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Forum News

Tagung: Beschleunigung und Effizienzbemühungen im Gerichtswesen der Vormoderne

24. August 2022

Vom - Bis:   06.10.2022 - 08.10.2022

Ort:   Seminarraum der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e.V., Hofstatt 19, Wetzlar

Deadline für Anmeldungen:   25.09.2022

Das Einsparen von Kosten und Zeit, aber auch – damit verbunden – eine vermehrte Beschleunigung waren für das 18. Jahrhundert zeittypische Phänomene im Gerichtsverfahren und entsprachen dem Beschleunigungsimpuls einer so bezeichneten „Sattelzeit“ (Koselleck) sowie dem Rationalismus und dem ökonomischen Verständnis des Kameralismus. Beschleunigungsforderungen von Parteien und Öffentlichkeit gab es zwar schon vor dem 18. Jahrhundert, doch ein auf die Gerichte ausgeübter Effizienzdruck etwa seitens der Landesherren oder öffentlich räsonierender Gelehrter scheint in dieser Zeit eine neue Qualität erreicht zu haben. Trotz des Strebens nach Minderung des „Zeitverlusts“, wie es etwa in einer Reichshofratsordnung von 1714 heißt, herrschte realiter aber gerade im 18. Jahrhundert die sprichwörtliche und mit negativer Konnotation verbundene Weitläufigkeit vor. Der Schnelligkeit eines Gerichtsverfahrens und der Gerichtsarbeit im Allgemeinen waren indes per se Grenzen gesetzt, die im Einzelnen noch genauer zu bestimmen bleiben.

Zentrales Anliegen der Tagung ist es, nach den Bedingungen und den Wirkungen von Effizienzbestrebungen im Gerichtsverfahren der Vormoderne zu fragen und hierbei auch Unterschiede zwischen verschiedenen Gerichten und Gerichtslandschaften, auch zwischen den beiden höchsten Reichsgerichten und über das römisch-deutsche Reich hinaus, aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren. Als Orientierung und Arbeitsgrundlage dienen drei Schlagworte, die es erlauben, aus allgemein- und rechtshistorischer Perspektive und durch den Rückgriff auf unterschiedliche Zugriffe und Methoden Effizienzbemühungen im Gerichtswesen der Vormoderne konkreter erforschbar, plurale Argumentationslinien und Effizienzdiskurse sichtbar sowie Transformationsprozesse definierbar zu machen:

1. Effizienzerwartungen
2. Effizienzbemühungen
3. Effizienzdruck

Unter Effizienzerwartungen lässt sich zeigen, wie die Zeitgenossen Ansprüche und Annahmen hinsichtlich der Tätigkeit von und bei Gerichten generierten, wie sie geäußert, rezipiert und transformiert wurden. Welche Mängel und Monita wurden gegenüber wem und in welchen Kontexten genannt und mit welchen Erwartungen verknüpft? Welches zeitgenössische Verständnis von Effizienz lässt sich hieraus ableiten? Wandelte sich dieses Verständnis in der Vormoderne und wenn ja, welche Faktoren und unterschiedlichen Kontexte trugen zur Transformation bei? Wie wurden ambivalente Erwartungsvorstellungen kommuniziert, ausgehandelt oder abgelehnt?

Während hier Entwicklungen wirksam wurden, die sowohl von außen an die Gerichte herangetragen als auch bei den Gerichten selbst aufgeworfen wurden, sollen unter dem Schlagwort der Effizienzbemühungen ganz konkret Maßnahmen und Strategien zur Beschleunigung gerichtlicher Verfahren in den Blick genommen werden. Dabei kann besondere Aufmerksamkeit darauf gelegt werden, welche Akteure an diesen Bemühungen beteiligt und ihnen unterworfen waren und welche Sachgebiete und Themenfelder derartigen Effizienzbemühung unterzogen wurden: ob Gerichtsverfahren, institutionalisierte Verwaltungsabläufe oder Entscheidungsfindungsprozesse. Besonders innerhalb des letztgenannten Aspekts stellt sich die Frage, wie sich die materielle Richtigkeit der Entscheidung als Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens und die Bemühung um Beschleunigung zueinander verhielten; dies insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel in späteren Verfahrensstadien und im Rechtsmittelverfahren. Ferner stellt sich die Frage, ob die Beseitigung mündlicher Elemente im Verfahren ein Weg war, um – vermeintlich – zeiteffizient, kostensparend und zielgerichtet Entscheidungsprozesse auf einer rein schriftlichen Faktenlage anstoßen zu können. Vor diesem Hintergrund wäre etwa zu fragen, welche Bedeutung mündliche Elemente wie die informelle Lobbyarbeit über die Sollizitatur oder Geldzuwendungen an das Gerichtspersonal im Gerichtswesen hatten.

