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Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und der Moderne

20. Juni 2023

Veranstalter: Tina Adam (Universität Bern), Maurice Cottier (Universität Freiburg/Schweiz), Joachim Eibach (Universität Bern)

Ort: Bern
Zeit: 19.06.2024 - 22.06.2024 

Frist für die Einreichung von Vorschlägen: 1.10.2023

Die Tagung, die zugleich das 8. Kolloquium zu Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und Moderne sein wird, hat zum Ziel, neue Themen, Methoden und Perspektiven im Bereich der Kriminalitätsgeschichte zu diskutieren. Dabei soll gefragt werden, ob und wie das Forschungsfeld an aktuelle Debatten innerhalb der Geschichtswissenschaften anschlussfähig ist und wie diese Debatten die Kriminalitätsforschung bereichern können und vice versa.

Seit ihren Anfängen in den 1980er-Jahren hat sich die Historische Kriminalitätsforschung im deutschsprachigen Raum zu einem florierenden Forschungsfeld entwickelt. Vor allem die hermeneutische Dechiffrierung von gerichtlichen Verhörprotokollen, Anklage- und Urteilsschriften eröffnete einmalige Einblicke in die (konfliktreiche) Alltagswelt spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Lebenswelten. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass vormoderne Strafgerichte keineswegs nur drakonische Strafen verhängten, sondern über ein ausdifferenziertes Arsenal an Straftechniken verfügten. Im Anschluss an die Pionierphase widmeten sich Kriminalitätshistoriker:innen dem 19. Jahrhundert und – allerdings nur sehr beschränkt – dem frühen 20. Jahrhundert.
Mit ihren Arbeiten hatten Kriminalitätshistoriker:innen wesentlich Anteil an der Herausbildung und Etablierung neuer Teildisziplinen und Ansätze innerhalb der Geschichtswissenschaften. Namentlich die Neue Kulturgeschichte, die Historische Anthropologie und später auch die Kritische Diskursanalyse wurden wesentlich durch kriminalitätshistorische Arbeiten mitentwickelt.
Zuletzt ist es allerdings ruhiger um die Historische Kriminalitätsforschung geworden. Theoretische und methodische Impulse gehen heute von anderen Forschungsrichtungen wie z. B. der Global- und Kapitalismusgeschichte, den Post Colonial-, und Material Culture Studies aus.
In den kommenden Jahren steht im Feld der Kriminalitätsgeschichte ein Generationenwechsel an. Es ist daher ein guter Zeitpunkt, um zu fragen, welche neuen Wege aktuelle und künftige Forschungen einschlagen könnten. Zudem drängt sich die Frage auf, wie das Potenzial der Digital Humanities für kriminalitätshistorische Fragestellungen fruchtbar gemacht werden kann. Mit welchen Inhalten und Ansätzen lässt sich die historische Kriminalitätsgeschichte erneuern?
Die Berner Tagung, die zugleich das 8. Kolloquium zu Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und Moderne sein wird, hat deshalb zum Ziel, neue Themen, Methoden und Perspektiven im Bereich der Kriminalitätsgeschichte zu diskutieren. Dabei soll gefragt werden, ob und wie das Forschungsfeld an aktuelle Debatten innerhalb der Geschichtswissenschaften anschlussfähig ist und wie diese Debatten die Kriminalitätsforschung bereichern können und vice versa.
Die Veranstalter sind insbesondere interessiert an empirischen oder konzeptionell orientierten Beiträgen, die Kriminalitätsgeschichte mit anderen Teildisziplinen der Geschichts- und Kulturwissenschaften verknüpfen. Dies betrifft zum Bespiel – aber keineswegs ausschließlich – folgende Themen, Perspektiven und methodischen Zugänge.
- Globalgeschichte und Transnationalität: Transnationalität und Globalgeschichte haben Konjunktur. Interessant sind hier v.a. grenzüberschreitende und globale Formen von Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung. Territoriale Grenzen bzw. deren Überwindung oder Verschiebung sind für die Konstitution von Kriminalität und Strafjustiz von jeher von Bedeutung. Gleichzeitig überqueren auch ‘Kriminelle’ territoriale Grenzen. Grenzgebiete waren nicht selten besonders schwer zu regierenden Territorien, in denen Kriminalität florierte – real oder imaginiert.
- Migration und Kriminalität: Eng verbunden mit transnationalen, globalhistorischen, aber auch (post)kolonialen Perspektiven ist die Frage der Migration. In den Gesellschaften des 21. Jahrhunderts sind Kriminalitätsdebatten oft mit Migrationsdebatten verknüpft – ein Phänomen, das als «Crimmigration» umschrieben wird. Hier besteht ein großer transepochaler Forschungsbedarf.
- Kriminalität und Intersektionalität: Während (Un)gleichheit vor Gericht und genderspezifische Perspektiven in der Kriminalitätsgeschichte fest etabliert sind, bietet der Ansatz der Intersektionalität weiter gehende Möglichkeiten, Diskriminierungen und Privilegierungen im Bereich von Kriminalität und Strafjustiz herauszuarbeiten. Wie lassen sich intersektionale Perspektiven, die Überschneidungen von und Wechselwirkungen zwischen diskriminierenden (resp. privilegierenden) Strukturkategorien, in den Blick nehmen konkret für kriminalitätshistorische Forschungen fruchtbar machen?
