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Tagung: Erben und Vererben. Perspektiven und Quellen seit 1800
17. Februar 2023
Das DFG-Netzwerk „Erbfälle und Eigentumsübertragungen – Erbpraktiken im Spannungsfeld von Staat und Familie seit 1800"
veranstaltet vom 15. bis zum 17. März 2023 eine Tagung mit dem Ziel, die Vielfalt und Komplexität von Erbordnungen
und -Praktiken aufzuzeigen, in zentrale Quellenbestände des Themas
einzuführen und weitere Forschungen zu dem Thema anzuregen.
Tagungsort: Universität Leipzig, Schillerstr. 6, Raum S 202
Zwischen 2010 und 2020 wurden in Deutschland jährlich etwa 260 Milliarden Euro vererbt. Insgesamt wechselte in dieser Dekade etwa die Hälfte des in Privatbesitz befindlichen Vermögens den/die Besitzer:in, und etwa 60 Prozent der Bevölkerung partizipierte an diesem Transfer als Vererbende oder Erb:innen. Die Bedeutung von Erbschaften als Weg zu Wohlstand nimmt seit den 1980er-Jahren wieder zu. Seitdem wird in der massenmedialen Öffentlichkeit, in der Politik und in der Wissenschaft intensiv über die gesellschaftspolitischen und sozialen Folgen dieser Vermögenstransfers diskutiert.
Historiker:innen beginnen erst allmählich, sich an diesen Debatten zu beteiligen und das Thema „Erben und Vererben“ für das späte 19. und das gesamte 20. Jahrhundert zu entdecken. In diesem Zusammenhang nahm im Frühjahr 2020 auch das DFG-Netzwerk „Erbfälle und Eigentumsordnungen seit 1800“ seine Arbeit auf. Seitdem haben dessen Mitglieder Erbrecht und Erbpraxis aus verschiedenen Perspektiven diskutiert: der staatlichen, der familialen und der von privaten Dienstleistern. Dabei hat sich im Verlauf der Diskussionen immer deutlicher herauskristallisiert, dass ein Erbfall kein Ereignis darstellt, sondern einen Prozess. Erbübertragungen sind Teil von Ressourcenflüssen, die zum Teil lange vor dem Erbfall begannen (z.B. Heirat und Übergabe-, und Gesellschafterverträge) und die nicht mit der Ausstellung eines Erbscheins abgeschlossen waren (z.B. private Verteilungen von Erbstücken nach der Ausstellung eines Erbscheins, Stiftungen und Fideikommisse). Auch betrafen Erbaushandlungen nicht nur die enge Kernfamilie, vielmehr war ein breite Akteursensemble daran beteiligt. Erbübertragungen sind darüber hinaus nach sozialer Schicht der Beteiligten, nach Gender, nach materieller Manifestation des Erbes usw. auszudifferenzieren. Dabei zeigten sich in manchen Bereichen erstaunliche Kontinuitäten von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart (z.B. in der Persistenz des Familienprinzips) und in anderen Wandlungen und deutliche Brüche (z.B. in den Definitionen von Familie oder durch die Einführung von Erbschaftssteuern, womit der Staat aktiv in private Vermögensangelegenheiten einzugreifen versuchte).
Schließlich haben die Treffen verdeutlicht, dass zentrale Quellenbestände, – wie Testamente, Erbverträge, Erbschaftssteuerakten –, in denen sich Erbschaftsangelegenheiten seit dem 19. Jahrhundert niedergeschlagen haben, bisher noch nicht kritisch eingeordnet und kontextualisiert wurden. Wir wissen noch wenig darüber, wer diese Quellen in welchem Kontext mit welchen Zielen erstellte, welche Vorannahmen und Wissen in diese Quellen einflossen, welche Aspekte des Erbtransfer dadurch sichtbar werden und welche Blindstellen bestimmten Quellenbeständen inhärent sind.
Hier setzt die Tagung an: Ziel ist es, mit Blick auf den deutschen Sprachraum die Ergebnisse der Arbeitstreffen zu bündeln und die Vielfalt und Komplexität von Erbordnungen und -Praktiken aufzuzeigen, in zentrale Quellenbestände des Themas einzuführen und weitere Forschungen zu dem Thema anzuregen.