Drittens resultierte aus den vorbeschriebenen Aspekten von Effizienzerwartung und Effizienzbemühung ein regelrechter Effizienzdruck. Zu untersuchen bleibt hier etwa, ob der gestiegene Finanzbedarf im 18. Jahrhundert zu Bemühungen der Effizienzsteigerung beigetragen hat, um die Langwierigkeiten von Verfahren einzudämmen. Welche Folgen hatten Elemente der Beschleunigung und Verzögerung für die verschiedenen Akteure von den Verfahrensbeteiligten über das Gerichtspersonal und die Gerichts- oder Justizverwaltung bis hin zu den Landesherren, die ganz vielfältige und häufig konfligierende finanzielle Interessen hatten? Diese und weiterführende Themenkreise werden im Rahmen der Tagung im kommenden Herbst in Wetzlar anhand der folgenden Beiträge diskutiert werden:

Programm

6. Oktober 2022

14.00–15.30 Uhr Begrüßung und Einführung
Moderation und Einführung – Dr. Josef Bongartz

Dr. Maria WEBER: Effizienz – ein Forschungsbegriff?
Möglichkeiten und Grenzen.

16.00–18.15 Uhr Sektion I
Moderation – Dr. Maria Weber

Jasmin HAUCK: Die Exekution päpstlicher Gnaden im
Spätmittelalter zwischen Prozessökonomie und
Sorgfaltspflicht: Zu einem Sonderfall päpstlich delegierter
Gerichtsbarkeit.

Assoc. Prof. Asami KOBAYASHI: Delegationsgerichtsbarkeit
als Effizienzbemühung der mittelalterlichen
päpstlichen Kurie.

Miroslav Ivan POSARIC, M.A.: Bischof und Kommune von
Poreč. Effizienzdruck auf die Gerichte im urbanisierten
Küstenland Istriens während des 13. Jahrhunderts.

20.00 Uhr Öffentlicher Abendvortrag
Einführung PD Dr. Alexander Denzler und
Moderation Prof. Dr. Anette Baumann

Dr. Achim LAUBER-NÖLL: Beschleunigungsbemühungen
im Gerichtswesen der Vormoderne und Auswirkungen auf
das moderne Gerichtswesen.

7. Oktober 2022

09.00–10.30 Uhr Sektion II
Moderation – PD Dr. Alexander Denzler

Prof. Dr. Anette BAUMANN: Das Reichskammergericht im
16. Jahrhundert zwischen Qualitätssicherung und Überlastung
– Strategien und Lösungsmöglichkeiten.

Lena FREWER, M.A.: Effizienzdruck und -erwartungen im
Kontext des Rechtspraktikums am Reichskammergericht.

11.00–12.30 Uhr Sektion III
Moderation – Rhonda-Marie Lechner

Dr. Eva ORTLIEB: Die Effizienz des Rats. Überlegungen aus
der Perspektive des Hofrats Karls V.

Sven DITTMAR, M.A.: Effizienz durch Bistumskumulation?
Die obersten (Appellations-)Gerichte Hofrat und Vikariat unter
Lothar Franz von Schönborn.

14.30–16.00 Uhr Sektion IV
Moderation – Lena Frewer, M.A.

Dr. Nils JÖRN: Schnell, schneller, Wismarer Tribunal! Wie
effektiv war die Rechtsprechung am Tribunal wirklich?

Dr. Stefan A. STODOLKOWITZ: Effizienz durch formloses
Verfahren – Die Ordinationen des Reichskammergerichts.

8. Oktober 2022

9.30–11.45 Uhr Sektion V
Moderation – Dr. Carolin Katzer
Prof. Dr. Ulrich FALK: Einzelfallgerechtigkeit,
Verfahrensdauer und Aktenversendung. Zur Praxis des
Oberappellationsgerichts Lübeck unter seinem ersten
Präsidenten (1820–1851).

Dr. Tobias SCHENK: Gerichtspraxis ohne
Erledigungsdruck: Beobachtungen zur Mikrologik
frühneuzeitlicher Rechtsorganisationen am Beispiel des
Reichshofrats.

Dr. Josef BONGARTZ: Beschleunigung und
Effizienzbemühungen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit
des 21. Jahrhunderts.

12.00 Uhr Abschlusskommentar und -diskussion
Moderation – Dr. Stefan A. Stodolkowitz

12.30 Uhr Veranstaltungsende

Das Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit wurde 1996 als Forum für Nachwuchswissenschaftler gegründet, die über die beiden obersten Gerichte des römisch-deutschen Reiches (Reichskammergericht/Reichshofrat) arbeiten und/oder deren Gerichtsakten als Quellen nutzen. Ziel ist es, die laufenden Forschungen zu vernetzen und den Austausch über die Fächergrenzen hinweg zu fördern. Weiterführende Informationen zur Arbeit des Netzwerks Reichsgerichtsbarkeit finden Sie unter: http://www.netzwerk-reichsgerichtsbarkeit.de

Kontakt

Für inhaltliche Anfragen:
josef.bongartz@uni-wuerzburg.de

Für die Anmeldung bis zum 25.09.2022:
Andrea Müller
Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung e.V.
Rosengasse 16
35578 Wetzlar
forschungsstelle@reichskammergericht.de

Quelle: Beschleunigung und Effizienzbemühungen im Gerichtswesen der Vormoderne. In: H-Soz-Kult, 18.08.2022, <www.hsozkult.de/event/id/event-129176> (24.8.2022)