- Post(kolonialismus) und Kriminalität: (Post)koloniale Ansätze untersuchen die Auswirkungen kolonialer Herrschaft vor und nach dem Ende der europäischen Imperien. Die Rolle von Kriminalität und Strafjustiz im Kontext kolonialer oder kolonialähnlicher Expansion aber auch Dekolonisation stellt noch größtenteils ein Desiderat dar. Gleichzeitig verspricht das Lesen von Gerichtsakten gegen den Strich, dass auch die Agency der Kolonialisierten auf innovative Weise untersucht werden kann.
- Kriminalität und Kapitalismus: Die historische Kapitalismusforschung ist seit der Finanzkrise von 2007/08 im Aufschwung. Obwohl Kapitalismus häufig mit Moderne gleichgesetzt wird, reichen die Anfänge dieses Wirtschaftssystems bis ins Spätmittelalter zurück. Kapitalistische Wirtschaftsformen existierten dabei nicht unabhängig von staatlich festgelegten Regelwerken. Welche Rolle spielten Strafgerichte beim Schutz von Eigentum, Handel und Akkumulation von Kapital? Wo verliefen die Grenzen zwischen legalen und illegalen Akkumulationsformen? Diese und andere Fragen, welche die Kapitalismusforschung befruchten könnten, scheinen noch größtenteils unbeantwortet.
- Kriminalitätsgeschichte und Umweltgeschichte: Die Umweltgeschichte hat im Zuge der Klimakrise und der interdisziplinären Forschungen zum Anthropozän erneut an Relevanz gewonnen. Welche Rolle spielten Kriminalität und Strafjustiz seit dem Spätmittelalter beim Umgang und Schutz der Umwelt als öffentlichen Gut?
- Kriminalitätsgeschichte und Animal Studies: Von den Animal Studies gingen zuletzt wichtige Impulse für die Geschichtswissenschaft aus. Welche Rolle spielten Tiere im Bereich von Kriminalität und Strafjustiz? Sind sie schützenswertes Gut, Beute oder vielleicht sogar Akteure? Inwiefern korrespondierte dieser Aspekt mit der Entstehung der modernen Tierschutzbewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts?
- Kriminalitätsgeschichte als Zeitgeschichte: Während die Wurzeln der Kriminalitätsgeschichte im deutschsprachigen Raum in der Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung liegen, haben mittlerweile das 19. und teilweise auch das frühe 20. Jahrhundert Beachtung erhalten. Spärlicher hingegen sind Forschungen zur Zeit nach 1945 und ganz besonders zu den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Zeit ist reif, um den Fokus auf die Entwicklungen nach 1970 zu legen. Die Periode ‘nach dem Boom’ war geprägt durch einen tiefgreifenden sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandel. Wie sich dieser auf die Kriminalität, die Wahrnehmung von Kriminalität und die Kriminalitätsbekämpfung auswirkte, ist bis dato kaum erforscht.
- Kriminalität und Material Culture: Die Kriminalitätsgeschichte hat ihr ihren Fokus nicht zuletzt auf Kriminalität als symbolische Interaktion gelegt. Dabei stand so auch oft die Rekonstruktion von Symbolwelten und Sensibilitäten im Vordergrund. Das wichtigste Beispiel hierfür ist die «Ehre», welche für einige Delikttypen bis ins frühe 20. Jahrhundert konstitutiv war. Material culture-Ansätze, die seit einigen Jahren Konjunktur haben, legen den Fokus weniger auf Erfahrungen und Diskurse als auf Artefakte und handfeste Dinge. Gerade bei Diebstahl und Raub wäre es interessant, genau darauf zu achten, welche Dinge die Besitzer:innen wechselten und wie sich dies über die Zeit veränderte.
- Kriminalitätsgeschichte und Digital Humanities: Interdisziplinär fokussieren neuere Forschungen zunehmend auf die Möglichkeiten (und Unmöglichkeiten) der Digital Humanities. Die Tagung soll die Gelegenheit bieten, Projekte zu diskutieren, die sich mit neuen Technologien und digitalen Methoden im Bereich der Historischen Kriminalitätsforschung beschäftigen.
Diese Themenliste ist nicht abgeschlossen, sondern vorläufig zu verstehen. Die Tagung ist offen für weitere innovative Themen, Methoden und Perspektiven! Die Vorträge sollen nicht länger als 20 Minuten dauern und können in deutscher oder englischer Sprache gehalten werden.

Bitte senden Sie eine einseitige Zusammenfassung (max. 300 Wörter, deutsch oder englisch) mit dem Titel des Vortrags und einer Skizze zum Inhalt zusammen mit einer Kurzvita (eine Seite) in einer PDF-Datei an Maurice Cottier, email: maurice.cottier@unifr.ch

Frist für die Einreichung von Vorschlägen: 1. Oktober 2023.

Zeit und Ort:
Die Konferenz wird vom 19. Juni (Anreise) bis 22. Juni 2024 an der Universität Bern stattfinden.
Das Organisationsteam bemüht sich um eine Finanzierung der Übernachtungen für Referierende.

Kontakt:
Tina Adam, Universität Bern, Historisches Institut, tina.adam@unibe.ch
Maurice Cottier, Universität Freiburg, Departement für Zeitgeschichte, maurice.cottier@unifr.ch
Joachim Eibach, Universität Bern, Historisches Institut, joachim.eibach@unibe.ch

Quelle: Kriminalität und Strafjustiz in der Frühen Neuzeit und der Moderne. In: H-Soz-Kult, 19.06.2023, <www.hsozkult.de/event/id/event-137064>.