Anmeldung
Gäste sind herzlich willkommen. Um eine Anmeldung wird gebeten an:
Jürgen Dinkel
E-Mail: juergen.dinkel@uni-due.de
Mittwoch, 15. März 2023
ab 12.00 Uhr
Ankunft
13.00–13.30 Uhr
Begrüßung und Einführung
Eva Inés Obergfell: Grußwort
Simone Derix (Erlangen) / Jürgen Dinkel (Duisburg-Essen): Einführung
13.30–15.30 Uhr
Panel 1: Erbstück, Erzählung und Erbenermittlung
Moderation: Thomas Urban (Leipzig)
Ulrike Vedder (Berlin): Erzählungen. Das Wissen der Literatur vom Erben und Vererben
Charlotte Zweynert (Hannover): Erbstücke. Vermögens- und Beziehungstransformationen beim (Ver-)Erben
Dirk van Laak (Leipzig): Erbenermittlung. Die Bemühungen um eine Zuordnung herrenlosen Besitzes
15.30–16.00 Uhr
Kaffeepause
16.00–17.30 Uhr
Panel 2: Vertrag und Inventar
Moderation: Stefan Brakensiek (Duisburg-Essen)
Margareth Lanzinger (Wien): Ehevertrag und Inventar. Aushandeln, dokumentieren und absichern
Yassin Abou El Fadil (Göttingen): Gesellschafterwille vs. Letzter Wille. Gesellschafterverträge als Quellen unternehmerischer Kontingenzbewältigung im Erbprozess
ab 19.00 Uhr
Gemeinsames Abendessen
Donnerstag, 16. März 2023
09.30–13.00 Uhr
Panel 3: Fideikommiss, Stiftung, Testament
Moderation: Julia Schmidt-Funke (Leipzig)
Kerstin Brückweh (Berlin) / Christine Fertig (Münster): Übergabeverträge und Grundbuch. Familiäre Aushandlungsprozesse und rechtliche Fixierung, 1820–1900
Monika Wienfort (Potsdam): Fideikommiss. Großgrundbesitz, Familie und ungeteiltes Erbe im 19. Jahrhundert
ca. 11.00 Uhr
Kurze Pause
Simone Derix (Erlangen): Stiftung. Das Wohl der Familie, das Wohl der Anderen und die Zeitlichkeit von Vermögen
Jürgen Dinkel (Duisburg-Essen): Testament. Eigentum dokumentieren, legitimieren und übertragen
13.00–14.30 Uhr
Mittagspause
14.30–17.00 Uhr
Panel 4: Recht und politische Debatte
Moderation: Michael Zwanzger (Leipzig)
Anne Röthel (Hamburg): Testamente vor Gericht. Das Wissen vom Erben und Vererben aus richterlicher Inhaltskontrolle
Anatol Dutta (München): Das Erbrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs – ein Kodex für die Ewigkeit?
Jens Beckert (Köln): Politische Debatte. Parlamente und öffentliche Debatte zur Vermögensvererbung
ab 19.00 Uhr
Gemeinsames Abendessen
Freitag, 17. März 2023
09.30–11.30 Uhr
Panel 5: Erbschaftssteuer und Sozialstaat
Moderation: Antje Dietze (Leipzig)
Ronny Grundig (Potsdam): Steuerakten. Ansatzpunkte zur Rekonstruktion von Vermögensstrukturen im Todesfall
Marc Buggeln (Berlin): Erbschaftsteuerstatistik. Strategische Ignoranz im Wandel der Zeit
Nicole Kramer (Köln): Die Pflegeversicherung als Erbenschutz? Intergenerationelle Beziehungen im bundesdeutschen Wohlfahrtsstaat.
11.30 Uhr kurze Pause
11.30–13.00 Uhr
Abschlussdiskussion
ab 13.00 Uhr
Gemeinsames Mittagessen
Quelle: Das Wissen vom Erben und Vererben. Perspektiven und Quellen seit 1800.
In: H-Soz-Kult, 16.02.2023, <www.hsozkult.de/event/id/event-134049>.