ca. 800 Wörter) nebst Kurz-CV (ca. 1 Seite) an: jbrosig@mail.uni-mannheim.de.
Das Symposium wird ermöglicht durch eine großzügige Förderung des Vereins Forum Anwaltsgeschichte e. V. (https://www.anwaltsgeschichte.de/).
Kontakt
E-Mail: jbrosig@mail.uni-mannheim.de
Quelle: https://www.hsozkult.de/event/id/event-114094 (22.11.2021)